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Beratung

Facettenreicher Wasserspeicher

Varianten der Hyaluronsäure und ihre vielfältigen biologischen Effekte

Hyaluronsäure ist als natürlicher, multifunktionaler Wirkstoff mit geringen Nebenwirkungen prädestiniert für den Einsatz in Medizin und Pharmazie. Beliebt ist sie als kosmetischer Moisturizer und Volumengeber, dank des extremen Wasserbindungsvermögens. Ob die Substanz, die aus dem Hahnenkamm gewonnen wird, die Haut nur befeuchtet oder von innen aufpolstert, hängt von der Darreichungsform ab. Kettenlänge und Verlinkung der Moleküle bestimmen die Indikationen, sei es in der Kosmetik, zur Behandlung von Wunden und Altershaut oder bei intraartikulären Injektionen. Hier ein Versuch der Darstellung einer Substanz, die sich nicht über den (Hahnen-)Kamm scheren lässt. | Von Ralf Schlenger

Hyaluronsäure ist eine körpereigene Substanz, die viele Zellen bilden, vor allem Fibroblasten und Keratinozyten. Deren Membranen synthetisieren aus Monosaccharidbausteinen das langkettige, lineare Glykosaminoglykan (s. Kasten „Steckbrief Hyaluronsäure“). In stark hydratisierter Form bildet Hyaluronsäure einen Hauptbestandteil der extrazellulären Matrix: in der Haut, im Bindegewebe, im Knorpel, in der Synovialflüssigkeit, in den Knochen und im Auge (Glaskörper). Dort gibt sie Volumen und Struktur, sorgt für Elastizität bzw. Schmierung. Voraussetzung hierfür und gleichzeitig die hervorstechendste Eigenschaft der Hyaluronsäure ist ihr immenses Quellvermögen: Ein Milligramm Hyaluronsäure kann sechs Gramm Wasser binden. Schon in 1%igen wässrigen Lösungen bildet sich durch intermolekulare Knäuelbildung ein viskoelastisches Netzwerk. Dass Wasser kaum komprimierbar ist, gilt auch für die hydratisierten Hyaluronsäure-haltigen Gewebe.

Steckbrief Hyaluronsäure

  • Chemie: Glykosaminoglykan aus 250 bis 50.000 Disaccharid-Bausteinen (D-Glucuronsäure und N-Acetyl-D-glucosamin)
  • chemischer Name: (1->3)-O-(2-Acetamido-2-deoxy-β-D-glucopyranosyl)-(1->4)-O-β-D-glucopyranosiduronan [1]
  • pharmazeutisch verwendet: Natriumhyaluronat; syn. Hyaluronan, Hyaluron, Natrii hyaluronas; INCI: Sodium Hyaluronate, Hyaluronic acid

Disaccharid-Einheit der Hyaluronsäure

Natriumhyaluronat liegt als weißes, sehr hygroskopisches Pulver oder faseriges Aggregat vor, das in Wasser wenig löslich ist

  • Vorkommen im Körper: Bestandteil der extrazellulären Matrix; in Dermis (Lederhaut), im Glaskörper des Auges, im Gallertkern der Bandscheiben, in der Synovia (Gelenkflüssigkeit)
  • Gewinnung: tierisches Ausgangsmaterial (z. B. Hahnenkamm) oder biotechnisch aus Streptokokken-Kulturen
  • Eigenschaften: wasserbindend (hydratisierend), gelbildend, viskoelastisch, volumengebend, straffend, entzündungshemmend/entzündungsfördernd, regenerierend und wundheilungsfördernd
  • medizinischer Einsatz: Wundheilung bei Ulcera, Geschwüren, Dekubitus, Verbrennungen; trockene Augen/Nasenschleimhaut, Altershaut (Dermatoporose); intraartikulär bei Arthrosen
  • kosmetischer Einsatz: Injektionen: Faltenunter­spritzung, Modellieren der Lippen, Hautauffrischung
  • äußerlich: als Cremegrundlage (Gelbildner), als Bestandteil in Feuchtigkeits-, Antifalten-, Anti-Aging-Kosmetika (Cremes, Seren, Lippenstifte, Lotionen, Masken usw.)
  • deklarierbare Wirkungen in kosmetischen Mitteln laut International Nomenclature of Cosmetic Ingredients (INCI): antistatisch: verringert elektrostatische Aufladungen (z. B. der Haare); feuchthaltend: bewahrt die Hautfeuchtigkeit oder bindet Feuchtigkeit in Kosmetika; feuchtigkeitsspendend: erhöht den Wassergehalt der Haut; hautpflegend: hält die Haut in einem guten Zustand.

