Reisepharmazie

Gesund und fit über den Wolken

Pharmazeutische Beratung von Flugreisenden

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Von Armin Edalat und Dietmar Roth | Medizinische Notfälle und plötzliche Erkrankungen während Flugreisen sind zwar selten, aber nicht zu unterschätzen. Welche Risiken sind für welche Patienten relevant? Was für Medikamente packen die Airlines dafür in ihre Flugzeuge? Wie sollten Passagiere schon vor Reiseantritt in der Apotheke beraten und aufgeklärt werden?

Kreislaufkollapse, Magen-Darm-Beschwerden, Panikattacken oder Asthmaanfälle – wenn die Gesundheit der Passagiere in 10.000 m Flughöhe auf dem Spiel steht, können Infusionslösungen, Tabletten und Dosieraerosole aus der Bordapotheke helfen und lebensrettend sein. Neben dem Kabinenpersonal und couragierten Laienhelfern setzen die Fluggesellschaften auch auf die Kompetenz zufällig mitfliegender Experten. Vor allem Mediziner und Notfallsanitäter, aber auch Pharmazeuten können mit ihrem Fachwissen bei der Auswahl und dem Einsatz der Arzneimittel entscheidende Unterstützung in der Erstversorgung von Kranken an Bord leisten.

Allgemeine und individuelle Flugsicherheit

Wer heutzutage in ein Passagierflugzeug steigt, ist fast ausnahmslos in guten Händen: Der aktuelle Stand der Technik, ein effektives Fehlermanagement und nicht zuletzt die hohen Ausbildungsanforderungen an Cockpit- und Kabinenpersonal machen das Fliegen zu einer sehr sicheren Sache. 2014 kamen weltweit 970 Passagiere durch Flugunfälle ums Leben (bei insgesamt 3,2 Milliarden Passagieren), 2013 waren es nur rund 250. Zum Vergleich: 2014 gab es allein auf deutschen Straßen mehr als 3300 Verkehrstote.

Doch zur Flugsicherheit der Passagiere zählen auch individuelle Aspekte: Wie steht es um die Gesundheit und das Befinden jedes einzelnen Fluggastes?

Für eine kürzlich veröffentlichte Studie wurden Datenbanken von fünf international tätigen Fluggesellschaften über einen Zeitraum von drei Jahren ausgewertet [1]. Demnach tritt statistisch gesehen alle 600 Flüge ein medizinischer Notfall auf, der noch in der Luft behandelt werden muss. Von rund 12.000 registrierten Vorfällen konnte die Hälfte durch zufällig anwesende Ärzte und medizinisches Personal mit der Notfall-Ausstattung und den Medikamenten an Bord noch während des Fluges erfolgreich erstversorgt werden. Zu den häufigsten Symptomen zählten

  • kardiovaskuläre Beschwerden, von leichten Brust­schmerzen bis zum Herzinfarkt oder Schock (37,4%),
  • Atembeschwerden (12,1%) und
  • allgemeines Unwohlsein, Übelkeit und Erbrechen (9,5%).

Für rund 30 Menschen kam dabei jede Hilfe zu spät, sie verstarben unmittelbar nach Auftreten der Beschwerden.

Die Lufthansa führt seit 15 Jahren ein internes Register medizinischer Notfälle an Bord und kommt zu ähnlichen Häufigkeitsverteilungen. Auffallend ist, dass vor allem während Interkontinentalflügen medizinische Sofortmaßnahmen nötig werden und dass es – gemessen an Passagierzahlen und Sitzkilometern – in den letzten Jahren zu einer überproportionalen Zunahme von Notfällen an Bord gekommen ist [2].

