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Stirbt die Honigbiene aus?

Seit einigen Jahren sterben weltweit immer wieder viele Millionen von Honigbienen, vor allem in den USA. Die Ursache ist nicht geklärt. Sollte die Imme aussterben, wäre auch die Menschheit bedroht, warnen viele Umweltschützer. Doch so weit wird es trotz aller Schreckensmeldungen nicht kommen.
Bienenkästen vor Rapsfeld Raps muss durch Insekten bestäubt werden. Und kein Insekt ist so zahlreich und zugleich so fleißig wie die Honigbiene. Foto: imago/McPHOTO

 Erst sterben die Bienen …

Keine Bienen – keine Bestäubung – keine Früchte / Gemüse / Samen – kein Futter – keine Tiere – und am Ende keine Menschen mehr. Sie sind verhungert. Nach dem Aussterben der Honigbiene bleiben der Menschheit nur noch vier Jahre ohne weltweite große Hungersnöte …

Solche Szenarien mit sehr ungünstigen Annahmen wecken ernste Befürchtungen. Doch es wird nicht so weit kommen. Zum einen sind die Gräser als die mit Abstand wichtigsten Nahrungspflanzen Windbestäuber. Sie liefern weltweit zwei Drittel der pflanzlichen Lebensmittel. Zum anderen ist die Situation der Honigbiene in der Welt durchaus differenziert zu betrachten.

Dennoch gibt es gute Gründe, sich um die fleißigen Immen zu sorgen, denn sie bestäuben den überwiegenden Teil der restlichen Kulturpflanzen. Sie sind schließlich die einzigen Insekten, die als ganze Völker auftreten, während Fliegen, Hummeln oder Schmetterlinge nur zufällig mal hier, mal da an einer Blüte naschen und sie bestäuben.

Bestäuber erster Klasse

Die Honigbiene Apis mellifera – es handelt sich um die Westliche oder Europäische Honigbiene mit ursprünglichem Vorkommen in Europa, Nahost und Afrika – ist ein Generalist. Sie bestäubt sogar Pflanzen mit für sie ungünstigen Blütenformen wie die Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) oder den Schmetterlingsblütler Luzerne (Medicago sativa), obwohl dafür die kräftigeren Hummeln viel besser geeignet sind. Und sie ist blütenstetig: Erst wenn sie alle erreichbaren Apfelbäume "abgeweidet" hat, kommt die nächste Pflanzenart an die Reihe. Das führt zu einer perfekten Bestäubung und sichert einen hohen Ertrag.

"Nebenbei" bestäubt die Honigbiene auch noch viele Wildpflanzen. Sie arbeitet während der gesamten Vegetationszeit, ist genügsam und relativ pflegeleicht (cave Schädlinge!) und lässt sich zu großen Populationen aufbauen. Unter günstigen Bedingungen wächst ein Volk auf bis zu 50.000 Bienen. Ein Drittel von ihnen ist in der Saison ständig unterwegs auf Futtersuche, in einem Gebiet von bis zu 6000 ha.

Bienenmangel als Wachstumsbremse

Das massenhafte Sterben der Honigbiene ist ein Alarmsignal. Denn die fleißige Imme ist im 20. Jahrhundert zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor aufgestiegen. Ohne Bienen geht kaum noch etwas, vor allem in der industrialisierten Landwirtschaft der USA. Während in den letzten 50 Jahren weltweit die landwirtschaftliche Nutzfläche deutlich zugenommen hat, ist der Anteil der windbestäubten Getreide (Weizen, Reis, Mais, Hirse, Gerste) zugunsten der insektenbestäubten Pflanzen zurückgegangen. Deren Fläche ist absolut um 300 Prozent gewachsen. Der Aufbau von Bienenvölkern kann da nicht mithalten. Deshalb stellt sich die Frage, ob wir in eine Bestäuberkrise anstelle einer Bienenkrise hineinwachsen.

