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Sexuell übertragbare Infektionen wieder auf dem Vormarsch

Von Clemens Bilharz | Dermatologen, Urologen und Gynäkologen schlagen Alarm: Seit der Jahrtausendwende infizieren sich auch in Deutschland wieder mehr Menschen mit Geschlechtskrankheiten. Der Fokus liegt dabei nicht mehr nur auf den derzeit populäreren Erkrankungen wie Aids oder Hepatitis C. Genauso beunruhigend ist die Zunahme der altbekannten Geschlechtskrankheiten Syphilis und Gonorrhö, die beinahe nur noch als Relikt vergangener Zeiten betrachtet wurden.

Möglicherweise gibt der Glaube, dass man HIV bzw. Aids eigentlich ganz erfolgreich bekämpfen könne, vielen Menschen ein falsches Gefühl der Sicherheit. Experten warnen inzwischen deutlich vor einer Banalisierung sexuell übertragbarer Infektionen (STI), die einen zu leichtfertigen Umgang mit Sexualpartnern – auch und vor allem im Urlaub – zur Folge hat und natürlich mit der Gefahr einer Ansteckung einhergeht.

Ebenso mehren sich die Hinweise, dass in den letzten Jahren ein riskantes Sexualverhalten – etwa der Verzicht auf Kondome – wieder zugenommen hat.

Weiterhin sind mittlerweile auch bei Heterosexuellen Sexualpraktiken wie Oral- und Analverkehr etabliert, die dazu führen, dass sich Geschlechtskrankheiten primär in der Mundhöhle oder im Anus manifestieren können.

Ein weiterer Grund für die Zunahme von STI könnte auch sein, dass die Menschen heute nicht nur älter werden, sondern oft auch länger sexuell aktiv sind.

Der Klassiker: die Syphilis

Die wohl erste Beschreibung einer Syphilis-Epidemie stammt aus dem Neapel des Jahres 1495, wo die äußerst ansteckende Infektion vermutlich von Seefahrern aus der „Neuen Welt“ eingeschleppt wurde. Rasch verbreiteten vor allem umherziehende Söldnertruppen die „Französische Erkrankung“ zunächst in Mitteleuropa, später sorgten wiederum Seefahrer für ihre „Globalisierung“, vor allem Richtung Indien, Japan und China. Heute schätzt die WHO die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen weltweit auf etwa zwölf Millionen. In Deutschland wurden im Jahr 2012 über 4400 neue Erkrankungsfälle gemeldet, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. 93,6 Prozent von ihnen waren (zumeist homo- und bisexuelle) Männer und 6,4 Prozent Frauen.

Hochinfektiöser Primäraffekt

Ausgelöst wird die Syphilis oder Lues durch Treponema pallidum, ein gramnegatives Bakterium aus der Familie der Spirochäten. Bei HIV-Infizierten tritt die Syphilis nicht selten als Koinfektion auf, wobei sich beide Infektionen dann häufig ungünstig beeinflussen. In der Regel wird T. pallidum durch direkten sexuellen Kontakt übertragen und dringt dabei durch Mikroläsionen der Schleimhaut oder Haut in den Organismus ein. Möglich, aber in Deutschland heute sehr selten, ist die diaplazentare Übertragung von einer infizierten Mutter auf ihr ungeborenes Kind.

Infektiös sind die Patienten nur in den beiden ersten Krankheitsstadien (Frühsyphilis); trotz der schwerwiegenden Symptomatik besteht bei Spätsyphilitikern keine Ansteckungsgefahr.

Bei etwa 30 Prozent der unbehandelten Syphilisfälle kommt es im Laufe von Jahren zu einer Spontanheilung. Etwa die Hälfte aller Infektionen nimmt klinisch einen äußerst komplexen Verlauf, der nicht nur die Haut, sondern auch verschiedene Organsysteme betreffen kann (Tab. 1). Vor allem die Neurosyphilis (Spätstadium) zeigt mehrere Manifestationsformen.