Flugpassagiere – immer älter und kränker

Die Ursachen für diese Entwicklung sind offensichtlich: Das immer größer werdende Passagieraufkommen, die für jedermann erschwinglichen Angebote an Kurz- und Mittelstrecken­verbindungen und nicht zuletzt der demografische Wandel ließen das Durchschnittsalter der Fluggäste stetig in die Höhe klettern. Dies stellt zwar einen großen Fortschritt in der Selbstbestimmung und Mobilität unserer Gesellschaft dar, erfordert aber auch neue Sicherheitsvorkehrungen an Bord. Denn bei älteren Passagieren ist häufiger mit dem Vorliegen einer oder mehrerer chronischer Erkrankungen zu rechnen [3].

Gipfelwanderung im Sitzen

Auch im 21. Jahrhundert ist das Reisen in Verkehrsflugzeugen für die meisten Menschen noch eine außergewöhnliche und nicht alltägliche Form der Fortbewegung, die bestimmte Anforderungen an die Physiologie und eingesetzte Technik stellt. Verkehrsflugzeuge sind in einer Reiseflughöhe zwischen 10.000 und 14.000 m unterwegs. Dort oben im Bereich der Troposphäre und Stratosphäre herrschen Außentemperaturen zwischen - 52 und - 60 °C und ein deutlich niedrigerer Umgebungsluftdruck als auf Meeresspiegelniveau (200 – 300 hPa gegenüber 1013 hPa). Um diese lebensunfreundlichen Bedingungen den Bedürfnissen der menschlichen Physiologie anzupassen, stellen Flugzeuge fliegende Druckkabinen dar, die die Lufttemperatur normalisieren (19 – 23 °C bei maximal 19% Luftfeuchtigkeit) und den Luftdruck auf mindestens 753 hPa anheben. Dies entspricht immerhin noch einem Umgebungsdruck wie bei einer alpinen Gipfelwanderung in mehr als 2400 m Höhe [4]!

Häufigste Folgen dieser Bedingungen sind:

  • Druck auf den Ohren,
  • Steigerung der Atem- und Herzfrequenz,
  • Austrocknung der Schleimhäute,
  • Ödembildung und
  • Erhöhung des Thromboserisikos.

Druck auf den Ohren

Die meisten Passagiere nehmen den „Druck auf den Ohren“ wahr. Dieser kommt dadurch zustande, dass Luft aus dem Mittelohr und den Nasenneben- und Stirnhöhlen entweicht. Vor allem im Landeanflug ist das Symptom ausgeprägt, da hier der Druckausgleich von außen nach innen anatomisch bedingt schwieriger ist. Wirksame Gegenmaßnahmen stellen kauende, schluckende oder gähnende Kieferbewegungen sowie abschwellende Nasentropfen dar. Auch ein Druckausgleich nach Valsalva, bei dem kräftig ausgeatmet wird, während der Mund geschlossen ist und die Nase zugedrückt wird, kann probiert werden. Akute (entzündliche) Beschwerden der oberen Atemwege und der Ohren können die Empfindlichkeit deutlich erhöhen. Wenn gar kein Druckausgleich stattfindet, kann es im schlimmsten Fall zu einem Barotrauma mit irreversibler Schädigung des Innenohrs kommen.

Sauerstoffmangel, Ödeme und Thrombosen

Während Flugreisen nimmt der Sauerstoffgehalt in den Gefäßen und Geweben um etwa ein Drittel ab; darauf reagiert der Körper mit einer reflektorischen Erhöhung von Herz- und Atemfrequenz. Diese Situation kann für Patienten problematisch werden, deren physiologische Sauerstoffaufnahme und -verarbeitung durch Erkrankungen und bestimmte Thera­pien ohnehin schon beeinträchtigt sind. Dazu gehören chronische Erkrankungen der Lunge und des blutbildenden Systems sowie onkologische Behandlungen mit Strahlen und Zytostatika.

Der geringere Luftdruck, die stundenlange Immobilisation im Flugzeugsitz sowie die Dehydration durch die niedrige Luftfeuchtigkeit und eine unzureichende Flüssigkeitsaufnahme begünstigen zudem die Entstehung von Ödemen und Thrombosen [5]. Alle Passagiere sollten daher gerade bei Langstreckenflügen ausreichend nicht-alkoholische und nicht zu süße Getränke zu sich nehmen (etwa 125 – 250 ml je Stunde), regelmäßig die Muskelpumpe in den Beinen betätigen und gegebenenfalls Kompressionsstrümpfe tragen.

