Arzneimittel und Therapie

Austausch teils unkritisch, teils problematisch

Seit Ende letzten Jahres steht im Markt eine große Zahl von Venlafaxin-haltigen Generika zur Verfügung. Nur halb so teuer wie das Original versprechen sie den Krankenkassen hohe Einsparungen. Da es sich bei dem Antidepressivum Venlafaxin um eine sehr gut wasserlösliche und unter Bioverfügbarkeitsaspekten unproblematische Substanz handelt, steht einer Substitution zumindest von dieser Seite nichts im Wege. Argumente gegen einen Austausch (auch unter den Generika) liefern allerdings die zu behandelnden psychischen Erkrankungen und die damit verbundene Complianceproblematik.

Handelt es sich bei Venlafaxin-haltigen Retard-Arzneimitteln um solche, die nach Möglichkeit nicht substituiert werden sollten? Diese Frage wurde im Rahmen eines Expertengesprächs mit Vertretern aus Hochschule, Klinik, Pharmaindustrie, Apotheken und Verbänden unter der Moderation von Prof. Dr. Henning Blume, Oberursel, diskutiert.

Folgt man der DPhG-Leitlinie Gute Substitutionspraxis, dann zählen Antidepressiva zu den Arzneistoffen, deren Substitution prinzipiell kritisch zu sehen ist. Nach Auffassung von Prof. Dr. Christoph Gleiter, Tübingen, sollte bei solchen Substanzen von einer Substitution abgesehen werden, die beispielsweise bei vitalen Indikationen eingesetzt werden, eine geringe therapeutische Breite haben, schlecht wasserlöslich sind, eine nicht lineare Pharmakokinetik aufweisen, einen hohen First-pass-Effekt besitzen und schlecht absorbiert werden. Das alles trifft auf Venlafaxin nicht zu: Depression und Angsterkrankungen zählen nicht zu den vitalen Indikationen und Venlafaxin ist keine Substanz mit einer geringen therapeutischen Breite. Auch unter pharmakokinetischen Gesichtspunkten ist das sehr gut wasserlösliche Venlafaxin unproblematisch. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte spricht zunächst nichts gegen einen Austausch. Gegen eine Substitution kann allerdings eine abweichende galenische Zubereitung sprechen. Um akute Nebenwirkungen zu vermeiden, die auf dem schnellen Anfluten von Venlafaxin beruhen, wird Venlafaxin bevorzugt in retardierter Form eingesetzt. Akut auftretende serotonerge Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen sollen unter den retardierten Formulierungen seltener sein als unter schnellfreisetzenden, da ein schnelles Anfluten mit hohen Spitzenkonzentrationen vermieden wird.

Anbieter
zusammenfassende
Indikationsübersicht
Retardkapseln
Wyeth, betapharm, Dexcel, AAA
1, 2, 3, 4, 5
Wörwag
1, 2, 4
Teva, Hormosan, biomo, 1A Pharma
1, 2, 3, 4
Acis, Actavis
1, 3, 4, 5
TAD, Sandoz, Hexal, AWD, Hennig
1, 2, 4
ratiopharm, CT, AbZ, Mylan dura,
mibe, Neuraxpharm, Winthrop
1, 4
Westen-Pharma, Juta-pharma
1
Retardtabletten
axcount
1, 2, 3, 4, 5
Stada, Aliud
1, 2, 4
ratiopharm, CT, AbZ, Winthrop
1
Tabletten
Wyeth, betapharm u. v. weitere Anbieter
1, 2
Quelle: betapharm Stand 22. Januar 2009

 

Retardierte Venlafaxin-Zubereitungen gibt es in Form von Matrixtabletten oder Kapseln. Für alle retardierten generischen Venlafaxin-Zubereitungen musste im Rahmen des Zulassungsverfahrens die Bioäquivalenz mit Trevilor® retard, dem retardierten Venlafaxin-Originalpräparat der Firma Wyeth nachgewiesen werden. Retardkapseln der Firma Wyeth enthalten Pellets, die aus einem von einer Polymermatrix umgebenen Kern bestehen. In diesem ist der Wirkstoff Venlafaxin gleichmäßig verteilt. Die Firma Hexal bietet ebenfalls pellethaltige Retardkapseln an. Auch diese Pellets bestehen aus einem von einer Polymermatrix umhüllten Kern. Allerdings ist hier der Wirkstoff auf der Oberfläche des Kerns aufgebracht und nicht gleichmäßig darin verteilt. Das hat jedoch keinerlei Auswirkungen auf die Freisetzungskinetik, Original und Generikum verhielten sich in den entsprechenden Untersuchungen nach den Ausführungen von Markus Wiedmann, Mitarbeiter der Firma Hexal, nahezu identisch.