Wichtige biologische Funktionen

In der Dermis (Lederhaut) sind die Kollagenfasern und Fibro­blasten in die extrazelluläre Matrix eingebettet. Deren gelartige Struktur wird maßgeblich von körpereigener Hyaluronsäure gebildet und stabilisiert. Auch der Glaskörper des menschlichen Auges, der zu 98% aus Wasser besteht, wird stabilisiert durch ganze 2% Hyaluronsäure. In der Synovia (Gelenkflüssigkeit) ist Hyaluronsäure der Haupt­bestandteil und fungiert bei allen Gelenkbewegungen als strukturviskoses Schmiermittel. Die Viskosität passt sich den einwirkenden mechanischen Kräften an. Bei schnellen Scherbewegungen wie beim Laufen sinkt die Zähigkeit der Hyaluronsäure, wodurch die Reibung verringert wird. Werden Druck- und Scherkräfte stärker, nimmt die Viskosität der Hyaluronsäure ab. Weiterhin ist natürliche Hyaluronsäure an der Bildung noch größerer Makromoleküle beteiligt, den Proteoglycanen oder sauren Mukopolysacchariden.

Hyaluronsäure bindet außerdem an bestimmte Rezeptoren auf Zelloberflächen. Die Stimulation der Zellteilung spielt in der Embryonalentwicklung und bei der Hautregeneration eine Rolle, kann aber bei Kontakt mit Tumorzellen negative Auswirkungen haben. Mittellange Hyaluronsäure-Fragmente binden an Rezeptoren von Keratinozyten und regen ihre Vermehrung an [2].

Wie Hyaluronsäure gewonnen wird

1979 wurde ein Patent auf die Isolierung von Hyaluronsäure in hochreiner Form aus Hahnenkämmen erteilt. Es war der Startschuss zur Gewinnung der Substanz im industriellen Maßstab aus tierischem Material. Verwendet werden außer Hahnenkämmen vor allem menschliche Nabelschnur und der Glaskörper und die Synovialflüssigkeit von Rindern. Für medizinische Zwecke werden aus solchen Quellen jährlich einige Tonnen hochreine Hyaluronsäure produziert. Die Produktion ist komplex, zunächst, weil bei der Extraktion der wasserlöslichen Hyaluronsäure andere Biopolymer mit gelöst werden. Mögliche Reinigungsprozeduren umfassen proteolytische Enzyme, die Ionenpaar-Ausfällung von HA z. B. mit Cetylpyridiniumchlorid, die Ausfällung mit organischen Lösemitteln, Detergentien und einiges mehr. Zum Entfernen von Abbauprodukten dienen Verfahren der Ultrafiltration und Chromatografie. Es folgen Sterilfiltration, Alkoholfällung und Trocknung. Trotz dieser aufwendigen Pro­zedur kann „tierische“ Hyaluronsäure Nukleinsäuren und Proteine enthalten. Letztere werden für allergische Reaktionen verantwortlich gemacht. Das Auftreten der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) richtete das Augenmerk auf Verunreinigungen mit Viren oder Prionen und erforderte Weiterentwicklungen bei den Kontroll-, Produktions- und Reinigungsmethoden. Trotz dieser Schwierig­keiten sind tierische Abfälle noch eine wichtige Quelle zur Gewinnung von Hyaluronsäure.