Penicillin immer noch das Mittel der Wahl

Auch nach 60 Jahren sind Treponemen in allen Krankheitsstadien immer noch sensibel gegenüber Penicillin. Wegen ihrer langen Generationszeit ist eine mindestens zehntägige Behandlungsdauer notwendig. Die Leitlinienempfehlungen sind stadiumabhängig:

  • Frühsyphilis (Lues I und II): Benzylpenicillin-Benzathin 2,4 Mio. IE (links/rechts je 1,2 Mio. IE) i.m. gluteal 1-mal.

  • Latente oder tertiäre Syphilis: Benzylpenicillin-Benzathin 2,4 Mio. IE (links/rechts je 1,2 Mio. IE) i.m. gluteal an den Tagen 1, 8 und 15.

  • Neurosyphilis: Benzylpenicillin 6-mal täglich 3–4 Mio. IE (oder 3-mal tgl. 10 Mio. IE oder 5-mal tgl. 5 Mio. IE) i.v. für mindestens 14 Tage.

Infolge der antibiotischen Therapie kann es durch den Erregerzerfall zu einer toxischen Reaktion kommen, die durch Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und die Intensivierung (bzw. Neubildung) des Hautexanthems charakterisiert ist. Dieser sogenannten Jarisch-Herxheimer-Reaktion kann durch Cortison-Präparate begegnet werden.

Als Benzylpenicillin-Benzathin Anfang 2014 nur noch eingeschränkt verfügbar war, empfahlen die Deutsche STI-Gesellschaft und die Deutsche AIDS-Gesellschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme als Ausweichtherapie die tägliche Gabe von 2 g Ceftriaxon als Kurzinfusion über 10 Tage bei Frühsyphilis bzw. über 14 Tage bei Spätsyphilis [2].

Gonorrhö oft mit stummem Verlauf

Die Gonorrhö, im Volksmund auch Tripper genannt, ist ebenfalls weltweit verbreitet, nach Schätzung der WHO bestanden im Jahr 2008 rund 106 Millionen Erkrankungsfälle. Betroffen sind vorzugsweise junge Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. In Sachsen, dem einzigen Bundesland mit Labormeldepflicht für die Gonokokken-Infektion, wurde eine Verdoppelung der Fälle von 6,8 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2003 auf 13,7 pro 100.000 im Jahr 2011 beobachtet.

Erreger der Gonorrhö ist das Bakterium Neisseria gonorrhoeae. Übertragen werden die gramnegativen Kokken durch direkten Schleimhautkontakt mit infektiösem Sekret, zumeist beim Geschlechtsverkehr, aber auch beim Geburtsvorgang. Die Bakterien befallen in erster Linie die Zylinderepithelien der Urethra, der Zervix, des Rektums oder der Konjunktiven und bewirken dort eine eitrige Entzündung der Schleimhaut. Allerdings verläuft bei rund zehn Prozent der infizierten Männer und 50 Prozent der Frauen die Infektion nahezu asymptomatisch – epidemiologisch ein für die Weiterverbreitung nicht unbeträchtlicher Risikofaktor.

Komplikationen durch aufsteigende Infektion

Ansonsten steht klinisch zumeist der lokale Schleimhautbefall im Vordergrund, der allerdings zu aufsteigenden Infektionen sowie zu einer disseminierten Gonokokken-Infektion führen kann:

  • Die Mehrzahl der infizierten Männer entwickelt nach einer Inkubationszeit von zwei bis sechs Tagen einen meist massiv-eitrigen urethralen Ausfluss, der mit einer erschwerten und auch schmerzhaften Miktion einhergeht (Dysurie). Seltener sind milde Verläufe mit eher glasigem Ausfluss und nur morgendlichem eitrigem Sekret („Bonjour-Tropfen“), die klinisch von einer nicht-gonorrhoischen Urethritis, etwa durch Chlamydien, nicht zu unterscheiden sind. Eine aufsteigende Gonorrhö kann die entzündliche Mitbeteiligung der Prostata, der Nebenhoden und des Samenstrangs zur Folge haben.

