BMG zu vertraulichen Arzneimittelpreisen

Auch Apotheken sind Institutionen

Berlin - 25.07.2016, 17:00 Uhr

Vertraulichkeit mit Lücken: Das BMG besteht darauf, dass Ärzte und Apotheker die echten Preise neuer Arzneimittel einsehen und damit abrechnen können. (Foto: dpa)

Vertraulichkeit mit Lücken: Das BMG besteht darauf, dass Ärzte und Apotheker die echten Preise neuer Arzneimittel einsehen und damit abrechnen können. (Foto: dpa)


Lange wurde darüber gestritten, wer künftig die echten Preise neuer Arzneimittel sehen darf. Nun will das Bundesgesundheitsministerium per Verordnung ein Machtwort sprechen. Am Status Quo wird sich wenig ändern: Wer sich bemüht, wird den Erstattungsbetrag auch in Zukunft erfahren. Auch an der Berechnung der Apotheken- und Großhandelsmargen soll sich nichts ändern.

Die Diskussion um die Vertraulichkeit geht auf die Anfänge des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) zurück. Die Pharmaindustrie will verhindern, dass sich die hierzulande ausgehandelten Erstattungsbeträge negativ auf die Preise in anderen Ländern auswirken. Schließlich gelte Deutschland als Referenzland, so das Argument. Große Teile der Politik und die Krankenkassen halten dagegen, dass der Preis insbesondere für Ärzte eine wichtige Information sei, um wirtschaftlich verordnen zu können. Zudem werde der Preis als Berechnungsgrundlage in der Lieferkette benötigt, etwa für die Umsatzsteuer sowie die Margen der Apotheker und Großhändler.

Nachdem die Hersteller es nicht geschafft hatten, diese Forderung im AMNOG „unterzubringen“, schienen sie aus dem Pharmadialog als Gewinner vom Feld zu gehen. Nach den Gesprächen zwischen Industrie und mehreren Ministerien teilte das Bundesgesundheitsministerium mit, dass nur noch „Stellen“ den Preis einsehen dürften, die diesen zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben benötigten. Nun stellte sich also die Frage, wer zu den berechtigten Stellen zählt. Und: Wenn der Erstattungsbetrag nicht mehr bekannt ist, berechnen sich dann Großhandels- und Apothekenmargen fortan auf Basis des höheren Listenpreises?

Aus dem Ministerium hieß es nun, dass in einer Verordnung geregelt werden solle, dass der rabattierte Preis nicht mehr in öffentlichen Listen stehen werde. Aber: Es gebe eine ganze Reihe von Institutionen, die den Preis zur Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben kennen müssten. Der Erstattungsbetrag müsse in ganzer Breite einsehbar sein, insbesondere durch Ärzte und Apotheker. Die Apotheker bräuchten den Erstattungsbetrag, um ihre Einkaufspreise kalkulieren zu können.

In jedem Dorf sind Apotheker und Ärzte eine Institution

Noch viel wichtiger ist es dem BMG aber, dass die Mediziner den echten Preis der Arzneimittel kennen. Die Ärzte bräuchten den Preis, um Kosten der Therapie vergleichen zu können. Wir wollten die Therapiefreiheit der Ärzte an dieser Stelle nicht einschränken, hieß es aus dem Ministerium. Auf die Frage, warum Ärzte und Apotheker für das BMG „Institutionen“ oder „Stellen“ seien, hieß es aus Ministeriumskreisen, dass Ärzte und Apotheker in kleinen Dörfern stets als ‚Institutionen‘ angesehen würden.

De facto ändert sich somit nicht viel am Status Quo: Öffentlich gibt es den Listenpreis weiterhin nur als „Phantompreis“. In der Lieferkette, also zwischen Hersteller, Großhändler, Apotheken. Apothekenrechenzentren und Krankenkassen ist weiterhin der Erstattungsbetrag die einzige Informations- und Berechnungsgrundlage. Interessant ist allerdings, dass das BMG den Aspekt der Vertraulichkeit aus dem Pharma-Gesetz ausgliedern will, um ihn mit einer zusätzlichen Verordnung zu regeln. Hintergrund könnte sein, dass die Bundesländer im Bundesrat einer solchen Verordnung nicht zustimmen müssen. 

