Aktualisierte Leitlinie zur Therapie von COVID-19

Hochrisikopatienten früh medikamentös behandeln

14.02.2024, 09:15 Uhr

COVID-19-Patienten mit höherem Alter, chronischen Erkrankungen, Immunsuppression oder unzureichender Immunität sind besonders für einen schweren Verlauf gefährdet. (Foto: thodonal/AdobeStock)

COVID-19-Patienten mit höherem Alter, chronischen Erkrankungen, Immunsuppression oder unzureichender Immunität sind besonders für einen schweren Verlauf gefährdet. (Foto: thodonal/AdobeStock)


Mit zunehmender Immunisierung der Bevölkerung hat sich das Krankheitsbild von COVID-19 verändert. Dies wurde in der aktualisierten S3-Leitlinie zur Behandlung berücksichtigt, die Ende Januar 2024 veröffentlicht wurde. Neuerungen betreffen insbesondere die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie, zur Antikoagulation und zur Wach-Bauchlagerung.

Das Krankheitsbild einer SARS-CoV-2-­Infektion hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Der Anteil schwerer Erkrankungen hat deutlich abgenommen. Die Mehrheit der Patienten mit COVID-19 leidet an Symptomen wie Husten, Schnupfen und Halsschmerzen, die keiner speziellen Therapie bedürfen. Davon abzugrenzen sind Patienten, die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf aufweisen. In diesem Zusammenhang nennen die Autoren der aktualisierten S3-Leitlinie „Empfehlungen zur Therapie von Patienten mit COVID-19“ [1] höheres Alter, Immunsuppression, chronische Erkrankungen sowie eine unzureichende Immunität. Bei Patienten mit einem hohen Risiko für einen Krankenhausaufenthalt (nach Organtransplantation, nach Therapie mit B-Zell-Antikörpern, unter CAR-T-Zell-Therapie sowie unter starker Immunsuppression) wird eine medikamentöse Frühtherapie empfohlen. Konkret sollten sie innerhalb einer Woche nach Symptombeginn (COVID-19-Frühphase) antiviral therapiert werden. Die Therapieentscheidung erfolgt individuell je nach Risiko, Kontraindikationen, Interaktionsrisiko, Hospitalisierungsstatus und Verfügbarkeit.

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Empfohlen werden:

  • Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) innerhalb der ersten fünf Tage, peroral für fünf Tage oder
  • Remdesivir (Veklury®) innerhalb der ersten sieben Tage, i.v. für drei Tage.

In der Spätphase einer schweren COVID-19-­Erkrankung werden vornehmlich immunmodulatorische Wirkstoffe eingesetzt, um einer überschießenden Immunreaktion entgegenzuwirken. So raten die Leitlinienautoren bei einer sauerstoff- oder beatmungspflichtigen COVID-19-Pneumonie oder schwerem Krankheitsverlauf zur systemischen Gabe von Dexamethason (6 mg peroral oder i.v. für zehn Tage). Zusätzlich kann bei Pneumonie und Sauerstofftherapie eine antivirale Therapie mit Remdesivir (i.v. für fünf bis zehn Tage) erwogen werden. Für den Interleukin(IL)-6-Antagonisten Tocilizumab (RoActemra®) wird ein klinischer Nutzen nur bei Patienten mit COVID-19-bedingtem Sauerstoffbedarf erwartet, bei denen sich ein rasch progredienter Krankheitsverlauf hin zum respiratorischen Versagen abzeichnet. Daher findet sich in der Leitlinie für den monoklonalen Antikörper nur eine offene Empfehlung.

Auf die Behandlung pädiatrischer Patienten gehen die Leitlinienautoren nicht weiter ein, da man sich bei dieser vor allem an Studienergebnissen und Erfahrungen aus der Erwachsenenmedizin orientiere. Sie weisen auf eine Zusammenstellung pädiatrischer Therapieempfehlungen von mehreren Fachgesellschaften hin, die demnächst überarbeitet werden soll.

Leitlinie enthält auch Negativempfehlungen

In der Leitlinie werden einige Arzneimittel aufgeführt, die nicht mehr bei einer COVID-19-Erkrankung angewendet werden sollen. Konkret abgeraten wird von der Gabe von

  • inhalativen Steroiden, aufgrund des fehlenden Nutzens,
  • monoklonalen Antikörper, da kein in der EU zugelassenes Präparat gegen die aktuell zirkulierenden Omikron-Varianten (EG.5, BA. 2.86, JN.1) klinisch ausreichend wirksam sei,
  • Molnupiravir, das in Deutschland nicht mehr abgegeben werden darf,
  • Baricitinib nach Neubewertung des Risiko-/Nutzenverhältnisses und
  • Anakinra, aufgrund eines unsicheren klinischen Nutzens.