Bioäquivalenz = therapeutische Äquivalenz?

Nach wie vor wird darüber gestritten, ob bei den erlaubten Bioäquivalenzkriterien mit einer in Europa erlaubten Schwankungsbreite von 80 bis 125% generell von einer therapeutischen Äquivalenz ausgegangen werden kann. Auf Pressekonferenzen des Originalanbieters wird in diesem Zusammenhang immer wieder auf eine kanadische Bioäquivalenzstudie verwiesen, bei der unter einem Generikum von Venlafaxin größere Bioverfügbarkeits-Schwankungen als unter der Zubereitung des Originalanbieters festgestellt worden sind. In einer Untersuchung an 24 gesunden Männern lag nach Einmalgabe unter Nüchternbedingungen der Cmax -Wert des Generikums bei 124,52% des Originalanbieters, Übelkeit und Erbrechen traten dabei unter dem Generikum nach Nüchterneinnahme doppelt so häufig auf. Bei Einnahme zum Essen und nach Mehrfachapplikation unter Nüchternbedingungen wurden allerdings Cmax -Werte des Generikums gemessen, die unter denen des Originals lagen (single dose mit Nahrung: 88,0%; multiple dose nüchtern: 91,98%). In den deutschen Fachinformationen wird die Einnahme zum Essen empfohlen.

Zu bedenken ist auch, dass für Kanada andere Bioäquivalenzkriterien als für Europa gelten. Während in der EU das 90%-Konfidenzintervall sowohl für AUC- als auch Cmax -Werte innerhalb von 80 bis 125% des Originalanbieters liegen muss, reicht in Kanada die Einhaltung des Konfidenzintervalls innerhalb dieser Grenzen für den AUC-Wert. Für Cmax muss nur der Punktschätzer innerhalb der Grenzen liegen. Das in den kanadischen Studien untersuchte Generikum wäre in Europa mit seinem Cmax -Konfidenzintervall von 115,62 – 134,0% nach Einmalgabe unter Nüchternbedingungen erst gar nicht zugelassen worden.

Allerdings fehle, so Prof. Dr. Hans-Peter Volz, ärztlicher Direktor des Krankenhauses für Psychiatrie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck, der Beweis dafür, dass bei Einhaltung der geltenden Bioäquivalenzkriterien auch von therapeutischer Äquivalenz auszugehen ist. Studien, die dies nachweisen, gebe es nicht. Die Bioäquivalenzdaten beruhen auf kleinen Studien an jungen gesunden männlichen Probanden, die nicht ohne Weiteres auf kranke Patienten zu übertragen seien. Volz sieht in den Bioäquivalenzvorgaben eine unwissenschaftliche und willkürliche Festlegung von Grenzen. Er forderte ein zweistufiges Vorgehen, bei dem neben der Bioäquivalenz auch die therapeutische Äquivalenz des Nachahmerprodukts mit dem Original nachgewiesen werden müsse (siehe Gastkommentar). Darüber hinaus mahnte er eine größere Datentransparenz an. Er forderte von den deutschen Herstellern eine Veröffentlichung aller Bioäquivalenzdaten in den Fachinformationen, damit gleich zu sehen ist, ob und wie stark die Daten von dem bislang angewendeten Präparat abweichen. Nur wenige Hersteller wie Ratiopharm, CT, AbZ-Pharma, Sandoz und Hexal geben in ihren Fachinformationen zusätzliche Informationen zur Bioverfügbarkeit, teilweise in Form von Mittelwertskurven, teilweise unter Angabe der Standardabweichungen.

 

Therapeutische Äquivalenz oder doch (lieber) Bioäquivalenz? 

