Schwerpunkt Digitalisierung

Telematik – was macht die ABDA?

Was Digitalisierung und Telematik für Apotheken bedeutet

Foto: peshkova – Fotolia.jpg
Telematik, Telematikinfrastruktur, Telemedizin, elektronischer Medikationsplan, elektronisches Rezept, Vernetzung, Gesundheitsapps, Wear­ables – die Liste neuer Begrifflichkeiten ist unendlich lang. Viele davon sind mittlerweile im Alltag angekommen, was verdeutlicht, dass der digitale Wandel auch das deutsche Gesundheitssystem mit voller Wucht erfasst hat. | Von Sören Friedrich

Weltweit, so rechneten Experten der Unternehmensberatung Roland Berger (s. Roland Berger, „Digital and Disrupted: All change for Healthcare – How can pharma companies flourish in a digitized healthcare world?” 2016) vor, wird sich das Marktvolumen des Gesundheitsmarktes von knapp 80 Milliarden Dollar in 2015 auf über 200 Milliarden Dollar bis 2020 mehr als verdoppeln. Das ist ein durchschnittliches Wachstum von jährlich rund 21 Prozent.

Ganz klar steht damit auch das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem vor gewaltigen Herausforderungen. Insbesondere die demografische Entwicklung, verbunden mit einer regionalen Ungleichverteilung der Patientinnen und Patienten, der medizinisch-technische Fortschritt sowie neue medizinische Versorgungsangebote sind Katalysatoren der Umwälzungen, denen sich alle Beteiligten im Gesundheitssystem hierzulande gleichermaßen stellen müssen.

In erster Linie werden eine ausgeprägte Vernetzung, optimierte Prozessabläufe und hohe Arbeitsteilung sowohl die Effektivität als auch die Effizienz in der Gesundheitsversorgung steigern und so zur Lösung vieler der systemimmanenten finanziellen und strukturellen Probleme beitragen können.

Mit den Apotheken macht sich jetzt ein traditionsbewusster Berufsstand auf den Weg, den Wandel hin zur „digitalen“ Apotheke einzuleiten. Mit dem Strategiepapier „Apotheke 2030 – Perspektiven zur pharmazeutischen Versorgung in Deutschland“ wurden die berufspolitischen und wirtschaftlichen Weichen für die Zukunft gestellt. Da die Apothekerinnen und Apotheker als Naturwissenschaftler auch grundsätzlich technikaffin sind, gilt es jetzt, die strategischen und konzeptionellen Grundlagen für die Entwicklung und Nutzung digitaler Anwendungen für die zukunftsfähige Versorgung der Patienten im Sinne der Apothekerinnen und Apotheker zu schaffen.

Für die Apothekerinnen und Apotheker stehen dabei immer die Patientinnen und Patienten und deren umfassende Beratung zum Arzneimittel im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Zur besseren Aufgabenerfüllung würde ein eigenes heilberufliches Netz mit klar definierten Zuständigkeiten und Schnittstellen sowie einer soliden Datengrundlage beitragen – ein ­sicheres Netz der Apotheken. Die Apothekerinnen und Apotheker beteiligen sich insofern an dem gesamtgesellschaftlichen Projekt der Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems und wollen dabei modernste Technologien mit der Menschlichkeit des freien Heilberufs zum Wohle der Patientinnen und Patienten verbinden.

Apotheke und Digitalisierung – eine Notwendigkeit?

Warum müssen nun die Apotheken in Deutschland aktiver Teil dieses Prozesses sein? Schon alleine deshalb, weil die Digitalisierung im Gesundheitswesen ein äußerst dynamischer, umfassender und zugleich globaler Prozess ist. Sie ermöglicht u. a. eine neue Form von Transparenz und verbessert die Möglichkeiten eines demokratisierten und individualisierten Gesundheitssystems.

In einem, wie auch immer gearteten, heilberuflichen Netzwerk können Diagnose- und Therapieentscheidungen künftig auf einer qualifizierteren Datengrundlage getroffen sowie das patientenindividuelle Medikationsmanagement in den Apotheken optimiert werden. Mit innovativen, digitalen Geschäftsmodellen versuchen neue Anbieter schon heute, sich Anteile in einem lukrativen Markt zu sichern. Sie werden damit zur direkten Konkurrenz für die traditionellen Gesundheitsdienstleister, also teilweise auch für die Apothekerinnen und Apotheker.

