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Infektionskrankheiten: Flugzeuge sind (fast) steril

Anfang November 2002 traten in der südchinesischen Provinz Guangdong die ersten Fälle von SARS auf. Als am 15. März 2003 ein an SARS erkrankter Arzt und zwei weitere infizierte Personen aus Singapur in Deutschland landeten, erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) SARS zu einer weltweiten Bedrohung. Das Corona-Virus zwang weltweit viele reisende Geschäftsleute und Künstler ebenso wie Touristen, ihre Flugreisen abzusagen oder zu verschieben. Doch Flugzeuge sind keine Infektionsherde. Die Luft in einem Flugzeug ist so rein wie in einem Operationssaal.

Die Mobilität des Menschen ist heute grenzenlos. Plötzlich ausbrechende Seuchen können sich in Tagen und sogar in Stunden über die ganze Welt verbreiten. So wurde die Epidemie des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (SARS) – ausgelöst durch ein Virus aus der Gruppe der Corona-Viren – innerhalb weniger Wochen von Südchina bis nach Europa und Kanada verschleppt. Vor allem Flugzeuge tragen durch den Transport infizierter Personen zur schnellen Verbreitung von Krankheiten bei. Allerdings ist die Infektionsgefahr selbst in einem vollbesetzten Großraumflugzeug äußerst gering.

Die Klimaanlage – ein Meisterwerk

Ein Verkehrsflugzeug bewegt sich in außerordentlich menschenfeindlichen Höhen. Die Luft in 12 700 m Höhe hat eine Temperatur von weniger als – 50 °C, ist trocken und weitgehend steril. Der Luftdruck dort oben ist sehr niedrig. Um die Menschen in der kleinen Metallröhre zu schützen, muss deshalb ein großer Aufwand betrieben werden. Die Klimaanlage ist als Teil des Umweltsteuerungssystems ein Meisterwerk der Ingenieurkunst.

Der fliegende Mensch befindet sich virtuell auf einem Berg von 2400 m Höhe. Denn auf dem dort herrschenden Atmosphärendruck wird der Luftdruck einer Passagierkabine gehalten. Die Flugzeuge werden so aufgepumpt, dass der Innendruck, der auf der Außenhaut lastet, eine Tonne je Quadratmeter erreicht. Der Druck dehnt die Kabine eines Airbus A340 um 26 cm aus. Die notwendige Luft dafür stammt aus den Triebwerken.

Die Turbinen saugen die eisige, aber reine Außenluft an und verdichten sie sehr stark, wobei sie etwa 220 °C heiß wird. Ein kleiner Teil der Luft wird nicht in die Brennkammern, sondern in die Passagierkabine geleitet. Diese so genannte Zapfluft strömt durch die Tragflächen in die Klimaanlage, wird dort in einem Ozonkonverter vom Ozon befreit und durch Dekompression auf etwa 0 °C abgekühlt.

So sauber wie im Operationssaal

Zur Erwärmung wird die Zapfluft mit abgesaugter Kabinenluft – der Rezirkulationsluft – gemischt, temperiert und anschließend durch HEPA-Filter geleitet. Diese Hochleistungsfilter (High Efficiency Particulate Air) scheiden Teilchen einer Größe zwischen 0,001 und 100 Mikrometern ab. Staub, Bakterien, Pilze und Viren können so mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,98 Prozent aus der Kabinenluft entfernt werden. Die Leistung der HEPA-Filter entspricht dabei dem Standard eines Operationssaales.

Die Luft während einer Flugreise ist also sauberer als die Luft im Büro oder zu Hause. Während in Flugzeugen und Operationssälen 20 Luftwechsel pro Stunde stattfinden, sind es in klimatisierten Büroräumen zwölf und in öffentlichen Gebäuden gar nur fünf.

Vertikale Luftführung

Die Luft aus der Klimaanlage strömt über ein weit verzweigtes Rohrsystem in die Kabine. Um Zug und zu lautes Rauschen zu vermeiden, wird die Luft mit der Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde durch die Decke in die Kabine gepumpt. Unterhalb der Fenstersitze wird sie wieder abgesaugt. Auf diese Weise entsteht ein laminarer Strom, der von oben nach unten geführt wird.

Das ist ähnlich wie in einer sterilen Werkbank oder in einem modernen Operationssaal. Es gibt weder in Seitwärts- noch in Längsrichtung einen horizontalen Luftstrom. Ein an einer infektiösen Krankheit leidender Passagier hat deshalb wenig Chancen, seine Nachbarn oder gar Mitreisende hinter ihm zu infizieren, denn die komplette Atemluft wird alle drei Minuten vollständig ausgetauscht.

