Pandemie Spezial

Therapieoptionen neu eingeordnet

S3-Leitlinie befürwortet lediglich Dexamethason bei hospitalisierten COVID-19-Patienten

Am 23. Februar 2021 wurde die Leitlinie „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ in ihrer aktualisierten Form als S3-Leitlinie veröffentlicht. Dabei wurden die bereits vorliegenden Hintergrundtexte überarbeitet und die entsprechenden Empfehlungen angeglichen. Die medikamentöse Therapie nimmt in der aktualisierten Fassung einen besonderen Stellenwert ein. Der wichtigste Wirkstoff ist Dexamethason; für antivirale und immunmodulatorisch wirksame Therapeutika sowie für Vitamin D3 werden keine positiven Empfehlungen ausgesprochen.

Die erste S1-Leitlinie zur intensivmedizinischen Therapie von COVID-19-­Patienten wurde im März 2020, also kurz nach dem gehäuften Auftreten von COVID-19-Erkrankungen, publiziert und im November 2020 als S2k-Leitlinie um den gesamtstationären Bereich erweitert. Die jetzige Über­arbeitung erfolgte als S3-Leitlinie (AWMF-Register-Nr. 113/001). Sie enthält aktualisierte Angaben zur Pharmakotherapie sowie zur Beatmung und deckt somit den gesamten stationären Bereich von der Aufnahme und Diagnostik über die Therapie bis hin zum weiteren Krankheitsverlauf ab. Für das Vorgehen im ambulanten Bereich wird auf die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin verwiesen. Für den pharmazeutischen Bereich sind insbesondere die Kapitel zur Thromboembolieprophylaxe sowie zur medikamentösen Therapie von besonderer Bedeutung.

Kaum Therapieoptionen

Bei der Pharmakotherapie unterscheidet die Leitlinie zwischen allgemeinen Maßnahmen (Behandlung der Pneumonie oder bakteriellen Co-Infektionen) und der spezifisch medi­kamentösen Behandlung. Da sich die Leitlinie auf den stationären Bereich fokussiert, werden therapeutische Maßnahmen bei einem leichten Krankheitsverlauf nicht aufgeführt. Für die spezifische medikamentöse Therapie hospitalisierter COVID-19-Patienten gibt es antivirale und immunmodulatorische Ansätze. In der Leitlinie wird auf Wirkstoffe eingegangen, die in randomisierten kontrollierten Studien mit nachfolgendem Peer-Review untersucht wurden. Näher aufgeführt sind Corticosteroide, Remdesivir, monoklonale Antikörper, Tocilizumab, Azithromycin, Ivermectin und Vitamin D3. Für jeden dieser Wirkstoffe ist eine evidenzbasierte Empfehlung ausgesprochen, wobei der positive oder negative Empfehlungsgrad von A↑↑ bis B↓ variieren kann. Die Bestimmung der Qualität der Evidenz erfolgte vornehmlich nach der Beurteilung der 28-Tage-Letalität und unerwünschten Ereignissen, es werden aber auch andere Parameter wie der Sauerstoffbedarf oder die Dauer des Krankenhausaufenthaltes zugrunde gelegt. Der Zuordnung zu einem Empfehlungsgrad folgen eine ausführliche Darlegung der Evidenzgrundlage sowie die Begründung des Empfehlungsgrades.

Positive Empfehlung nur für Dexamethason

Bereits ein kurzer Blick auf die Statements zu den aufgeführten Wirkstoffen (s. Tab.) zeigt das karge Arsenal empfohlener Optionen. So ist der Leitlinie zufolge bei moderater bis schwerer COVID-19-Erkrankung (d. h. bei hospitalisierten Patienten) die klinische Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie mit ausreichender Sicherheit nur für Dexamethason nachgewiesen. Für Remdesivir wird weder eine Pro- noch eine Kontra-Empfehlung ausgesprochen. Für alle anderen aufgeführten Wirkstoffe erfolgt keine positive Empfehlung; die Stärke der Negativ-Empfehlung schwankt.

 

Tab.: Bewertung einiger Wirkstoffe, die im stationären Bereich zur Therapie einer COVID-19-Infektion eingesetzt werden
Empfehlungsgrad
Empfehlung
Dexamethason
A↑↑
Bei Patienten mit schwerer (Sauerstoffsättigung < 90%, Atemfrequenz > 30/min) oder kritischer (akutes Lungen­versagen, Sepsis, Beatmung, Vasopressorengabe) COVID-19-Erkrankung soll eine Therapie mit Dexamethason erfolgen.
Remdesivir
Bei hospitalisierten, nicht beatmeten Patienten mit COVID-19-­Pneumonie und Sauerstoffbedarf kann weder eine Empfehlung für noch gegen eine Therapie mit Remdesivir abgegeben werden.
Rekonvaleszentenplasma
A↓↓
Rekonvaleszentenplasma soll bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 nicht eingesetzt werden. Zu spezifischen Subgruppen lässt sich auf Basis der derzeitigen Evidenz keine Empfehlung ableiten.
Monoklonale Antikörper
B↓
Der SARS-CoV-2-spezifische monoklonale Antikörper Bamlanivimab sollte bei erwachsenen Patienten mit einer in der PCR nachgewiesenen moderaten bis schweren SARS-CoV-2-Infektion im stationären Bereich nicht eingesetzt werden.
Tocilizumab
B↓
Tocilizumab sollte bei hospitalisierten COVID-19-Patienten zur COVID-19-Behandlung nicht verabreicht werden.
Azithromycin
A↓↓
Azithromycin soll bei hospitalisierten COVID-19-Patienten zur antiviralen COVID-19-Therapie nicht verabreicht werden.
Ivermectin
A↓↓
Ivermectin soll bei hospitalisierten COVID-19-Patienten zur COVID-19-Behandlung nicht verabreicht werden.
Vitamin D3
A↓↓
Vitamin D3 soll bei hospitalisierten COVID-19-Patienten zur COVID-19-Behandlung nicht verabreicht werden.

