Arzneimittel und Therapie

Chemoprävention mit ASS: Schutz vor Krebs und Fernmetastasen möglich

Neue Metaanalysen legen nahe, dass die tägliche Einnahme niedrigdosierter Acetylsalicylsäure nicht nur vor verschiedenen Krebsarten schützen kann, sondern auch bei bestehender Krebserkrankung die Fernmetastasenbildung eindämmen kann. Diese Ergebnisse könnten zu neuen Empfehlungen zum Einsatz niedrigdosierter Acetylsalicylsäure (ASS) führen. Allerdings stehen sie im Widerspruch zu den größten Primärpräventionsstudien, der Womens Health Study (WHS) und der Physicians Health Study (PHS). Beide Studien waren von den Analysen ausgeschlossen worden.
Indikationserweiterung? Die Indizien für eine chemopräventive Wirkung von Acetylsalicylsäure verdichten sich. Jetzt sind Studien gefragt, die eindeutige Antworten geben.

Schon 2010 hatte die Arbeitsgruppe von Peter Rothwell von der University of Oxford mit einer Auswertung von acht randomisierten klinischen Studien zur kardiovaskulären Prävention festgestellt, dass bei täglicher Einnahme von niedrigdosierter ASS (75 mg und mehr) über mindestens fünf Jahre das Risiko, an verschiedenen Tumorerkrankungen zu sterben, in einer Größenordnung von 20 bis 30% sinkt. Über Kurzzeiteffekte von Acetylsalicylsäure konnten sie damals noch keine Aussage treffen. 
Nun haben sie neue Untersuchungen durchgeführt, die auch hierzu Aussagen erlauben.

Weniger Krebstodesfälle

Dazu haben sie weitere 43 randomisierte Studien zur täglichen niedrigdosierten ASS-Gabe mit unterschiedlicher Dauer analysiert, die sowohl im Rahmen einer kardiovaskulären Primär- als auch einer Sekundärprävention durchgeführt worden waren. Dabei stellten sie fest, dass in den ASS-Gruppen nicht-vaskulär bedingte Todesfälle um 12% sowie Krebstodesfälle um 15% seltener aufgetreten sind. Dieser Benefit kam bei ASS-Tagesdosierungen von 300 mg und mehr schon nach drei Jahren Einnahme zum Tragen, bei niedrigeren Dosierungen nach fünf Jahren.

In sechs Primärpräventionsstudien mit niedrigdosierter Acetylsalicylsäure ließ sich ab einem Einnahmezeitraum von drei Jahren eine Abnahme der Krebsinzidenz feststellen, und zwar gleichermaßen bei Frauen wie bei Männern. Die Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen wurde durch ein erhöhtes Risiko von Blutungen erkauft.

Doch sowohl der kardiale Benefit als auch das Blutungsrisiko nahmen nach drei Jahren ab, es blieb ein reduziertes Krebsrisiko.

Weniger Fernmetastasen

Die Beobachtung, dass ASS das Risiko für sporadisch auftretende, kolorektale Adenome schon innerhalb weniger Jahre reduzieren kann, der Effekt auf invasive Karzinome dagegen erst nach einer Einnahmedauer von mindestens fünf Jahren zum Tragen kommt, deutet darauf hin, dass Acetylsalicylsäure schon sehr frühzeitig in die Karzinogenese eingreift. Dass sich in einigen Studien schon nach zwei bis drei Jahren ein Einfluss auf die Krebssterblichkeit feststellen ließ, wurde als Indiz dafür gewertet, dass ASS nicht nur in die Entstehung eingreift, sondern auch die Ausbreitung des Tumors eindämmen kann. Um diese Hypothese zu prüfen, haben Rothwell und seine Mitarbeiter fünf randomisierte britische kardiovaskuläre Präventionsstudien ausgewertet. Dabei stellten sie fest, dass Acetylsalicylsäure das Risiko für Fernmetastasen um 40 bis 50% reduzieren konnte und dies vor allem bei Adenokarzinomen, also Krebserkrankungen von Drüsenzellen, zu denen Karzinome des Darms, der Lunge, der Brust und der Prostata zählen. Ein ähnliches Ergebnis lieferten Fall-Kontrollstudien, in denen ebenfalls ein ASS-Effekt auf die Fernmetastasenbildung, nicht dagegen auf die lokale Ausbreitung des Tumors festgestellt werden konnte. Besonders ausgeprägt war der Einfluss auf die Fernmetastasenbildung bei kolorektalen Karzinomen.

