Aus den Ländern

Optimale Arzneimittelversorgung hat Priorität

Kammerversammlung in Sachsen-Anhalt

cae | In der Kammerversammlung der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt am 31. Mai berichtete Kammerpräsident Dr. Jens-Andreas Münch über Arzneimittelfälschungen und deren Auswirkungen auf das Gesundheitswesen. ABDA-Geschäftsführer Lutz Tisch erörterte die drohende Deregulierung der Freien Berufe in der EU.

Sicherheit der Arzneimittel­versorgung auf allen Ebenen

Arzneimittelfälschungen sind ein gravierendes globales Problem, das durch den illegalen Handel verschärft wird. Dagegen zählt der legale deutsche Arzneimittelvertriebsweg nach wie vor zu den sichersten der Welt, denn hier sind in den letzten Jahren nur wenige Fälle von Arzneimittelfälschungen aufgetreten, wie Münch betonte. Um diesen Vertriebsweg noch sicherer zu machen, wollen Industrie, Großhandel und Apotheker im Februar 2019 das SecurPharm-System starten, bei dem jede Packung eine individuelle Seriennummer erhält, durch die ihr Weg vom Hersteller bis zur Abgabe in der Apotheke lückenlos nachverfolgt werden kann.

Im Fall von Reimporten sehen selbst unverfälschte Arzneimittel manchmal ungewohnt aus; Münch forderte deshalb, die Reimportklausel endlich abzuschaffen, zumal mit Reimporten kaum Einsparungen gegenüber rabattierten Arzneimitteln zu erzielen sind.

Daraufhin äußerte sich Münch zur Sicherheit der Arzneimittelproduktion. Wegen des Preisdrucks haben die Hersteller die Produktion, insbesondere von Rohstoffen, großenteils in Billiglohnländer verlagert. Die Folgen reichen von mangelnder Qualität einzelner Chargen bis zu Produktionsaus­fällen, die bei uns zu Lieferengpässen führen. Niedrigere Arzneimittelpreise werden durch einen erhöhten Aufwand in den Apotheken und eine teilweise suboptimale Therapie erkauft. Zu den Lieferengpässen in öffentlichen Apotheken führte Münch aus: „Wir versuchen durch Vorbestellung, Austausch, Rücksprache mit dem Arzt, Bestellung beim Hersteller bzw. verschiedenen Großhändlern, dass die Patienten dennoch gut versorgt sind. Zum Dank dürfen wir Lieferengpässe gegenüber den Krankenkassen aufwändig dokumentieren, um Austauschprodukte erstattet zu bekommen.“

Foto: AK Sachsen-Anhalt, Katrin Pohl
Dr. Jens-Andreas Münch

Zuletzt ging Münch auf die Themen Versandhandel und Digitalisierung ein. Der durch die Boni-Entscheidung des EuGH geförderte Versandhandel löse keine Probleme, sondern schaffe Probleme. Das vom Gesundheitsministerium vorgeschlagene Rx-Versandverbot wäre der einzig sinnvolle, schnelle und effektive Schritt gewesen, um wieder gleiche Rahmenbedingungen für in- und ausländische Apotheken zu schaffen. Es sei schleierhaft, warum maßgebliche Vertreter der SPD die Verabschiedung verhindert haben. Denn auch in der SPD gebe es Unterstützer des Gesetzesvorhabens. Um die Auffassung der Apotheker zu artikulieren, hatte der Vorstand der Apothekerkammer eine Resolution vorbereitet, die die Delegierten diskutierten und nach einigen Änderungen ver­abschiedeten (s. Kasten).

Beschränkung des Versandhandels auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel

Resolution der Kammerversammlung der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt

Der Europäische Gerichtshof hat die Gewährung von Boni beim Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch ausländische Versender zugelassen. Damit ist die Tür zu einem ruinösen Preiswettbewerb eröffnet, der zulasten der Qualität der Arzneimittelversorgung geht und das bewährte System der wohnort­nahen Versorgung von Arzneimitteln durch Apotheken in Deutschland bedroht.

Seitens des BMG liegt ein Gesetzentwurf vor, der als derzeit einzige zielführende Reaktion den Versandhandel mit Arzneimitteln auf den europarechtlich notwendigen Rahmen der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel beschränken soll, so wie es in 21 der 28 EU-Mitgliedstaaten geregelt ist.

Mit Unverständnis reagieren die Mitglieder der Kammerversammlung der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt auf die Argumentation einzelner Politiker, deren Haltung die dringend notwendige und vernünftige Lösung des Problems in der ablaufenden Legislaturperiode verhindert hat.

Für die Apothekerschaft des Landes stellen wir fest:

1. Die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt, eingeschlossen Rezepturen samt Spezialrezepturen wie Zytostatika- und Sterilzubereitungen, ist durch die 599 Apotheken vor Ort flächendeckend und rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr sichergestellt. Zusätzlich werden von öffentlichen Apotheken 144 Rezeptsammelstellen betreut. Im Bedarfsfall können Botendienste in Anspruch genommen werden. Ein Versorgungsmangel ist nicht vorhanden.

2. Arzneimittel sind ein besonderes Gut. Es sind hochwirksame Produkte, die vorwiegend am kranken Menschen eingesetzt werden. Deshalb unterliegen Sie in Deutschland im Gegensatz zu anderen Produkten einer Vielzahl unverzichtbarer gesetzlichen Regelungen. Diese sichern Arzneimittelqualität von der Herstellung über den Vertrieb bis zur Abgabe an den Patienten.

