Arzneimittel und Therapie

Neues Wirkprinzip bei Schizophrenie

Bitopertin hemmt die Glycin-Wiederaufnahme

Bei der Suche nach neuen Substanzen für die Schizophrenie-Behandlung richtet sich das Interesse derzeit auch auf das glutamaterge System. Mit Bitopertin befindet sich ein potenzieller neuer Wirkstoff in der klinischen Prüfung, mit dem es gelingen soll, vor allem die schlecht therapierbare Negativsymptomatik der Erkrankung besser in den Griff zu bekommen.

Bei der Schizophrenie besteht eine gestörte Wahrnehmung der Umwelt und der eigenen Persönlichkeit. Die vielfältigen Symptome der Erkrankung, die zudem von Patient zu Patient stark variieren, werden üblicherweise in Positiv- und Negativ-Symptome eingeteilt. Zu den Positiv-Symptomen zählen vor allem Wahnvorstellungen wie z.B. Verfolgungswahn sowie akustische, optische und sensorische Halluzinationen. Auch Agitiertheit, Aggressivität und Denkstörungen werden häufig beobachtet. Zu den Negativ-Symptomen gehören vor allem:

  • Antriebsarmut und Interesselosigkeit, sozialer Rückzug
  • Freudlosigkeit (Anhedonie)
  • verminderte emotionale Reaktionen (Affektverflachung)
  • Schwierigkeiten beim Sprechen und Schreiben, Sprachverarmung (Alogie)

Als Ursache für die Positiv-Symptome sieht man eine dopaminerge Überaktivität im mesolimbischen System, während für die Negativ-Symptome vor allem eine dopaminerge Unteraktivität in mesokortikalen Bahnen verantwortlich gemacht wird.

Wie Prof. Dr. Martin Lambert, Hamburg, auf einem von der Roche Pharma AG unterstützten Pressegespräch anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin erläuterte, können Negativ-Symptome in allen Stadien der Schizophrenie auftreten. Häufig werden sie jedoch durch die Positiv-Symptome verdeckt und persistieren oft unter der antipsychotischen Therapie. Doch ihr Einfluss auf die Krankheitsentwicklung dürfe nicht unterschätzt werden. Bestehen sie fort, können sie – ebenso wie die häufig beobachteten kognitiven Defizite – die berufliche und soziale Reintegration der Betroffenen deutlich erschweren. Damit stehen sie dem eigentlichen Ziel der Schizophrenie-Behandlung, der Wiedererlangung der funktionellen und sozialen Autonomie (als Recovery bezeichnet), im Wege.

Beim NMDA-Rezeptor erfolgt die Kanalöffnung nur dann, wenn neben NMDA (N-Methyl-D-Aspartam) bzw. kompetitiven Agonisten wie L-Glutamat oder L-Aspartat gleichzeitig auch Glycin als Co-Agonist den Kanal aktiviert. Bitopertin kann den Glycin-Transporter hemmen und so die Glycin-Konzentration im synaptischen Spalt erhöhen. Phenylcyclidin (PCP) und Ketamin können durch Blockade des Ionenkanals dieses Rezeptors Psychose-ähnliche Zustände hervorrufen.

Glutamat-System als neues Ziel

Die klassischen Antipsychotika wie Haloperidol, Fluphenazin oder Perphenazin entfalten ihre Wirkung vorrangig durch die Blockade von Dopaminrezeptoren (D2 und D3), während die neueren, sogenannten atypischen Neuroleptika (z.B. Risperidon, Quetiapin, Aripiprazol) weitere Rezeptoren (5-HT2, H1, M1) blockieren. Dadurch gelingt es häufig, die psychomotorischen Erregungszustände, Wahnvorstellungen und Halluzinationen zu reduzieren. Die Negativ-Symptome können mit den derzeit zur Verfügung stehenden Antipsychotika jedoch in vielen Fällen nicht zufriedenstellend verbessert werden, erläuterte Prof. Dr. Georg Juckel, Bochum. Daher begab man sich in den vergangenen Jahren auf die Suche nach anderen Reizleitungssystemen, die bei schizophrenen Patienten gestört sein könnten.

