Aus den Ländern

Update Brustkrebs

Fortbildung von DPhG und AK Hamburg

Am 16. Februar veranstalteten die DPhG-Landesgruppe und die Apothekerkammer Hamburg ein gemeinsames Fortbildungsseminar zum Thema Brustkrebs. Organisatorin und Moderatorin Prof. Dr. Elisabeth Stahl-Biskup führte durch vier Vorträge, die einen weiten Bogen von den molekularen Grundlagen über verschiedene Arzneitherapien bis zur Psychoonkologie spannten.

Heterogenität als Herausforderung

Pathologen klassifizieren Brusttumoren nach Größe, Lymphknotenbefall und Metastasierung (TNM-Schema) sowie weiteren histologischen Aspekten, und aufgrund dieser Kriterien und seiner Erfahrung schlägt der Arzt der Patientin eine Therapie vor. Brusttumoren können aber auch molekularbiologisch klassifiziert werden, wie der Biologe Prof. Dr. Wolfgang Deppert, Hamburg, erläuterte. Jeder einzelne Tumor verfügt über ein charakteristisches Onkogenom, das durch individuelle Mutationen zustande gekommen ist und sein Wachstum regelt. Bestimmte gemeinsame Gensignaturen von Tumoren sind das Kriterium für Subgruppen, die Anhaltspunkte für die Therapiewahl bieten.

Doch die molekularbiologische und die histologische Klassifizierung korrelieren vielfach nur wenig. Zudem verwies Deppert auf eine Studie, in der aus verschiedenen Gewebeproben eines Tumors erheblich unterschiedliche Gensignaturen gewonnen wurden. Daher könne die molekularbiologische Charakterisierung einen guten Pathologen nicht ersetzen. Andererseits gibt es gruppenübergreifende Brustkrebs-Charakteristika wie die übermäßige Synthese der Rezeptor-Tyrosinkinase MET, die mit einer besonders hohen Mortalität einhergeht (s. u.).

Brusttumoren wurden lange Zeit mit dem klassischen Modell erklärt, das von Mutationen in somatischen Zellen ausgeht. Doch besteht bei Brusttumoren die Besonderheit, dass sie beinahe das normale Wachstum der Brustdrüse im Menstruationszyklus nachahmen, denn die Brustdrüse wird – im Unterschied zu anderen Geweben – dauernd umgebaut.

Dies führte zu der Hypothese, dass Brusttumoren aus Stammzellen und aus Progenitorzellen entstehen. Abhängig von der Differenzierungsstufe der Zellen, die entarten, entstehen unterschiedliche Tumorvarianten. Daher ist die Vorstellung von Zellen, die sich entdifferenzieren, ein falsches Bild; vielmehr bleibt die Differenzierung auf einer Stufe stehen, erklärte Deppert.

"Das Mammakarzinom ist komplexer und heterogener als alle anderen Krebsarten. Diese Heterogenität besteht zwischen den Tumorgruppen, zwischen den Tumoren einer Gruppe und sogar innerhalb eines Tumors."


Prof. Dr. Wolfgang Deppert

Hauptproblem: Metastasierung

Durch vielfältige Veränderungen der Zellen entsteht ein multiklonaler, heterogener Tumor, dessen Teile unterschiedliche biochemische Eigenschaften haben. Eine Heilung ist daher nur möglich, wenn alle klonalen Prozesse ausgelöscht werden, folgerte Deppert. Das größte Problem sei dabei die Metastasierung, die mit der Plastizität des Tumors zusammenhängt. Erst die Transformation der unbeweglichen, epithelialen Zellen zu mesenchymalen Zellen mithilfe von MET (s. Textkasten) lässt Metastasen entstehen. Deshalb gilt die MET-Inhibition als vielversprechendes Konzept für neue Arzneistoffe.

