Arzneimittel und Therapie

Eindeutiger Trend zur personalisierten Medizin

Neues vom amerikanischen Krebskongress ASCO

„Die personalisierte Medizin führt zu ermutigenden Therapieerfolgen, allerdings kann derzeit nur eine Minderheit davon profitieren“ – so können die Ergebnisse des diesjährigen amerikanischen Krebskongresses ASCO zusammengefasst werden. Im Folgenden werden einige Studien zur medikamentösen Therapie einzelner Tumorarten vorgestellt.

Auf dem diesjährigen Treffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago informierten sich rund 25.000 Teilnehmer über aktuelle Studienergebnisse und neue Targets in der Onkologie. Aus rund 5000 eingereichten Beiträgen wurden 2000 ausgewählt, die dann in Vorträgen oder im Rahmen einer Posterpräsentation vorgestellt und diskutiert wurden. Die meisten Vorträge zur medikamentösen Tumortherapie befassten sich mit dem Einsatz zielgerichteter Substanzen, Beiträge zu klassischen Zytostatika waren in der Minderzahl, was den derzeitigen Trend zur personalisieren Therapie widerspiegelt. Diese personalisierte oder zielgerichtete Behandlung ist aber derzeit nur für eine Minderheit der Patienten verfügbar, da längst nicht alle Signalwege bei der Krebsentstehung bekannt und zu unterbrechen sind, so Prof. Dr. Jürgen Wolf, Köln, bei einer von der Firma Roche veranstalteten Pressekonferenz am 15. Juni 2012 in Frankfurt.


Aktuelle Entwicklungen und sich daraus ergebende Konsequenzen


  • Es werden zunehmend biologisch rationale Therapien eingesetzt, die auf einem molekularen Verständnis der zugrunde liegenden pathologischen Vorgänge basieren.

  • Aufsplitterung der Tumorentitäten in genetisch definierte Subgruppen

  • Durch zielgerichtete Therapien werden höhere Ansprechraten und eine längere Ansprechdauer als durch herkömmliche Zytostatika erzielt, allerdings kann derzeit auch mit zielgerichteten Substanzen der Progress nicht verhindert werden.

  • Zunehmendes Verständnis der molekularen Resistenzmechanismen und deren therapeutische Überwindung.

  • Chronifizierung der Krebserkrankung

  • Erforderlich sind frühe "Proof-of-concept-Studien" sowie die schnelle Entwicklung von Testverfahren zur Bestimmung biomolekularer Marker.

  • Schaffung neuer Kooperationsstrukturen

Lungenkarzinom – Entität mit vielen molekularen Subtypen

Die Aufspaltung einer Tumorentität in molekulare Subtypen kann besonders deutlich beim Lungenkarzinom aufgezeigt werden, und es ist denkbar, dass die derzeitige Einteilung in kleinzellige und nicht-kleinzellige Tumore bzw. in Platten- und Adenokarzinome bald überholt sein wird. Heute kann bereits etwa die Hälfte aller Lungentumore molekular definiert werden, das heißt, die für das Tumorwachstum verantwortlichen Genveränderungen sind bekannt. Einige dieser Mutationen werden bereits therapeutisch genutzt, so etwa durch die Gabe von Crizotinib bei Vorliegen einer ROS1-Mutation. Bei dieser, mit einer Inzidenz von rund 1% relativ selten auftretenden Mutation ist eine Tyrosinkinase aktiviert, die mit Crizotinib gehemmt werden kann. In einer ersten kleinen Studie zeigte sich ein teilweise eindrückliches Ansprechen (Abstract 7508).

Als Konsequenz der molekularen Klassifikation wird es Prof. Dr. Martin Wolf, Kassel, zufolge in Zukunft nur noch Studien für selektive Patientengruppen geben. Was die derzeitige lokale Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms anbelangt, so werden die bestehenden Therapieempfehlungen durch den ASCO wohl nicht verändert; bei der Erhaltungstherapie setzt sich die kontinuierliche Gabe von Pemetrexed oder Bevacizumab durch.

Kolorektales Karzinom – Angiogenesehemmung auch nach Progress

Bevacizumab gehört zum Standard in der Erstlinientherapie von Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom. Ob es sinnvoll ist, die Therapie auch nach Progress weiterzuführen, wurde in einer Studie mit mehr als 800 Patienten untersucht. Alle Patienten hatten in der Erstlinie Bevacizumab erhalten, kombiniert mit einer Oxaliplatin- oder Irinotecan-basierten Chemotherapie. Trat unter dieser Therapie ein Progress auf, wurden die Probanden randomisiert und erhielten in der Zweitlinie entweder eine andere Chemotherapie, aber kein Bevacizumab mehr (das derzeit übliche Vorgehen), oder die Bevacizumab-Gabe wurde zusammen mit einer anderen Chemotherapie fortgesetzt. Patienten, die in der Erstlinie Oxaliplatin erhalten hatten, erhielten in der Zweitlinie Irinotecan und umgekehrt. Das wichtigste Ergebnis: Unter der in der Zweitlinie fortgesetzten Bevacizumab-Gabe konnte das Gesamtüberleben der Patienten signifikant um 1,4 Monate verlängert werden. Das progressionsfreie Überleben wurde ebenfalls signifikant um 1,6 Monate verlängert (Abstract CRA3503). Das Fazit von Prof. Dirk Arnold, Hamburg: Der bislang bis zur Progression zugelassene Antikörper Bevacizumab ist auch über die Tumorprogression hinaus wirksam und verlängert bei fortgesetzter Gabe das Überleben.