Die mögliche Allergisierung gab den Anstoß für die Entwicklung neuer biochemischer Produktionsmethoden für Hyaluronsäure. Basis waren Mikroorganismen, die das Enzym Hyaluronansynthase enthalten, wie Streptokokken. Das bei bakterieller Produktion gewonnene Polymer ist identisch mit dem tierischen, aber nicht immunogen. Die aerobe bakterielle Fermentation ist zudem ein vergleichsweise simpler Prozess mit hohen Ausbeuten von 6 bis 7 Gramm pro Liter Kulturmedium. Zudem lässt sich der Polymerisationsgrad der Hyaluronsäure besser steuern. Häufig werden nicht menschenpathogene Streptokokken der Gruppe C verwendet, bevorzugt die Stämme S. equi subsp. equi und S. equi subsp. Zooepidemicus. Der rekombinante Stamm S. thermophilus ist in der Lage, bis zu 1,2 g/L Hyaluronan von vergleichbarer Kettenlänge wie die Wildtypen zu produzieren. Als Kohlenstoffquelle dienen neben Glucose billige Ausgangsmaterialien wie Stärke und Lactose. Die Gene für das entscheidende Enzym Hyaluronansynthase lassen sich auch in andere Mikroorganismen wie E. coli einbauen.

Die neueste Variante ist die In-vitro-Produktion von Hyaluronsäure unter Einsatz isolierter Hyaluronansynthase. Das ermöglicht die gezielte Steuerung des resultierenden Molekulargewichts. Detaillierte Einblicke in die komplexen Optimierungsversuche der Hyaluronsäure-Gewinnung liefert ein Übersichtsartikel: Boeriu CG et al. Production Methods for Hyaluronan. International Journal of Carbohydrate Chemistry, Volume 2013. https://www.hindawi.com/journals/ijcc/2013/624967/.

Kosmetische Anwendungen

Gesunde, intakte Hornhaut hat einen Wassergehalt von etwa 20%. Sinkt er unter 10%, wird die Hornschicht trocken und stumpf, ihre Barrierefunktion leidet. Dem wirken natürliche, intradermale Feuchthaltefaktoren entgegen (NMF) – kleine, hydrophile Moleküle wie Harnstoff und Aminosäuren. Für die Straffheit und Festigkeit der Haut sind aber tieferliegende Hautschichten verantwortlich – die Kollagenfasern und Fibroblasten der Dermis, eingebettet in die durch Hyaluronsäure viskoelastische extrazelluläre Matrix. Als körpereigener, nicht allergisierender und stark wasserbindender Stoff ist Hyaluronsäure für die Anti-Aging-Kosmetik daher extrem interessant. Mit zunehmendem Alter geht der Hyaluron­säure-Anteil im Körper zurück, die Haut verliert an Feuchtigkeit, Prallheit und Elastizität. Sichtbare Folgen sind Fältchen und Falten [3]. Hyaluronsäure-haltige Produkte werden angeboten zur Gesichts-, Lippen-, Hand- und Körperpflege, wobei ein Schwerpunkt auf der Faltenreduktion im Gesicht, der Augenpartie und am Dekolleté liegt (s. Steckbrief Hyaluronsäure). Wird die Haut über einen längeren Zeitraum stetig mit geeigneten Darreichungen von Hyaluronsäure versorgt, soll dies

  • Feuchtigkeit auf und in der Haut anreichern und bewahren,
  • Elastizität und Spannkraft verbessern,
  • einen optisch hautstraffenden und -glättenden Effekt erzielen.

Eine aktuelle Übersichtsarbeit von Dermatologen aus Südasien kommt zu dem Schluss, dass in der Literatur beschriebene „Nutrikosmetika“ viele dieser Versprechen durchaus erfüllen: Für Hyaluronsäure-basierte Gels, Cremes, Lotionen, Sera und intradermale Filler-Injektionen seien bemerkenswerte Effekte als Aufpolsterung für Fältchen und erweiterte Poren beschrieben [4]. Hyaluronsäure-Filler gelten als sicher und effektiv, einige erhielten Zulassungen von der amerikanischen Federal Drug Administration (FDA). Indes sind die sichtbaren Effekte der Behandlung mit Hyaluronsäure-Injektionen auf etwa sechs Monate begrenzt [5].

