Leitbild

Verbesserungsbedürftig!

Die Rolle des Apothekers in der ambulanten Arzneimittelversorgung

Von Uwe Hüsgen und Andreas Kaapke | Bis in die 1980er Jahre galt: Im Mittelpunkt der apothekerlichen Tätigkeit steht das Arzneimittel. Nachdem mit der Entwicklung des DAV-Marketingkonzeptes in den Jahren 1985 und 1986 auch in Apotheken Marketing von Standes wegen hoffähig geworden war, setzte sich die Auffassung durch, dass im Mittelpunkt der apothekerlichen Tätigkeit der Mensch und damit der Patient oder Kunde zu stehen habe. So wurde mit dem Marketing-Gedanken spätestens ab diesem Zeitpunkt aus dem „unmündigen Patienten“ der „mündige Patient“ oder – pointierter formuliert – der „umworbene (bzw. zu umwerbende) Kunde“.

Mit dieser veränderten Sicht der eigenen Tätigkeit in der Offizin wurde auch die Systematik der (alten) degressiv ausgestalteten Arzneimittelpreisverordnung teilweise neu bewertet: je höher der Umsatz (je Kunde bzw. je Rezept), umso höher der Rohertrag (je Kunde bzw. je Rezept). Mit der Folge, dass Marketing-aktive Apotheken (Stichworte: „gezielte Zugaben“, „Beteiligung an der Gründung von Ärztehäusern“ usw.) erfolgreicher „am Markt“ agierten als ihre Kollegen, die zudem plötzlich (von Kollegen) zu Wettbewerbern geworden waren.

Explosion der Gesundheitsausgaben

Angesichts der „Explosion der Gesundheitsausgaben“ (und der damit einhergehenden Erhöhung der Krankenkassenbeitragssätze) kam es zu einer Inflation an Gesundheitsreformen (allein von 1997 bis 2011 waren es 15), von denen auch stets die Apotheken betroffen waren.

Trotzdem wuchs der Arzneimittelmarkt aufgrund des pharmazeutischen Fortschritts, der zweifellos zur Verlängerung des Lebensalters beigetragen hat und noch heute dazu beiträgt, nach wie vor überproportional. Dazu kam, dass – auch aus Kostengründen – die gesundheitspolitische Maxime „So viel stationär wie nötig; so viel ambulant wie möglich“ immer mehr beherzigt wurde. Überproportional wuchs der Arzneimittelmarkt aber auch deshalb, weil der Patient einen Arztbesuch nur dann als „erfolgreich“ bewertete, wenn er abschließend ein ausgestelltes Rezept in Händen halten konnte. Dass die Leistungserbringer in diesem Segment an der gesamten Entwicklung nicht unbeteiligt waren und sind, erklärt sich von selbst. Ein Ergebnis dieser Inflation an Gesundheitsreformen ist – bis heute – die mangelnde Planungssicherheit für Apotheken.

Probleme mit den Krankenkassen

Im Zuge der ausufernden Verordnungen und Gesetze hielt die Bürokratie immer stärker Einzug in die Apotheken. Die Verträge mit den Krankenkassen, ehemals partnerschaftlich verhandelt, mutierten im Laufe der letzten Jahre zu Diktaten der Krankenkassen nach dem Motto: „Friss oder stirb!“ Unter dem hohen Wettbewerbsdruck (der Apotheken untereinander, aber auch mit anderen Be- und Vertriebsformen, z.B. bei Hilfsmitteln oder dem nicht-apothekenpflichtigen Ergänzungssortiment) waren die vertragschließenden Apothekerverbände kaum in der Lage, diese „Angebote“ der Krankenkassen abzulehnen, konnten die Kassen in den Verhandlungsgesprächen doch immer wieder einzelne Apotheken benennen, deren Zugeständnisse (in Preis und Lieferumfang) noch über diese „Angebote“ hinausgingen. Dem Vorwurf, ihre Mitglieder von der Versorgung auszuschließen, wollten sich die Verbände nicht aussetzen. Die besagten einzelnen Apotheken mit den „außergewöhnlichen Angeboten“ beabsichtigten, über den Mengenzuwachs die Kürzungen der Margen auszugleichen. Im Prinzip hatte der DAV Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre eine „Blaupause“ für diese Solitäre geliefert, als er versuchte, den GKV-Hilfsmittelmarkt über den Preis zurückzuerobern – unter Missachtung der Tatsache, dass es stets andere (und seien es Außenstehende) gibt, die noch billiger sein können.