MET


Der transmembranäre Rezeptor MET (engl. mesenchymal-epithelial transition oder transformation) befindet sich auf epithelialen Zellen und bindet den von mesenchymalen Zellen synthetisierten Hepatozyten-Wachstumsfaktor (hepatocyte growth factor, HGF). Nach seinem Liganden wird er auch HGF-Rezeptor (HGFR) genannt. Der durch HGF aktivierte MET bewirkt, dass die epitheliale Zelle Eigenschaften mesenchymaler Zellen erhält, insbesondere dass sie wandern kann. Im Fall einer Tumorzelle bedeutet dies, dass sie sich absiedeln und eine Metastase bilden kann.

MET gehört zu den Tyrosinkinase-Rezeptoren, deren natürliche Liganden vor allem Wachstumsfaktoren sind.

Bekanntere Tyrosinkinase-Rezeptoren sind die epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptoren HER1 (= EGFR) und HER2 sowie der Insulinrezeptor.

Adjuvante Therapien

Die chirurgische Entfernung des Mammakarzinoms reicht als Therapie nicht aus, sondern eine Strahlentherapie und – abhängig vom TNM-Befund – meist auch eine Chemotherapie gehören dazu. Hinsichtlich der Indikation einer Chemotherapie befinden sich aber viele Patientinnen in einem "Graubereich"; bei ihnen können (mittels Gewebefärbung) ein Screening des Markers Ki67 durchgeführt und (mit dem Genchip OncoType DX) der Recurrence Score ermittelt werden, um weitere Kriterien zu gewinnen.

Die adjuvante Chemotherapie bei Brustkrebs wendet typischerweise Anthracycline und Taxane an, wie Prof. Dr. Pia Wülfing, Hamburg, erläuterte. Zu den vielfältigen Nebenwirkungen zählen die hämatologische Toxizität, Alopezie, Erbrechen, Stomatitis und die Organtoxizitäten, insbesondere die Kardiotoxizität bei Anthracyclinen und die Neurotoxizität bei Taxanen. Patientinnen, bei denen Anthracycline kontraindiziert sind, können stattdessen platinhaltige Arzneimittel erhalten.

Eine adjuvante Chemotherapie dauert höchstens ein halbes Jahr. Eine unmittelbare Erfolgskontrolle ist nicht möglich. Dagegen zeigt sich bei der neoadjuvanten Therapie, also der Chemotherapie vor der chirurgischen Operation, ob der Tumor durch die Behandlung schrumpft oder nicht.

Die Referenten Prof. Dr. Pia Wülfing (Mitte) und Prof. Dr. Wolfgang Deppert mit der Moderatorin Prof. Dr. Elisabeth Stahl-Biskup.

Die endokrine Therapie mit Tamoxifen und/oder GnRH-Analoga löst bei prämenopausalen Patientinnen Wechseljahrsbeschwerden aus. Aromatasehemmer dürfen nur bei Patientinnen angewendet werden, die sicher in der Postmenopause sind, weil sie bei prämenopausalen Frauen die Östrogen-Produktion in den Ovarien stimulieren. Postmenopausale Patientinnen sollten laut Wülfing auf jeden Fall Aromatasehemmer erhalten; dabei haben sich die verschiedenen Schemata, bei denen diese abwechselnd mit Tamoxifen gegeben werden, als gleichwertig erwiesen. Unerwünschte Wirkungen sind Thromboembolien bei Tamoxifen und Gelenkschmerzen bei Aromatasehemmern. Typisch sind Schwierigkeiten beim Beginn von Bewegungen, die auf der Austrocknung der Gelenkspalten beruhen und durch Sport verringert werden können.

Bei Patientinnen mit HER2-positiven Tumoren kommt Trastuzumab als adjuvante Therapie für ein Jahr hinzu; nach Einschätzung von Wülfing sollte diese Therapie auch bei kleinen Tumoren erfolgen.

"Pharmazie ist angewandte, gelebte Wissenschaft im richtigen Leben."


Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen in seiner Begrüßungsansprache

Fortschritte in der palliativen Therapie

Die größten Fortschritte in jüngerer Zeit hat es in der palliativen Therapie gegeben, so Wülfing. Dort steigt die Überlebensdauer deutlich, wenn möglichst früh eine adäquate Therapie gewählt wird. Unter Berücksichtigung der Lebensqualität sind endokrine Therapien hier die erste Wahl. Wülfing empfahl eine Biopsie der Metastase, da diese in etwa einem Fünftel der Fälle eine andere Therapie erfordert als der Primärtumor. Neben Tamoxifen und den Aromatasehemmern steht Fulvestrant zur Auswahl. Letztlich wird der Arzt immer wieder ein neues Arzneimittel verschreiben und nach einiger Zeit von vorn beginnen.