Tab.: Verschiedene Arten biologischer Aktivität von Hyaluronsäure (nach [5])
Applikationsart
Hyaluronsäure-Typ
Wirkmechanismus
Ergebnis
intradermal
natives Molekül
Erhöhung von dermaler Masse/Volumen
„filling“ und viskoelastische Effekte in der Dermis
topisch (epikutan)
mittellange Fragmente
Induktion der Hyaluronsäure-Synthese in der Epidermis und oberen Dermis
„filling“ und viskoelastische Effekte in der Epidermis und Dermis
topisch (epikutan)
natives Molekül
Wasserbindung
Erhöhung der Hautfeuchte

Die Kettenlänge entscheidet

Viele Studien deuteten darauf hin, dass der Effekt topischer Anwendungen von Hyaluronsäure von der Molekülgröße der Fragmente wie auch vom adressierten Zelltypus abhängt (Tab.) [6]. Denn Hyaluronsäure ist nicht gleich Hyaluronsäure: Die Molekülmasse der Hyaluronsäure liegt je nach Herstellungsart zwischen 0,5 und 20 Millionen Dalton. Hochmolekulare Hyaluronsäure aus Molekülen von etwa 1000 Kilodalton und größer kann die intakte Haut­barriere kaum durchdringen [7]. Allerdings bildet sie mit Wasser und dem Keratin der Haut einen Film, der die Hautoberfläche mit Feuchtigkeit versorgt. Dieser Film wird relativ schnell wieder abgewaschen, so dass eine Langzeit- und Tiefenwirkung fehlt.

Hochmolekulare Hyaluronsäure kann enzymatisch (Hyaluronidasen, β-Glucuronidasen, Hexosaminidasen) in Hyaluronat-Fragmente (HAF) gespalten werden. Die Hyaluronat-Fragmente können in unterschiedlicher Weise die Proliferation von Epithelzellen und die Hyaluronsäure-Synthese anregen. Dermatologen von der Universität in Genf verglichen in vitro und in vivo die Effekte intermediärer Hyaluronat-Fragmente in der Größe von 50 bis 400 Kilodalton mit größeren und kleineren Hyaluronsäure-Molekülen. Sie fanden, dass allein die intermediären Hyaluronat-Fragmente in der Lage waren, eine Neubildung von Epidermiszellen anzuregen, den Hyaluronsäure-Gehalt der Dermis zu erhöhen und ihre Dichte zu verbessern, nicht aber die höher- und niedrigermolekularen Varianten. Die Hyaluronat-Fragmente binden dabei an einen Rezeptor auf der Zelloberfläche von Keratinozyten, das Proteoglykan CD44 [8].

In der für Kosmetika vorgeschriebenen Deklaration nach ­INCI (Sodium Hyaluronate) werden die verschiedenen ­Hyaluronsäure-Molekülgrößen nicht unterschieden; hier müssen Informationen des Herstellers weiterhelfen. In einer Reihe von Produkten sind hochmolekulare, „oberflächlich“ wirksame wie auch niedrigermolekulare Hyaluronsäure zur „Aufpolsterung der Haut von innen“ verarbeitet.

