Darmkrebsmonat

Was bringt Chemoprävention?

Von Wolfgang Fischbach | Darmkrebs ist in der westlichen Welt eine der häufigsten Tumorerkrankungen. Frauen und Männer sind davon gleichermaßen betroffen. In der Rangliste der häufigsten bösartigen Erkrankungen steht Darmkrebs bei beiden Geschlechtern mit einer relativen Häufigkeit von jeweils etwa 16% an zweiter Stelle. Angesichts dieser alarmierenden Zahlen stellt sich die Frage, ob von Lebensstil und Ernährung Gefahren ausgehen können und ob andererseits ein bestimmtes Verhalten vor Darmkrebs schützen kann.

Nach Angaben des statistischen Bundesamtes erkranken derzeit in Deutschland jedes Jahr 71.000 Personen an Darmkrebs und 27.500 versterben daran. Das Lebenszeitrisiko für jeden Deutschen, einen Darmkrebs zu erleiden, liegt bei 5 bis 6%. Im internationalen Vergleich hat sich Deutschland damit bei den Frauen an die Spitze gesetzt, die Männer nehmen den vierten Platz ein.

Lebensstil spielt eine Rolle

Übergewicht, insbesonders die sogenannte Stammfettsucht, der Verzehr roten Fleisches, Alkohol und Rauchen sind anerkannte Risikofaktoren für Darmkrebs. Der reichliche Verzehr von Obst und Gemüse sowie körperliche Aktivität und Sport haben hingegen einen schützenden Effekt. Nach einer zusammenfassenden Auswertung von 47 Studien aus allen Teilen der Welt wird durch regelmäßige körperliche Aktivität das Darmkrebsrisiko für Frauen um 29% und für Männer um 22% reduziert. Ähnliches konnte auch für Brustkrebs und für das Prostatakarzinom gezeigt werden. Dabei sind keine großen sportlichen Anstrengungen erforderlich, eine körperliche Aktivität von 30 Minuten täglich gilt als völlig ausreichend. Über diese Lifestylefaktoren hinaus wird seit vielen Jahren über die Möglichkeit einer Chemoprävention diskutiert. Darunter versteht man die gezielte Einnahme eines Medikamentes mit dem alleinigen Ziel, das Krebsrisiko dadurch zu senken. Die Liste der Medikamente, die möglicherweise vor Darmkrebs schützen kann, ist lang (s. Kasten).

Schutz vor Darmkrebs?


Substanzen, denen – meist nicht erwiesene – chemopräventive Effekte nachgesagt werden:

  • Antioxidanzien (Betacarotin, Vitamine A, C, E, Selen)

  • Bisphosphonate

  • Calcium

  • Folsäure

  • Statine

  • Vitamin D

  • Acetylsalicylsäure (ASS)

  • traditionelle nichtsteroidale Antirheumatika (tNSAR) und Coxibe

Wirksamkeit nur für ASS, tNSAR und Coxibe belegt

Mit Ausnahme von Acetylsalicylsäure (ASS), traditionellen nichtsteroidalen Antirheumatika (tNSAR) und den selektiven COX-2-Inhibitoren (Coxibe) sind die Ergebnisse in der Literatur indessen sehr widersprüchlich, so dass von einer gesicherten präventiven Wirkung der genannten Substanzen (Kasten) nicht ausgegangen werden kann. Anders stellt sich dies für ASS dar.

ASS wird seit Langem ein Schutzeffekt vor Darmpolypen, Darmkrebs und auch anderen Tumoren nachgesagt. In früheren epidemiologischen Studien war gezeigt worden, dass die regelmäßige Einnahme von ASS das Risiko für Darmkrebs nachhaltig reduziert. Zudem wurde gezeigt, dass nach einem erfolgreich behandelten Darmkrebs das spätere Auftreten von Polypen, die als Krebsvorläufer zu betrachten sind, um 35% gesenkt werden kann. Dass dieses präventive Potenzial des ASS bislang nicht zu der Empfehlung einer Chemoprävention geführt hat, ist zum einen auf die bekannten Nebenwirkungen dieser Substanz zurückzuführen. Hierzu werden zum Teil bedrohliche Blutungen im Allgemeinen und Magen-Darmblutungen im Besonderen sowie das Auftreten von Geschwüren in Magen und Zwölffingerdarm und unspezifische Bauchbeschwerden gerechnet. Zum anderen war es unklar, welche Dosis und Einnahmedauer für eine krebsverhindernde Wirkung notwendig ist. Aktuell lässt sich dies aufgrund neuer großer Studien sehr viel besser einschätzen.

Schutzeffekt von ASS steigt mit Einnahmedauer

Die präventive Wirkung von ASS wurde in einer aktuellen Metaanalyse von mehreren großen randomisierten Studien mit über 25.000 Patienten erneut deutlich. Diese Patienten hatten zur Vorbeugung bzw. Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ASS über einen Zeitraum von mindestens vier Jahre erhalten. Gegenüber einem Placebo reduziert ASS das Risiko an einer Krebserkrankung zu versterben um 21% (Rothwell PM, Lancet 2012). Dies trifft für Krebserkrankungen im Allgemeinen und für Tumore des Magen-Darm-Traktes in besonderer Weise zu und lässt sich auch nach 20 Jahren noch nachweisen. Der schützende Effekt von ASS nimmt mit der Dauer der Medikation zu, gilt für Männer und Frauen und ist unabhängig von der Tagesdosis (75 mg oder mehr). Selbst unter Berücksichtigung der bekannten Nebenwirkungen der Acetylsalicylsäure am Magen-Darm-Trakt wird die Gesamtsterblichkeit durch die Medikation um 10% reduziert.

