Generisches Glatiramer 

Kann man Copaxone austauschen?

Stuttgart - 20.09.2016, 11:15 Uhr

Gleich? Oder doch nicht? Bei komplexen Wirkstoffen ist Äquivalenz scher zu beurteilen – und ein Austausch in der Apotheke kritisch. (Foto: Nicky Rhodes / Fotolia)

Gleich? Oder doch nicht? Bei komplexen Wirkstoffen ist Äquivalenz scher zu beurteilen – und ein Austausch in der Apotheke kritisch. (Foto: Nicky Rhodes / Fotolia)


Seit Anfang September ist mit Clift eine günstigere, generische Alternative zum MS-Therapeutikum Copaxone auf dem Markt. Ein Austausch ist theoretisch möglich, sagt der G-BA. Aber wie beurteilt man eigentlich die therapeutische Äquivalenz, wenn man weder die genaue Zusammensetzung kennt, noch die Möglichkeit hat, einen Blutspiegel zu messen?

Wirkstärke, identische Packungsgröße, Zulassung für mindestens ein gemeinsames Anwendungsgebiet und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform – treffen diese Kriterien zu, darf ein verordnetes Arzneimittel gegen ein wirkstoffgleiches ausgetauscht werden. So hat es der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) festgelegt. Die üblichen Aut-idem-Kriterien stoßen allerdings bei manchen Wirkstoffen und Darreichungsformen an ihre Grenzen. Mit dem Austauschverbot bei Biosimilars und der Substitutionsausschlussliste wurde versucht, dem Rechnung zu tragen.

Ein weiteres Sorgenkind, für das es bislang keine Sonderregeln gibt, ist das MS-Therapeutikum Glatirameracetat. Die Frage nach dem Austausch hat sich in Ermangelung von Nachahmerpräparaten bis vor kurzem nicht gestellt. Doch seit September ist generische Alternative zu Copaxone® (Glatirameracetat) auf dem Markt. Mylans Clift® ist für rund 400 Euro weniger zu haben als das ungefähr 1560 Euro teure Original (bezogen auf die 30-Stück-Packung). Die Frage nach dem Austausch und somit der therapeutischen Äquivalenz ist hier plötzlich akut.

Genaue Zusammensetzung ist unbekannt

Wie aber beurteilt man therapeutische Äquivalenz bei einem Wirkstoff wie Glatiramer, dessen genaue Zusammensetzung man nicht kennt? Man weiß nur so viel: Es ist ein synthetisches Copolymer, das aus den vier Aminosäuren L-Alanin, L-Glutaminsäure, L-Lysin und L-Tyrosin in einem bekannten Verhältnis besteht. Die genaue Zusammensetzung des Wirkkomplexes wird durch den Herstellungsprozess bestimmt. Biomarker oder Aktivitätsassays? Fehlanzeige.

Die Aufsichtsbehörden haben bei der Zulassung die Besonderheiten von Glatiramer berücksichtigt. Anders als in den USA gibt es hierzu in Europa keine produktspezifische Guideline. Bei der Zulassung des Generikums wurde daher ein schrittweiser Ansatz gewählt. Es wurde letztendlich als Hybrid zugelassen. Das heißt, es mussten auch Daten aus klinischen Studien vorgelegt werden. Bei der rein generischen Zulassung ist das nicht notwendig, da reicht der Nachweis der Bioäquivalenz. 

Für Glatiramer wurde vom Hersteller eine Vergleichsstudie zur Wirksamkeit und Sicherheit vorgelegt, die über einen Zeitraum von neun Monaten lief. Allerdings beurteilt das BfArM nur die grundsätzliche, therapeutische Äquivalenz von Original und Generikum – die ist bei Glatiramer gegeben. Ob Original und Nachahmer während einer laufenden Therapie gegeneinander ausgetauscht werden können, ist nicht Gegenstand der Zulassung. Nach den Regeln des G-BA ist das bei Clift® und Copaxone® möglich. 