Sie ist so alt wie die Diskussion über Qualität von Generika und ihre Austauschbarkeit zum Originalpräparat – die Forderung der Ärzte nach dem aus ihrer Sicht eigentlich erforderlichen Beleg der therapeutischen Gleichartigkeit generischer Arzneimittel. Und sie ist noch dazu sehr verständlich, schließlich muss es das Anliegen der Mediziner sein, sicherzustellen, dass ihre Patienten nach einem Austausch von Präparaten nicht schlechter behandelt werden als zuvor. Jedoch die regulatorischen Anforderungen sind andere – übrigens nicht nur in Deutschland, sondern vielmehr weltweit. Im Rahmen der Zulassung von Generika wird verlangt, dass für diese die Bioäquivalenz im Vergleich zum Innovatorprodukt gezeigt wird. Ein Nachweis der therapeutischen Gleichwertigkeit im Rahmen klinischer Therapiestudien am Patienten wird dagegen nicht akzeptiert, zumindest in Fällen, bei denen auch ein Bioäquivalenzbeleg grundsätzlich möglich ist. „Wie bitte?“, werden die einen fragen und ihren Ohren kaum trauen, „aberwitzig“ die anderen kopfschüttelnd konstatieren. Und doch, die Wissenschaftler der Zulassungsbehörden werden die öffentliche Diskussion in der Überzeugung verfolgen, dass sie mit ihrer Entscheidung das Beste für den therapeutischen Erfolg beim Patienten getan haben. Hierfür, man mag sich vielleicht wundern, haben sie tatsächlich gute Gründe. Unstrittig ist es nämlich, dass mithilfe von Untersuchungen zum Nachweis der Bioäquivalenz relevante Unterschiede zwischen generischen Arzneimitteln sehr viel leichter - und vor allem auch erheblich sicherer – erkannt werden können als mit klinischen Wirksamkeitsuntersuchungen. Letztere sind zwar – natürlich! – „näher am Patienten“, die im allgemeinen erheblich höhere Variabilität klinischer Befunde bringt es aber mit sich, dass Differenzen zwischen Generikum und Originalpräparat sogar eher unentdeckt bleiben können – und das kann nun wirklich nicht im Sinne des Patienten sein. Während über Bioäquivalenzprüfungen bereits kleinere Unterschiede zwischen Produkten sicher entdeckt werden können, gelingt es mit therapeutischen Äquivalenzstudien an erheblich größeren Patientenkollektiven, wenn überhaupt, nur sehr viel größere Abweichungen zu erkennen. Tatsächlich ist diese Frage schon sehr häufig in internationalen Debatten unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus Hochschulen, der Industrie und von Behörden beraten worden. Stets stand dabei dasselbe Fazit am Ende der Diskussionen: Durch die Forderung nach einem eindeutigen Nachweis der Bioäquivalenz an einer Gruppe gesunder Probanden werden die Patienten letztlich besser vor therapeutischen Unterschieden zwischen Originalpräparaten und Generika geschützt als durch klinische Prüfungen zum Nachweis der therapeutischen Äquivalenz an Patienten. Nochmals: der Ruf nach dem Beleg der therapeutischen Austauschbarkeit ist zweifelslos mehr als verständlich. Diese Forderung wird jeder unterstützen (müssen), dem es um das Wohl des Patienten geht. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen solle man aber nicht glauben, dass durch klinische Patientenstudien zum Nachweis der therapeutischen Äquivalenz von Generika im Vergleich zum Original tatsächlich mehr Sicherheit für die Therapie erreicht würde. Das Gegenteil ist der Fall. Genau aus diesem Grund möchte man bei der Zulassung von Generika nicht auf das letztlich restriktivere Kriterium der Bioäquivalenzforderung verzichten. Und das scheint im Interesse der Patienten wohl auch gut so zu sein. Prof. Dr. Henning Blume, Oberursel