Mindestens ebenso frappierend ist, dass ASS auch das Metastasenrisiko zu senken vermag [Algra AM, Lancet Oncology 2012]. Nach einer Auswertung der Daten von 17.285 Patienten, die zur kardiovaskulären Prävention mit ASS (> 75 mg) behandelt wurden, vermindert ASS sowohl das Risiko für Metastasen zum Zeitpunkt der primären Tumordiagnose, wie auch deren Auftreten im weiteren Verlauf. Diese protektiven Effekte betreffen auch unterschiedliche Metastasenlokalisationen (z. B. Leber, Lunge, Skelett).

Empfehlung nur bei hohem Risiko

Angesichts dieser eindrucksvollen Tumor-verhindernden Wirkung von ASS ist man fast geneigt, daraus eine allgemeine Empfehlung für eine primäre Chemoprävention abzuleiten. Soweit wird man allerdings angesichts der genannten potenziellen Nebenwirkungen und Komplikationen immer noch nicht gehen. Risikopersonen wird man indessen zukünftig wohl kaum mehr eine Chemoprävention mit ASS vorenthalten können. Hierzu sind Patienten mit erblichem Darmkrebs (Polyposissyndrome: FAP, HNPCC) zu rechnen. Für Letztere wurde in der internationalen CAPP2-Studie in beeindruckender Weise der präventive Effekt von Aspirin im Hinblick auf Darmkrebs und auch auf andere assoziierte Tumore gezeigt [Rothwell PM, Lancet 2012]. Weitere Kandidaten für eine vorbeugende Einnahme von ASS könnten Personen mit einem (nicht-erblichen) Darmkrebs in der Familie oder Patienten mit kurativ operierten Karzinomen des Verdauungstraktes sein. Denkbar wäre auch der Zusatz von ASS zu einer adjuvanten Chemotherapie nach erfolgreicher Operation mit dem Ziel, ein Tumorrezidiv oder eine Metastasierung zu verhindern. Ein Nutzen für ASS in der adjuvanten Therapie des Darmkrebses konnte in einer kürzlich publizierten Studie belegt werden [Bastiaannet E, Br J Cancer 2012]. Schließlich könnte auch an einen zukünftigen Einsatz von ASS im Rahmen der palliativen Chemotherapie eines metastasierten Tumorleidens gedacht werden. In jedem Fall sollte man ASS nach einer Karzinomdiagnose nicht einfach absetzen, wie dies häufig bislang geschah. Dieser Aspekt trägt auch einer anderen Gefahr Rechnung. In einer landesweiten Erhebung in Schweden wurde jüngst deutlich, dass Patienten mit einem Karzinom häufiger als die Normalbevölkerung wegen einer koronaren Herzerkrankung ins Krankenhaus eingewiesen werden [Zöller B, Eur J Cancer 2012]. Das Risiko für eine Herzerkrankung ist insbesondere in den ersten sechs Monaten nach dem Auftreten der Tumorerkrankung erhöht, persistiert prinzipiell aber auch für viele Jahre. ASS eröffnet diesen Patienten einen doppelten Schutz (vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen einerseits und einen positiven Einfluss auf die Tumorerkrankung andererseits).

Coxibe und NSAR

tNSAR haben nach epidemiologischen Studien und experimentellen Daten ebenfalls einen tumorschützenden Effekt, können jedoch aufgrund ihrer höheren Nebenwirkungsrate nicht in diesem Sinne empfohlen werden. Die selektiven COX-2-Inhibitoren (Coxibe) wären aufgrund ihrer geringeren gastrointestinalen Nebenwirkungen für eine Chemoprävention eher geeignet. In einer großen Placebo-kontrollierten Studie mit Celecoxib wurde auch das Wiederauftreten von Polypen, die als Vorläuferveränderungen des Darmkrebs gelten, erfolgreich unterdrückt. Coxibe gehen aber wie die tNSAR mit Herz- und Kreislaufrisiken einher, so dass eine Empfehlung zur Chemoprävention nicht ausgesprochen werden kann.

Gezielte Chemoprävention zeichnet sich ab

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich über einen gesunden Lebensstil (Normalgewicht, kein Rauchen, wenig Alkohol, viel Bewegung) hinaus Möglichkeiten einer zukünftigen Chemoprävention abzeichnen. Gegenwärtig trifft dies aber nur auf Acetylsalicylsäure zu. Es ist davon auszugehen, dass in naher Zukunft der Personenkreis konkret benannt werden wird, der für eine Chemoprävention mit Acetylsalicylsäure qualifiziert ist.


Literatur beim Verfasser


Autor

Prof. Dr. med. Wolfgang Fischbach, Medizinische Klinik II und Klinik für Palliativmedizin, Klinikum Aschaffenburg – Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Würzburg, Am Hasenkopf, 63739 Aschaffenburg



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DAZ 2013, Nr. 12, S. 86

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