Vor allem das Segment für mobile Dienste, wie zum Beispiel Apps für Smartphones, treibt die Digitalisierung der Branche voran, ohne dass derzeit eine hierfür ausreichende Qualitätssicherung etabliert wurde. Ärzte, Apotheker und Patienten sind vom digitalen Wandel im Gesundheitsmarkt gleichermaßen betroffen. Wir als Berufsstand der Apotheker sollten die Chancen, die in diesem digitalen Wandel liegen, stärker für unsere heilberufliche Tätigkeit nutzen. Die wachsende Mobilität der Patientinnen und Patienten sowie die verstärkte Nutzung der mobilen Kommunikationsmöglichkeiten müssen bei der Entwicklung eines apothekeneigenen Leistungsangebots dabei allerdings adäquat Berücksichtigung finden.

Aber auch der Gesetzgeber hat die Bedeutung der Digitalisierung für unsere Gesellschaft erkannt. Ob Industrie 4.0 oder der Versuch, bei den neuesten Funkstandards den Anschluss an die Weltspitze wieder herzustellen, keiner kommt mehr an dem Thema vorbei. Zudem wurde die Thematik „Digitalisierung“ von der Bundeskanzlerin in ihre Agenda 2021 aufgenommen und ist damit Grundlage und Basis des politischen Wandels.

Gesetzliche Richtlinie und Handlungsgrundlage ist seit 2016 das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“ (E-Health-Gesetz). Es gibt auch den Apothekerinnen und Apothekern Orientierung bei der Planung und Umsetzung eigener Vorhaben auf dem Weg zu einer „digitalen“ Apotheke 2030. Das E-Health-Gesetz gibt erstmals eine verbindliche Timeline für die Einführung einer digitalen Infrastruktur mit höchsten Sicherheitsstandards und die Einführung nutzbringender Anwendungen auf der elektronischen Gesundheitskarte vor.

Apotheker und Telematik – funktioniert das?

Mit dem im E-Health-Gesetz vorgegebenen Zeitfenster für den Aufbau einer funktionierenden Telematikinfrastruktur (TI) im Gesundheitswesen und der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) verbinden sich anspruchsvolle Herausforderungen und Aufgaben an die Apothekerschaft auf dem Gebiet der Telematik im Gesundheitswesen. Womit wir auch schon direkt beim großen Thema der „Dauer­baustelle“ eGK angelangt sind.

Foto: kebox – Fotolia.com
Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur ist eines der größten und anspruchsvollsten IT-Projekte der Welt.

Die Einführung der eGK und der TI, die alle Teilnehmer an der medizinischen Versorgung miteinander verbindet, ist eines der größten und anspruchsvollsten IT-Projekte der Welt. Sie betrifft mehr als 72 Mio. Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), rund 102.000 Arztpraxen, ca. 44.500 Zahnarztpraxen und rund 20.000 Praxen von psychologischen Psychotherapeuten. Nicht zu vergessen sind die rund 20.000 Apotheken und über 2000 Krankenhäuser in Deutschland (vgl. www.gematik.de).

Die Apothekerschaft hat sich hierbei insbesondere dem Thema Arzneimitteltherapiesicherheit verschrieben. Mit dem E-Health-Gesetz und der darin vorgegebenen Entwicklung eines elektronischen Medikationsplans (eMP) ergeben sich für die Apothekerschaft zwei besondere Aspekte: Zum einen wurde das bisherige Apotheker-Projekt „AMTS-Datenmanagement“ mit dem eMP zum Projekt eMP/AMTS gekoppelt. Zum anderen gibt es jetzt zusammen mit der Bundesärztekammer eine gemeinsame Federführung in diesem Projekt.

Die Anwendung eMP/AMTS auf der eGK dient dem Zweck, die Aktualisierung der Daten des Bundesmedikationsplans (BMP) beim Leistungserbringer vor Ort technisch zu unterstützen und das Risiko von arzneimitteltherapiebezogenen Problemen für die Patientinnen und Patienten zu verringern. Durch den intra- sowie intersektorellen Austausch von medikationsrelevanten Daten zwischen Leistungserbringern soll die Datenbasis verbessert werden, auf deren Grundlage eine Apothekerin oder ein Apotheker eine intellektuelle oder elektronisch unterstützte AMTS-Prüfung durchführt.

