Interpharm 2016 – Antidiabetika

Glutide, Gliptine, Gliflozine und die leitliniengerechte Therapie

Aktuelle Entwicklungen in der Diabetes-Therapie

bk | Von den Wirkmechanismen der Glutide, Gliptine und Gliflozine über das verringerte kardiovaskuläre Risiko neuer Antidiabetika bis hin zum umfassenden Medikationsmanagement – in den drei Diabetes-Vorträgen zeigten die Referenten, dass die Therapieoptionen nach den Basismaßnahmen Lebensstilveränderung und Metformin-Gabe noch lange nicht ausgeschöpft sind.

Neben den Insulinen und Metformin gibt es bereits eine Reihe weiterer Wirkstoffe wie Sulfonylharnstoffe, Glinide, Glitazone oder alpha-Glucosid­asehemmer. Prof. Dr. Martina Düfer vom Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Universität Münster machte aber deutlich, dass trotzdem ein Bedarf an neuen Antidiabetika existiert. Denn noch immer gelangen viele Patienten nicht in ihren HbA1c-Zielbereich. Düfer zeigte, welche Vorteile Glutide, Gliptine und Gliflozine gegenüber den älteren Wirkstoffen besitzen. Glutide und Gliptine verstärken den Inkretineffekt. Dieser bewirkt, dass oral aufgenommene Glucose den Insulin-Spiegel stärker steigen lässt als eine gleiche Menge Glucose, die parenteral appliziert wird. Der Effekt beruht darauf, dass beim Kontakt von Darmzellen mit Glucose das Glucagon-like-peptide 1 (GLP-1) freigesetzt wird, das u. a. an den Betazellen des Pankreas Insulin-Produktion und -sekretion fördert. Im Unterschied zur primären Stimulation der Insulin-Freigabe durch Glucose ist die GLP-1-Wirkung von einer Grundaktivität der Zellen abhängig. Dies unterscheidet die GLP-Analoga von anderen insulinotropen Wirkstoffen wie Sulfonylharnstoffen und Gliniden und senkt das Risiko von Hypoglykämien. GLP-1 fördert zudem die Proliferation der Betazellen. Dies ist ein wichtiger Aspekt, da ein Typ-2-Diabetes langfristig mit einem Verlust an Betazellmasse verbunden ist.

Foto: DAZ/A. Schelbert

Prof. Dr. Martina Düfer

Die kurze Halbwertszeit des GLP-1 von 1,5 Minuten scheint zunächst eine pharmakologische Nutzung der Inkretine auszuschließen. Man stieß jedoch auf Peptide aus dem Speichel einer Echse, die im menschlichen Körper eine Inkretin-Wirkung auslösen, aber aufgrund einer veränderten Aminosäuresequenz nicht vom Abbauenzym Dipeptidyl-Peptidase 4 (DPP-4) erkannt werden. Das synthetisch hergestellte Exenatid wurde 2005 als erstes Inkretin-Mimetikum zugelassen. Nachteil dieser Substanz ist, dass ein körperfremdes Peptid in den Körper eingebracht wird, mit dem Risiko immunologischer Reaktionen. Deshalb stehen inzwischen drei abgewandelte Formen des menschlichen GLP-1 zur Verfügung, deren Halbwertszeiten durch Anhängen einer Fettsäure (Liraglutid), eines rekombinanten Albumins (Albiglutid) oder eines Immunglobulins (Dulaglutid) sowie durch Veränderung der DPP-4-Schnittstelle verlängert sind.

Gliptine sind eine heterogene Stoffgruppe. Sie hemmen die Funktion des Abbauenzyms DPP-4. Derzeit sind ­Sitagliptin und Saxagliptin in Deutschland erhältlich. Ein Nachteil dieser Wirkstoffe ist, dass ihre Wirksamkeit von einer ausreichenden GLP-1-Sekretion abhängt. GLP-1-Analoga können den HbA1c-Wert um bis zu 2% senken, auch ein Gewichtsverlust ist erreichbar.

Im Gegensatz zu Glutiden und Gliptinen weisen Gliflozine sowohl einen anderen Wirkort als auch einen Insulin-unabhängigen Mechanismus auf: Sie blockieren den Sodium dependent Glucose Transporter 2 (SGLT2) in der Niere. Im physiologischen Zustand sorgt SGLT2 dafür, dass Glucose ­gemeinsam mit Natrium vollständig rückresorbiert wird. Durch Blockade dieses Transporters wird die Glucose-Ausscheidung gefördert. Auch Gliflozine senken den HbA1c-Wert, jedoch schwächer als GLP-1-Analoga. Sie ­bewirken eine Gewichtsreduktion und können über die Ausscheidung der ­osmotisch wirksamen Glucose zusätzlich den Blutdruck senken.

