Pandemie Spezial

Rekonstitution oft ohne Apotheker

Wer bei der Impfstoffzubereitung auf pharmazeutisches Know-how verzichtet

tmb | Bei der Vorbereitung des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer ergeben sich praktische pharmazeutische Herausforderungen. Doch längst nicht überall sind Apotheker in die Zubereitung des Impfstoffs eingebunden. In einigen Bundesländern sind Apotheker konsequent für die Rekonstitution verantwortlich, in anderen Bundesländern werden sie je nach Impfzentrum unterschiedlich eingebunden und mancherorts sind sie überhaupt nicht beteiligt.

Nach den ersten Erfahrungen zur Impfung mit Comirnaty® zeigen sich einige möglicherweise kritische Schritte beim Umgang mit dem sensiblen Impfstoff. Kühlung, Transport, Auftauen, Verdünnung, Auswahl und Handhabung der Spritzen und Kanülen sowie das Zeitmanagement sind keineswegs trivial, auch wenn dies von pharmazeutischen Laien mitunter so dargestellt wird.

„Stolpersteine“ der Zubereitung

Dies zeigen beispielsweise die Erfahrungen von Michael Gabel, der in sozialen Medien über seine Arbeit als Apotheker in einem Impfzentrum in Bayern berichtete. Er sei dort auf eigene Initiative tätig. Dabei seien ihm einige „Stolpersteine“ aufgefallen, die die physikalische oder mikrobielle Stabilität des Impfstoffs beeinflussen könnten (siehe Kasten). Gabel verweist dazu auf die besondere Sichtweise der Pharmazeuten. „Man studiert eine Fachinformation und die richtige Herstellung, bevor man loslegt“, erklärte Gabel und betonte, dass eine gründliche Vorbereitung wichtig sei (siehe „Apotheker bei der Impfstoffrekonstitution: richtig und wichtig!“, DAZ.online, 8. Januar 2021). In den „DocCheck News“ vom 8. Januar wurden auch die Erfahrungen einer Apothekerin in Rheinland-Pfalz beschrieben. Sie habe von einem Impfzentrum berichtet, in dem Transportboxen ohne Anleitung angeliefert worden seien. Beim Empfang habe niemand gewusst, dass die Akkus vorgekühlt werden mussten. Die Apothekerin habe mit ihrer eigenen Gefriertruhe ausgeholfen. Als weiteres Problem betrachte sie die Bereitstellung geeigneter Spritzen und Kanülen.

mRNA-Impfstoffe in Gefahr

Stabilitätsgefährdende Stolpersteine

  • unsachgemäßer Transport der Impfdosen nach dem Verdünnen (z. B. auf einem Rollwagen)
  • zu starkes Schütteln der Impfdosen bei der Herstellung
  • Verwendung von zu kleinen Kanülen
  • zu schnelle Injektion (Scherkräfte/Druck schädigen die mRNA)
  • Verwendung von zu großen Spritzen (Dosierungsprobleme)
  • größere Luftansammlung in der Spritze (mehrmaliges Aufziehen/Austreiben schädigt mRNA)
  • Nichteinhaltung der Kühlkette (Schädigung der mRNA)

Mikrobielle Stolpersteine

  • schlechte Arbeitsplatzdesinfektion
  • fehlendes Tragen von Schutzaus­rüstung
  • mehrfache Verwendung derselben Kanülen
  • fehlende Händedesinfektion
  • Störung des Herstellungsvorgangs durch anderes Personal
  • unprofessionelles aseptisches Arbeiten

Quelle: Michael Gabel auf Facebook und „Apotheker bei der Impfstoffrekonstitution: richtig und wichtig!“, DAZ.online, 8. Januar 2021

„Kein Hexenwerk“?