  • Bei Frauen wird der Muttermund mit dem Zervixkanal am häufigsten befallen, Leitsymptom ist ein weißlich-gelber vaginaler Fluor. In rund 90 Prozent der Fälle kommt es zu einer Begleiturethritis mit dysurischen Beschwerden. Verlängerte oder Zwischenblutungen weisen auf eine Mitbeteiligung des Endometriums (Uterusschleimhaut) hin. Eine weiter aufsteigende Gonokokken-Infektion kann zu einer Salpingitis, Adnexitis (Entzündung von Eileiter bzw. Eileiter und Ovar) und anderen Entzündungen im kleinen Becken (pelvic inflammatory diseases, PID) führen. Mögliche Spätfolgen sind schmerzhafte Adhäsionen, sekundäre Sterilität und Extrauterinschwangerschaft.

Zu einer rektalen Gonokokken-Infektion kommt es bei Frauen außer durch Analverkehr auch durch eine sekundäre Kontamination mit abfließendem Genitalsekret; bei homosexuellen Männern wird das Rektum häufig primär infiziert. Während die rektale Gonorrhö bei Frauen oft asymptomatisch verläuft, kommt es bei Männern häufiger zu Beschwerden – die Palette reicht von analem Juckreiz bis zu einer manifesten Proktitis (Entzündung des Enddarms). Bei unbehandelten schwangeren Frauen besteht für das Neugeborene die Gefahr einer Gonokokken-Infektion von Augen, Mund und Rachen.

Gonokokken-Resistenzen nehmen zu

Als Mittel der Wahl bei unkomplizierter Gonorrhö der Harnröhre, der Zervix und des Rektums gelten derzeit

  • Ceftriaxon 1 g intramuskulär oder intravenös als Einmaldosis plus

  • Azithromycin 1,5 g per os als Einmaldosis.

Sollte die Applikation i.m. kontraindiziert und i.v. nicht möglich sein, kann Ceftriaxon durch Cefixim 800 mg oral (Einmaldosis) ersetzt werden.

Zu beachten ist allerdings, dass für diese Cephalosporine der 3. Generation weltweit Fälle von Therapieversagen, Einzel- und Multiresistenz berichtet wurden. So zeigten auch in Deutschland zehn Prozent der isolierten Gonokokken eine reduzierte Empfindlichkeit gegen Cefixim, sechs Prozent gegen Ceftriaxon und vier Prozent gegen beide Cephalosporine, wobei alle diese Bakterienstämme auch gegen Ciprofloxacin resistent waren.

Spitzenreiter: Chlamydien-Infektion

Die häufigste sexuell übertragbare Erkrankung in den Industriestaaten ist trotz bestehender Screeningprogramme die Infektion mit dem Bakterium Chlamydia trachomatis. In Deutschland kommt es nach Schätzungen des Robert Koch-Institutes pro Jahr zu etwa 300.000 Neuinfektionen. Der Erreger lässt sich in mehrere Serotypen einteilen, von denen in unseren Breiten die Serotypen D bis K urogenitale Infektionen verursachen. Als Erregerreservoir für C. trachomatis gilt ausschließlich der Mensch; die Inkubationszeit bei Erstinfektion beträgt in der Regel eine bis drei Wochen.

Bei Frauen wird zuerst die kaum innervierte Zervixschleimhaut befallen, weshalb sich in etwa 80 Prozent der Fälle bis auf einen gelblich-klebrigen Ausfluss kaum Symptome zeigen. Erst bei Ausbreitung auf die Urethra, die Bartholin-Drüsen in der Scheide oder das Endometrium kommt es zu Beschwerden wie Juckreiz, Brennen beim Wasserlassen, Zwischenblutungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Unbehandelt kann sich die Chlamydien-Infektion bei zehn bis 40 Prozent der Betroffenen auf die Tuben und Ovarien ausbreiten. Die möglichen Folgen sind wie bei der Gonorrhö sekundäre Sterilität, extrauterine Gravidität und PID.

Bei etwa 60 bis 70 Prozent der infizierten Schwangeren kommt es während der Geburt zu einer Infektion des Neugeborenen (meist eine sog. „Einschlusskonjunktivitis“, seltener eine Otitis media). Hat das Neugeborene erregerhaltiges Vaginalsekret aspiriert, kann dies eine schwere atypische Pneumonie zur Folge haben.