Hyaluronsäure in der Wundheilung

Hyaluronsäure als Hauptkomponente der extrazellulären Matrix nimmt eine Schlüsselrolle auch bei der Abheilung von Haut- und Schleimhautdefekten ein. Wegen befeuchtender, pflegender und wundheilungsfördernder Effekte findet sich Hyaluronsäure als Bestandteil in Mundgelen, Augentropfen, Lutschtabletten und Nasensprays. In frühen Sta­dien von Verletzungen, Entzündung und Wundheilung ermöglicht Hyaluronsäure die Migration von Zellen, indem sie durch die Hydratisierung des Gewebes die Zellzwischenräume erweitert. So gelangen Immunzellen in größerer Zahl an den Verletzungsort. In Hautmodellen führt die Behandlung mit 0,5% Natriumhyaluronat verglichen mit unbehandelten Modellen zu einer signifikant schnelleren Reepithelisierung des verwundeten Gewebes und zu einem schnelleren Wundschluss. Dabei scheinen die Modulation von Zytokinen und die erhöhte Immunantwort eine Rolle zu spielen [9]. Die Initiative Chronische Wunden e. V. empfiehlt den Einsatz von Hyaluronsäure bei allen als therapieresistent eingestuften chronischen Wunden, wobei bei Diabetikern eine besonders hohe Wirksamkeit zu beobachten sei [10]. Manche Sportmediziner versorgen selbst tiefe Haut­abschürfungen statt mit einer Wunddesinfektionslösung mit einem Hyaluron-Spray (z. B. Hyalo4 Control Spray), das die Gewebeneubildung fördert und Feuchtigkeit spendet. Es wird nach der Wundreinigung mit einer physiologischen Kochsalzlösung als Primärabdeckung der Wunde aufgebracht [11].

Wirkmechanismen von intraartikulär applizierter Hyaluronsäure bei Arthrosen

  • Viscosupplementation (mechanischer, viskoelastischer Effekt)
  • Stimulation endogener Hyaluronsäureproduktion
  • chondroprotektive Eigenschaften
  • vermehrte Synthese extrazellulärer Matrixproteine (Chondroitine, Proteoglykane, Keratinsulfate)
  • analgetische und antientzündliche Wirkung (Verminderung der Prostaglandin- und Bradikininsynthese im Tiermodell)
  • Immunmodulation (Inhibierung von Immunzellen)

Behandlung der Altershaut

Der mit dem Altern immer stärker ausgeprägte Mangel an Hyaluronsäure, die als Hauptbestandteil der extrazellulären Matrix ein viskoelastisches Netz mit den elastischen und Kollagenfasern bildet, macht die Haut dünn, fragil und verletzlich. Messbar ist dies an Hautdicke und -aufbau. Während normale Unterarmhaut sonografisch etwa 1,5 mm dick ist, ist atrophe Haut nur noch halb so dick und enthält weniger Kollagen, elastische Fasern und Hyaluronsäure in der extrazellulären Matrix. Die mechanische Schutzfunktion nimmt ab, so dass schon Bagatelltraumen flächenhafte Hämorrhagien in der Dermis nach sich ziehen können, etwa am Handrücken, auch ohne Gerinnungsstörungen. Die Wundheilung ist durch die geringe Proliferationsleistung der Keratinozyten und Fibroblasten verzögert. Für das Syndrom der chronischen Insuffizienz und Fragilität der Haut haben französische Hautspezialisten den Begriff „Dermatoporose“ (Hautschwund) geprägt. Betroffen sind vor allem Menschen ab dem 70. Lebensjahr. Trigger einer Dermatoporose sind neben dem Alter die Summe der UV-Exposition und eine Langzeit-Cortisontherapie. Linderung und partieller Wiederaufbau atropher Haut soll mit Hyaluronsäure-Fragmenten und Retinol-haltigen Cremes möglich sein. Im Mausmodell und an einigen Patienten mit Dermatoporose haben Genfer Dermatologen nach topischer Applikation von Hyaluronsäure intermediärer Kettenlänge (HAFi) eine verstärkte Zellproliferation und epidermale Hyperplasie beobachtet [7]. Verstärkt wird die Stimulation durch Retinoide, insbesondere Retinaldehyd, welche nicht nur direkt die Proliferation von Keratinozyten, sondern zusätzlich die endogene Hyaluronsäure-Synthese anregt. Die Forscher gehen von einer syn­ergistischen Wirkung von Hyaluronsäure intermediärer Kettenlänge und Retinaldehyd aus [12].

