Deutscher Apothekertag 2012

Revolution abgesagt

Debatten zu vielfältigen Anträgen

Bei jedem Apothekertag gibt es zahlreiche Anträge, die inhaltlich keinem Arbeitskreis zugeordnet werden können. In diesem Jahr war diese Liste besonders lang. Doch nicht nur die Zahl der Anträge fiel auf, sondern auch die Zielrichtung etlicher Anträge. Einige "Protestler", die bereits vor dem Apothekertag auf sich aufmerksam gemacht hatten, wollten grundlegende Änderungen in der Struktur, der Arbeitsweise und dem Außenauftritt der ABDA durchsetzen. Daneben gab es zahlreiche Anträge zu einigen grundlegenden und etlichen sehr speziellen berufspolitischen oder pharmazeutischen Fragen.

"Apothekerprotest"-Plakate vor dem Saal.
Fotos: DAZ/Alex Schelbert

Im Laufe der zurückliegendenJahre und Jahrzehnte hatte es schon mehrfach Anträge gegeben, die auf eine Direktwahl des ABDA-Präsidenten und ähnliche wesentliche Änderungen zielten. Solche Anliegen wurden früher eher belächelt, wenn nicht sogar lächerlich gemacht. In früheren Zeiten wurden Diskussionen über solche Anträge teilweise mit Geschäftsordnungsanträgen abgewürgt. Doch diesmal war alles ganz anders: Die weitreichendsten Anträge waren prominent am Beginn des Antragshefts platziert. Die Diskussion stand daher nicht unter Zeitdruck, wie das am Ende des Apothekertags leicht möglich ist. ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf als Sitzungsleiter gab den oppositionellen Delegierten allen Raum zur Darstellung ihrer Anliegen und nahm die Anregungen ernst.

Letztlich wurden aber auch in diesem Jahr alle Anträge zu einer grundlegenden Strukturänderung der ABDA mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Nur der Antrag für die Direktwahl des ABDA-Präsidenten und -Vizepräsidenten erhielt nennenswerte Zustimmung. Die Zahl der Ja-Stimmen war immerhin zu groß, um sie auf einen Blick zählen zu können, aber nicht so groß, dass die Stimmen für die Entscheidung ausgezählt werden mussten.

Direktwahl des ABDA-Präsidenten?

Der erste Reformantrag zielte darauf, die Wahlordnung der ABDA für ein Jahr auszusetzen, damit nach der Bundestagswahl neue Amtsinhaber zur Verfügung stehen. Der zweite Antrag forderte, eine Satzung zu erarbeiten, nach der der ABDA-Präsident und sein Stellvertreter durch die Hauptversammlung gewählt werden sollten. Dr. Christoph Klotz betonte, die Anträge sollten die ABDA stärken und den Schulterschluss zwischen der Basis und der Berufspolitik verbessern. Es sei nicht die Absicht der Reformer, die ABDA zu zerstören. Wer sich mit den Apotheken anlege, solle wissen, dass er sich nicht mit 34 Verbandschefs, sondern mit 80.000 Apothekern anlege.

Gunnar Müller aus Detmold.

Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, betonte, die Anträge seien von Einzelpersonen gestellt, die der Kammer Westfalen-Lippe angehören, sie seien aber keine Anträge der Kammer. Sie verglich die Antragsteller mit "Geisterfahrern", die zu enttarnen seien. Dr. Ralf Schabik verwahrte sich später mit dem Hinweis auf die schrecklichen Folgen von Geisterfahrten gegen diesen Vergleich. Außerdem betonten die Angegriffenen, dass sie nicht enttarnt werden müssten, weil sie sich offen zeigten. Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, erklärte zu den Anträgen, statt Beliebigkeit bei der Wahl bräuchten die Apotheker Kontinuität. Gunnar Müller sagte, er sei erstaunt, dass die Delegierten einen Antrag zerreißen würden, der sie stärken solle. "Wir sind keine Nestbeschmutzer. Ich möchte den Delegierten Mut machen", erklärte Müller.