Bei Männern verlaufen etwa 50 Prozent der Chlamydien-Infektionen asymptomatisch. Bei Befall der Urethra können die Betroffenen ein Druckgefühl, Schmerzen und Brennen beim Wasserlassen verspüren, im weiteren Verlauf auch einen eitrigen Ausfluss. Unbehandelt kann sich Chlamydia trachomatis ebenfalls bis in die Prostata und Nebenhoden ausbreiten und dort schmerzhafte Entzündungen auslösen.

Als weitere Komplikation kann es vor allem bei Männern zu einer reaktiven Arthritis in verschiedenen Gelenken, zur Tendovaginitis (Sehnenscheidenentzündung) und in seltenen Fällen auch zum sog. Reiter-Syndrom kommen (auch: Fiessinger-Leroy-Syndrom; Trias von Arthritis, Urethritis und Konjunktivitis oder Uveitis = Regenbogenhautentzündung).

Laut IUSTI-Leitlinie (International Union against Sexually Transmitted Infections) ist bei unkomplizierter Chlamydien-Infektion das Mittel der Wahl entweder

  • Doxycyclin 100 mg 2-mal täglich für 7 Tage (nicht bei Schwangeren) oder
  • Azithromycin 1,5 g als Einzeldosis.

Lymphogranuloma venereum: seltener Exot

Das durch die Serotypen L1 bis L3 von C. trachomatis verursachte Lymphogranuloma venereum ist eigentlich in tropischen und subtropischen Regionen Asiens und Lateinamerikas beheimatet. Allerdings wurden in letzter Zeit wiederholt kleinere Ausbrüche bei Homosexuellen in den USA und in Westeuropa beobachtet. Hier zeigt sich das Krankheitsbild häufig als relativ hartnäckige und hämorrhagische Proktitis, eventuell mit Beteiligung abdominaler Lymphknoten. Im Genitalbereich bilden sich typischerweise schmerzlose Ulzera, die oftmals sehr klein und daher kaum zu erkennen sind. Im weiteren Verlauf kann es dann zu einem Lymphödem des Penis sowie einer schmerzhaften Schwellung der Leistenlymphknoten kommen, die sich dann verhärten (sog. Bubonen). Unbehandelt kann die Haut von Penis und Hoden Elephantiasis-ähnlich anschwellen.

Die Therapie erfolgt mit Doxycyclin 100 mg 2-mal täglich für mindestens 21 Tage.

Herpes genitalis – auch häufig unbemerkt

Anders als Syphilis, Gonorrhö und Chlamydien-Infektionen ist der Herpes genitalis eine virale Krankheit – Erreger ist in den meisten Fällen das Herpes-simplex-Virus Typ 2 (HSV-2, „genitaler“ Typ), durchaus aber auch HSV-1, der „orale“ Typ. Erwachsene haben zu 70 bis 80 Prozent Antikörper gegen HSV-1 und zu 20 bis 30 Prozent gegen HSV-2, wobei es zur Ansteckung mit Letzterem hauptsächlich ab der Pubertät kommt, also mit dem Beginn intimer Kontakte.

Die Mehrzahl aller Infektionen mit HSV-2 verläuft völlig unbemerkt oder mit nur milden klinischen Symptomen, wie kleinen rötlichen Punkten im Genitalbereich, die kaum wahrgenommen werden.

Etwa 30 Prozent aller Herpes-genitalis-Fälle manifestieren sich klinisch eindeutig mit beidseitig auftretenden, stecknadelkopfgroßen schmerzhaften Bläschen auf erythematösem Grund, welche im Verlauf rupturieren und ulzerieren können. Beim Mann kann sich die Eichel des Penis entzünden (Balanitis), bei der Frau die Harnröhre (Urethritis) oder die Vulva und/oder die Vagina (Vulvovaginitis). Ein extraurogenitaler Befall ist aufgrund direkter Kontakte ebenfalls möglich, nicht nur an Schleimhäuten (Enddarm, Mund und Rachen, Augen), sondern auch an der Haut (meistens Finger, auch Innenseite der Oberschenkel).

Mehr als zwei Drittel der Patienten zeigen zusätzliche Allgemeinsymptome wie Fieber, Krankheitsgefühl, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen. Typisch sind auch schmerzhaft geschwollene Leistenlymphknoten. In bis zu 20 Prozent der Fälle kann es zu einer milden Meningitis kommen. Die potenziell tödliche Herpes-Enzephalitis ist dagegen selten, ebenso eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems mit Harnverhalt, Obstipation und Impotenz.