Hyaluronsäure bei Arthrosen

Injektionen von Hyaluronsäure in ein Gelenk werden seit Jahrzehnten als symptomatische Behandlung von Arthrosen unterschiedlicher Gelenke durchgeführt. Dahinter steht zunächst die Vorstellung, dass die exogene Substitution hochmolekularer Hyaluronsäure die viskoelastischen Eigenschaften der Gelenkflüssigkeit wieder verbessern kann. Deren Zusammensetzung verändert sich nämlich im Zuge der Arthroseentstehung nachhaltig: Bilden junge, gesunde Gelenke lange Hyaluronsäure-Ketten, so nimmt deren Molekulargewicht mit fortschreitender Arthrose stetig ab [13]. In neueren und hochwertigen Metaanalysen wird eine relevante Schmerzhemmung nach Viscosupplementation mit Hyaluronsäure bei milder und moderater Kniearthrose beschrieben. Die Effektgröße war nach vier Wochen sogar größer als unter nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), intraartikulärer Corticosteroid-Injektion und Paracetamol. Die teils über Monate anhaltende Wirksamkeit wird unabhängig von der Viscosupplementation durch die Stimulation endogener Hyaluronsäure und weitere Mechanismen erklärt (Kasten „Wirkmechanismen von intraartikulärer Hyaluronsäure“). Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) empfiehlt in ihrer aktuellen Leitlinie zur Gonarthrose intraartikuläre Hyaluronsäure-Injektionen für Patienten, bei denen der Einsatz von NSAR kontraindiziert ist oder bei denen NSAR nicht ausreichend wirksam sind. Die Injektionen sind nicht Therapie der ersten Wahl, sondern im Kontext eines Gesamttherapiekonzeptes zu sehen. Hyaluronsäure werden andere, meist geringere Nebenwirkungen zugeschrieben als Opioiden oder nicht­steroidalen Antirheumatika. Gelenkreaktionen nach intraartikulärer Hyaluronsäure-Applikation sind laut DGOOC normalerweise mild und moderat mit nur geringem Knieschmerz, welcher durch Schonung, Kühlung und Analgetika gut zu behandeln ist. Beschwerden dauern üblicherweise nur wenige Tage an. Lokale oder allgemeine Überempfindlichkeitsreaktionen sind trotz gegenteiliger Einzelfallberichte selten [14]. Die Evidenz für Hyaluronsäure-Injektionen bei schweren Kniearthrosen und Arthrosen anderer Gelenke (Hüfte, Sprunggelenk) ist mangels Studien geringer [10].

Auf einen Blick

  • Hyaluronsäure wirkt unter anderem hydratisierend, gelbildend, viskoelastisch, straffend, entzündungshemmend/entzündungsfördernd, regenerierend und wundheilungsfördernd.
  • Die Molekülmasse der Hyaluronsäure liegt je nach Herstellungsart zwischen 0,5 und 20 Millionen Dalton.
  • Hochmolekulare Hyaluronsäure kann die intakte Hautbarriere kaum durchdringen.
  • Hyaluronsäure wird zur symptomatischen Behandlung von Arthrosen unterschiedlicher Gelenke injiziert.
  • Die Evidenz für Hyaluronsäure-Injektionen bei schweren Kniearthrosen und Arthrosen ist gering.
  • Topisch angewendete Hyaluronsäure führt bei verletzter Haut zur schnelleren Reepithelisierung und zu einem schnelleren Wundverschluss.