Kombinationen mit Biologicals

Palliative Chemotherapien kombinieren mehrere Chemotherapeutika oder (besser) ein Chemotherapeutikum und ein Biological. Zur Wahl stehen Everolimus, Bevacizumab, Trastuzumab und Lapatinib. Gegen den Angiogenesehemmer Bevacizumab wird angeführt, dass nicht nachgewiesen werden konnte, ob er die Gesamtüberlebenszeit von Brustkrebspatientinnen verlängert. Doch Wülfing verwies auf die weiterhin positive Bewertung in Europa und argumentierte, angesichts der üblichen Kombination von Therapien sei es zunehmend schwer, einen Überlebensvorteil für ein einzelnes Medikament nachzuweisen.

Trastuzumab kompensiert den prognostischen Nachteil HER2-positiver Tumoren, d. h. diese Patientinnen haben mit Trastuzumab die gleiche Lebenserwartung wie Patientinnen mit HER2-negativen Tumoren. Hauptnebenwirkung ist die reversible Kardiotoxizität. Allerdings erleidet die Hälfte der Patientinnen nach einem Jahr ein erneutes Tumorwachstum. Dann ist ein anderes Arzneimittel angebracht wie das oral eingesetzte Lapatinib, das gegen HER1 (= EGFR) und HER2 wirkt.

Als weitere Optionen bieten sich künftig zwei Innovationen an, die voraussichtlich bald zugelassen werden: Pertuzumab ist ein HER-Rezeptordimerisierungsinhibitor und Trastuzumab-DM1 (Trastuzumab-Emtansin) ein Konjugat aus Trastuzumab und dem an den Mikrotubuli angreifenden Zytostatikum DM1. Mithilfe des monoklonalen Antikörpers Trastuzumab gelangt das zytotoxische DM1 selektiv in die HER2-positiven Tumorzellen.


Prof. Dr. Frank Gieseler

Supportivtherapie erfordert Kommunikation

Der Onkologe Prof. Dr. Frank Gieseler, Lübeck, vermittelte einen Überblick über die Supportivtherapie beim Mammakarzinom. Die meisten dieser Maßnahmen sind gegen die Anämie, den Schmerz und die Emesis gerichtet. Bei fortgeschrittener Erkrankung soll sie die Lebensqualität erhalten und unerwünschte Wirkungen möglichst vermeiden oder zumindest erkennen und behandeln. Letztlich kann die Supportivtherapie sogar die Prognose verbessern. Sie ist daher als Teil des Therapiekonzepts zu sehen; dazu gehört auch eine entsprechende Kommunikation zwischen Patientin und Arzt.

Für ein strukturiertes Vorgehen bei der Supportivtherapie empfahl Gieseler zunächst eine individuelle Risikoanalyse; danach müssen die einsetzbaren Therapeutika hinsichtlich ihrer Nebenwirkungen und eventuell hinsichtlich ihrer Interaktionen hinterfragt werden. Da Brustkrebspatientinnen im Durchschnitt 63 Jahre alt sind, haben sie häufig Vorerkrankungen und erhalten weitere Medikamente. Außerdem müssen medikamentöse Vorbehandlungen berücksichtigt werden, weil einige Arzneistoffe im Gewebe kumulieren.

Toxizitäten im Voraus bedenken

Wegen der Kardiotoxizität der Anthracycline sollte vor jeder Anthracyclin-Behandlung eine Echokardiografie stattfinden. Der Kardiologe sollte auch die diastolische Funktion prüfen, denn dort wirken sich Anthracycline zuerst aus (bei sonst üblichen Herzuntersuchungen wird vorrangig die systolische Funktion geprüft).