Wolf entgegnete, die ABDA sei ein Verband der Verbände. Eine Direktwahl würde das Wesen der ABDA als Klammer der Verbände verändern. Zudem deutete Wolf an, eine solche Änderung könne die Hauptversammlung nicht beschließen, weil für Satzungsänderungen die Mitgliederversammlung zuständig sei. Wolf nutzte diese naheliegende Formalie allerdings nicht, um die Diskussion zu beenden. Doch er verwahrte sich dagegen, die ABDA-Spitze würde "einsame Entscheidungen" treffen, wie es die Reformer behaupteten. Außerdem passe die Bezeichnung "Macht" im Zusammenhang mit der ABDA-Spitze nicht. Müller argumentierte dagegen, die ABDA solle die Führung der Apothekerschaft darstellen, derzeit repräsentiere sie dagegen nur die Verbände.

Ann-Katrin Kossendey aus Wiefelstede.

Michael Mantell erklärte, die Direktwahl des ABDA-Präsidenten würde der ABDA eine effiziente Struktur geben, und appellierte an die Delegierten, mehr Demokratie zu wagen. Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, begrüßte zwar die Diskussion über den Antrag, aber es störe ihn, dass dieser mit mehr Demokratie begründet werde. Denn es gehe nicht um mehr oder weniger Demokratie, sondern um andere Demokratieformen. Ann-Katrin Kossendey widersprach dem Vorwurf, junge Apotheker würden sich zu wenig engagieren. Vielen fehle die nötige approbierte Vertretung, oder sie hätten kleine Kinder. Ein Engagement sei oft nicht möglich, weil der Rahmen fehle. Ihres Erachtens würden die Anträge die Nöte der Basis zeigen. Die Kluft zur Basis sei groß geworden. Nach der Diskussion stimmten am Donnerstagnachmittag nur fünf Delegierte für die Aussetzung der ABDA-Wahlordnung und eine klare Minderheit für die Direktwahl des ABDA-Präsidenten.

Weitere Reformideen

Am Freitag stand zunächst der Antrag zur Umbenennung der ABDA in "Bundesinteressenvereinigung der Deutschen Apothekerinnen und Apotheker" auf der Tagesordnung. Klotz betonte, auch dieser Antrag sei "gut gemeint" und die Namensänderung sei "das kleinste Opfer für eine Signalwirkung an die Basis". Müller äußerte sich allerdings enttäuscht, "wie viel Basis hier ist", denn am Freitagfrüh waren nur sehr vereinzelte Apotheker mit sichtbaren Protestzeichen im Sitzungssaal. Der Antrag wurde abgelehnt und erhielt 17 Ja-Stimmen.

Der folgende Antrag zielte darauf, die Hauptversammlung des Deutschen Apothekertags anstelle der Mitgliederversammlung als höchstes Entscheidungsgremium der ABDA zu etablieren. In der Diskussion zu diesem Antrag warf Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, die Frage auf, wer eigentlich die Basis sei. Der Vorwurf, die Vertreter der Mitgliedsorganisationen seien von der Basis abgehoben, ärgere sie. Vielmehr spreche sie denjenigen, die sich in der Diskussion als Basis bezeichnen würden, ab, dass sie die Basis seien. Dr. Ralf Schabik, Mitunterzeichner des Antrags, fand daraufhin einen versöhnlichen Kompromiss. Er beklagte in der Sache, dass nicht auf Bundesebene beim Apothekertag über wesentliche Veränderungen gesprochen werde. Doch zugleich betonte er ausdrücklich sein Vertrauen in die Personen an der Spitze der ABDA. Die Anträge seien keine Kritik am Podium. Siemsen warnte, die geplanten Änderungen würden die Gremien überfrachten. Letztlich stimmten nur vier Delegierte für den Antrag.

Elisabeth Thesing-Bleck

Der nächste Antrag zielte darauf, die Mitglieder der Hauptversammlung zur Hälfte direkt wählen zu lassen. In der Diskussion dankte Elisabeth Thesing-Bleck dem ABDA-Präsidenten Wolf, dass er die Hauptversammlung zu einem Informationsforum gemacht habe. Diese guten Gedanken sollten weiterentwickelt werden. Die Hauptversammlung solle für diejenigen geöffnet werden, die man erreichen wolle. Apotheker der jungen Generation seien eher für die kurzfristige Mitarbeit in Projekten zu gewinnen.