Eine medikamentöse Thrombose-Prophylaxe wird nur bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren empfohlen (dann sollte sie selbstverständlich auch unabhängig von der bestehenden Flugreise erfolgen). Reisende mit Krampfadern (Varikosis) oder tiefen Beinvenenthrombosen können besonders gefährdet sein. Bei Rauchern, Übergewichtigen oder Schwangeren, die übrigens bis zur vierten Schwangerschaftswoche vor dem errechneten Geburtstermin noch flugfähig sind, kann eine niedermolekulare Heparinisierung in Betracht gezogen werden (Verschreibung durch den Arzt). Acetylsalicylsäure und Nahrungsergänzungsmittel mit ausgewiesener Wirkung auf das arterielle Gefäßsystem sind in diesen Fällen nicht geeignet [6].

Grenzfälle der Reisetauglichkeit

Ernsthafte Gesundheitsgefahren drohen vor allem den Passagieren, die grundlegende Erkrankungen des kardiovaskulären, pulmonalen oder hämostatischen Systems aufweisen. Diese Patienten sollten ihre individuelle Reisetauglichkeit unbedingt mit ihrem Haus- oder Facharzt besprechen. Die Kontaktaufnahme mit der Flug- oder Reisegesellschaft im Vorhinein macht Sinn, wenn abzusehen ist, dass mehr Platzbedarf, bestimmte Medikamente und andere medizinische Hilfsmittel (z. B. permanente Sauerstoffversorgung von COPD-Patienten) während des Fluges nötig sind.

Auch die jeweilige Karenzzeit nach Operationen – vor allem am Magen-Darm-Trakt, an Lunge, Schädel oder Augen – und größeren Unfällen sollte ärztlich abgeklärt und zwingend eingehalten werden. Ein Gipsverband ist, abhängig von der Tragezeit und dem Vorhandensein von Dehnungsfugen, nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium für einen Flug [7].

Je nach Schwere der Beeinträchtigung oder Erkrankung von Passagieren schreibt der internationale Fluggesellschaftsverband IATA das Mitführen von standardisierten Krankendokumenten vor.

Flugangst

Weitaus häufiger treten psychische Beschwerden bei Flugpassagieren auf. Fast zwei Drittel aller Flugreisenden verspüren ein mulmiges Gefühl oder Missstimmungen unmittelbar vor und während der Reise, und jeder dritte Passagier erleidet tatsächlich Flugangst [8]. Auch der unmittelbare Stress vor einer Reise aufgrund der Anfahrt und dem Prozedere am Flughafen spielt dabei eine Rolle. Der Pharmakotherapie mit Beruhigungsmitteln sollte die Psychotherapie – einzeln oder in Gruppen, z. B. speziellen Trainingsangeboten der Airlines gegen Flugangst – vorgezogen werden. Allerdings sind diese Therapien für die Betroffenen mitunter kostenintensiv, langwierig und nicht immer zufriedenstellend. Dagegen scheint der kurzfristige und bedarfsorientierte Einsatz von Medikamenten wie Benzodiazepinen, Neuroleptika oder Antidepressiva für viele Hausärzte und Patienten die sinnvollste Option zu sein. Benzodiazepine sind auch deshalb beliebt, weil sie neben der Anxiolyse eine – je nach Substanz unterschiedlich stark ausgeprägte – Schlafförderung bewirken, die zum Durchfliegen verschiedener Zeitzonen genutzt wird.

Jeder Arzt und Apotheker sollte wissen, dass bei leichten Angsterkrankungen allein durch Zuwendung der größte therapeutische Effekt erzielt werden kann. Als „psychologische Stütze“ können den Betroffenen pflanzliche und alternativmedizinische Präparate als weitere Option empfohlen werden, denn hier spielt auch der Placeboeffekt bekanntermaßen eine große Rolle.