Aus regulatorischer Sicht austauschbar, aus therapeutischer nicht

Aus regulatorischer Sicht sind Original und Generikum also austauschbar. Ärzte lehnen allerdings einen Präparatewechsel ab. Die derzeit verfügbaren Daten reichen ihrer Ansicht nach nicht aus, um dies zu verantworten. Im Rahmen eines Expertentreffens, das auf Einladung des House of Pharma & Healthcare und der DPhG in Frankfurt am Main stattfand, äußerten einige Mediziner Kritik an den zur Zulassung herangezogenen Studien. Einer der Endpunkte habe für den Krankheitsverlauf keinerlei prädiktiven Wert und sei daher ungeeignet, bemängeln sie. Außerdem seien neun Monat für eine Vergleichsstudie zu kurz. Um klinisch einen Unterscheid zu sehen, benötige man zwei Jahre. 

Darüber hinaus habe die MS eine große psychische Komponente. Es gelte, die Patienten nicht zu verunsichern. Das könnte unter Umständen sogar einen Schub auslösen. Zudem gefährde es die Adhärenz – eine Einschätzung, die Patientenvertreter bestätigen. Selbst bei besserer Datenlage würden die Experten bei diesem Krankheitsbild deshalb von einem Präparatewechsel ohne zwingenden Grund absehen.

Neueinstellungen mit generischen Präparaten stehen sie grundsätzlich offen gegenüber, jedoch fehlen im Fall von Glatiramer noch aussagekräftige Daten – zumindest nach Ansicht der beim Expertentreffen anwesenden Ärzte.

Bisher keine Rabattverträge über Clift

Rabattverträge gibt es bislang nur für Copaxone®. Aber es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis einzelne Kassen Verträge über Clift® abschließen. Aus Sicht der Apotheker und der Patienten wäre es daher wünschenswert, wenn der Besonderheit von Glatirameracetat Rechnung getragen und die Substitution ausgeschlossen würde. Ärzte sollten zudem darauf achten, eindeutige Verordnungen auszustellen und somit Missverständnissen vorzubeugen. Verschreibt ein Arzt Clift®, um sein Budget zu schonen, darf übrigens nur bei bestehendem Rabattvertrag Copaxone® verabreicht werden. Existiert keiner, muss die günstigere Variante abgeben werden. 

Neue Dosierung mit Patentschutz

Original-Hersteller Teva hat nachgelegt und 2015 ein Copaxone®-Präparat in höherer Dosierung auf den Markt gebracht. Es enthält 40 Milligramm statt 20 Milligramm pro Milliliter und muss seltener injiziert werden – nämlich anstatt täglich nur dreimal pro Woche. Von den Behörden wurde dies als Innovation anerkannt. Falls die Wettbewerber mit ihren Einsprüchen keinen Erfolg haben, besteht Patentschutz bis 2030.

Welche Parameter heranzuziehen sind, um die Äquivalenz komplexerer Moleküle zu beurteilen, ist aber noch lange nicht beantwortet. Da die Zahl der Nachahmerpräparate in diesem Bereich, biologischen wie nicht-biologischen Ursprungs, ebenso zunimmt wird wie der Kostendruck, wird man Wege finden müssen, dieses Problem in der Praxis zu lösen. Weitere mögliche Problemkandidaten sind beispielsweise die niedermolekularen Heparine. Wie mit denen umgegangen wird, lesen Sie in der aktuellen DAZ in dem Beitrag „Wie gleich ist gleich genug? Äquivalenz bei komplexen Molekülen ist schwer zu beurteilen.“



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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1 Kommentar

Copaxone austauschbar gegen Clift NEIN!!!!!!!!!!!

von Reinhard Bohm am 04.07.2019 um 8:39 Uhr

Meine Frau nimmt seit mehr als 10 Jahren Copaxone und kommt damit gut klar ohne Schub.
In den Jahren der Behandlung wurde von den Apotheken/ Krankenkassen ober Politik schon vieles probiert!!!!!!!
Reeimport:
Spritze ganz anders Inhalt auch da Copaxone klar bei Reeimporten milchig!!!!!
Jetzt neue Sparwut!!!!
Clift ( Nachahmerpräparat) leider Inhalt unbekannt und nach zweiter Einnahme Ader im Auge geplatzt.
Also auch nicht Copaxone oder Generika sondern
( Nachahmerpräparat)
Kein Versuch Wert !!!!!!!!!
Sparen auf Kosten/ Gesundheit der Patienten!!!!!!!!!
Gruß R. Bohm



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