ABDA-Vizepräsident Schmidt fasste die Debatte zu den Reformanträgen zusammen. Er erklärte, die Anregung, über die angesprochenen Themen zu reden, sei angekommen. "Gehen Sie davon aus, dass Sie positiven Input gegeben haben", sagte er mit Blick auf die Antragsteller. "Wir haben das verstanden", so Schmidt. Daraufhin zogen die Antragsteller den Antrag zurück. Kossendey und ihre Mitstreiter zogen auch fünf weitere Anträge zurück, die erst am Samstag zur Beratung anstanden, davon vier bereits vor der Diskussion. Gegenüber der DAZ erklärte Kossendey später, sie "wollte die guten Inhalte nicht über Formalien verbrennen" und stehe inhaltlich weiter zu diesen Anliegen. Nach Klärung juristischer Aspekte werde sie die Anträge in Kammern oder Verbänden auf Landesebene wieder einbringen, weil ihr dies aussichtsreicher erscheine. Doch werde sie auch künftig den Deutschen Apothekertag besuchen.

Damit verblieb von den Anträgen der Reformer am Samstag nur noch der Antrag auf Redemöglichkeiten von berufsrelevanten Verbänden vor dem Deutschen Apothekertag. Klotz forderte, dazu einen eigenen Programmpunkt beim Apothekertag einzurichten, um spezielle Gruppierungen von Apothekern stärker in die Arbeit der ABDA einzubeziehen. Dagegen wurde angeführt, dass alle Apotheker ein Rederecht vor dem Apothekertag haben. Letztlich wurde auch dieser Antrag abgelehnt. Er erhielt nur neun Ja‑Stimmen.

Anträge jenseits der Reformideen

Die übrigen Anträge waren inhaltlich sehr heterogen. Wie bei früheren Apothekertagen ging es oft darum, berufspolitisch unumstrittene Ziele zu bekräftigen, um gegenüber der Politik oder Verhandlungspartnern auf die Willensbildung des Apothekertags verweisen zu können. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der Antrag, bei den Verhandlungen zum Kassenabschlag für 2013 von 1,75 Euro als Verhandlungsgrundlage auszugehen, denn diese Verhandlungen werden kurz nach dem Apothekertag beginnen.

Pharmazeutische und andere neue Aufgaben

Andere Anträge wurden dagegen kontrovers diskutiert. So forderte der Apothekerverband Westfalen-Lippe, die Apotheker sollten "über die pharmazeutische Kernkompetenz hinaus neue, zur Gesundheitskompetenz der Apotheke passende Aufgabenfelder" erschließen, die auch die wirtschaftlichen Grundlagen der Apotheken stärken sollten. Damit wurde eine Kontroverse neu belebt, die sich bei der Debatte über die Apothekenbetriebsordnung entwickelt hatte. Denn im Frühjahr hatte der Apothekerverband Westfalen-Lippe dafür plädiert, den Katalog der apothekenüblichen Waren weiter zu fassen, als dies letztlich geschehen ist. In der Diskussion beim Apothekertag wurde nun kritisiert, der Antrag öffne den Weg zu eher dubiosen Dienstleistungen, insbesondere im Kosmetikbereich. Daher sollten im Antragstext ausdrücklich "pharmazeutische Aufgabenfelder" genannt werden. Für diese Änderung des Antrags stimmten 138 Delegierte, aber 189 Delegierte lehnten sie ab, daneben gab es 17 Enthaltungen. Die große Mehrheit der Delegierten stimmte auch dagegen, den Antrag in einen Ausschuss zu verweisen. Letztlich wurde der ursprüngliche Antrag (ohne das zusätzliche Attribut "pharmazeutische") mit klarer Mehrheit angenommen.