Was steht in den Leitlinien?

Ende letzten Jahres sorgte eine Studie mit Empagliflozin für Aufsehen, da erstmals ein verringertes kardiovaskuläres Risiko für ein neues Antidiabetikum nachgewiesen wurde. Ob dieses Ergebnis zu einer Aufnahme von Empagliflozin in die Leitlinien führen wird, war eine der Fragen, über die der Arzt und Chemiker Prof. Dr. Hans-Georg Joost, der bis 2014 wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke war, referierte. Denn, wie Joost betonte, sind Leitlinien weder Kochrezept noch Katechismus, sondern sie basieren auf Daten, die sich ständig ändern. Er lieferte einen Überblick über die Studien, auf denen die aktuellen Leitlinien basieren, und gab einen Einblick in die aktuellsten Erkenntnisse. Leitliniengerecht wird ein Typ-2-Diabetes eskalierend therapiert: Sind Lebensstiländerungen allein nicht ausreichend, kommt Metformin hinzu. Wird auch dann das Blutzuckerziel nicht erreicht, wird ein zweiter Wirkstoff ergänzt. In letzter Instanz kommt Insulin ins Spiel.

Foto: DAZ/A. Schelbert

Prof. Dr. Hans-Georg Joost

Wie kann man makrovasku­läre Ereignisse verhindern?

Bei Diabetes ist die entscheidende Frage, ob eine Therapie lebensbedrohliche Komplikationen, vor allem mikro- und makrovaskuläre Erkrankungen, verhindern kann. Als Parameter zur Beurteilung des Therapieerfolgs gilt der HbA1c-Wert, der Anteil des glykosilierten Hämoglobins, der die langfristige Blutzucker-Konzentration abbildet. Verschiedene Studien versuchten, die Wirksamkeit der Blutzuckerkon­trolle zur Reduktion mikro- und makrovaskulärer Komplikationen zu belegen. Die Diabetes Control and Complications Studie (DCCT) zeigte, dass eine intensivierte konventionelle Insulin-Therapie bei Typ-1-Diabetikern mikrovaskuläre Komplikationen reduzieren konnte. Für Typ-2-Diabetiker konnte in der STENO-2-Studie durch Behandlung von Blutzuckerspiegel, Blutdruck und Lipidwerten kardiovaskuläre Ereignisse reduziert werden. Allerdings ließen sich die Effekte der einzelnen Maßnahmen nicht eindeutig trennen. Skeptiker der These, dass eine effektive Blutzuckereinstellung makrovaskuläre Ereignisse verhindert, verweisen auf eine Reihe weiterer Studien, in denen ein Zusammenhang nicht eindeutig gezeigt werden konnte. Diese Studien setzten jedoch zum Teil erst ein, nachdem die Probanden bereits mehrere Jahre an Diabetes litten. Ob sich bei einem solchen Kollektiv das kardiovaskuläre Risiko überhaupt noch beeinflussen lässt, ist fraglich. Eine der wenigen Studien, die einen positiven Effekt feststellen konnten, ist die UK Prospective Diabetes Study (UKPDS), die den Stellenwert von Metformin als Antidiabetikum der ersten Wahl begründete.

Trotz widersprüchlicher Einzel­ergebnisse konnte in einer Metaanalyse gezeigt werden, dass makrovaskuläre Komplikationen durch eine intensive Blutzuckerkontrolle gesenkt werden konnten. Auf Basis dieser Daten wird eine strenge Einstellung des Blutzuckerspiegels als gerechtfertigt angesehen. Ob die Blutzuckereinstellung so weit gehen sollte, eine Normalisierung des HbA1c anzustreben, wurde in der Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes(ACCORD)-Studie untersucht. Bei einem HbA1c-Zielwert von 6,5% zeigte sich jedoch eine Erhöhung der Mortalität. Eine Erklärung dieses fatalen Ergebnisses fällt schwer. Derzeit geben die Leitlinien vor, den HbA1c individuell in einem Zielkorridor von 6,5% bis 7,5% festzulegen.

Im letzten halben Jahr wurden für einige neue Antidiabetika äußerst positive Ergebnisse publiziert. Sie könnten das Potenzial haben, in die Leitlinien aufgenommen zu werden. So zeigte die EMPA-REG-Outcome-Studie eine Senkung des kardiovaskulären Risikos für Empa­gliflozin. Sollte sich diese Risikoreduktion auch für Dapagliflozin bestätigen, stünde ein Paradigmenwechsel in der Therapie des Typ-2-Diabetes ­bevor.