Sedierung birgt Risiken

In jedem Fall müssen Personen, die vor und während des Flugs ein Beruhigungsmittel nehmen wollen, beraten werden: Sie benötigen Informationen zur Wirkdauer und der damit einhergehenden eingeschränkten Verkehrstüchtigkeit unmittelbar vor und nach der Flugreise. Sie müssen wissen, dass Alkohol und andere zentraldämpfende Substanzen kontraindiziert sind. Am besten wird bereits einige Tage vor dem Flug ein Einnahmeversuch mit einer geringen Dosierung durchgeführt, um zu prüfen, ob die gewünschte Wirkung auch eintritt.

Eine langfristige und ausgeprägte Sedierung, um die Flugreise zu „verschlafen“, ist möglichst zu vermeiden, da sie aufgrund fehlender Flüssigkeitsaufnahme und Bewegung die Risiken der Thromben- und Ödembildung erhöhen kann. Zudem setzt sie das Reaktionsvermögen bei Notfällen an Bord oder außerplanmäßigen Zwischenlandungen herab.

Mittel gegen die Reisekrankheit

Kinetosen, die sich häufig bei älteren Kindern und Erwachsenen in Symptomen von kalten Schweißausbrüchen bis hin zu Übelkeit mit Erbrechen äußern können, sollten möglichst frühzeitig und bei bekannter Neigung noch vor Reiseantritt behandelt werden. Alkoholische Getränke und Nicotinpflaster können das Beschwerdebild verstärken. Die Wirksamkeit von Ingwer gegen Reiseübelkeit konnte in kleineren Studien belegt werden [9]. Scopolamin und Antihistaminika der ersten Generation wirken am effektivsten, wenn sie angewendet werden, bevor die ersten Symptome auftreten. Bei ausgeprägter Übelkeit sind Suppositorien und transdermale therapeutische Systeme zu bevorzugen, um einen raschen Wirkungseintritt trotz eingeschränkter Darmmotilität zu garantieren. Alternativ können orale Darreichungsformen mit verschreibungspflichtigen Prokinetika wie Domperidon kombiniert werden.

Infektionen im Flugzeug?

Immer wieder berichten Flugreisende über Infektionen der oberen Atemwege, der Augen und des Magen-Darm-Traktes nach einem längeren Aufenthalt an Bord. Die trockene Kabinenluft und der psychische Stress schwächen das Immunsystem und fördern die Infektion. Ingesamt gesehen ist die Infektionsgefahr an Bord als eher gering einzustufen, da die Kabinenluft moderner Passagierflugzeuge durch HEPA-Filter effektiv von Viren und Bakterien gereinigt wird und bei den meisten Fluggesellschaften strenge Hygienestandards bei der Mahlzeitenzubereitung und Frischwasserversorgung herrschen. Ausreichende Flüssigkeitszufuhr, die Befeuchtung der Augen- und Nasenschleimhäute durch Salzlösungen und entsprechende Salben sowie das Tragen von Schlafmasken helfen, das Einwandern der Erreger effektiv zu verhindern.

Krankheitserreger, mit denen man sich schon vor dem Abflug infiziert hat, können durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch über ein bis maximal zwei Sitzreihen übertragen werden. Passagiere mit gefährlichen Infektionskrankheiten, wie Influenza oder Ebola, müssen unter Umständen sogar gänzlich von der Mitnahme ausgeschlossen werden, und wenn nachträglich ein Fall einer meldepflichtigen Erkrankung an Bord bekannt wird, sind die Fluggesellschaften durch Vorgaben der WHO verpflichtet, die Besatzung und möglichst alle Passagiere darüber zu informieren.