Angesichts der Flut von (mit hohen finanziellen Aufwendungen verbundenen) Gesetzen, Verordnungen und Krankenkassenverträgen ging der Bezug der Apotheke zu „ihrem Patienten“ immer mehr verloren; der Kunde wandelte sich immer mehr zum „Kosten- und Ertragsträger“. Damit wurden aber auch die Leistungen des Apothekers vermehrt als ökonomisch und weniger als heilberuflich wahrgenommen.

Dazu kam, dass die Krankenkassen – nicht länger von Sozialversicherungsfachangestellten, sondern von knallhart kalkulierenden Betriebswirten geführt und von der Politik mit einem Zuwachs an Macht ausgestattet – die Apotheken verstärkt retaxierten. Mit der „Rechnungskontrolle von Apotheken“ wurden nicht selten outgesourcte Firmen beauftragt (Stichwort: „Retaxation auf Knopfdruck“), deren Erfolg sich an der Höhe der eingespielten Geldbeträge bemisst. Ein eklatantes Beispiel für zweifelhafte Retaxationen liefert aktuell die AOK Bayern, die einer Apotheke die Kosten für abgegebene Impfstoffe nicht erstattet. Zum Verordnungszeitpunkt konnte der Exklusivhersteller der Ausschreibung die Ware nicht bereitstellen. Als die Apotheke dann endlich die Impfstoffe beziehen und an die Praxis ausliefern konnte, war die einmonatige Abgabefrist gemäß Liefervertrag bereits überschritten (s. AZ 2013, Nr. 31, S. 1).

Betriebswirtschaftliches Wissen erforderlich

Aufgrund des enorm gestiegenen bürokratischen Aufwands und des damit verbundenen gewaltigen Kostendrucks waren und sind die Apotheken gezwungen, ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zu verbessern. Die Apothekerverbände haben diesen Bedarf zeitig erkannt und entsprechende Fortbildungsveranstaltungen angeboten. Selbst Apothekerkammern engagieren sich in diesem Bereich. So konzipierte die LAK Baden-Württemberg in Kooperation mit der European School of Business Reutlingen einen Masterstudiengang PharmaMBA, der im Frühjahr 2014 starten und die Verbindung von „Kompetenz in Pharmazie und Betriebswirtschaft“ im Berufsalltag schaffen soll (s. DAZ 2013, Nr. 29, S. 64). Mit Recht kann man sagen: „Erfolgreiche Apothekerinnen und Apotheker müssen heute (auch) kleine Betriebswirte sein.“

Defizite bei der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung

Wegen des Ertragsdrucks ging die Zeit für die persönliche Beratung des Kunden im Rahmen einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung zum Teil verloren. Die Fortbildungsangebote zu Themen der pharmazeutischen Beratung wurden zwar ständig erweitert und von den Apothekenleitern und -mitarbeitern auch angenommen; aber die neuen Erkenntnisse wurden nur selten adäquat umgesetzt, denn der Aufwand schien in keinem Verhältnis zum betriebswirtschaftlichen Nutzen zu stehen.

Die originäre Aufgabe der Apotheke, den Patienten in allen Arzneimittelfragen optimal zu beraten, ist dabei zu oft auf der Strecke geblieben. Auch deshalb, weil das Gros der Apotheker in der Vergangenheit nicht bereit war, mehr Verantwortung im Gesundheitswesen zu übernehmen. Die Institutionen des Berufsstandes übernahmen diese Einstellung der Basis; stichwortartig seien genannt: Nicht-Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), fehlende Stellungnahme zur „Pille danach“, eine grotesk anmutende Stellungnahme zur Apothekenpflicht von Tierarzneimitteln. Die in diesen beispielhaften Feldern eingenommenen bzw. nicht eingenommenen Rollen sollen als Beleg für ein zu schwach ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein des Berufsstandes gelten. Auf eine Erweiterung der Liste wird hier bewusst verzichtet.

Andererseits übernimmt der Berufsstand Verantwortung (und Haftung!) in Bereichen, in denen es einzig und allein um wirtschaftliche Interessen geht, ohne dass die Apothekerschaft an dieser Stelle gefordert wäre (Beispiel: Verrechnung des Herstellerrabatts nach § 130a Abs. 1 und 7 SGB V).