Empfehlungsgrad Grad A: „Soll“-Empfehlung, beruht auf zumindest einer randomisierten kontrollierten Studie von insgesamt guter Qualität

Empfehlungsgrad Grad B: „Sollte“-Empfehlung; beruht auf gut durchgeführten, aber nicht randomisierten klinischen Studien

↑↑: starke Empfehlung; soll/soll nicht

↑: Empfehlung; sollte/sollte nicht

Die positive Einschätzung von Dexamethason beruht auf einer Metaanalyse mehrerer randomisierter klinischer Studien, in der eine moderate Verminderung der 28-Tage-Sterblichkeit gezeigt wurde. Ein weiteres Kriterium zur positiven Beurteilung von Dexamethason ist die geringe Häufigkeit unerwünschter Ereignisse sowie die breite Verfügbarkeit des Wirkstoffs. Eine erhöhte Anfälligkeit für zusätzliche Infektionen kann aus den derzeitig vorliegenden Daten nicht abgeleitet werden. Die empfohlene Dosis beträgt 6 mg Dexamethason p. o./i. v. täglich über zehn Tage. In begründeten Fällen kann alternativ auch ein anderes systemisches Glucocorticoid (z. B. Hydrocortison 50 mg i. v. alle acht Stunden) verwendet werden. Für alle anderen Arzneistoffe merkt die Leitlinie an, dass diese derzeit außerhalb klinischer Studien und entsprechend qua­lifizierter klinischer Einrichtungen nicht eingesetzt werden sollten.

Experimentelle Ansätze

Neben diesen Wirkstoffen führt die Leitlinie noch weitere experimentelle pharmakotherapeutische Ansätze auf, deren Wirksamkeit theoretisch denkbar ist, die aber allesamt nicht empfohlen werden. Dazu zählen Interferon ß-1a/b, Anakinra, Lopinavir/Ritonavir und einige Kombinationstherapien. Im Hinblick auf Chloroquin/Hydroxy­chloroquin sieht die Leitlinie bisher keine sichere antivirale In-vivo-Wirkung und keine Hinweise auf eine klinische Wirksamkeit bei hospitalisierten Patienten. In einer randomisierten Studie blieb auch eine Postexpositionsprophylaxe mit Hydroxychloroquin ohne Effekt. Angesichts unerwünschter Wirkungen wie Kardiotoxizität oder Retinaschädigung (bei höherer Dosierung und längerem Gebrauch) spricht sich die Leitlinie gegen einen Einsatz von Chloroquin/Hydroxy­chloroquin bei hospitalisierten COVID-19-Patienten aus.

Wie steht es mit Vitamin D3?

Die Gabe von Vitamin D3 wird derzeit kontrovers diskutiert. Die aktuelle Leitlinie weist darauf hin, dass ihre derzeitige Einschätzung nur auf einer Studie mit 76 Patienten beruht. Dieser zufolge hatte die Verabreichung von Vitamin D3 bei hospitalisierten Patienten im Vergleich zur Standardtherapie keinen Vorteil bezüglich den patientenrelevanten Endpunkten (sehr niedrige Qualität der Evidenz). Laut den Autoren lässt sich aus der Beobachtung, dass bei Patienten mit COVID-19 relativ häufig eine erniedrigte Vit­amin-D3-Serumkonzentration vorliegt, kein Kausalzusammenhang ableiten, der eine Therapie mit Vitamin D3 rechtfertigen würde. Auch die Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie, die nach Abschluss der Evidenzanalyse veröffentlicht wurden, führten zu keiner anderen Einschätzung. In dieser Studie hatten 240 hospitalisierte Patienten mit COVID-19 Vitamin D3 erhalten. Eine Vitamin-D3-Supplementierung ergab im Hinblick auf die Dauer der Hospitalisierung, Sterblichkeit, Aufnahme auf die Intensivstation oder Initiierung einer Beatmung keinen Vorteil. Vor diesem Hintergrund und angesichts potenziell schädlichen Wirkungen durch eine Überdosierung spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung gegen den Einsatz von Vitamin D3 aus und folgt damit der Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Auch sie empfiehlt keine pauschale Vitamin-D3-Supplementation zur Risikominderung oder Krankheits­abschwächung einer COVID-19-Erkrankung. |

Literatur

Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19, S3-Leitlinie unter Federführung von u. a. der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) Stand: Februar 2021, AWMF-Register-Nr. 113/001

Vitamin-D und COVID-19-Erkrankung – ein Überblick über die aktuelle Studienlage. Fachinformation der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Stand 11. Januar 2021. www.dge.de/uploads/media/DGE_Fachinfo_VitaminD_COVID-19_Stand_Januar_2021.pdf, Abruf am 27.Februar 2021

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

 

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