Vor Antritt der Reise

Für viele Patienten bedeutet der Umgang mit Medikamenten auf Reisen eine große Herausforderung, die sie jedoch mit der mit Unterstützung ihres Hausarztes und der entsprechenden Beratung in der Apotheke meistern können. Bei einer Gesundheitsuntersuchung vor Reiseantritt sollte der Arzt die Medikamente in ausreichender Menge verschreiben, die sich nach der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer richtet, inklusive einer kleinen Reserve. Von allen benötigten Medikamenten gehören einige Tagesrationen auf jeden Fall in das Handgepäck, falls die Koffer erst mit Verzögerung oder gar nicht am Urlaubsort eintreffen sollten.

Der Reisende sollte Atteste und Arztberichte mit Medika­tionsplänen mindestens in englischer Sprache (optimalerweise in der jeweiligen Landessprache) mit sich führen, um sie gegebenenfalls bei Sicherheitskontrollen am Flughafen oder Arztbesuchen im Urlaubsland vorzuzeigen.

Spezielle Einreiseformalitäten herrschen für die Ein- und Ausfuhr von Betäubungsmitteln für den Eigenbedarf im Rahmen einer Urlaubsreise. Leitfäden und Musterbescheinigungen werden von der zuständigen Bundesoberbehörde online angeboten [10].

Chronopharmakologische Aspekte

Bei weiten Fernreisen mit Zeitverschiebung muss der Patient die Einnahmeschemata seiner Arzneimittel anpassen. Westwärts verlaufende Flugreisen führen zu einer Verlängerung des Tages und werden vom Organismus meistens besser toleriert als ostwärts gerichtete Flugreisen, die den Tag verkürzen.

Regelmäßige Einnahmen zu bestimmten Uhrzeiten müssen bei mehr als dreistündiger Zeitverschiebung allmählich an die jeweilige Ortszeit angepasst werden. Blutdruck- und Schilddrüsenpräparate beispielsweise sollten nach Reisen in den Westen in den ersten Tagen ein paar Stunden früher und nach Reisen in den Osten ein paar Stunden später als sonst eingenommen werden.

Bei größeren Zeitverschiebungen müssen unter Umständen Zwischendosen eingeführt werden, damit eine gleichmäßige und ununterbrochene Wirkung zu erwarten ist. Dies ist vor allem bei Antikoagulanzien, Cortisonpräparaten und Kontrazeptiva relevant [11]. Hilfreich kann hier das Mitführen einer zweiten Armbanduhr sein, bei der die Uhrzeit am Heimatort täglich zwei Stunden zurück- bzw. vorgestellt wird (bei westwärts bzw. ostwärts verlaufenden Reisen), bis sie mit der Ortszeit am Zielort übereinstimmt [12].

Insulinpflichtige Diabetiker sollten ihren Blutzuckerspiegel auf mehrstündigen Flugreisen häufiger kontrollieren und die Injektionen schrittweise an die neue Ortszeit anpassen. Wichtig ist es, die Essenszeiten an Bord zu kennen und das Insulin erst unmittelbar vor der Mahlzeit zu spritzen, um gefährliche Hypoglykämien zu vermeiden [13].

Erste-Hilfe-Ausstattung und Bordapotheken

Um Notfälle und akute Beschwerden bei mehrstündigen Flügen erfolgreich zu behandeln, bis der Ziel- oder ein geeigneter Ausweichflughafen erreicht wird, bestücken fast alle internationalen Airlines ihre Flugzeuge mit einem vielseitigen Sortiment von Erste-Hilfe-Artikeln und Arzneimitteln. Dokumentationsbögen und Beipackzettel sind häufig mehrsprachig verfasst. In Europa wird ein Mindeststandard von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) vorgegeben, den die Fluggesellschaften erfüllen müssen [14]. Je nach Fluggesellschaft und abhängig vom Streckenprofil und der beförderten Passagierzahl kann der Umfang erheblich variieren [15].

In Flugzeugen der Lufthansa hat sich die Aufteilung der Ausstattung auf verschiedene Module bewährt, die je nach Schweregrad zum Einsatz kommen. Neben diagnostischen Hilfsmitteln wie Fieberthermometer, Pulsoxymeter und Messgeräten für Blutdruck und Blutglucose sind zur Behandlung von internistischen Notfällen Sauerstoffflaschen, ein halbautomatischer Defibrillator sowie Intubations- und Infusionsbesteck vorhanden. Zur Versorgung von Verletzungen und Frakturen dient eine umfangreiche Verbandtasche.

