Grauer Markt

Krebs-Wundermittel Ukrain

Beendet Verhaftung des "Erfinders" illegalen Vertrieb?

Christian Steffen | Wie das österreichische Bundeskriminalamt mitteilte, wurde am 4. September 2012 Dr. W. Nowicky in Wien festgenommen [1]. Er und seine Mittäter stehen unter dem Verdacht, das weder in Österreich noch in der EU zugelassene Präparat Ukrain hergestellt und vertrieben zu haben. Bei 26 Hausdurchsuchungen wurden davon mehr als 200.000 Ampullen sowie geringe Mengen Cannabis und Kokain sichergestellt. Ob damit das Ende eines jahrzehntelangen illegalen Vertriebs gekommen ist? Dr. Christian Steffen, ehemaliger Leiter Klinische Prüfung des BfArM, gibt Einblick in einen ungewöhnlichen Kampf zwischen Zulassungsbehörden und dem Ukrain-"Erfinder".
Fotos: verdateo, silencefoto – Fotolia.com

Wahrscheinlich wird in Kürze auch diese Aktion von seinen Unterstützern (und Profiteuren) genutzt werden, um Nowicky als Opfer darzustellen, auch wenn er einen schwunghaften Handel mit seinem nicht zugelassenen Präparat betreibt, das in Deutschland für 54 € pro Ampulle vertrieben wurde.


Die Legende

Mit einem Präparat aus Schöllkraut und Thiotepa, so die von E. Thun-Hohenstein publizierte Legende [2], habe der Ingenieur W. Nowicky in der Ukraine seinen an Hodenkrebs erkrankten Bruder erfolgreich behandelt. Danach habe er sein Leben der Erforschung von Schöllkraut-Alkaloiden gewidmet. Rührend wird in dem Buch der Kampf eines Mannes beschrieben, der in der UdSSR einen Besuch beim Chef des KGB erzwingt und nach der Ankunft in Österreich seine "Forschungsergebnisse" sogleich dem Bundeskanzler persönlich vorträgt. In Wien kämpft er dann gegen eine Vielzahl von Gegnern, die seine Arbeiten nach Kräften behindern wollen und auch vor kriminellen Aktionen nicht zurückschrecken. Allerdings ist wenig zu lesen über die Entwicklung des Präparates. In völliger Umkehrung des üblichen Verfahrens scheint es schon zu Beginn fertig für die Anwendung am Menschen gewesen zu sein. Alle späteren Untersuchungen dienten daher nur noch dem Beleg seiner vielfältigen therapeutischen Möglichkeiten und eventueller Wirkungsmechanismen, so die Legende.

Rätselhafte Zusammensetzung

Die beanspruchten Anwendungsgebiete für Ukrain gehen von der Behandlung von Karzinomen des Magen-Darm-Trakts bis hin zu Melanomen und malignen Lymphomen [3]. Es soll sich nach dieser Fachinformation aus dem Jahre 1996, die eine Zulassung in Weißrussland angibt, bei Ukrain um eine Verbindung von Alkaloiden aus Chelidonium majus L. und Thiophosphorsäuretriaziridid handeln. Die Identität dieser Verbindung ist allerdings sehr zweifelhaft. Unabhängige Untersuchungen konnten in Ukrain nur Schöllkraut-Alkaloide nachweisen [4, 5]. Schon dieser Qualitätsmangel würde in der EU eine Zulassung verhindern.

Kein Wirksamkeitsbeleg

Wie sieht es mit dem Nutzen von Ukrain aus? Der europaweite Vertrieb ohne Zulassung führte zu zahlreichen Stellungnahmen. Bereits 1989 hatte die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft kritisch über die nicht belegte Wirksamkeit von Ukrain informiert [6]. Die Studiengruppe "Methoden mit unbewiesener Wirksamkeit in der Onkologie" der Schweizerischen Krebsliga riet von der Anwendung von Ukrain in der Krebsbehandlung ab [7]. 2001 veröffentlichten die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. eine gemeinsame Stellungnahme, in der die Wirksamkeit von Ukrain weiterhin angezweifelt wurde [8].