In einer Pressemitteilung betont Rothwell, dass bislang noch für keine Substanz gezeigt werden konnte, dass sie die Fernmetastasenbildung einschränkt. Möglicherweise profitieren gerade Krebspatienten, bei denen der Tumor noch nicht gestreut hat, in besonderem Maße von einer ASS-Prophylaxe. Das sollte nach Meinung von Rothwell schnellstmöglich untersucht werden. Er geht davon aus, dass insbesondere die Fernmetasenbildung bei kolorektalen Tumoren, einigen Tumoren der Lunge und den meisten Brust- und Prostatakrebsarten durch ASS erfolgreich zu bekämpfen ist. Im Hinblick auf die Neuentwicklung von Tumoren lassen sich seiner Ansicht nach die größten ASS-Präventionserfolge bei kolorektalen und oesophagealen Karzinomen erzielen.

Kritik an Studienauswahl

Zurückhaltender fällt ein im Lancet veröffentlichter Kommentar zu den Studien von Rothwell aus. Hier wird kritisiert, dass mit der Women’s Health Study und der Physicians Health Study die größten Primärpräventionsstudien nicht in die Metaanalysen eingeflossen sind. In diesen Studien war Acetylsalicylsäure jeden zweiten Tag (WHS: 100 mg ASS über zehn Jahre, PHS: 325 mg ASS über fünf Jahre) eingenommen worden. Nach zehn bis zwölf Jahren Follow up konnten hier weder ein reduziertes Kolonkarzinom-Risiko noch eine Reduktion der Krebsmortalität festgestellt werden.

Begründet wurde der Ausschluss der Studien von der Arbeitsgruppe um Rothwell mit der alternierenden ASS-Gabe und damit möglicherweise unterschiedlichen biologischen Effekten im Vergleich zur täglichen Gabe. Dieses Argument konnte die Kommentatoren jedoch nicht überzeugen. Sie kritisieren zudem, dass die Aussagen zur Krebsinzidenz lediglich aufgrund von Primärpräventionsstudien getroffen wurden und Sekundärpräventionsstudien unberücksichtigt geblieben sind. Zudem handelte es sich bei den in die Metaanalysen eingeflossenen Studien um solche mit kardiovaskulären Endpunkten, denen keine Informationen zum Krebsscreening oder zur Überwachung von Krebserkrankungen zu entnehmen seien, so die Kommentatoren. Es sei nicht ausgeschlossen, dass aufgrund von ASS-induzierten Blutungen oder Anämien Krebsvorstufen wie Polypen früher erkannt und rechtzeitig entfernt worden sind, so dass auch so die günstigen Ergebnisse zu erklären sein könnten.


Zum Weiterlesen


ASS und Ibuprofen schützen vor Darmkrebs

DAZ 2011, Nr. 11, S. 36

Weniger Krebstodesfälle unter ASS-Langzeitprophylaxe

DAZ.online 7. 12. 2010

Acetylsalicylsäure zur Prophylaxe von Kolonkarzinomen?

Gastkommentar von Prof. Dr. Dr. Kay Brune

DAZ 2010, Nr. 50, S. 36

Erweiterte Empfehlungen?

Ob aufgrund der Daten von Rothwell schon jetzt eindeutige Empfehlungen für die Krebsprävention mit ASS abgeleitet werden können, bezweifeln die Kommentatoren. Trotzdem sehen sie in den Ergebnissen einen wichtigen Beitrag für eine mögliche Erweiterung der Therapieempfehlungen.


Quelle

Rothwell PM et al.: Short-term effects of daily aspirin on cancer incidence, mortality, and non-vascular death: analysis of the time course of risks and benefits in 51 randomised controlled trials. Lancet Online-Publikation 21. März 2012.

Rothwell PM et al.: Effect of daily aspirin on risk of cancer metastasis: a study of incident cancers during randomized controlled trials. Lancet Online-Publikation 21. März 2012.

Annemijn MA: Rothwell PM: Effects of regular aspirin on long-term cancer incidence and metastasis. A systematic comparison of evidence from observation studies versus randomised trials. Lancet Oncology. Online-Publikation 21. März 2012

Chan AT, Cook NR: Are we ready to recommend aspirin for cancer prevention? Comment. Lancet Online-Publikation 21. März 2012.

Daily aspirin could help to prevent and treat cancer. Pressemitteilung der University of Oxford. 21. März 2012.


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DAZ 2012, Nr. 13, S. 35

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