Beratungs-Quickie

Mit einem Antidepressivum gegen Inkontinenz

München - 26.05.2016, 12:00 Uhr

Bei einer Belastungsinkontinenz führt Lachen, Husten oder das Tragen schwerer Taschen zu unkontrolliertem Urinabgang bei Patienten. (Foto: Kim Schneider / Fotolia)

Bei einer Belastungsinkontinenz führt Lachen, Husten oder das Tragen schwerer Taschen zu unkontrolliertem Urinabgang bei Patienten. (Foto: Kim Schneider / Fotolia)


Welche Punkte sind bei der Beratung wichtig? Was für Zusatzinformationen kann man geben? Im „Beratungs-Quickie“ stellen wir jede Woche einen neuen Fall vor. Diesmal geht es um eine Verordnung über Duloxetin für eine ältere Frau, die unter Belastungsinkontinenz leidet.

Eine ältere Dame betritt mit ihren beiden Enkelkindern die Apotheke und löst ein Rezept ein. Sie spricht gut Deutsch, jedoch nicht fließend.

Hartkapseln können bei einschleichender Dosierung nicht geteilt werden. Hier beraten Apotheker gern zu unterschiedlichen Wirkstärken.

Formalien-Check

Verordnet sind 98 Stück magensaftresistente Hartkaspeln Yentreve® 40 mg, Packungsgröße N3.

Der Arzt erlaubt den aut-idem-Austausch. Aktuell besteht unter anderem für das verordnete Präparat ein Rabattvertrag. Vorhandene, preisgünstige Importe sind deshalb nicht zu beachten.

Auf dem Rezept ist kein Gebührenstatusfeld angekreuzt, obwohl die Kundin von der Zuzahlung befreit ist. Nach Vorlage des Befreiungsausweises kann die Apotheke das Kreuz „Gebühr frei“ unter Angabe der Gültigkeitsdauer und der Nummer des Befreiungsausweises ergänzen. Die Änderung ist mit Datum und Unterschrift abzuzeichnen.

Ab Ausstellungsdatum ist das Rezept einen Monat gültig.

Beratungs-Basics

Die Patientin spricht nicht fließend Deutsch. Daher ist es wichtig, besonders langsam und deutlich zu sprechen. Für ausländische Kunden können Beratungshandzettel hilfreich sein, die bei Bedarf zu Hause übersetzt werden können.

Duloxetin zählt zu den selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmern (SNRI). Der Wirkstoff ist unter verschiedenen Handelsnamen mit unterschiedlichen Indikationen auf dem Markt. In Cymbalta® ist Duloxetin als Antidepressivum und zur Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie zugelassen. Unter dem Handelsnamen Yentreve® wird der Wirkstoff für die Indikation der mittelschweren bis schweren Belastungs-Harninkontinenz bei Frauen vermarktet.

Duloxetin beeinflusst die Muskulatur des Blasenschließmuskels in der Füllungsphase der Blase. Der Sphinktertonus wird erhöht, während sich die Blase füllt. Bei der Blasenentleerung greifen andere Mechanismen, hier hat Duloxetin keine Wirkung.  

Die empfohlene Dosis beträgt zweimal täglich eine Kapsel mit 40 mg. Aufgrund der hohen Nebenwirkungsrate sollte die Therapie einschleichend begonnen werden. Patienten erhalten über einen Zeitraum von zwei Wochen zunächst nur jeweils die halbe Dosierung mit 20 mg zweimal pro Tag. Zu beachten ist in dem Fall, dass die magensaftresistenten Hartkapseln nicht teilbar sind. Die Kundin berichtet, dass ihr der Arzt die erste Packung mit einer niedrigeren Wirkstärke als Muster mitgegeben hat und sie das Arzneimittel nun zum ersten Mal verordnet bekommt.

Die Kapseln können unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden.

Sehr häufig treten unter der Therapie gastrointestinale und zentralnervöse Nebenwirkungen auf: Übelkeit, Erbrechen, Mundtrockenheit, Obstipation, Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schlaflosigkeit können die Ursache für ein Therapieabbruch seitens der Patienten sein. Die meisten der unerwünschten Wirkungen verschwinden nach etwa 30 Tagen Behandlung. 

Beim Absetzen ist mit Entzugserscheinungen zu rechnen, ein abruptes Absetzen somit zu vermeiden. Die Dosis muss über mindestens zwei Wochen schrittweise reduziert werden.

Der Nutzen der Therapie für die Indikation Belastungsinkontinenz ist nur für drei Monate nachgewiesen. Da auch Suizidgedanken bei einem Einsatz von Duloxetin außerhalb des psychiatrischen Bereichs nicht ausgeschlossen werden können, müssen Nutzen und Verträglichkeit der Behandlung streng überprüft werden. Laut Leitlinien der AWMF sollte Duloxetin Frauen verordnet werden, die eine vorübergehende Verbesserung der Inkontinenzbeschwerden anstreben.