Studien aus Weißrussland

Eine umfassende Übersicht über die vorliegenden Studien zu Ukrain haben Ernst und Schmidt publiziert [9]. Die Autoren ermittelten in einer umfangreichen Literaturrecherche 35 In-vitro-Studien, 45 Tierversuche, 13 Fallbeschreibungen sowie sieben klinische Studien, die ihren Einschlusskriterien entsprachen, und folgern, dass zahlreiche Mängel eine positive Bewertung von Ukrain verhindern.

Von den sieben bewerteten klinischen Studien wurden sechs in der Ukraine und in Weißrussland durchgeführt, während die siebte aus der chirurgischen Universitätsklinik in Ulm stammte. Diese Studie erregte bei ihrer Veröffentlichung besonderes Aufsehen, da hier eine vielversprechende Therapie des kaum zu behandelnden Pankreaskarzinoms beschrieben wurde und der Chirurg Beger hohes Ansehen genießt.

… und eine besondere Publikation aus Ulm

Die Arbeitsgruppe um Beger und Gansauge [10] berichtet darin von einer signifikanten Verlängerung der Überlebenszeit gegenüber der Standardtherapie mit Gemcitabin, wenn die Karzinompatienten Ukrain allein oder zusätzlich zur Standardtherapie erhielten. Der "Arzneimittelbrief" wies kurz nach Erscheinen der Arbeit auf schwerwiegende Mängel in der Planung, Durchführung und statistischen Auswertung der Studie hin. Zudem wurde bezweifelt, dass ein korrektes Peer-Review-Verfahren durchgeführt worden war: Kritisiert wurde, dass Beger, der "senior author" der Studie, zugleich verantwortlicher Herausgeber der Zeitschrift "Langenbeck‘s Archives of Surgery" sei. Darüber hinaus sei Gansauge, der Leiter der klinischen Prüfung, wissenschaftlicher Direktor der Firma MediScene und verantwortlich für das Monitoring, stellvertretender Herausgeber der Zeitschrift [11].

"Sensationelle Überlebens-Steigerung" doppelt publiziert

Kurz nach der Veröffentlichung in Langenbecks Archiv erschien eine zweite Studie zur Therapie des Pankreaskarzinoms mit Ukrain in dieser Zeitschrift. In dieser Publikation aus Kiew, in der Nowicky einer der Koautoren ist, wird eine sensationelle Steigerung der Einjahres-Überlebenszeit von 9,5% auf 76% durch Gabe von Ukrain und Vitamin C beschrieben [12]. Diese Arbeit wurde von Gansauge durchgesehen und innerhalb von wenigen Tagen von Langenbecks Archiv zur Publikation akzeptiert. In der Eile haben die Reviewer leider übersehen, dass die ihnen vorgelegten Daten schon zwei Jahre früher mit leicht unterschiedlicher Autorenschaft publiziert worden waren [13]. Beide Publikationen waren im Übrigen mit Unterstützung von Nowickys Ukrainian Anti-Cancer Institute in Wien entstanden.

Ulmer Unterlagenprüfung mit katastrophalem Ergebnis

Nachdem Nowicky (diesmal unter der Adresse Now Pharm AG in Luxembourg) bei der Europäischen Arzneimittelagentur die Anerkennung eines Schöllkraut-Spezialextraktes als Orphan Drug beantragt hatte (und dieser abgelehnt worden war [14]), hatte ein deutsch-österreichisches Inspektorenteam die Unterlagen der Chirurgischen Universitätsklinik Ulm inspiziert. Das Ergebnis war katastrophal. Es wurden so viele Verstöße gegen die Standards der "Guten Klinischen Praxis" festgestellt, dass die Ergebnisse aus Ulm nicht als Beleg für die Wirksamkeit von Ukrain bewertet werden konnten.

Heute müsste eine solche Studie der Richtlinie 2001/20/EG über die Anwendung der guten klinischen Praxis (GCP-Richtlinie) entsprechen. Sie bedürfte einer Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde sowie einer zustimmenden Bewertung der lokalen Ethikkommission. Klinische Prüfungen werden heute in einer zentralen Datenbank erfasst. Das verhindert, dass unerwünschte Studienergebnisse unter der Tisch fallen. Dieses Verfahren hat erhebliche Verbesserungen bei der Sicherheit der klinischen Prüfungen und der Zuverlässigkeit der aus ihnen gewonnenen Daten erbracht.

Rolle rückwärts auf EU-Ebene?