Injektionspräparate mit Hyaluronsäure: kaum zu klassifizieren

Die Hyaluronsäure-Präparate, die zur Viscosupplementation verwendet werden, unterscheiden sich erheblich voneinander. Die weltweit über 100 vermarkteten Produkte differieren hinsichtlich Ursprung (tierische oder bakterielle Fermentation), Molekulargewicht (von 0,7 bis 3 Millionen Dalton), molekularer Struktur (linear, cross-linked, mixed oder beides) wie auch dem rheologischen Verhalten (Gel oder flüssig). Die Halbwertszeit der intraartikulär applizierten Hyaluronsäuren variiert je nach Produkt zwischen 17 Stunden (Sodium-Hyaluronat) bis mehreren Tagen (Hylan G-F 20) [10]. Einige Darreichungen sind kombiniert mit z. B. Mannitol, Sorbitol oder Chondroitinsulfat. Eine homogene Klasse von Produkten mit Hyaluronsäure gibt es also nicht. Die Diversität erschwert auch die Interpretation von Studiendaten, da Ergebnisse nicht auf andersartige Präparate extrapolierbar sind. Mit Ausnahme von Hyalart®, das zur Behandlung von Schmerzen und gestörter Gelenkfunktion bei leichter bis mittelschwerer Gonarthrose als Arzneimittel zugelassen ist, werden Hyaluronsäuren in Deutschland als Medizinprodukte geführt, was eine Erstattung durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nahezu ausschließt. Nach einem Cochrane-Review von Bellamy et al. aus dem Jahr 2006 ergeben sich für die auch von der FDA zugelassenen Produkte Hyalart®, Orthovisc® und Synvisc® positive, placeboüber­legene Wirksamkeits- und gute Sicherheitsprofile [15]. Für die übrigen Produkte können größtenteils aufgrund mangelnder valider Daten kaum Aussagen getroffen werden. |

Literatur

 [1] Hyaluronic Acid. www.drugs.com/international/hyaluronic-acid.html

 [2] Barnes L et al. Synergistic Effect of Hyaluronate Fragments in Retin­aldehyde-Induced Skin Hyperplasia Which Is a Cd44-Dependent Phenomenon. PLos One 2010;5(12), www.plosone.org

 [3] Ghersetich I et al. Hyaluronic acid in cutaneous intrinsic aging. Int J Dermatol. 1994;33(2):119-122

 [4] Bukhari SNA et al. Hyaluronic acid, a promising skin rejuvenating biomedicine: A review of recent updates and pre-clinical and clinical investigations on cosmetic and nutricosmetic effects. Int J Biol Macromol 2018;120(Pt B):1682-1695

 [5] Kaya G et al. Induction of Hyalurosome by Topical Hyaluronate Fragments: Results in Superficial Filling of the Skin Complementary to Hyaluronate Filler Injections. Dermatopathology 2019;6:45-49

 [6] David-Raoudi M et al. Differential effects of hyaluronan and its fragments on fibroblasts: relation to wound healing. Wound Repair Regen 2008;16(2):274-287

 [7] Laugier JP et al. Topical hyaluronidase decreases hyaluronic acid and CD44 in human skin and in reconstituted human epidermis: evidence that hyaluronidase can permeate the stratum corneum. Br J Dermatol 2000;142(2):226-233

 [8] Kaya G et al. Hyaluronate fragments reverse skin atrophy by a CD44-dependent mechanism. PLoS Med 2006;3(12):e493

 [9] Rüther L et al. Der Hautarzt 2017;68:987-993

[10] Hoppe H-D, Lobmann R. Hyaluronsäure – Ihre Bedeutung für die Wundheilung. Informationen der Initiative Chronische Wunden e. V., Medizin & Praxis „Chronische Wunden“ 2012:77-82, www.icwunden.de/wundwissen/fachinfos-glossar/hyaluronsaeure.html, Abruf 10. Oktober 2019

[11] Tenner D. Wundheilung beschleunigen. Mit Hyaluronsäure gegen großflächige Hautabschürfungen – ein Beispiel aus dem Radsport. Sportärztezeitung 2016;3:10-13, www.sportaerztezeitung.de/konservative-therapie-abo/articles/wundheilung-beschleunigen, Abruf 10. Oktober 2019

[12] Barnes L et al. Synergistic effect of hyaluronate fragments in retinaldehyde-induced skin hyperplasia which is a Cd44-dependent phenomenon. PLoS One 2010;5(12):e14372

[13] Jerosch J. Leitlinien, Empfehlungen und Expertenmeinungen zur Viscosupplementation. Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis 2016;9:495-501

[14] Gonarthrose. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). AWMF-Registernummer 033-004, Stand 18. Januar 2018

[15] Bellamy N et al. Viscosupplementation for the treatment of osteoarthritis of the knee. Cochrane Database Syst Rev. 2006;(2):CD005321

Autor

Ralf Schlenger

ist Apotheker und arbeitet als freier Autor und Medizinjournalist in München.

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