Gerade bei einer neuen Arzneimittelklasse ergeben sich viele Fragen erst in der Praxis. Sie überhaupt zu erkennen, setzt ein pharmazeutisches Bewusstsein voraus. Das spricht dafür, dass Apotheker und weiteres pharmazeutisches Personal die Zubereitung der Impfungen organisieren und überwachen und das Hilfspersonal anleiten. So ließe sich pharmazeutische Kompetenz nutzen, ohne dass jede einzelne Spritze durch die Hand von Pharmazeuten gehen muss.

Auch Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, verweist in seinem jüngsten Editorial im Mitteilungsblatt der Kammer auf mögliche Herstellungsfehler. Durch solche Fehler wäre die Wirksamkeit der Impfung gefährdet. Doch entgegen der Empfehlung der Kammer, die Herstellung mit erfahrenem Personal der Krankenhausapotheken durchzuführen, solle die Rekonstitution des Impfstoffes in Schleswig-Holstein durch Ärzte und Medizinische Fachangestellte in den Impfzentren erfolgen. Für Landesgesundheitsminister Dr. Heiner Garg sei die Herstellung „kein Hexenwerk“ und nach dem zweiten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, Dr. Ralph Ennenbach, „keine Raketenwissenschaft“, schreibt Christiansen. Daraus folgert der Kammerpräsident: „So können wir aus apothekerlicher Sicht nur hoffen, dass sich alle Beteiligten in den Impfzentren der Verantwortung dieser Aufgabe bewusst sind.“

Pharmazeutische oder ärztliche Tätigkeit?

Ein wesentlicher Hintergrund der Arbeitsaufteilung ergibt sich offenbar aus der Rechtslage. Das Arzneimittelgesetz eröffnet zwei Alternativen. Eine Variante ist die Arzneimittelherstellung in einer Apotheke mit einem verantwortlichen Apotheker und pharmazeutischem Personal. Da Comirnaty® in der anwendungsfähigen Form jedoch physikalisch hochempfindlich ist, scheidet ein Transport von der Apotheke zum Impfzentrum nach derzeitiger Kenntnis aus. Dann bleibt die zweite Variante, die Vorbereitung zur Anwendung als ärztliche Tätigkeit unter der Verantwortung des impfenden Arztes. Die Frage, ob sich die pharmazeutische und die ärztliche Verantwortung verbinden lassen, wird offenbar unterschiedlich beantwortet. Die DAZ hatte beispielsweise berichtet, dass im Impfzentrum in Stuttgart die ärztliche Tätigkeit an Apotheker delegiert wird und diese daraufhin nicht den apothekenrechtlichen Vorschriften unterliegen (siehe „Gut getaktet“, DAZ 2021, Nr. 1, S. 18 – 21). So lässt sich pharmazeutische Kompetenz bei einer ärztlichen Tätigkeit nutzen. Doch das ist nur eine von mehreren Sichtweisen.