Krank durch Maschinenschaden

Die WHO hat Anfang dieses Jahres 35 Flüge untersucht, auf denen vermutlich SARS-Infizierte mitgeflogen waren. Bei vier Menschen konnte eine Ansteckung nachgewiesen werden. Die direkte Übertragung durch Anhusten oder durch Kontakt mit dem Sitznachbarn lässt sich eben nicht ganz vermeiden. Allerdings geht die WHO davon aus, dass erst nach einem mindestens achtstündigen Flug eine reale Gefahr besteht, von einem erkrankten Nachbarn zum Beispiel mit Tuberkulose oder Gehirnhautentzündung angesteckt zu werden.

Es ist bisher erst ein einziges Mal in einem Flugzeug zu einer multiplen Ansteckung gekommen. Das geschah, als die Passagiere gemeinsam mit einem Grippekranken mehrere Stunden in einem Flugzeug mit Maschinenschaden sitzen mussten, während die Klimaanlage ausgeschaltet war.

Trockenheit lässt Erregern keine Chance

In großen Höhen kann Luft nur wenig Feuchtigkeit aufnehmen; sie ist also sehr trocken. Die Luft in einer menschenleeren Passagierkabine hat eine relative Luftfeuchte von nur zwei Prozent. Da der Mensch permanent Feuchtigkeit über die Haut abgibt, erhöht sich der Wert allmählich, und zwar in einem vollbesetzten Flugzeug während eines Langstreckenfluges auf etwa 15 Prozent, was aber immer noch sehr wenig ist. Die geringe Luftfeuchte ist für die Sicherheit der Reisenden von Vorteil, weil Krankheitserreger dabei kaum eine Chance haben, aktiv zu bleiben.

Die Trockenheit der Luft ist auch den Fluggesellschaften recht, denn zur Befeuchtung auf die für den Menschen optimalen 50 bis 70% müssten mehrere hundert Liter Wasser mitgeführt werden, was zusätzlichen Treibstoff kosten würde. Zudem könnte sich bei hoher Luftfeuchte Kondenswasser bilden, in die Isolierschicht laufen und dort an schwer zugänglichen Stellen zur Korrosion führen.

Unentdeckter Rost ist das Schlimmste, was einem Flugzeug geschehen könnte. Es wäre aber schon schlimm, wenn Wasser sich in den Luftkanälen ansammelt. Dann könnten sich koloniebildende Keime ansiedeln, die die Filterwirkung erheblich mindern würden.

Da der Mensch permanent Wärme an seine Umgebung abgibt, muss die in die Passagierkabine einströmende Luft auf lediglich 18 °C gebracht werden. Im voll besetzten Flugzeug steigt sie dann durch die Wärmeabstrahlung von etwa 100 Watt je Person auf 24 °C an.

Fraßköder gegen Insekten

Krankkheitsüberträger wie Mücken und Fliegen können in einer Passagierkabine ohne weiteres mehrere Menschen infizieren. Um diese Gefahr zu minimieren, verlangen Länder wie Indien, dass Flugzeuge vor Start oder Landung mit einem Insektizid ausgesprüht werden. Die international häufig verwendeten Pyrethroide können beim Flugpersonal zuweilen das "Multiple Chemical Sensitivity Syndrom" auslösen. Sie sind deshalb in Deutschland verboten. Derzeit werden die kleinen Krabbler mit Fraßködern angelockt und unschädlich gemacht.

Darüber hinaus gibt es Vorschriften und Empfehlungen: Sollte ein ursprünglich gesunder Passagier während eines langen Fluges plötzlich Anzeichen eines respiratorischen Syndroms bekommen, müssen die Flugbegleiter ihn mit einer Gesichtsmaske versehen, ihn von der übrigen Reisegesellschaft isolieren und seinen Sitz blockieren.

Auch bekommt er eine eigene Toilette. Mittlerweile diskutieren die Fluggesellschaften, ob es sinnvoll ist, bei Gefahr gefährlicher Seuchen einen standardisierten Test vor dem Check-In durchzuführen.

EU-Behörde gegen Seuchen geplant

Der EU-Gesundheitskommissar David Byrne meint in diesem Zusammenhang: "Bei der öffentlichen Gesundheit und vor allem bei Infektionskrankheiten operieren wir angesichts von Herausforderungen des 21. Jahrhunderts weiterhin mit den Instrumenten des 19. Jahrhunderts."

Er will ein EU-Seuchenbekämpfungsamt gründen. Die Bedrohung durch Milzbranderreger nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 und der SARS-Ausbruch dienen als Begründung. Es soll eine rund um die Uhr einsatzfähige Bereitschaft von Seuchenexperten entstehen und eine schnelle EU-Eingreiftruppe, die weltweit tätig werden können soll. Viele EU-Mitgliedstaaten sind dagegen, da sie eine Beschneidung ihrer Kompetenzen befürchten.

Es bleibt zu hoffen, dass es so schnell nicht mehr vorkommt, dass sich 200 000 Menschen nicht die Hand geben dürfen. Auf der Chemiemesse Achema 2003 war genau dies empfohlen worden.

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