Das Projekt eMP/AMTS eignet sich hervorragend als Blaupause für die Entwicklung weiterer Anwendungen im Kontext der TI. So geht es in Zukunft u. a. um das elektronische Rezept oder die elektronische Patientenakte, bei deren Konzipierung die Apotheker durchaus ihr fachliches Know how einbringen und Treiber der Entwicklung sein werden. Trotz allem ist das nur ein kleiner Auszug der Aufgaben, die sich alleine aus den vom Gesetzgeber vorgesehenen Anwendungen für die Apothekerinnen und Apotheker ergeben.

Ungleich größer ist die Spielwiese fachlicher Anwendungen, die sich außerhalb der SGB V-Anwendungen für den Berufsstand eröffnen. So wurden alleine in 2016 lt. einer Studie des Berliner Marktforschungsinstituts „Research2Guidance“ weltweit ca. 103.000 neue Gesundheitsapps in den einschlägigen App-Stores veröffentlicht. Rund drei Milliarden Mal sind solche Anwendungen aus den Bereichen Gesundheit, Fitness und Medizin im Jahr 2015 heruntergeladen worden. Das ist fast eine Verdopplung im Vergleich zum Jahr 2013. Und hier liegt die eigentliche Herausforderung, was z. B. die Themen Datenschutz und Datensicherheit anbelangt.

Setzt der Gesetzgeber hier von vornherein enge Grenzen, muss bei eigenen Fachanwendungen, um gegenüber den potenziellen (kommerziellen) Nutzern attraktiv zu sein, die eigene Messlatte für Sicherheitsstandards besonders hoch sein. Der verantwortungsvolle und sensible Umgang von Anbietern mit den Daten der Patienten bzw. Kunden wird eine immer größere Bedeutung für jeden einzelnen Nutzer gewinnen. Diesem sensiblen Thema muss sich der Berufsstand annehmen und in einen (Wettbewerbs-)Vorteil bei der Entwicklung und Implementierung eigener Fachanwendungen ummünzen.

Foto: vschlichting – Fotolia.com
Mit dem Aufbau eines eigenen Netzes ist es nicht getan. Parallel dazu müssen sinnvolle Anwendungen für die Apotheken entwickelt werden.

Apotheken und Big Data – passt das zusammen?

Big Data und deren Analyse sind die Zukunft der digitalen Welt. Laut einer Untersuchung des Digitalbranchenverbandes Bitkom und der Beratungsgesellschaft KPMG setzt bislang nur rund ein Drittel systematische Datenanalysen strategisch ein. Medien, Banken und Versicherungen haben bei Big Data die Nase vorn. Die Auswertung und Kombination von Daten aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen und Quellen sind in Deutschland noch ausbaufähig, aber auch kritisch hinterfragt.

Immerhin beschäftigen sich rund 99% der Organisationen mit diesem Thema, aber lediglich ein Drittel hat bereits eine Big-Data-Strategie entwickelt. In den meisten Fällen geschah dies aus dem Zwang heraus, auf Start-ups als Konkurrenten reagieren zu müssen. Auch wenn laut der Studie die meisten deutschen Unternehmen erkannt haben, dass die Analyse von Daten für den Geschäftserfolg immer wichtiger wird, schlägt sich das noch nicht in konkretem Handeln nieder. Auch hier muss sich die Apothekerschaft grundlegende Gedanken machen, in welcher Art und Weise sie strategisch und operativ mit den Daten bzw. Datenflüssen im apothekeneigenen Netz umgehen kann. Dem Schutz der Sozialdaten ist dabei immer der Vorrang einzuräumen.

Anders ausgedrückt: Big Data-Projekte zeichnen sich durch eine hohe Komplexität aus. Diese Projekte umzusetzen, erfordert ein hohes Maß an Know how und vor allem einen Wandel im Denken und in der Wahrnehmung der IT in den Unternehmen und Organisationen. Das gilt auch für die Apothekerinnen und Apotheker bzw. deren Organisationen.

Und die Konsequenzen für die Apothekerschaft?