Kein oder kein sicherer Nutzen konnte bei weiteren Wirkstoffen festgestellt werden, wie etwa Ivermectin, Rekonvaleszentenplasma oder Fluvoxamin. Dringend abgeraten wird von einer Antibiotikatherapie, da sie bei einer SARS-CoV-2­-Infektion unwirksam ist und zu vermehrten Resistenzen führt.

Simnotrelvir verkürzt Symptomdauer in Phase-II/III-Studie

js | Der Arzneistoff Simnotrelvir erhielt im Januar 2023 in China eine bedingte Zulassung zur Behandlung einer milden bis moderaten COVID-19-­Erkrankung. Das Virustatikum hemmt die 3-Chymotrypsin-like-Protease von SARS-CoV-2 wie der Wirkstoff Nirmatrelvir in Paxlovid®. Die 3-Chymotrypsin-like-Protease schneidet das Polyprotein von SARS-CoV-2, wird sie gehemmt, wird der Replikationszyklus des Virus unterbrochen. Wie auch Nirmatrelvir in Paxlovid® wird Simnotrelvir in Kombination mit Ritonavir verabreicht, welches den hepatischen Metabolismus der Virustatika hemmt und die Plasmakonzentration erhöht. In einer Phase-II/III-Studie wurde nun gezeigt: Simnotrelvir verkürzt im Vergleich zu Placebo die Symptomdauer bei COVID-19 signifikant (mediane Differenz = -35,8 Stunden (95%-Konfidenzintervall = -60,1 bis -12,4; p = 0,006). Die Viruslast ging fünf Tage nach Therapiebeginn in der Verumgruppe schneller zurück als in der Placebogruppe (mittlere Differenz = -1,51 ± 0,14 log10 Kopien pro ml). Für ihre Ergebnisse werteten Forscher die Daten von mehr als 1000 Patienten von 35 Standorten in China aus. Die Patienten hatten über fünf Tage 750 mg Simnotrelvir plus 100 mg Ritonavir pro Tag erhalten oder entsprechend ein Placebo. In die Auswertung wurden nur die Patienten einbezogen, die die erste Dosis des Arzneimittels (n = 504) oder des Placebos (n = 503) innerhalb von 72 Stunden nach Symptombeginn erhalten hatten [2]. Ob eine Zulassung in der EU angestrebt wird, ist derzeit nicht bekannt.

Antikoagulation richtet sich nach Krankheitsstadium

COVID-19 erhöht das Risiko für thromboembolische Ereignisse. Durch die Antikoagulation sollen thromboembolische Komplikationen und eine Krankheitsprogression mit Endorganschäden verhindert werden. Die in der Leitlinie aufgeführten Empfehlungen fokussieren sich auf Patienten, bei denen ansonsten keine Indikation zur Antikoagulation besteht. In Abhängigkeit des Krankheitsstadiums wird Folgendes empfohlen:

  • Bei ambulanten Patienten ohne Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf wird von einer medikamentösen Thromboembolieprophylaxe abgeraten. Ausnahme: In Einzel­fällen kann bei immobilen Patienten mit hohem Alter, Vorerkrankungen und hohem Risiko für einen schweren Verlauf niedermolekulares Heparin gegeben werden.
  • Hospitalisierte Patienten sollen eine standardmäßige medikamentöse Thromboembolieprophylaxe mit niedermolekularem Heparin erhalten, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Alternativ kann Fondaparinux gegeben werden. Bei moderater Krankheitsaktivität und erhöhtem Risiko für thromboembolische Ereignisse, aber geringem Blutungsrisiko, kann eine intensivierte Antikoagulation erwogen werden.
  • Für Intensivpatienten ohne spezifische Indikation, wie eine Lungenembolie, wird keine therapeutische Antikoagulation empfohlen.
  • Nach der Krankenhausentlassung kann bei Patienten mit hohem Thromboembolierisiko eine prolongierte Antikoagulation mit einem direkten oralen Antikoagulans (in prophylaktischer Dosierung) über vier bis fünf Wochen erwogen werden.

Post-COVID-19-Syndrom unabhängig von Krankheitsschwere

Auch nach Abklingen der Infektion können die Betroffenen unter anhaltenden Symptomen wie Müdigkeit oder Muskelschwäche, Schlafproblemen sowie Angstzuständen oder Depressionen leiden. Daher wird bei Patienten mit stationär behandelter COVID-19-Erkrankung nach acht bis zwölf Wochen eine Nachuntersuchung empfohlen, um Langzeitfolgen zu erkennen. Die Leitlinienautoren weisen darauf hin, dass ein Post-COVID-19-­Syndrom jedoch unabhängig von der Krankheitsschwere auftreten kann. In bestimmten Fällen, z. B. bei fortbestehenden Störungen der Lunge, empfehlen sie eine Rehabilitation. Derzeit würden spezifische Rehabilitationsprogramme optimiert, die atemphysiologische, muskelstimulierende, neurokognitive und psychoedukative bzw. psychotherapeutische Elemente enthalten.