Wirtschaftliche Aspekte

Der Hessische Apothekerverband forderte in einem Antrag, der dreiprozentige Aufschlag gemäß Arzneimittelpreisverordnung solle auf sechs Prozent erhöht werden. So sollten Kostensteigerungen in den Apotheken künftig besser ausgeglichen werden. Gegen den Antrag wurde aber argumentiert, der prozentuale Aufschlag könne nur im Kontext zu anderen Änderungen der Arzneimittelpreisverordnung betrachtet werden. Außerdem sei der Antrag für den Umgang mit der Politik kontraproduktiv. Für die zu erwartende komplexe Diskussion wurde der Antrag mit großer Mehrheit in einen Ausschuss verwiesen.

Der Antrag, ein zentrales Melderegister für nicht verfügbare Rabattarzneimittel einzuführen, wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Der DAV-Vorsitzende Fritz Becker warnte entschieden vor einem solchen Register. In der Diskussion zeigte sich, dass die Nicht-Verfügbarkeit kaum zu definieren ist, weil mitunter zu wenige Packungen verfügbar sind. Die Meldung im Register könnte damit die tatsächliche Verfügbarkeit nicht abbilden, und dies könne sich zum Schaden der Apotheken auswirken. Mit klarer Mehrheit abgelehnt wurden auch ein Antrag auf Wiedereinführung von Naturalrabatten für OTC-Produkte und ein Antrag, OTC-Arzneimittel wieder in den GKV-Leistungskatalog aufzunehmen.

Pharmazeutische Aspekte

Der Antrag, die patientenindividuelle Dosierung als Angabe auf Rezepten vorzuschreiben, wurde in einen Ausschuss verwiesen. Der Antrag wurde damit begründet, die Dosierungsangabe sei nötig, um zu erkennen, ob Tabletten geteilt werden müssen. Diese Information wiederum sei für die Umsetzung der Rabattverträge notwendig. Dagegen wurde angeführt, eine zwingende Vorschrift führe zu großer Bürokratie, erfordere Nachträge auf Rezepten und eröffne neue Möglichkeiten für Retaxationen. Prof. Dr. Martin Schulz verwies auf eine naheliegende Lösung des Problems durch Medikationspläne. Auch über das ABDA-KBV-Modell hinaus werde die Entwicklung solcher Pläne forciert. Dann stünden die nötigen Informationen außerhalb des Rezeptformulars zur Verfügung.

Die Landesapothekerkammer Brandenburg forderte in einem Antrag, die Apothekerkammern sollten eine Machbarkeitsstudie zur stratifizierten Pharmakotherapie auf der Grundlage der Genotypisierung organisatorisch und finanziell unterstützen. In der Debatte wurde zunächst vor den hohen Kosten gewarnt. Darum solle die Pharmaindustrie in Vorleistung treten. Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, erklärte mit Blick auf Kongresse zu diesen Fragen, eine solche Studie sei derzeit nicht nötig. Vielmehr sollten die Apotheker intensiv beobachten, wer bereits Vorarbeit dazu leistet. Der Antrag wurde in einen Ausschuss verwiesen.

Gemischte Themen und Resolution

Bei einigen Anträgen zeichnete sich nach kurzer Diskussion ab, dass eine Entscheidung zwischen ja und nein schwer zu treffen sein würde. Sie wurden mehrheitlich in einen Ausschuss verwiesen. Dabei ging es um den Plan, einen bundesweit angebotenen Fortbildungskongress zu etablieren. In einem weiteren Antrag wurde gefordert, die Kommentarfunktion auf der Facebook-Seite der ABDA abzuschalten und stattdessen einen internen Mitgliederbereich für die Diskussion zu schaffen. In einem anderen Antrag ging es um die Nutzung von Fernsehserien für die Imagepflege des Berufsstandes.

Nach der Bearbeitung aller Anträge beschloss der Apothekertag einstimmig eine spontan eingebrachte Resolution an die gesetzlichen Krankenkassen, künftig bei Impfstoffen auf Ausschreibungen und Rabattverträge zu verzichten. Den Hintergrund dazu bildeten die jüngsten Versorgungsprobleme bei Grippeimpfstoffen in einigen Bundesländern.


tmb



Lesen Sie dazu auch den Kommentar "Steile Thesen".



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DAZ 2012, Nr. 42, S. 68

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