Zweifellos haben die Apothekerinnen und Apotheker die Zeichen der Zeit erkannt. Angefangen von den stetigen kleinen Innovationen in der eigenen Apotheke bis hin zum eindeutigen Votum des Deutschen Apothekertags 2015 für die Konzipierung und den Aufbau eines eigenen sicheren Netzes der Apotheken.

Mit der Implementierung der neuen Abteilung IT/Telematik im Geschäftsbereich Wirtschaft, Soziales und Verträge der ABDA zum 1. Januar 2016 und der Gründung der Netzgesellschaft der deutschen Apotheken (NGDA) als künftige Betreibergesellschaft des apothekeneigenen Netzes und entsprechender Fachanwendungen am 22. Februar 2017, wurden die strukturellen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen für die Umsetzung des DAT-Beschlusses und darüber hinaus geschaffen. Eine mögliche Option ist es, zukünftig im Rahmen eines Projekt Portfolio Managements (PPM) IT-Projekte der ABDA (z. B. ARMIN) bzw. mit Partnern (z. B. NGDA) zu organisieren.

Beim Projekt sicheres Netz der Apotheken wurden in einem ersten Schritt Anforderungen herausgearbeitet, die ein stabil funktionierendes und hochsicheres Netz der Apotheken erfüllen muss, um den Arbeitsalltag der Apothekerinnen und Apotheker entscheidend und nachhaltig zu erleichtern. Das Gleiche gilt für die künftige Struktur des sicheren Netzes und den Netzzugang in den Apotheken. Zudem gibt es Ansätze, wie die künftigen Dienste der TI sinnvoll genutzt werden können und das apothekeneigene Netz an die TI angebunden werden kann.

Mit dem Aufbau eines eigenen Netzes ist es für die Apothekerinnen und Apotheker jedoch nicht getan. Parallel muss daran gearbeitet werden, sinnvolle Anwendungen für die Apotheken zu entwickeln, die die tägliche Routinearbeit der Apothekerinnen und Apotheker vor Ort erleichtert. Gleichzeitig muss es Anwendungen geben, die die Kommunikation Apotheker – Patient erleichtern und sowohl zur Kundenbindung als auch zur Flexibilität der Kommunikation mit dem Kunden beitragen. Angedacht ist hier die Möglichkeit eines bidirektionalen Austauschs Apotheker – Patient z. B. bei den Themen Beratung zur Einnahme von Arzneimitteln, Neben- und Wechselwirkungen oder ein Bestellsystem. Ein apothekeneigenes Netz und darauf laufende Fachanwendungen sollten nie Selbstzweck sein, sondern Nutzen stiften für Apotheker und Patienten.

Apotheken und Digitalisierung – ein kurzes Fazit!

Selbst wenn es oft den Anschein hat, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen nur schleppend voranschreitet, so erfasst die digitale Transformation mehr und mehr Arbeitsprozesse in allen Bereichen und verändert sie nachhaltig. Es werden elektronische Gesundheits- und Patientenakten genutzt, Smartphone und Tablet-PC sind Alltagsgeräte, es wird in allen Lebensbereichen vernetzt kommuniziert.

Die Apotheken wollen und werden sich von diesen Entwicklungen nicht abkoppeln. Sie wollen Treiber und nicht Getriebene in diesem Prozess sein. Digitale Arbeitsmittel und Prozesse verändern gleichsam langfristig auch die Aufgabenprofile. Alle derzeitigen Maßnahmen und Projekte sind lediglich ein Anfang. Notwendig ist eine gemeinsame Strategie ähnlich der „Apotheke 2030“, quasi ein „Programm digitale Apotheke 2030“. |

Autor

Sören Friedrich

Abteilungsleiter IT/Telematik, ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V., Wirtschaft, Soziales und Verträge, Unter den Linden 19 – 23, 10117 Berlin, E-Mail: s.friedrich@abda.de

Das könnte Sie auch interessieren

Was geht heute schon für die Apotheken in der Telematikinfrastruktur?

VSDM, ePA, KIM, NFDM, eMP

Interview ABDA-IT-Chef Sören Friedrich (Teil 1)

„Apotheker sehen neue Technologien nicht so skeptisch wie Ärzte“

Sieben Fragen und Antworten zur elektronischen Verordnung

Eine Zwischenbilanz zum E-Rezept

Ein Kommentar von Peter Ditzel

Noch Fragen offen 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.