Die zu kritisierende mangelhafte Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung im Rahmen der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ist aber nicht nur bei den Institutionen des Berufsstandes festzustellen, sondern – unter dem wirtschaftlichen Druck – auch vermehrt in der Apotheke vor Ort.

Diese mangelnde Bereitschaft zur Übernahme von (haftender) Verantwortung ist umso weniger nachvollziehbar, als die Apotheker immer häufiger – als Letzte in der Versorgungskette – haften. Beispiele dafür lassen sich zuhauf finden: Bei Abgabe von Betäubungsmitteln auf nicht ordnungsgemäß ausgestellte Rezepte des Arztes sind die Apotheken auf Null retaxiert worden, obwohl eine Verweigerung der Abgabe zu unübersehbaren Folgen für den betroffenen Patienten geführt hätte; mit „Körperverletzung“ wäre dieser Vorgang noch sehr freundlich umschrieben. Oder: Die mangelnde Lieferfähigkeit des Herstellers eines rabattbegünstigten Arzneimittels (Metoprolol) und die Reaktionen von Apotheken wie „Fehldokumentationen“. Hierzu sei aus einem Gastkommentar in der DAZ zitiert (Uwe Hüsgen in DAZ 2011, Nr. 31, S. 23):

„Warum tun Apotheker aber so etwas?

  • Damit der Patient sein bewährtes Präparat weiter erhält,

– aus Marketing-Gründen, um sich gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil zu verschaffen?

– aus Gründen der Versorgungsqualität des Versicherten, ohne dass der Apotheker zu seinem Verhalten (seinem Patienten!) steht?

– aus Bequemlichkeit (oder Dummheit)?

  • Aus wirtschaftlichen Gründen,

– z.B. aus Angst vor dem Kassenregress?

– Aus Gründen der (augenscheinlichen) Rentabilitätsoptimierung?

Bis auf das unredliche Marketingverhalten einzelner, das im Zusammenspiel von Krankenkassen und Apothekerverbänden zeitnah und konsequent sanktioniert werden sollte, muss man den so agierenden Apothekern mangelndes Selbstvertrauen attestieren! Und dieses mangelnde Selbstvertrauen führt zu einem großen Vertrauensverlust der Politik, der Ärzte, der Krankenkassen und letztlich der Bevölkerung in die verantwortliche Arbeit der Apotheken. (Es stellt sich an dieser Stelle die sicher provokante Frage, ob etwa der Vertrag über einen Arzneimittel-Check zwischen der AOK Rheinland/Hamburg und den Hamburger Hausärzten bereits Ergebnis dieses mangelnden Vertrauens in die öffentlichen Apotheken sein könnte.) Deshalb müssen die Apotheker (lernen,) sich ihrer Verantwortung (zu) stellen und Fehlentwicklungen, wie sie die Gesetzgebung zu den Rabattverträgen (nach § 130a SGB V) mit allen ihren gesetzgeberischen und auch vertraglichen (!) Verpflichtungen für die öffentlichen Apotheken darstellen, konsequent und ungeschönt (zu) dokumentieren.“

Aufgaben übernehmen, z.B. Medikationscheck

Der Apotheker hat gelernt, Rezepte ordnungsgemäß zu bedienen, auszuführen; er arbeitet stets „auf Anweisung“ – sei es aufgrund gesetzlicher Vorgaben, aufgrund vertraglicher Verpflichtungen gegenüber den Krankenkassen oder aufgrund der ärztlichen Verordnung. Das eigenverantwortliche Handeln im Rahmen der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung des Versicherten ist ihm nur bedingt beigebracht worden; es wurde und wird ihm nicht leicht gemacht. Verantwortung sollten möglichst andere (z.B. die Ärzte) übernehmen.

Deshalb darf es auch nicht zu stark verwundern, wenn Krankenkassen ihre Versicherten im Rahmen des Medikationschecks nicht den originär zuständigen Apothekern, sondern vielmehr den Hausärzten anvertrauen, obwohl diese nicht den gesamten Arzneimittelverbrauch ihrer Patienten überblicken können (Stichwort: Selbstmedikation) und nicht über die unbestrittene pharmazeutische Kompetenz der Apotheker verfügen.