Die Neurotoxizität, die insbesondere bei Gabe von Taxanen und Vincaalkaloiden auftritt, ist ebenfalls ein kumulativer Effekt. Diabetes oder Alkoholkonsum verringern die tolerierbare Menge beträchtlich. Außerdem ist individuell zu unterscheiden, inwieweit beispielsweise die Empfindsamkeit in den Fingern relevant für den Alltag der Patientin ist. Als praktikablen Test auf neurotoxische Effekte empfahl Gieseler das Empfinden von Schwingungen einer Stimmgabel an Knochenvorsprüngen.

Nach einer Strahlentherapie muss die Auswirkung auf die Knochenmarksreserve beachtet werden, die für die Verträglichkeit künftiger Chemotherapien relevant ist.

Auf Nierenfunktion und Herz-Kreislauf-Probleme achten

Auch Organeinschränkungen können den Einsatz von Arzneimitteln begrenzen, insbesondere die Nierenfunktion. Erbrechen oder vermindertes Trinken können zur Dehydratation führen. Daher muss die Kreatinin-Clearance (und nicht nur der Kreatinin-Wert) ermittelt und im Behandlungsverlauf überprüft werden. Durch eine erworbene Niereninsuffizienz drohen beispielsweise eine Überdosierung niedermolekularer Heparine und damit Blutungen.

Als weitere wichtige Nebenwirkung von Zytostatika müssen insbesondere bei vorbestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen Thrombosen beachtet werden. Diese können zu kleinen Lungenembolien führen und sich als Dyspnoe äußern.

Für die erste Anwendung eines Zytostatikums empfahl Gieseler die bestmögliche antiemetische Therapie, damit die Patientin erlebt, dass die Übelkeit verhindert werden kann. Später kann der Patientin eine Bedarfsmedikation verordnet werden, weil bei eher leichter Übelkeit schon das Wissen um die Verfügbarkeit der Behandlung beruhigend wirkt. Dagegen sollte die Schmerztherapie immer prophylaktisch stattfinden – es sollte nicht gewartet werden, bis Schmerzen auftreten.

Oft unterschätzt: Fatigue

Nach Meinung von Gieseler unterschätzen Onkologen oft die große Belastung der Fatigue für die Patienten. Fatigue entsteht insbesondere durch lange Therapien und die insgesamt veränderten Lebensumstände. Als Gegenmaßnahmen empfahl Gieseler Sport und eine ausgewogene Ernährung.

Als Arzt betonte Gieseler mehrfach, wie wichtig die Kommunikation mit den Patientinnen ist. Patientinnen müssen über zu erwartende Nebenwirkungen informiert werden, ihre Sorgen und Ängste müssen berücksichtigt werden. Letztlich müsse die Supportivtherapie immer wieder an eine veränderte Erkrankung und neue Therapieabschnitte angepasst werden.

Dipl.-Psychologin Monika Bohrmann

Psychische Betreuung – auch in der Apotheke

Dipl.-Psychologin Monika Bohrmann, Hamburg, beschrieb die Psychoonkologie als interdisziplinäres Fach, das von Medizinern, Psychologen, Pflegern, aber auch Apothekern ausgeübt wird. Die psychoonkologische Betreuung zielt auf eine kontinuierliche Begleitung durch alle Erkrankungs- und Behandlungsphasen. Sie kann Angst, Depressionen, Schmerzen, Übelkeit und Fatigue vermindern sowie die Krankheitsverarbeitung und letztlich die Lebensqualität verbessern. Es gibt jedoch keine gesicherten Belege für längere Überlebenszeiten durch eine solche Betreuung.

Bohrmann appellierte an die Apotheker, das Vertrauensverhältnis zu den Patienten für die Beratung zu nutzen. Immerhin etwa 30 Prozent aller Krebspatienten entwickeln eine behandlungsbedürftige Anpassungsstörung. Die jeweils relevanten Probleme und Bedürfnisse sind individuell verschieden. Bohrmann folgerte daher: "Das Einzige, was Krebspatienten verbindet, ist, dass sie alle unterschiedlich sind."


tmb



DAZ 2013, Nr. 8, S. 80

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