Bedeutung des NMDA-Rezeptors

Als vielversprechendes Target erwies sich dabei das glutamaterge System, da die mit den Positiv- und Negativ-Symptomen in Zusammenhang stehende dopaminerge neuronale Aktivität über glutamaterge Neurone im Kortex kontrolliert wird. Glutamat gilt als einer der wichtigsten exzitatorischen Transmitter, der zudem fast überall im Gehirn zu finden ist. Wie Juckel erläuterte, scheint in diesem System der glutamaterge N-Methyl-D-Aspartam- (NMDA-) Rezeptor eine Schlüsselrolle zu spielen. Dieser Rezeptor steuert unter anderem die postsynaptische Freisetzung von Glutamat. Man vermutet, dass eine NMDA-Rezeptor-Unterfunktion vor allem für die Negativ-Symptomatik der Schizophrenie, aber auch für einige Positiv-Symptome verantwortlich ist. Bei einer solchen Unterfunktion würde der feinregulierte Tonus der glutamatergen und dopaminergen Aktivität verschoben. Die Konsequenzen könnten einerseits eine Überaktivierung der dopaminergen Neurotransmission in den mesolimbischen Bahnen und somit die Auslösung von Positiv-Symptomen sein. Andererseits hätte die NMDA-Rezeptor-Hypofunktion eine fehlende Aktivierung der mesokortikalen Dopaminaktivität und damit die Ausbildung von Negativ-Symptomen zur Folge. Die Verbesserung der NMDA-Rezeptorfunktion scheint daher ein vielversprechender Ansatz für die Therapie von Negativ-Symptomen zu sein. Für eine Aktivierung des postsynaptischen NMDA-Rezeptors sind neben Glutamat auch Co-Agonisten wie Glycin oder Serin obligatorisch, die eine separate Rezeptor-Bindungsstelle besitzen (siehe Abb.). Die Aufnahme von Glycin in die Nervenzellen erfolgt durch den spezifischen Glycin-Transporter Typ 1 (GlyT1). Eine pharmakologische Hemmung von GlyT1 würde zu einer erhöhten Glycin-Konzentration im synaptischen Spalt und damit zu einer Verbesserung der glutamatergen Neurotransmission führen.

Mit Bitopertin befindet sich derzeit ein solcher Hemmer des Glycin-Transporters Typ 1 in der Phase III der klinischen Prüfung. In Kombination mit anderen Antipsychotika wird er für die Behandlung von persistierenden Negativ-Symptomen oder ungenügend kontrollierten Positiv-Symptomen getestet. 

Quelle

Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 10. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart (2012).

Herdegen T. Schizophrenie: Wenn die Lebensmaßstäbe verrückt sind; Pharmako-logisch!, DAZ 2010, 22, 46–75.

Neue Zielstrukturen für die Therapie rücken in den Fokus. Information der Roche Pharma AG vom 28. November 2013.

 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

 

Wie Sexualhormone die Psyche beeinflussen

Sexualhormone sind nicht nur für die Reproduktion wichtig, sondern auch für das psychische Befinden. Eine herausragende Rolle spielen dabei die Östrogene mit ihren neuro- und psychoprotektiven Eigenschaften. So modulieren Östrogene die verschiedensten Neurotransmitter-Systeme, u.a. das dopaminerge, serotonerge, noradrenerge und das GABAerge System, und reduzieren die MAO-Aktivität. Klinisch konnte gezeigt werden, dass sie sowohl affektive als auch psychotische Symptome, aggressives und suizidales Verhalten sowie kognitive Funktionen verbessern. So gibt es auch bei Frauen in Zeiten mit relativem Östrogenmangel bzw. -abfall, also perimenstruell, postpartal und perimenopausal, eine erhöhte Rate von Depressionen, Suiziden und Psychosen. Therapien sollten deshalb auch immer diese endokrinologischen Einflüsse berücksichtigen.

„Treib- und Triebstoffe fürs Leben – Wie Sexualhormone die Psyche beeinflussen“, Prof. Dr. Anita Riecher-Rössler, Basel, am Freitag, den 28. März, auf der Interpharm in Berlin.

Das ausführliche Interpharm-Programm finden Sie unter www.interpharm.de

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