Foto: DAZ/diz

Wer auf pharmazeutisches Know-how und Kammern setzt

Die ABDA hat dazu eine Umfrage bei den Apothekerkammern durchgeführt und die Antworten am 8. Januar zusammengefasst. Dabei ergibt sich ein sehr heterogenes Bild. Demnach wurde in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz pharmazeutisches Personal unter Mitwirkung der Apothekerkammern für die Impfzentren rekrutiert. Das Personal arbeitet dort in festen Teams mit Ärzten und medizinischem Personal zusammen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Apothekerkammern mit der Organisation der Rekonstitution in den Impfzentren beauftragt. Dazu hat das zuständige Landesministerium einen Vertrag mit den Kammern abgeschlossen. Dabei obliegt die pharmazeutische Leitung im jeweiligen Impfzentrum einer Apothekerin oder einem Apotheker. Diese Verantwortlichen werden von der Kammer bestimmt. Die Rekonstitution wird als Arzneimittelherstellung im Sinne des AMG verstanden. Dafür hat das zuständige Landesministerium eine Verfahrensanweisung erstellt. Die Herstellung ist durch qualifiziertes pharmazeutisches Personal unter keimarmen Bedingungen durchzuführen. Dabei werden Einzelpersonen, die sich über Freiwilligenportale angemeldet haben, und Zweier-Teams aus Apotheken eingesetzt. Auch die Apothekerkammer ­Berlin berichtet, dass Apotheker dort die fachliche Leitung der Impfzentren übernommen hätten. Die Lagerung und der Auftauprozess werden dort von pharmazeutischem Personal aus der Industrie überwacht. Jedes der sechs Impfzentren verfügt dort über einen pharmazeutischen Vorbereitungsbereich, in dem pharmazeutisches Personal tätig ist. In den mobilen Impfteams werden teilweise PTA eingesetzt. In Rheinland-Pfalz soll jeweils ein Apotheker pro Impfzentrum und Arbeitsschicht tätig sein. Dort hätten sich 700 Apotheker beworben, davon seien 73 in den Impfzentren tätig. Die Apothekerkammer Berlin berichtet von 1054 Bewerbungen von Apothekern, Westfalen-Lippe von 937 und Nordrhein von 1490. In Berlin haben sich demnach 345 PTA beworben, in Westfalen-Lippe 655 und in Nordrhein 1280.

Auch in Bremen wurde die Apothekerkammer um Unterstützung bei der Suche nach pharmazeutischem Personal gebeten. Zunächst sei die Kammer gebeten worden, PTA zur Mitarbeit bei der Herstellung aufzurufen. Mittlerweile würden zwei bis drei Vollzeitapotheker für die Organisation und Planung gesucht. In Sachsen hat die Apothekerkammer eine Stellenausschreibung der Kassenärztlichen Vereinigung zur Gewinnung von Impfhelfern an die Kammermitglieder ­weitergeleitet.

Apothekereinsatz ohne Kammerorganisation

Die Apothekerkammer Hamburg berichtete, dass dort Apotheker in den Impfzentren tätig sind, aber ohne Beteiligung der Kammer. Nach Angaben der Apothekerkammer Baden-Württemberg sind dort Apotheker und PTA auf lokaler Ebene eingebunden. Auch die Apothekerkammer Hessen wurde nicht in die Planung eingebunden, dort sei aber bekannt, dass sich einzelne Apotheker mit Impfzentren in Verbindung gesetzt haben. In Mecklenburg-Vorpommern besteht keine zentrale Struktur zur Organisation der Impfungen. Die Kreise und kreisfreien Städte organisieren dies selbst, dazu gehört auch der Personaleinsatz. In Bayern sind Apotheker freiwillig aufgrund einer direkten Ansprache des jeweiligen Trägers des Impfzentrums tätig. Sie werden als Hilfskräfte entlohnt. Nach einer Erklärung des zuständigen Landesministeriums ist bei der Herstellung kein Einsatz von pharmazeutischem Personal erforderlich.

Zubereitung ohne Apotheker

Die Kammern in Brandenburg, Schleswig-Holstein, Thüringen und im Saarland melden, dass nach ihrer Kenntnis keine Apotheker oder PTA in den Impfzentren tätig sind. In Thüringen werden die Impfzentren von der Kassenärztlichen Vereinigung organisiert. Eine Beteiligung von pharmazeutischem Personal sei dort bisher nicht vorgesehen. Auch in Schleswig-Holstein ist keine Mitwirkung von pharmazeutischem Personal vorgesehen. Dort hatten das Pharmazeutische Institut der Universität Kiel und die Apothekerorganisationen ein Konzept zur Herstellung der Impfdosen in Krankenhausapotheken erarbeitet. ­Dabei sollten bis zu 200 Pharmaziestudierende aus dem Hauptstudium ­tätig werden. Doch dieses Konzept wurde verworfen, als der Transport der anwendungsfertigen Spritzen ­ausgeschlossen wurde. In der neuen Planung wurde auf die Apotheker ­verzichtet. |

 

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