Medikamente in verschiedenen Darreichungsformen befinden sich teils im „Cabin Attendant Medical Kit“ für kleinere gesundheitliche Probleme, teils im „Doctors Kit“ für schwerwiegende Krankheitsbilder mit vitaler Bedrohung [16]. Die Flugbegleiter sind mit der Notfallapotheke (Tab. 1) vertraut und dürfen sie ohne ärztliche Anweisung einsetzen. Diese Hilfeleistung sei aber keineswegs als eine Erweiterung des regulären Bordservice anzusehen und sollte nur bei tatsächlichem Vorliegen von Symptomen zum Einsatz kommen, betont das Luftfahrtbundesamt, welches in Deutschland für die Umsetzung der europäischen Vorgaben verantwortlich ist, auf Nachfrage.

Tab. 1: Medikamente zur Anwendung durch Laien im „Cabin Attendant Medical Kit“ der Lufthansa
Gruppe Wirkstoff, Darreichungsform
Analgetika Acetylsalicylsäure 500 mg, Tabletten
Paracetamol 250 mg, Suppositorien
Magen-Darm-Therapeutika Butylscopolamin, Dragees, Suppositorien
Loperamid, Dragees
Aluminiumphosphat, Beutel
Dimenhydrinat, Dragees
Externa Lidocain, Gel
Povidon, Augentropfen
Xylometazolin 0,05%, Einzeldosis-Nasenpipetten

Im „Doctors Kit“ befinden sich darüber hinaus Medikamente, deren Umgang ausschließlich Ärzten vorbehalten ist und den medizinischen Laien überfordern würde (Tab. 2). Da es sich überwiegend um ein Sortiment an Ampullen zur Herstellung von Infusionslösungen handelt, bleibt die Anwendung ohnehin einem Mediziner überlassen, der den entsprechenden venösen Zugang legen muss. Bei einer vitalen Bedrohung für den Betroffenen kann durch eine parenterale Applikation garantiert werden, dass die Arzneimittel schnell und zuverlässig wirken.

Verständlicherweise ist die Präparateauswahl schwerpunktmäßig darauf ausgerichtet, den Betroffenen erstzuversorgen und bis zur Landung zu stabilisieren. Mit den zur Verfügung stehenden Arzneimitteln können die meisten Notfälle, wie Herzrhythmusstörungen, hypertensive Krisen, akutes Koronarsyndrom, Asthmaanfälle, Krampfanfälle, Psychosen und Bewusstlosigkeit behandelt werden.

Als stärkstes Schmerzmittel an Bord steht Tramadol in Ampullen zur Verfügung. Betäubungsmittel werden aus Sicherheitsgründen in Passagierflugzeugen nicht mitgeführt. Meto­prolol und Esketamin, welche sich ebenfalls im Ampullensortiment des „Doctors Kit“ befinden, können auch als Analgetika genutzt werden.