3. Eine hohe Arzneimittelqualität allein ist noch kein Garant für einen Therapieerfolg. Auch schriftliche Informationen oder Telefonate können nie die persönliche Beratung ersetzen. Um die optimale Arzneimittelanwendung zu sichern, benötigen Patienten – auch bei Dauermedikation – eine fachgerechte Beratung durch den Apotheker. Fehler in der Arzneimittelanwendung gefährden die Gesundheit der Patienten, schädigen durch vermeidbare Mehr­kosten aber auch das Sozialsystem.

4. Die demografische Entwicklung setzt mit zunehmender Multimorbidität und Polymedikation wachsende Anforderungen an eine sichere Arzneimitteltherapie. Eine intensivere fachkundige Begleitung der Patienten, z. B. durch Medikationsanalyse und Medikationsmanagement nimmt an Bedeutung zu. Dies ist nur mit einem flächendeckenden System der wohnortnahen Ver­sorgung durch Präsenzapotheken zu leisten.

5. Die angeblich unverzichtbare Wahl­freiheit des Patienten für den Versandhandel im verschreibungspflichtigen Bereich und die kurzfristige Kosten­entlastung einiger weniger zulasten aller Beitragszahler gefährden das Solidarprinzip und widersprechen Verbraucherschutzprinzipien.

Die Kammerversammlung appelliert deshalb erneut an die Politiker des Landes Sachsen-Anhalt sowie an die Entscheidungsträger im Gesundheitswesen: Lassen Sie sich von den zahlreichen und vernünftigen Argumenten der Apotheker überzeugen!

Eine Rückführung des Versandhandels auf das europarechtlich geforderte Maß der nicht verschreibungspflichtigen Arznei­mittel sichert im Interesse der Patienten

  • die wohnortnahe Versorgung mit allen Arzneimitteln rund um die Uhr,
  • die persönliche und individuelle Beratung sowie
  • die schnellstmögliche Lösung arzneimittelbezogener Probleme in Abstimmung mit dem Arzt.

Setzen Sie sich bewusst gegen eine Trivialisierung des Arzneimittels als gewöhnliche Handelsware und gegen einen ruinösen Wettbewerb durch Aushöhlung bzw. Aufhebung der Arzneimittelpreisverordnung zum Schaden der flächendeckenden Versorgung und somit letztendlich zum Nachteil der Patienten ein.

Krankheiten kennen keine Öffnungszeiten und interessieren sich nicht für Lieferzeiten. Irgendwann braucht jeder die Apotheke vor Ort – dann ist es gut, wenn es sie noch gibt.

Magdeburg, 31. Mai 2017

Die Mitglieder der Kammerversammlung der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt

Die Argumentation, dass der Versandhandel ein Erfordernis des digitalen Fortschritts sei, wies Münch zurück und bekannte: „Wir sind alles andere als Digitalisierungsgegner. […] Was wir aber nicht digitalisieren wollen, ist der persönliche Kontakt zu unseren Patienten.“

Freiberuflichkeit und Verbraucherschutz

Lutz Tisch, Geschäftsführer Recht der ABDA, legte dar, wie europäisches Recht das deutsche Apothekenwesen beeinflusst. Einerseits erstrebt die EU die wirtschaftliche Freizügigkeit, und Großinvestoren interessieren sich zunehmend für die Dienstleistungen, die derzeit die noch nicht marktkapitalisierten Freien Berufe ausüben. Andererseits schreibt der Vertrag von Lissabon (2009) in der Gesundheitspolitik das Subsidiaritätsprinzip vor.

Gefahr droht den Freien Berufen, weil die EU-Kommission die Berufszugangsregeln in den einzelnen Mitgliedstaaten auf den Prüfstand gestellt hat und auf eine Deregulierung abzielt. Sie veranlasst Vertragsverletzungsverfahren gegen einzelne Freie Berufe und gibt Studien in Auftrag, die den Vorteil der Liberalisierung belegen sollen. Die Freiberufler stellen sich dieser Entwicklung entgegen, denn eine weitgehende Liberalisierung ihrer Tätigkeiten hätte gravierende Folgen.

Tisch verdeutlichte abschließend, dass die deutschen Beschränkungen im Apothekenbereich nicht dem Schutz des Berufsstandes, sondern dem Verbraucherschutz und der Arzneimittelsicherheit dienen. Pharmazeutisches Recht sei präventives Recht.

In einem Bericht zur Entwicklung der Apothekerversorgung Niedersachsen legte der Stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsausschusses, Dr. Jens-Uwe Sänze, dar, dass das Versorgungswerk nach wie vor gut aufgestellt ist.

Nach der Vorstellung des Haushaltsabschlusses 2016, dem Geschäftsbericht und dem Bericht über die Öffentlichkeitsarbeit wurde der Vorstand für das zurückliegende Jahr entlastet. Die Delegierten verabschiedeten eine Änderung der Weiterbildungsordnung und wählten schließlich die Delegierten zum diesjährigen Deutschen Apothekertag in Düsseldorf. |

Quelle: Apothekerkammer Sachsen-Anhalt, Katrin Pohl

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