Die Rolle der öffentlichen Apotheken im Rahmen einer ordnungsgemäßen ambulanten Arzneimittelversorgung der Patienten muss überdacht, neu definiert und in Zukunft entsprechend gelebt werden, sollen die Apotheker nicht zu Arzneimittelkaufleuten degradiert oder sogar durch Automaten ersetzt werden. Dabei ist das Wissen der Apotheker um die optimale Versorgung von Patienten mit Arzneimitteln heute mehr gefragt denn je, denn es kann wesentlich zur Volksgesundheit beitragen – von der optimalen Verwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen einmal ganz zu schweigen.

Wenn die Apotheker und ihre Verbände jetzt nicht nachhaltig aktiv werden, um diesem unsäglichen Verfahren ein Ende zu bereiten, wird die öffentliche Apotheke ihre Stelle als letzte Kontrollinstanz vor der Einnahme des Arzneimittels durch den Patienten kaum halten können.

Die Umstellung der ehemals degressiv ausgestalteten Arzneimittelpreisverordnung auf das Kombimodell ist auch erst erfolgt, als – wie es damals hinter vorgehaltener Hand von verantwortlicher Seite gesagt wurde – „das Bonbon gelutscht“ war. Wäre die Umstellung nicht vollzogen worden, hätte der Arzneimittelversandhandel gerade im Hochpreisbereich (bei der Chroniker-Versorgung) der Apotheke vor Ort kaum eine Schnitte gelassen. Die Krankenkassen, da darf man sicher sein, hätten mit Jahresbeginn 2004 gnadenlos ausgesteuert.

Fazit

Die Apothekerinnen und Apotheker haben sich in eine unglückliche Lage manövriert. Fasst man die oben gemachten Aussagen zusammen, lässt sich eine interessante Matrix (Portfolio) erstellen.

Beispiele für die vier Felder:

I. In der Apotheke wird – aufgrund pharmazeutischer Bedenken – ein anderes als das in der EDV gekennzeichnete rabattbegünstigte Arzneimittel abgegeben.

II. Auf einer ärztlichen Verordnung fehlt beim Arztstempel die Telefonnummer. Der Versicherte benötigt das Arzneimittel (z.B. ein BtM) aber umgehend.

Weiteres Beispiel: Aufgrund der Packungsgrößenumstellung besteht derzeit eine erhöhte Retaxierungsgefahr (vgl. DAZ 2013. Nr. 32, S. 22).

III. Fall II, aus Sicht des Vertragsarztes.

IV. Patient hat kurzfristig (innerhalb eines Quartals) seine Krankenkasse gewechselt, was weder dem verordnenden Arzt bekannt gemacht wurde noch der Apotheke bekannt ist.

Neben dieser Frage des Selbstwertgefühles und des Selbstbewusstseins der Apotheker stellt sich die Frage nach den Rollen, die sie einnehmen, und wie sich das Rollenverständnis in den letzten Jahren entwickelt hat. Dabei sollte nicht verkannt werden, dass es zum Rollenverständnis eine interne Sicht (Wie sehen sich Apotheker selbst?) und eine externe Sicht (Wie werden Apotheken von Ärzten, Krankenkassen, Großhandel, Politik, Bürgern usw. gesehen?) gibt.

In den letzten Jahren fand eine Diskussion darüber statt, ob der Apotheker stärker Heilberufler oder Kaufmann sein sollte. Dies wurde noch angereichert um die Frage, ob er nicht auch noch zusätzlich Dienstleister sein sollte. Mit Verlaub, man gewinnt den Eindruck, dass sich diese Frage gegenwärtig nicht stellt.

Die Einschnitte in den letzten Jahren haben den Apotheker nur bedingt als Kaufmann erscheinen lassen, und bei zentralen pharmazeutischen Themen tritt er so gut wie nicht in Erscheinung, von Kommentaren zur Gesundheitspolitik – über den eigenen Tellerrand hinaus – ganz zu schweigen. Gegenwärtig wird der Apotheker kaum mehr als Heilberufler, der sich einzig und allein dem Wohl seines Patienten verpflichtet fühlt, angesehen; und sicher ist er auch kein Vollkaufmann. Das muss sich schnellstens ändern; es besteht Verbesserungsbedarf! Vielleicht können diese Überlegungen die Leitbilddiskussion befeuern. 

Autoren

Dipl.-Math. Uwe Hüsgen, Essen, war langjähriger Geschäftsführer des Apothekerverbandes Nordrhein e.V.

E-Mail: uwe.huesgen@web.de



Prof. Dr. Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und Inhaber des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. Einen Schwerpunkt des Unternehmens bildet der Apothekenmarkt.

www.kaapke-projekte.de

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