Weitere wichtige Studien zum kolorektalen Karzinom betrafen den Einsatz des VEGF-Trap Aflibercept (Abstract 3505) sowie des oralen Multityrosinkinase-Inhibitors Regorafenib als Monotherapie nach multiplen Vortherapien (Abstract 3502).


Antikörper-Wirkstoff-Konjugat T-DM1


Trastuzumab-Emtansin (T-DM1) ist ein Konjugat aus dem Antikörper Trastuzumab, dem Zytostatikum DM1 (Drug Maytansinoid 1) und dem Verbindungsmolekül MCC (4-[3-Mercapto-2,5-dioxo-1-pyrrolidinylmethyl]-cylohexancarbonsäure). DM1 oder Mertansin ist ein Maytansinoid, das als Spindelgift die Tubulinpolymerisation über die gleiche Bindungsstelle wie Vincaalkaloide hemmt. Antikörper, in denen Mertansin über MCC gekoppelt ist, werden mit dem INN Emtansin ergänzt.

Trastuzumab transportiert das Zyto statikum DM1 zu den HER2-positiven Tumorzellen. Dort blockiert es den Rezeptor HER2 und aktiviert das Immunsystem gegen die Tumorzellen. T-DM1 wird in die Zelle aufgenommen und DM1 von Trastuzumab abgetrennt. Spätestens dann wird die Zelle durch DM1 abgetötet. Der HER-2 Antikörper Trastuzumab fungiert also als Vektor, über den das antimikrotubulär wirkende Zytostatikum direkt im Tumor freigesetzt wird.

Roche und Genentech planen, noch in diesem Jahr Zulassungsgesuche für T-DM1 für die Therapie des HER2-positiven metastasierten Mammakarzinoms bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) einzureichen.

Gynäkologische Tumore – Benefit durch T-DM1

Das fortgeschrittene Ovarialkarzinom wächst in vielen Fällen nach der Erstbehandlung weiter und häufig wird in diesen Fällen eine Resistenz gegenüber einer platinbasierten Chemotherapie beobachtet. Die dann noch zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten sind begrenzt. Daher wurde in der AURELIA-Studie mit 361 Patientinnen untersucht, ob die zusätzliche Gabe von Bevacizumab einen klinischen Benefit aufweist. Das Ergebnis: Die Kombination von Bevacizumab mit der Standardchemotherapie beim platinresistenten Ovarialkarzinom führte zu einer statistisch signifikanten und klinisch relevanten Verbesserung der Gesamtansprechrate und des progressionsfreien Überlebens (Abstract LBA5002). Damit steht mit Bevacizumab eine wertvolle Ergänzung der bisherigen Therapieoptionen beim platinresistenten Ovarialkarzinom in Aussicht, so Prof. Dr. Wolfgang Janni, Düsseldorf.

Eine viel beachtete Präsentation und einer der Highlights auf dem diesjährigen ASCO war die EMILIA-Studie beim metastasierten, HER-2-positiven Mammakarzinom. Die Prognose der betroffenen Patientinnen ist bei Fortschreiten der Erkrankung unter oder nach der Therapie mit Trastuzumab und Taxanen ungünstig. In der EMILA-Studie wurde das Immunkonjugat T-DM1 eingesetzt, das aus Trastuzumab, dem Tubulus-Inhibitor Mersantin und einem Linker besteht (s. Kasten). Die randomisierte Phase III-Studie mit knapp 1000 Patientinnen (alle mit Trastuzumab und Taxan vorbehandelt) vergleicht das Zweit-Linien-Therapieregime Lapatinib/Capecitabin mit T-DM1. Das Ergebnis: Durch T-DM1 wurde das progressionsfreie Überleben gegenüber der Kombination Capecitabin plus Lapatinib signifikant um 3,2 Monate verlängert (9,6 vs. 6,4 Monate). Gleichzeitig war das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat der Kombinationstherapie hinsichtlich der Ein- und Zwei-Jahres-Überlebensraten überlegen. Die Analyse des mittleren Gesamtüberlebens ist aufgrund der zu geringen Zahl an Ereignissen im T-DM1-Arm bislang limitiert. Eine erste Zwischenanalyse zeigte jedoch bereits ein tendenziell verlängertes Gesamtüberleben bei Patientinnen, die mit T-DM1 behandelt wurden (Abstract LBA1). Das Fazit von Janni: T-DM1 ist eine effektive Kombination aus Chemotherapie und HER2-zielgerichteter biologischer Therapie mit weniger Nebenwirkungen und einer höheren Wirksamkeit als konventionelle Therapien.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2012, Nr. 31, S. 33

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