Da Herpesbläschen schnell aufplatzen, können sich die offenen Hautstellen auch mit Bakterien oder Pilzen infizieren (Superinfektionen). Aufgrund der genitalen Ulzera ist der Herpes genitalis ein starker Risikofaktor für die Übertragung von HIV.

Rezidive durch Reaktivierung der Herpesviren

Bereits bei der exogenen Erstinfektion durchdringen die Herpesviren das befallene Epithel und gelangen über sensible Haut- und Schleimhautnerven bis in die Hinterwurzelganglien (Nervenknotenpunkte) des Rückenmarks. Dort können sie persistieren, solange der Mensch als „Wirt“ am Leben ist, und durch Stress oder Immunschwäche reaktiviert werden, z.B. durch

  • psychische Belastungen (Ärger, Wut, Erschöpfung, Schlafentzug u.a.),
  • hormonelle Umstellung (z.B. bei Menstruation),
  • lokale, auch allgemein fiebrige Infekte,
  • Reizung des jeweiligen Innervationssegments durch UV‑Licht.

Typisch für den rezidivierenden Genitalherpes sind einseitig gruppierte, schmerzhafte Bläschen und Erosionen. Die allgemeinen Krankheitssymptome sowie die Lymphknotenschwellungen sind geringer ausgeprägt als bei der Primärinfektion, dafür kündigt sich das Rezidiv durch prodromale Beschwerden an, vor allem durch Kribbeln und Schmerzen unterschiedlicher Intensität. Im Schnitt kommt es ohne antivirale Therapie zu etwa vier Rückfällen pro Jahr (bei 20% sogar bis zu zehn Rückfällen).

Da eine HSV-Reaktivierung auch ohne klinische Symptome ablaufen kann, besteht immer die Gefahr, dass ein HSV-Infizierter seinen Sexualpartner infiziert. Besonders gefährdet sind Aids-Patienten und Neugeborene:

  • Im fortgeschrittenen Aids-Stadium drohen besonders schwere und atypische Manifestationen der HSV-Infektion. Das Spektrum reicht vom perianalen Herpes mit riesigen Ulzera über die Herpes-Proktitis bis zur Herpes-Meningoenzephalitis und nekrotisierenden Retinitis.

  • Bei der Geburt können infizierte Frauen generell das Virus auf das Neugeborene übertragen. Mögliche Folgen sind eine lokale Infektion der Augen und der Mundhöhle oder im schlimmeren Fall die Infektion innerer Organe (disseminierter Herpes neonatorum) oder eine Herpes-Enzephalitis.

Das Herpesvirus lässt sich nicht mehr aus dem Körper eliminieren. Verschiedene Studien konnten jedoch zeigen, dass unter einer antiviralen Standardtherapie (Tab. 2) nicht nur die Hautläsionen schneller abheilen und die Allgemeinsymptome schneller nachlassen, sondern auch Komplikationen der HSV-Infektion seltener auftreten. Entscheidend ist ein möglichst früher Therapiebeginn, es gilt also, die ersten Anzeichen der Reaktivierung zu erkennen.

Mit Pritelivir, einem an einem frühen Punkt der Virusreplikation angreifenden neuen Wirkstoff, scheint es erstmalig möglich zu sein, die Virusausscheidung über die Schleimhäute im asymptomatischen Stadium zu senken. Allerdings zeigten sich in einer tierexperimentellen Studie dermale und hämatologische Toxizitäten, worauf die US-Arzneimittelbehörde FDA im Mai 2013 einen vorläufigen Entwicklungsstopp verhängte [5, 11].

