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Die Angst vor der Liste

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Das Perspektivpapier Apotheke 2030 ist verabschiedet und das mit einem klaren Bekenntnis zur evidenzbasierten Pharmazie. Mit dem Satz: „Die öffentlichen Apotheken versorgen ihre Patienten individuell und grundsätzlich evidenzbasiert“ bekennen sich die Apothekerinnen und Apotheker dazu, ihre Patienten auf Basis der vorliegenden Daten bestmöglich zu beraten, selbstverständlich unter Einbeziehung der individuellen Bedürfnisse. Das gilt in besonderer Weise für die Selbstmedikation.

Doch evidenzbasierte Pharmazie und evidenzbasierte Selbstmedikation sind für viele Apothekerinnen und Apotheker Reizworte und sorgen für Diskussionen. Oft steht die Angst vor einer Liste und einer eingeschränkten Auswahl dahinter. Exemplarisch kann hier auf die Diskussion rund um einen letztendlich angenommenen Antrag zur evidenzbasierten Beratung auf dem Deutschen Apothekertag 2014 in München verwiesen werden. Mit diesem Antrag wird die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker aufgefordert, die Evidenz zu Nutzen und Schaden der am häufigsten abgegebenen OTC-Arzneimittel systematisch aufzuarbeiten und der Apothekerschaft in praxistauglicher Form zur Verfügung zu stellen.

Gegen diesen Antrag wehrte sich unter anderem Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Für ihn sind bei OTC-Arzneimitteln Qualität, Sicherheit und Unbedenklichkeit schon lange erwiesen. Er lehnt „eine Listenmedizin, wo irgendwelche klug meinenden Menschen vorgeben, was evidenzbasiert ist“, völlig ab. Für ihn wird heute schon ein Missbrauch mit dem Begriff evidenzbasierte Medizin getrieben, den er nicht auf OTC-Arzneimittel ausdehnen möchte.

Nun hat die Diskussion um eine evidenzbasierte Medizin schon in den 1990er Jahren begonnen und bei der Etablierung medizinischer Leitlinien für ähnliche Ängste bei den Ärzten gesorgt. Diese hatten befürchtet, verbindlich vorgeschrieben zu bekommen, wie eine Therapie nach Diagnosestellung auszusehen hat – und sie hatten Angst vor Sanktionen bei Abweichen von den Leitlinien. Inzwischen sind diese Sorgen verflogen, die medizinischen Leitlinien haben sich etabliert. Sie sind weder rechtlich verbindlich noch können sie sanktioniert werden (siehe Artikel "Wie man valide Leitlinien effektiv recherchiert und interpretiert"). Sie geben lediglich Orientierung und haben sicher schon in vielerlei Hinsicht zu einer qualitativ besseren Versorgung beigetragen.

Wir können also guter Dinge sein, dass auch in Apothekerreihen die evidenzbasierte Selbstmedikation eine ähnliche Entwicklung nehmen wird. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hat in seinem Lagebericht auf dem Deutschen Apothekertag zu dieser Diskussion ein eindeutiges Statement abgegeben: „Wir sind Naturwissenschaftler und wollen dies auch bleiben. Als Naturwissenschaftler können wir gar nicht anders als evidenzbasiert beraten, denn die evidenzbasierte Pharmazie bietet die wissenschaftliche Basis für die pharmazeutische Entscheidungsempfehlung.“ Er versteht das Bekenntnis zur Evidenzbasierung als Auftrag, die Patienten umfassend über Möglichkeiten und Grenzen einer Therapie aufzuklären. Es geht nicht um richtig oder falsch!

Bleibt zu hoffen, dass auch die Kritiker in unseren Reihen erkennen, dass Patienten gerade in der Selbstmedikation ein Anrecht darauf haben, zu erfahren, wie der wissenschaftliche Erkenntnisstand zu den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist. Es geht darum, für den einzelnen Patienten die bestmögliche Therapieentscheidung zu treffen. Welche das sein wird, wird immer eine individuelle Entscheidung sein. Vor diesem Hintergrund gibt es keine Rationale für das Schreckgespenst „evidenzbasierte Listenmedizin“.

Dr. Doris Uhl

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