Wirtschaft

Kommt eine deutsche Verbraucherschutzbehörde?

Europa hält das Wettbewerbsrecht in Bewegung – droht mehr Staat als private Selbstregulierung?

BONN (hb) | Wettbewerbsverstöße werden in Deutschland vor allem durch private Einrichtungen verfolgt – etwa von der Wettbewerbszentrale oder dem Verein für lautere Heilmittelwerbung Integritas. Möglicherweise könnte bald eine staatliche Behörde hinzukommen, die beim Bundeskartellamt angesiedelt sein soll.

Beim öffentlichen Teil der diesjährigen Mitgliederversammlung von Integritas am 30. November 2016 in Bonn stand die kürzliche Revision des deutschen Wettbewerbsrechts im Mittelpunkt. Man spreche heutzutage allerdings nicht mehr von „Wettbewerbsrecht“ sondern von „Lauterkeitsrecht“, betonte Prof. Dr. jur. Helmut Köhler von der Ludwig-Maximilians-Universität München eingangs in seinem Rückblick. Die Grundlage des deutschen Lauterkeitsrechts, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), ist in den letzten Jahren mehrfach umfassend überarbeitet worden. Insbesondere waren Vorgaben aus Europa umzusetzen, etwa die EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) von 2005. Die Richtlinie gilt für alle Praktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern: vor, während und nach Abschluss eines Handels, sowohl online als auch offline. Weil die EU-Kommission mit der Umsetzung das deutsche Rechts nicht zufrieden war, leitete sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik ein. Daraufhin kam es zu einer weiteren Novellierung, die seit Anfang 2015 in Kraft ist.

Schwarze Liste, graue Liste

Die neue Rechtslage könnte jedoch möglicherweise nicht lange vorhalten, meint Katja Heintschel van Heinegg. Die Juristin vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) e. V. gab einen Einblick in neue Ideen aus Brüssel und Berlin, vor allem zur Novellierung der Rechtsdurchsetzung im UWG. Unter anderem stellte sie in Aussicht, dass die UGP-Richtlinie der EU als Ergebnis des aktuellen „Fitness-Checks“ (REFIT) der Bestimmungen demnächst geändert werden könnte. Ihre rechtlichen Regelungen würden im Grundsatz zwar nicht angezweifelt, berichtete Heintschel van Heinegg, aber die Tendenz gehe zur Vereinfachung der Tatbestände für den Anwender. Außerdem sollten schwarze Schafe schneller und besser erkannt und zur Strecke gebracht werden. Erste Tendenzen betreffen die Ausweitung der „schwarzen Liste“ mit Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen untersagt sind. So soll es künftig nicht mehr möglich sein zu sagen, ein Produkt sei kostenlos, wenn mit Daten dafür bezahlt würde. Zudem könnte eine „graue Liste“ mit „beinahe-Verboten“ eingeführt werden. Weiterhin sollen die Informationspflichten der Unternehmen zusammengefasst und reduziert werden, was die Werbewirtschaft grundsätzlich begrüßt, und es soll ein individueller Schadensersatzanspruch eingeführt werden.

Vor allem aber seien sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene deutliche Schwachpunkte in der Rechtsdurchsetzung ausgemacht worden. Die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz liegt in Deutschland beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Eine direkte Verbraucherschutzbehörde gibt es in Deutschland derzeit nicht. Vielmehr spielen private Einrichtungen wie Verbraucherschutzverbände bei Wettbewerbsstreitigkeiten eine große Rolle. Dies könnte sich nach dem Vorschlag zur Änderung der EU-Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (CPC-Consumer Protection Cooperation) von Mai 2016 aber ändern. Hiernach ist die Einrichtung einer solchen Verbraucheraufsichtsbehörde mit verpflichtenden Mindestkompetenzen in den Mitgliedstaaten vorgesehen. Sie soll unter anderem Bußgelder verhängen, Gewinne abschöpfen oder auch Webseiten abschalten können.

Weichenstellung in Berlin

Laut Heintschel van Heinegg ist das BMJV in den politischen Be­ratungen in Brüssel bestrebt, die Mindestkompetenzen der ­neuen Behörde möglichst zu verringern, um das deutsche privatrechtliche Durchsetzungssystem zu erhalten. Zugleich würden ­bereits politisch die Weichen ­gestellt, um im Vorgriff auf die Novellierung der CPC-Verordnung eine neue Verbraucherrechtsdurchsetzungsbehörde in Deutschland zu schaffen. Sie könnte beim Bundeskartellamt angesiedelt sein und sogar recht schnell kommen, wenn es gelingt, eine entsprechende Vorschrift in die anstehende Novellierung des Kartellrechts mit ­einzuschleusen. Die Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) soll im Januar 2017 ver­abschiedet werden.

Bezüglich der konkreten praktischen Auswirkungen gibt es derzeit nur unklare Vorstellungen, aber die Formulierung des unlängst in die Beratungen eingebrachten neuen § 96 GWB könnten der neuen Behörde „riesige Möglichkeiten“ eröffnen, bei Verstößen gegen das UWG tätig zu werden, meint Heintschel van Heinegg. Sie glaubt aber nicht, dass das Bundeskartellamt gleich „über das Ziel hinausschießt“. Dies scheitert ihrer Einschätzung nach schon an der voraussichtlich unzureichenden Personalausstattung der neuen Behörde.

Sollte das Bundeskartellamt als Behörde zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes etabliert werden, so wäre dies aus der Sicht der bei der Mitgliederversammlung von Integritas an­wesenden Rechtsexperten zwar nicht unbedingt eine „erschreckende“ Vorstellung, aber immerhin ein Paradigmenwechsel: mehr Staat statt privater Selbst­regulierung. |

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