Tab. 2: Medikamente im „Doctors Kit” der Lufthansa. Sofern keine Arzneiform vermerkt ist, handelt es sich um Injektabilia in Ampullen mit Angabe der Konzentration
Gruppe Wirkstoff
Kreislauf-stabilisatoren Adrenalin 1 mg/ml
Atropin 1 mg/ml
Glucose 40%
Natriumchlorid 0,9%
Antiarrhythmika Amiodaron 150 mg/3 ml
Antihypertensiva und Antianginosa Furosemid 40 mg/4 ml
Urapidil 50 mg/10 ml
Metoprolol 5 mg/5 ml
Nitrendipin, Phiolen
Glyceroltrinitrat, Kapseln
Antikoagulanzien Heparin 5000 IE
Antipsychotika Haloperidol 5 mg/ml
Biperiden 5 mg/ml
Anästhetika Esketamin 50 mg/2 ml
Diazepam 10 mg/2 ml
Midazolam 15 mg/3 ml
Diazepam 10 mg, Rektiolen
Analgetika Metamizol 2,5 g/5 ml
Acetylsalicylsäure 500 mg
Tramadol 100 mg/2 ml
Magen-Darm-Therapeutika Ranitidin 50 mg/4 ml
Metoclopramid 10 mg/2 ml
Butylscopolamin 20 mg/ml
Dimenhydrinat 150 mg, Suppositorien
Corticoide Prednisolon 250 mg
Antiallergika Clemastin 2 mg/5 ml
Antiasthmatika Reproterol 0,09 mg/ml
Theophyllin 200 mg/10 ml
Fenoterol 100 µg, Dosieraerosol
Prednison 100 mg, Suppositorien

Die bestmögliche Versorgung von Fluggästen mit ernsthaften Gesundheitsproblemen an Bord ist dann gewährleistet, wenn zufällig mitfliegende Ärzte oder andere medizinische Fachleute Hand in Hand mit der Kabinenbesatzung zusammenarbeiten. Als kompetente Ansprechpartner wissen die Flugbegleiter Bescheid, wo welche Erste-Hilfe-Ausstattung zu finden ist und wie Kontakt mit dem Cockpit oder Bodenpersonal hergestellt werden kann. Über ein Satellitentelefon ist es z. B. in Lufthansaflugzeugen möglich, rund um die Uhr mit dem Medizinischen Dienst der Airline Kontakt aufzunehmen und sich über weitere Möglichkeiten und Maßnahmen zu informieren. Dazu gehört auch eine außerplanmäßige Zwischenlandung, über welche jedoch letztendlich der Pilot zu entscheiden hat.

Zusammenfassung

Flugzeuge werden auch in der kommenden Saison wieder Millionen von Menschen sicher in den Sommerurlaub und wieder nach Hause bringen. Damit die Erholung und schönen Erinnerungen nicht durch Komplikationen während der Reise beeinträchtigt werden, haben die Fluggesellschaften ein effektives und vielseitiges Hilfeleistungssystem entwickelt. Dennoch sollten Personen mit ­Risikofaktoren und Einschränkungen sich früh genug über ihre individuelle Flugreisetauglichkeit und die nötigen Vorsichtsmaßnahmen informieren.

Im Rahmen ihrer reisemedizinischen Beratung sollten ­Ärzte und Apotheker nicht nur den Impfstatus und die Reiseapotheke des Patienten prüfen, sondern gemäß seinen individuellen Bedürfnissen auch die folgenden Punkte erörtern:

  • Sind alle erforderlichen Medikamente in ausreichender Menge vorhanden?
  • Weiß der Patient, wie er die Medikamente auf das Hand- und Koffergepäck verteilt?
  • Ist das Einnahmeschema der Arzneimittel trotz Zeit­verschiebung am Reiseziel bekannt?
  • Welche individuellen Risiken können beim Flug auftreten?
  • Mit welcher medizinischen Versorgung und welchen Notfallsituationen ist am Urlaubsort zu rechnen?
  • Hat der Patient unbegründete Ängste und Bedenken, die durch Aufklärung beseitigt werden können? |

Literatur

 [1] Peterson DC, et al. Outcomes of medical emergencies on commercial airline flights. N Engl J Med 2013;368(22):2075-83

 [2] Graf J, et al. In-flight medical emergencies. Dtsch Arztebl Int 2012;109(37):591-602

 [3] Seifert V. Senioren auf Reisen – Welche Gefahren drohen im Flugzeug? Allgemeinarzt 2013;35(9):24-28

 [4] Stüben U, Graf J (Hrsg). Taschenbuch Flugmedizin und ärztliche ­Hilfe an Bord. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2. Aufl., Berlin 2014:3-17

 [5] Muhm JM, et al. Effect of aircraft-cabin altitude on passenger discomfort. N Engl J Med 2007;357:18-27

