Die Seite 3

Verirrter Sozialdemokrat

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Dass der SPD-Gesundheitspolitiker und Bundestagsfraktions-Vize Karl Lauterbach kein Freund eines Versandverbots für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist, ist nichts Neues. Auch die SPD-Berichterstatterin für Apothekenfragen, Sabine Dittmar, ist skeptisch, ob ein solches Verbot eine gute Lösung der durch den Europäischen Gerichtshof verursachten Verwerfungen im deutschen Apothekenwesen wäre. Außerdem ist Dittmar nicht überzeugt, dass ein solches Verbot rechtlich Bestand hätte, wie sie im Doppelgespräch mit ihrem CDU-Kollegen Michael Hennrich deutlich macht (s. S. 24 dieser DAZ). Der studierte Jurist Hennrich dagegen hält das Rx-Versandverbot durchaus für rechtssicher umsetzbar.

Viel erstaunlicher als dass Lauterbach das „kleine Pflänzlein“ Versandhandel schützen will, ist seine Meinung zum Umgang mit den Boni. Denn während Dittmar und Hennrich sich darin einig sind, dass es in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem nicht angehen kann, dass der einzelne Patient von einem Arzneimittelbezug finanziell profitiert, hat Lauterbach damit offenbar deutlich weniger Probleme. In seinen Augen stellen die nun angebotenen Boni „eine interessante Sparmöglichkeit“ gerade für chronisch Kranke mit kleinem Einkommen (s. „Lauterbach sorgt sich um ‚zartes Pflänzchen‘“, S. 11 dieser DAZ) dar – die Ähnlichkeit zur Formulierung des DocMorris-Chefapothekers Franken vom „Sparen auf Rezept“ ist sicher rein zufällig.

In dieser Aussage zeigt sich – wenn auch durch den Verweis auf den ­„kleinen Mann“ sozialdemokratisch verbrämt – das ganze neoliberale Denken, dass die SPD seit den Schröder-Jahren befallen hat. Dass die Boni-Angebote auf Dauer das Solidarprinzip aushöhlen und ad absurdum führen, wird getrost ignoriert, wenn nur die „Förderung des Wettbewerbs“ und gar ein „Aufbrechen verkrusteter Strukturen“ möglich scheinen. Dabei ist es unerheblich, dass die einzelnen ausgelobten Prämien bei Beträgen zwischen 2 und 10 Euro auf den ersten Blick ­relativ niedrig scheinen. Wenn einzelne „Schlaumeier“ Arzneimittelverschreibungen dazu verwenden können, ihre Kosmetika zu bezahlen oder (im Falle einer Zuzahlungsbefreiung) sogar Bargeld ausbezahlt zu bekommen, so führt dies bei gesunden Beitragszahlern bestimmt nicht zu einer höheren Akzeptanz unseres gesetzlichen Krankenversicherungssystems.

Eines sollten all jene, die sich (klammheimlich oder offen) über das EuGH-Urteil freuen, nicht vergessen: Das heutige System der flächen­deckenden Arzneimittelversorgung durch freiberufliche Apotheker in voller Haftung wurde nicht geschaffen, um den Apothekerberuf zu protegieren. Sondern dieses System ist im Vergleich zu einem steuerfinanzierten (mit dem man das öffentliche Gut der flächendeckenden Versorgung auch sicherstellen könnte) das liberalere, mehr auf die Kräfte des Marktes und den Unternehmergeist des Apothekers aufbauende System. Das mögen nun, das sei Herrn Lauterbach zugestanden, auch keine ur-sozialdemokratischen Prinzipien sein. Aber die unkritische Förderung auslän­discher Kapitalgesellschaften ganz sicher auch nicht.


Benjamin Wessinger

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1 Kommentar

Irre

von Bernd Jas am 17.11.2016 um 10:40 Uhr

Wieder mal schön ins rechte Licht gerückt Herr Wessinger.
Vielleicht kommt es noch dazu, dass die schwer an Parkinson erkrankten sich bei DocMo aussuchen dürfen, ob sie das Rezept gleich ganz ausgezahlt bekommen können. Das schüttelt der Versender dann doch gerne aus dem Ärmel.
Was ein grandios zarter Wettbewerb.

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