Ein Auge auf die Gesamt­medikation richten

Apotheker Olaf Rose, PharmD, aus Münster, zeigte, wie die Erkenntnisse zu Pharmakologie und Evidenz der Antidiabetika für die Medikationsanalyse eingesetzt werden können. Als Behandlungsziele stehen der HbA1c-Wert (dabei sind sowohl Ober- als auch Untergrenzen zu beachten), Lipidwerte, der Blutdruck und das Körpergewicht im Mittelpunkt. Der Trend geht zu individualisierten Therapiezielen.

Foto: DAZ/A. Schelbert

Olaf Rose, PharmD

Eine medikamentöse Therapie des Typ-2-Diabetikers startet mit Metformin, das unter Beobachtung der gastrointestinalen Verträglichkeit langsam eingeschlichen wird. Als Add-on bietet sich ein Gliflozin an. Als zusätzliches Antidiabetikum sollten hypoglyk­ämiearme, gewichtsneutrale Wirkstoffe bevorzugt werden. Sulfonylharnstoffe und Glinide befinden sich deshalb nach Meinung von Rose auf dem absteigenden Ast.

Grundsätzlich sind die klinischen Effekte der oralen Antidiabetika begrenzt. In maximaler Dosierung lässt sich mit ihnen eine Senkung des HbA1c von 0,8% erreichen, in der Kombination sind die Effekte nicht ganz additiv. Mit SGLT2-Inhibitoren können HbA1c-Werte um bis zu 1,5% gesenkt werden. Bei Patienten, die ihren HbA1c-Zielwert um über 1,5% verfehlen, ist eine Zweierkombination demnach nicht ausreichend und sie benötigen direkt eine Insulin-Therapie oder ein Inkretin-Mimetikum.

Bei Beginn einer Insulin-Therapie sollten vor allem ältere Diabetiker nicht mit einer intensivierten Therapie überfordert werden. Eher ist die abendliche Gabe eines langwirksamen Insulin-Analogons zu empfehlen. Dabei sollte mit einer niedrigen Dosis begonnen werden. Mit Blutzucker-Kon­trollen vor dem Schlafengehen und zwischen zwei und drei Uhr nachts (vor Einsetzen des Dawn-Effekts) zu Beginn der Therapie lässt sich das ­Hypoglykämie-Risiko minimieren. Die Insulin-Dosis sollte langsam gesteigert werden, bis der HbA1c-Zielbereich erreicht ist. Besonders bei adipösen Patienten empfiehlt es sich, die Metformin-Gabe auch unter Insulin-Therapie beizubehalten.

Bei Patienten, die trotz oraler Kombitherapie und/oder Insulin-Gabe ihre HbA1c-Ziele verfehlen, sollte das Erkennen möglicher arzneimittelbezogener Probleme im Vordergrund stehen. Vielleicht liegen Handhabungsprobleme vor, sodass der Patient von einer erneuten Schulung der Insulin-Gabe oder dem Hinweis auf Nadelwechsel nach jeder Insulin-Gabe profitieren kann.

Die Blutdruckwerte sind bei den meisten Patienten tendenziell eher gut ­eingestellt, hier gilt der Richtwert 140/85 mmHg. Die SPRINT-Studie, die Vorteile einer strengeren Blutdruckeinstellung belegt hat, ist nicht anwendbar auf Diabetiker, da diese von der Studie ausgeschlossen waren. Sind Betablocker für Diabetiker verordnet, sollten sie nicht direkt verteufelt werden. Vielmehr gilt es zu prüfen, ob eine zwingende Indikation vorliegt: Dies ist der Fall bei koronarer Herzerkrankung oder einem Zustand nach Myokardinfarkt. Auch bei Herzinsuffizienz haben Betablocker in Kombination mit ACE-Hemmern und Aldosteron-Antagonisten zur dreifachen neurohumoralen Blockade ihre Berechtigung.

Beim Medikationsmanagement des ­Diabetikers stehen eher die Therapieziele als die Interaktionen im Vordergrund. Grundsätzlich gilt es, ein Overreporting zu vermeiden und die klinische Relevanz der Interaktionen genau abzuklären. Im Rahmen einer effektiven Zusammenarbeit mit dem Arzt sollte der Fokus auf wenige, aber dafür entscheidende Probleme gelegt werden. |

Interpharm-Party im Umspannwerk

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Foto: DAZ/A. Schelbert
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