Supportive und palliative Therapie

Kommt es zu einer akuten hypoxämischen respiratorischen Insuffizienz, muss eine ausreichende Oxygenierung sichergestellt werden. Je nach Symptomatik erfolgt dies mithilfe einer nicht-invasiven Beatmung oder bei Verschlechterung durch eine High-Flow-Sauerstofftherapie beziehungsweise invasive Beatmung. Bei nicht intubierten Patienten mit akutem hypoxämischem Versagen durch COVID-19 wird eine Wach-Bauchlagerung angeraten.

Die Leitlinienautoren gehen auch auf palliativmedizinische Aspekte ein. Dabei orientiert sich das Vorgehen an der S3-Leitlinie „Palliativmedizin“. Die Linderung einer Dyspnoe kann mit Opio­iden erfolgen, bei Rasselatmung können Anticholinergika, bei Ängsten Benzo­diazepine und zur Linderung eines Delirs Neuroleptika eingesetzt werden.

Literatur

[1] Empfehlungen zur Therapie von Patienten mit COVID-19. S3-Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, AWMF-Register-Nr. 113/001, Stand: 31. Januar 2024

[2] Cao B et al. Oral Simnotrelvir for Adult Patients with Mild-to-Moderate Covid-19. N Engl J Med 2024;390(3):230-241, doi: 10.1056/NEJMoa2301425


Dr. Petra Jungmayr, Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Warum die Symptome behandeln und nicht die Ursache eines schweren Verlaufes

von Ch.Wiechering am 15.02.2024 um 22:44 Uhr

Früh behandeln halte ich auch für richtig, aber nicht mit
Paxlovid oder Remdesivir, sondern mit Vitamin-D.

Der Grund dafür ist, das Vitamin-D ein "negative acute p hase reactant" ist,was nicht anderes heißt, als das der Vitamin-D Spiegel während einer infektion schneller sinkt als normal, und zwar um etwa 2,5ng/ml pro Tag.

Dadurch kann es im Winter( Durchschnitt 25(OH)D Bevölkerung =22ng/ml) schon nach 4 Tagen zu einem schweren Mangel kommen, der eng mit dem Auftreten einer Sepsis verbunden ist.

Hier ist es möglicherweise noch hilfreich, Patienten mit Paxlovid oder Remdesivir zu behandeln, aber das ist dann die Behandlung der Symptome und nicht die Behandlung der Ursache.

Wenn man darauf erst wartet das eine Sepsis eintritt, hilft die langsam wirkende Form Vitamin-D3 kaum noch, wie zahlreiche Studien zeigen.
Es dauert nämlich bis zu 7 Tage, bis diese Form so verarbeitet ist, das sie vom Immunsystem genutzt werden kann.
Dann helfen nur noch die schnell wirksamen Formen von Vitamin-D Calcidiol und Calcitriol die sehr schnell genutzt werden können.
In Studien in denen diese Form verwendet wurde starb fast kein Patient der Vitamin-D Gruppe.

Ein rechtzeitiger Beginn einer Vitamin-D3 Supplementation bei den ersten Anzeichen einer Infektion kann ähnliches bewirken, da es dann nicht so schnell zu einem Mangel
kommt.
Noch besser ist, grundsätzlich einen so hohen 25(OH)D Wert zu haben, dass ein Absinken des 25(OH)D Wertes während einer Infektion nicht zu einem schweren Mangel(>12ng/ml) führt.
Wie hoch dieser sein muss lässt sich leicht anhand des täglichen Verbrauches und einer maximalen Infektionsdauer von 15 Tagen leicht berechnen.
12ng/ml + 15 * 2,5ng/ml =~ 50ng/ml

Da ist auch das Ergebnis einer deutschen Studie
"Das COVID-19-Sterblichkeitsrisiko korreliert umgekehrt mit dem Vitamin-D3-Status, und eine Sterblichkeitsrate nahe Null könnte theoretisch bei 50 ng/ml 25(OH)D3
erreicht werden: Ergebnisse einer systematischen Überprüfung und Metaanalyse"
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34684596/

und es passt zu den Erfahrungen Indischer Ärzte die im Laufe der Pandemie sehr viele Patienten mit Vitamin-D behandelt haben.
Deutsche Übersetzung einer Publikation der TheHindu
www.kiwiw.de/public/TheHindu_HoheVitamin-D-SpiegelReduzierenCOVID-Infektion.pdf

Welche Mengen von Vitamin-D benötigt werden, um das Auftreten eines Mangels während einer Infektion zu vermeiden, kann man hier seit 2020 lesen.

Dr.Kersten, Bamberg: „COVID-19 Das können Sie tun!“
http://dr-kersten.com/wp-content/uploads/2021/07/NEU-Covid-Artikel.-Juli-2021.pdf

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