 [6] Watson HG, et al. Guidelines on travel-related venous thrombosis. Br J Haematol 2011;152:31-34

 [7] http://news.fluege.de/flugrecht/befoerderungsbedingungen-kein-flug-mit-gipsverband/63741.html. 2014

 [8] www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/prd_0316.pdf

 [9] Ernst E, et al. Efficacy of ginger for nausea and vomiting: a systematic review of randomized clinical trials. Br J Anaesth 2000;84(3):367-71

[10] BfArM. Reisen mit Betäubungsmitteln. www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Betaeubungsmittel/Reisen/_node.html

[11] Schrörs H-J. Pilleneinnahme und Zeitverschiebung. Dtsch Ärztebl 2001;98(27)(Suppl):22

[12] Zeitverschiebung auf Reisen: Umstellung der Arzneimittel-Einnahme-Zeiten. www.apotheker.or.at/Internet/OEAK/NewsPresse.nsf/webPages/53FEB3272AA51736C1256AC00041176D?OpenDocument

[13] Stüben/Graf (wie [4]):155-157

[14] http://easa.europa.eu/system/files/dfu/certification-flight-standards-doc-oeb-supporting-documents-sic-SIC-No-11-First-Aid-Kits-and-Emergency-Medical-Kit.pdf. 2008

[15] Betz I. Medizinische Notfälle in Verkehrsflugzeugen: „Ist ein Arzt an Bord?“. Dtsch Med Wochenschr 2013;138(41):2078-2079

[16] Stüben/Graf (wie [4]):23-43

Autoren

Dr. rer. nat. Armin Edalat,

Jg. 1985, 2010 Approbation als Apotheker, Studium der Pharmazie und Promotion im Bereich Pharmakologie an den Universitäten Bonn, Tübingen und Münster. Seit 2014 Filialleiter der Schönbuch Apotheke Holzgerlingen, ehrenamtlicher Helfer in der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk.

Dr. rer. nat. Dietmar Roth,

Jg. 1959, Fachapotheker und Weiterbildungs­ermächtigter für Allgemeinpharmazie, 1985 Approbation, Studium der Pharmazie und Promotion am Physiologischen Institut der Universität Tübingen. Tätig­keit in öffentlichen Apotheken, Lehrbeauftragter für die LAK Baden-Württemberg und das Pharmazeutische Institut der Universität Tübingen.

Literaturtipp

„Ist ein Arzt an Bord?“

Bei vier von fünf Lufthansaflügen befindet sich mindestens ein Arzt als Passagier an Bord, der im Notfall Hilfe leisten könnte. Die Autoren dieses kompakten Lehrbuchs vermitteln flugmedizinisches Basiswissen und gehen ausführlich auf die Notfallbehandlung häufiger Erkrankungen mit der medizinischen Ausrüstung an Bord ein. Auch juristische Aspekte des ärztlichen Handelns und ­Bonusprogramme zur Einbindung von Ärzten in die Alarmpläne der Fluggesellschaften werden vorgestellt. Vor allem das Kapitel zur spezifischen Flugreiseberatung im Vorhinein ist für die hausärztliche und pharmazeutische Praxis interessant.

Die beiden Herausgeber sind beim Medizinischen Dienst der Deutschen Lufthansa AG tätig und stellen vor allem deren Konzepte vor, was dem allgemeinen Informationsgehalt aber keinesfalls schadet. Zu empfehlen ist das Buch allen Ärzten, die regelmäßig fliegen und ihr notfallmedizinisches Fachwissen erweitern möchten, sowie Pharmazeuten zur Aufwertung der reisemedizinischen Beratungskompetenz.

U. Stüben und J. Graf (Hrsg.)

Taschenbuch Flugmedizin und ärztliche Hilfe an Bord

2. Auflage, 335 Seiten, 37 farb. Abb., 11 Tab., kart. 19,95 €

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2014. ISBN 978-3-95466-093-3

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