Kondylome in der Regel harmlos

Die häufigsten benignen Tumoren des äußeren Genitoanalbereichs sind die Feigwarzen oder Kondylome (Condylomata acuminata), von denen mehr als 90 Prozent von den Low-risk-Typen 6 und 11 des Humanen Papillomavirus (HPV) hervorgerufen werden. Bei Frauen mit Genitalwarzen ist das Risiko für ein Zervixkarzinom erhöht, das allerdings von den Hochrisiko-HPV-Typen 16 und 18 verursacht wird. Die Prävalenz genitoanaler Warzen in der sexuell aktiven Bevölkerung Europas und der USA liegt bei etwa einem bis zwei Prozent. Außer durch Geschlechtsverkehr ist eine Übertragung durch Schmierinfektionen, durch Körperkontakt in Nassbereichen und auch indirekt durch kontaminierte Gegenstände wie Scheren oder Nagelfeilen möglich.

Die Inkubationszeit bis zum Auftreten der Warzen beträgt zwischen vier Wochen und acht Monaten. Da die HPV-Infektion nur sehr selten mit Allgemeinsymptomen einhergeht, bemerken die meisten Menschen zunächst nichts von ihrer Ansteckung.

Kondylome erscheinen zumeist als multiple, stecknadelkopfgroße bis mehrere Zentimeter große Papeln rötlicher, grau-bräunlicher oder weißlicher Farbe. Sie weisen eine glatte, papilläre oder keratotische Oberfläche auf und können zu blumenkohlartigen Gebilden heranwachsen, gelegentlich zu riesenhaften Tumorkonglomeraten (Condylomata gigantea). Druckeinwirkung kann zur Abplattung und hahnenkammartigen Ausziehung von Kondylomen führen, feuchtes Milieu zur Mazeration. In der Regel machen Genitalwarzen keine Beschwerden. Seltene Begleitsymptome sind Juckreiz, Brennen, (Kontakt-)Blutungen und Fluor. Kondylome können über Monate bis Jahre persistieren, aber auch in ca. 30 Prozent der Fälle spontan abheilen.

Bei einfachen Befunden kann die lokale Therapie vom Patienten selbst durchgeführt werden; zur Verfügung stehen

  • Imiquimod 5% Creme,
  • das Zytostatikum Podophyllotoxin (0,5% Lösung oder 0,15% Creme),
  • Grüntee-Extrakt 10% Salbe (darin enthaltene Polyphenole haben antioxidative, antiinflammatorische und immunstimulierende Eigenschaften, insbesondere das Flavonoid Epigallocatechin-3-gallat: in klinischen Studien initiale Heilungsraten von bis zu 50%).

Vor allem bei blumenkohlartigen Kondylomen oder ausgedehnten Kondylombeeten sind chirurgische oder physikalische Verfahren indiziert, beispielsweise die Entfernung mit Kürette oder Elektrokauter. Bei intraanalem oder intravaginalem Befall kann auch eine CO2-Laser-Ablation durchgeführt werden. Angesichts einer Rezidivrate von bis zu 50 Prozent empfiehlt sich allerdings eine adjuvante Behandlung mit Imiquimod unmittelbar nach Reepithelialisierung der Wunden.

Genitale Infektion durch Candida-Pilz

Auch der bei vielen Menschen im Darmtrakt vorkommende Pilz Candida albicans kann eine genitale Infektion hervorrufen. Eine besondere Disposition besteht bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus, längerer Behandlung mit Antibiotika sowie Immunschwäche oder immunsuppressiver Therapie.

Bei der akuten Candida-Infektion des Mannes sind Vorhaut und Eichel des Penis befallen, wo sich stark juckende oder brennende entzündliche Stippchen ausbilden. Hierbei kann sich die Vorhaut stark verengen und einreißen. In seltenen Fällen können auch die Harnröhre bzw. Harnblase und die Prostata infiziert sein.

Bei der Frau ist primär die Vulva betroffen, auch hier bilden sich brennend-juckende rötliche Stippchen, die bei schwerer Entzündung flächenhaft den gesamten Scheidenausgang befallen können. Nicht selten kommt es zu einem weißlichen, bröckeligen Ausfluss; auch eine aufsteigende Infektion in die Harnröhre und Harnblase ist möglich.

Zur lokalen Behandlung stehen dem Mann Nystatin-Paste sowie Clotrimazol- oder Ciclopiroxolamin-Creme zur Verfügung, der Frau Clotrimazol- oder Nystatin-Vaginaltabletten sowie Ciclopiroxolamin-Vaginalcreme. Bei stärkeren oder chronisch-rezidivierenden Infekten empfiehlt sich die Einnahme von Fluconazol-Tabletten.