Auch noch wichtig

Die Bezeichnung „Stressinkontinenz“ ist obsolet, da nicht psychischer Stress der Auslöser für den Harnverlust ist, sondern körperliche Belastung. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, da sie einen schwächeren Beckenboden haben. Der Kundin ist unbedingt ein angeleitetes Beckenboden- und Blasentraining zu empfehlen. Beckenbodentraining ist sowohl zur Prophylaxe als auch zur Therapie der Belastungsinkontinenz angezeigt.

Wechselwirkungen mit verordneten Arzneimitteln und mit der Selbstmedikation sind zu beachten.

Insbesondere bei gleichzeitiger Anwendung von Arzneimitteln, die Einfluss auf den Serotonin-Haushalt haben, ist die Auslösung eines Serotonin-Syndroms möglich. Deshalb gilt: keine Triptane, beispielsweise Formigran®, unter der Therapie mit Yentreve®. Migräne-Patientinnen sollten Rücksprache mit ihrem Arzt halten. Das gleiche gilt für pflanzliche Zubereitungen, die Johanniskraut enthalten.

Auch MAO-Hemmer und serotonerge Antidepressiva, beispielsweise aus der Gruppe der selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Trizyklika (TCA), erhöhen das Risiko eines Serotonin-Syndroms und sind daher kontraindiziert.

Ciprofloxacin oder andere CYP1A2-Inhibitoren führen zu einer Erhöhung des Duloxetin-Plasmaspiegels und dürfen nicht gleichzeitig mit Duloxetin eingenommen werden.

Da bei Alkoholzufuhr eine verstärkte Sedierung und eine verminderte Wirksamkeit von Duloxetin nicht auszuschließen ist, sollten prinzipiell keine alkoholhaltigen Darreichungsformen (Arzneitropfen oder -säfte) empfohlen werden.

Der DAZ.online Beratungs-Quickie

Jede Woche präsentieren wir einen kurzen Fall, wie er im Apothekenalltag vorkommen könnte. Die Fälle und die Beratungshinweise basieren auf dem Rezepttrainer 1, dem Rezepttrainer 2 und dem HV-Trainer des Deutschen Apotheker Verlags.
Die Beispiele geben Anregungen zur Beratung und anderen Dingen, die bei der Abgabe zu beachten sind:

  • Formalien-Check: unter anderem Informationen zur Verordnungsfähigkeit sowie Gültigkeit des Rezeptes
  • Beratungs-Basics: die wichtigsten Informationen zur Anwendung
  • Auch noch wichtig: Infos zu häufigen Nebenwirkungen und anderen Anwendungsproblemen, Wechselwirkungen mit der Selbstmedikation, Warnzeichen für Komplikationen, …
  • Darf`s ein bisschen mehr sein? Weitergehende Informationen und mögliche Zusatzempfehlungen

Fehlt was?
Haben wir etwas Wichtiges übersehen, haben Sie noch eine weitere Idee oder gar einen ganz anderen Ansatz? Nutzen Sie die Kommentarfunktion und lassen Sie es uns wissen.

Darf´s ein bisschen mehr sein?

  • Eine Kurzfassung der S2e-Leitlinien der AWMF zur Behandlung der Belastungsinkontinenz der Frau finden Sie hier:  
  • Übergewichtige Kundinnen mit Harninkontinenz profitieren von einer Gewichtsreduktion von mehr als fünf Prozent.

  • Erst bei Versagen der konservativen Therapie sollen chirurgische Maßnahmen in Betracht gezogen werden.

  • Bei Blasenschwäche wird die Trinkmenge oft reduziert. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist jedoch wichtig, um die Blase gut zu spülen und Infektionen zu vermeiden.

  • Zur Versorgung einer Inkontinenz steht eine Vielzahl an Einlagen, zum Beispiel Tena® Lady, zur Verfügung. Vor allem für die erste Zeit, bis das Medikament richtig wirkt, können geeignete Inkontinenzvorlagen der Kundin eine große Hilfe sein.

  • Phytotherapeutika mit Kürbissamenextrakt, wie beispielsweise Granufink® Femina, sind ausschließlich aufgrund langjähriger Erfahrung für das Anwendungsgebiet registriert. Die enthaltenen Phytosterine können sich positiv auf die Blasenfunktion auswirken.

Die Frau ist dankbar für die Empfehlung der Inkontinenzvorlagen. Gerade im Alltag mit zwei kleinen Enkelkindern gibt es viel zu tragen und das führe bei ihr zu unkontrolliertem Urinabgang. Als die beiden Kleinkinder zu nörgeln beginnen, ermahnt die Frau sie forsch, sie sollen sich gedulden, die Oma begleite sie ja schließlich auch immer zum Windeleinkauf.


Manuela Kühn, Apothekerin
redaktion@daz.online


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