Für viel Gesprächsstoff dürfte eine weitere Festlegung des BMG sorgen. Das Haus von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will für neue Arzneimittel eine Umsatzschwelle in Höhe von 250 Millionen Euro einführen. Wird diese Schwelle schon im ersten Jahr nach Markteinführung überschritten, gilt der zwischen Kassen und Unternehmen ausgehandelte Erstattungsbetrag rückwirkend  – und zwar „ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Betrag erstmals überschritten wird”. Dass die Preise der Hersteller im ersten Jahr überhaupt reguliert werden, ist eine jahrelange Forderung der Krankenkassen. Die hatten sich nämlich darüber beschwert, dass die Hersteller ihre Preise im ersten Jahr zu oft exorbitant hoch ansetzten.

Umsatzschwelle, Preismoratorium und Medikamente ohne Zusatznutzen

Die Höhe der vom BMG vorgeschlagenen Umsatzschwelle dürfte die Krankenkassen allerdings reichlich verärgern. Erst kürzlich hatte der GKV-Spitzenverband vorgerechnet, dass eine 250-Millionen-Euro-Schwelle nach 2012 nur bei drei Arzneimitteln gegriffen hätte. Bei diesen drei Arzneimitteln hätte man mit einer Schwelle von 250 Millionen Euro etwa 200 Millionen Euro eingespart.

Aus Sicht des BMG ist es während und auch nach dem Pharmadialog nicht immer leicht gewesen, auf die Forderungen der beiden Gegenpole einzugehen. Einerseits sei es das Ziel gewesen, die Innovationskraft in Deutschland zu erhalten. Andererseits dürfe auch die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens durch ein Pharma-Gesetz nicht gefährdet werden, hieß es aus Ministeriumskreisen. Bei der Umsatzschwelle in Höhe von 250 Millionen Euro sieht das Ministerium allerdings klar die Kassen im Vorteil: Dies sei ein klares Signal an die Pharmaindustrie. man wolle damit verhindern, dass die Preise durch die Decke gehen.

Neben dem Apothekenhonorar, den Vertraulichkeitsregelungen und der Umsatzschwelle soll der Referentenentwurf weitere Regelungen zur Arzneimittelpreisbildung enthalten. Wie schon in einem Eckpunktepapier vorgesehen, sollen Pharmaunternehmen größere Anreize bekommen, Antibiotika und Kinderarzneimittel zu erforschen oder vertreiben. Das BMG will außerdem den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragen, ein Arzneimittel-Informationssystem für niedergelassene Ärzte zu entwerfen. Ziel ist es, die Mediziner bei der Verordnung mit neuen Arzneimitteln in der Praxissoftware mit mehr Informationen auszustatten – etwa zu den Preisen oder zum Zusatznutzen der Wirkstoffe.

Einen kleinen Sieg konnte die Pharmaindustrie in Sachen „Arzneimittel ohne Zusatznutzen“ erringen. Bislang wird Medikamenten ohne Zusatznutzen automatisch ein Preis zugeordnet, nämlich der Preis der günstigsten Vergleichstherapie – in der Regel ist das ein Generikum. In Zukunft sollen die Pharmafirmen aber das Recht bekommen, auch bei Medikamenten ohne Zusatznutzen eine Verhandlung mit dem GKV-Spitzenverband anzustreben. Auf der anderen Seite können sich auch die Kassen über eine geplante Maßnahme des BMG freuen: Wie schon im Eckpunktepapier angekündigt, will das Ministerium das Preismoratorium bis 2022 verlängern. Ab 2018 erhalten die Unternehmen allerdings erstmals einen „Inflationsausgleich“. Wie dieser berechnet wird, ist derzeit noch offen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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