Keine 100-prozentige Sicherheit

Es ist unstrittig, dass sexuell übertragbare Infektionen durch den konsequenten Gebrauch von Kondomen signifikant verringert werden können. Die Aufklärung von Schülern über die Gefahren von STI und öffentliche Kampagnen („Kondome schützen“) fördern generell die Bereitschaft für ein verantwortungsvolles Verhalten. Dennoch kann das individuelle Risiko einer Ansteckung nie ausgeschlossen werden, zumal das Kondom selten in allen Phasen des sexuellen Kontakts „am Mann“ ist. Safer Sex setzt eine gewisse Umsicht und Verantwortung, eventuell sogar Planung voraus – und damit die vorherige Überlegung „wer mit wem“. Insbesondere junge Menschen fühlen sich durch solche Vorsichtsmaßnahmen in ihrer Spontaneität behindert.

Abgesehen von den Vorsichtsmaßnahmen beeinflussen mehrere Faktoren das individuelle Risiko: Alter, Geschlecht, sexuelle Präferenz, Sexualpraktiken, Lebensumfeld, Sexualkontakte mit häufig wechselnden Partnern und nicht zuletzt professionell ausgeübter Sex. Beratungsgespräche sollten daher der jeweiligen Situation und dem individuellen Risikoprofil angepasst sein, um trotz Scham und Tabu dem Hilfsanspruch der Patienten genügen zu können. 

STI-Leitfaden im Internet

Die Deutsche STI-Gesellschaft ist eine medizinische Fachgesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kenntnisse über sexuell übertragbare Infektionen (STI) zu gewinnen und zu verbreiten. Sie präsentiert auf ihrer Website u.a. eine Liste von STI-Beratungsstellen in der Bundesrepublik, von denen einige eine weitreichende Diagnostik anbieten. Des Weiteren findet sich dort die 1. Auflage des STI-Leitfadens (Stand: März 2013) als pdf-Datei, die gedruckt und gespeichert werden kann:

www.dstig.de > Literatur/Leitlinien

Literatur

 [1] Leitlinien der Deutschen STD-Gesellschaft. Diagnostik und Therapie der Syphilis. AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 059/002, 2008

 [2] Gemeinsame Stellungnahme der DSTIG, DAIG und der dagnä; www.dstig.de, Meldung vom 10.3.2014

 [3] Deutsche STI-Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, et al. Gonorrhoe bei Erwachsenen und Adoleszenten. AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 059/004, 2013

 [4] Petersen EP, et al. Der Herpes genitalis. Dtsch Ärztebl 1999;38:A2358-A2364

 [5] Wald A, et al. Helicase-Primase Inhibitor Pritelivir for HSV-2 Infection. N Engl J Med 2014;370:201-210

 [6] Robert Koch-Institut. Chlamydiosen (Teil 1): Erkrankungen durch Chlamydia trachomatis. Aktualisierte Fassung Dezember 2010

 [7] International Union against Sexually Transmitted Infections. European guideline for the management of Chlamydia trachomatis infections; www.iusti.org/regions/Europe/pdf/2010/Euro_Guideline_Chlamydia_2010.pdf

 [8] Leitlinie der Deutschen STD-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und der Paul-Ehrlich-Gesellschaft. Condylomata acuminata und andere HPV-assoziierte Krankheitsbilder von Genitale, Anus und Harnröhre. AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 059/001, 2006

 [9] Deutsche STI-Gesellschaft. Leitfaden STI-Therapie. 2. Aufl. Juni 2014

[10] Zylka-Menhorn V. Sexuell übertragbare Infektionen – ein „Unglück“ kommt selten allein. Dtsch Ärztebl 2014;4:A126-A127

[11] Jungmayr P. Neues Wirkprinzip gegen Herpes genitalis. Dtsch Apoth Ztg 2014;154(14):30

Autor

Clemens Bilharz ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und zusätzlich als wissenschaftlicher Fachzeitschriftenredakteur ausgebildet. Er ist als Autor und Berater für Fachverlage und Agenturen tätig.

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