Allerdings scheinen diese Hürden bei der Genehmigung klinischer Prüfungen inzwischen selbst der EU-Kommission zu missfallen. Mit der merkwürdigen Begründung, dass die Anzahl der klinischen Prüfungen nach Einführung von GCP von 2007 bis 2011 um 25% zurückgegangen sei – für einen sinnvollen Vergleich sollte man doch die Daten vor und nach der Umsetzung der Richtlinie heranziehen – und die Kosten gestiegen seien, hat die Kommission nun den Entwurf einer Verordnung vorgelegt, der die Genehmigung erleichtern und die Verfahren beschleunigen soll. Der Sponsor einer Studie soll sich den Staat aussuchen können, der die Berichterstattung übernimmt. Ob das ein Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt ist?

Ungutes Gefühl bleibt

Auch wenn von kompetenter Seite immer wieder vor Ukrain gewarnt wurde, wie zuletzt vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte [15], so bleibt doch ein ungutes Gefühl. Wie kann ein Arzneimittel ohne Zulassung jahrzehntelang in Europa vertrieben werden, ohne dass dies durch Aufsichtsbehörden oder Staatsanwaltschaft verhindert wird? Hier muss man den österreichischen Behörden für ihr Eingreifen wirklich dankbar sein.


Literatur

[1] Pressemitteilung des österreichischen Bundeskriminalamtes vom 4. September 2012 (http:/www.bmi.gv.at/cms/BK/presse/files/Ukrain_040912.pdf)

[2] Thun-Hohenstein E: Krebsmittel Ukrain – Kriminalgeschichte einer Verhinderung. Molden Verlag Wien 2004

[3] Fachinformation Ukrain vom 8. 8.1996.

[4] Panzer A et al.: Chemical analyses of Ukrain, a semi-synthetic Chelidonium majus alkaloid derivative, fail to confirm its trimeric structure. Cancer Lett 2000; 160:237 – 241

[5] Habermehl D et al.: Proapoptotic activity of Ukrain is based on Chelidonium majus L. alkaloids and mediated via a mitochondrial death pathway. BMC Cancer 2006; 6:14

[6] Wenn Patienten nach "Ukrain" fragen: Dt Ärztebl 1989: A-2136

[7] Ukrain – mit Schöllkraut-Alkaloiden und Thio-Tepa gegen Krebs: Schweiz. Krebsliga, Studiengruppe Methoden mit unbewiesener Wirksamkeit in der Onkologie, Markus C. Allewelt, Simon P. Hauser, Dokumentation Nr. 35D.

[8] Zur Anwendung des Präparates "UKRAIN" in der Krebstherapie. Gemeinsame Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. Dt Ärztebl 2001; 98:A418-A420 und Dtsch Apoth Ztg 141, 1016 – 1018 (2001)

[9] Ernst E, Schmidt K: Ukrain - a new cancer cure? A systematic review of randomised clinical trials. BMC Cancer 2005; 5:69

[10] Gansauge F et al.: NSC-631570 (Ukrain) in the palliative treatment of pancreatic cancer. Results of a phase II trial. Langenbecks Arch Surg 2002; 386:570 – 574

[11] Phase-II-Studie zur Behandlung des fortgeschrittenen, inoperablen Pankreaskarzinoms mit Ukrain. Der Arzneimittelbrief 2002; 36:39

[12] Zemskov V et al.: Efficacy of ukrain in the treatment of pancreatic cancer. Langenbecks Arch Surg 2002; 387: 84 – 89

[13] Zemskov, V. S., et al. Ukrain (NSC-631570) in the treatment of pancreas cancer. Drugs Exp Clin Res 2000; 26(5-6):179 – 190

[14] European Medicines Agency, 12 June 2007, Doc.Ref.: EMEA/248362/2007

[15] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Deutschland www.bfarm.de/DE/Pharmakovigilanz/risikoinfo/2011/ ukrain.html; www.bfarm.de/DE/Pharmakovigilanz/risikoinfo/2012/RI-ukrain2.html


Autor
Dr. med. Christian Steffen
FA für Pharmakologie und Toxikologie,
Direktor und Professor i. R.
Andreas-Schlüter-Str. 19
53639 Königswinter



DAZ 2012, Nr. 38, S. 74

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