Wenn Nebenwirkungen die Compliance gefährden

Auch wenn die Depression nach den Ausführungen von Gleiter nicht zu den vitalen Indikationen zählt, so handelt es sich doch um eine Krankheit, bei der ein Wechsel von Arzneimitteln problematisch sein kann. Nach den Ausführungen von Apothekerin Dr. Katja Renner, Wassenberg, würden viele unter Depressionen leidende Patienten einer Psychopharmaka-Behandlung schon generell kritisch gegenüberstehen. Bei einem Wechsel des Präparats könnten bestehende Zweifel und Ängste verstärkt werden. Wenn dann noch Nebenwirkungen auftreten, die an sich schon schlecht toleriert werden, werde das Arzneimittel häufig nicht mehr genommen, mit dramatischen Folgen bis hin zum Suizid. Es erfordere sehr viel Wissen und Einfühlungsvermögen, um den Patienten bei einer im Rahmen der Rabattverträge zu erfolgenden Substitution aufzuklären und die Patienten herauszufiltern, bei denen mit Compliance-Problemen zu rechnen ist. Viele der anwesenden Experten sahen vor diesem Hindergrund einen Präparatewechsel bei Depressionen und Angsterkrankungen als kritisch an oder lehnten ihn ab. So forderte Prof. Dr. Ion-George Anghelescu, Berlin, von depressiven Patienten akzeptierte Arzneimittel nie auszutauschen, auch wenn ein in allen Eigenschaften gleichwertiges Präparat zur Verfügung stehen würde.

Fazit

Die Probleme einer Venlafaxin-Substitution (vom Erstanbieter zu einem Generikum oder auch unter Generika) sind nicht galenischer oder biopharmazeutischer Natur. Sie liegen einerseits in möglichen, bei dieser Patientengruppe besonders zu beachtenden Compliance-Gefährdungen im Gefolge eines jeglichen Austausches. Andererseits darf nach Rahmenvertrag (bisher) nur ausgetauscht werden, wenn das ausgewählte Produkt (mindestens) die gleichen Indikationen abdeckt wie das namentlich verordnete (siehe Kasten).

 

Quelle
 Prof. Dr. Ion-George Anghelescu, Berlin; Dr. Jürgen Bausch, Bad Soden; Gerald Beuerle, Ulm; Prof. Dr. Christoph Gleiter, Tübingen; Priv.-Doz. Dr. Peter-Andreas Löschmann, Münster; Dr. Katja Renner, Wassenberg; Prof. Dr, Hans-Peter Volz, Werneck; Markus Wiedmann, Holzkirchen; Prof. Dr. Werner Weitschies, Greifswald: Expertengespräch Austauschbarkeit von Venlafaxin-Retardarzneimitteln. 9. März 2009, Oberursel, veranstaltet von Socratec CSC, Oberursel, in Zusammenarbeit mit medpharm forum, Stuttgart

 

du

Trevilor® retard, das Venlafaxin-Retardpräparat des Originalanbieters Wyeth, ist für fünf Indikationen zugelassen:
1. Depressive Erkrankungen einschließlich Depressionen mit begleitenden Angstzuständen
2. Rezidivprophylaxe initialer depressiver Episoden oder neuer Episoden
3. Behandlung von mittelschweren bis schweren Angstzuständen
4. Soziale Phobie
5. Behandlung der Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie
Bei den Generika bestehen jedoch Unterschiede in den zugelassenen Indikationen. So decken die Retard-Generika der Firmen Betapharm, Dexcel, AAA und Axcount das Indikationenspektrum 1 bis 5 des Originalanbieters ab, während beispielsweise Retardtabletten von Ratiopharm, CT, AbZ und Winthrop nur für die Indikation 1 zugelassen sind (s. Tabelle).
Nach dem zur Zeit gültigen Rahmenvertrag darf jedoch nur bei Indikationsgleichheit substituiert werden. Wird beispielsweise Trevilor® retard verordnet, ohne dass aut idem ausgeschlossen ist, darf nur ein Rabattarzneimittel abgegeben werden, das das gesamte Indikationsspektrum abdeckt. Es gibt jedoch Bestrebungen von Krankenkassen und dem Bundesministerium für Gesundheit, nach denen ein Arzneimittel immer ausgetauscht werden muss, wenn eines seiner Anwendungsgebiete dem gemeinsamen Indikationsbereich angehört. [Siehe hierzu auch Drinhaus D: Retaxfalle Austauschkriterium auf S. 99 in dieser Ausgabe]

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