Der Verlust aller Honigbienen würde die landwirtschaftliche Produktion deutlich reduzieren und könnte nur durch die Ausweitung der Anbaufläche um 15 Prozent aufgefangen werden. Denn viele Pflanzen sind nicht hundertprozentig von Insekten abhängig. In jedem Falle würde der Ausfall der Honigbiene die Versorgung mit bestimmten Lebensmitteln gefährden. Auf den Genuss von Kakao und Vanille müssten wir wohl verzichten. Die Erträge von Kaffee und Obst (Rosaceen) würden ohne Bienen sehr stark sinken. Ein Erdbeerkuchen würde zum Luxusgut.

Der Tod kommt periodisch

Die Honigbiene stirbt immer wieder massenhaft. Die Ursachen sind vielfältig. Doch die Vorgänge in den USA in den letzten Jahren haben vielen einen Schock versetzt. In Nordamerika gibt es fast 200 heimische Bienenarten, doch die Honigbiene war dort in vorkolumbischen Zeiten nicht heimisch. Die ersten Pilgerväter hatten sie 1622 mit nach Virginia gebracht. Schnell wuchsen die Populationen. Hundert Jahre später exportierte allein Virginia jährlich 150 Tonnen Bienenwachs nach Portugal. Dafür waren geschätzte 170.000 Bienenstöcke notwendig.

Das erste große Bienensterben der USA ist für das Jahr 1869 dokumentiert. Viele weitere folgten dort und in der übrigen Welt (s. Tab.). Als aber Anfang des 20. Jahrhunderts die Tracheenmilbe (Acarapis woodi) in Großbritannien die Bienen mit ihrem giftigen Speichel dahinraffte, reagierte der Staat und verhängte 1922 für die gesamte USA ein absolutes Importverbot für Honigbienen, das mit Ausnahmen bis heute gilt. 1984 gelang der Acarapis dennoch die Eroberung Nordamerikas. Die Milbe beeinträchtigt die Atmung und begrenzt damit die Flugfähigkeit der Bienen. Doch die Imker konnten sie mit Pflanzenölen, Menthol und Ameisensäure im Zaum halten.


Tab.: Bienensterben der letzten 140 Jahre in Europa und Amerika – kleine Auswahl; CCD = Colony Collaps Disorder

Jahr
Gebiet
Anmerkung
1869
Kentucky, Tennessee
Erstes dokumentiertes großes Bienensterben; vermutete Ursachen: zu wenig Pollen für die Bienen, vergifteter Honig und ein heißer Sommer
1872
Australien
Nachträglich als normales Sterbeintervall interpretiert
1891, 1896
Colorado
Mai-Krankheit; CCD-ähnliche Symptome; verursacht möglicherweise durch Aspergillus flavus, der Steinbrut verursacht: harte, tote Larvenmumien
1905– 1919
Isle of Wight (GB)
90% der Völker verendeten; die Bienen konnten nicht ausfliegen; vermutete Ursachen: Verhungern, Nosema, Tracheenmilbe, zu hohe genetische Homogenität; Folge: 1922 verhängten die USA ein absolutes Importverbot von Bienen
1910
Australien
59% Verluste und viele Völker ernsthaft geschwächt; da genug Honig von Eucalyptus leucoxylon vorhanden war, wurde vermutet, dass dieser zu feucht oder fermentiert und somit für die Bienen ungenießbar war
1915– 1917
Süden der USA
Als Ursache für das Sterben wurde ein Überangebot an Pollen angenommen; da es schnell wieder aufhörte, sprach man von der "disappearing disease"
1960er
Louisiana, Texas,
Kalifornien
In Texas und Louisiana starben die Bienen in einer ungewöhnlich kalten und nassen Periode im Herbst und im Winter; da die Bienen in Louisiana frei von Nosema, Septicemia, Tracheenmilbe, externen Parasiten und Paralyseviren waren, wurde ein genetisches Problem vermutet; in Kalifornien waren die im Stock gebliebenen Bienen gesund und hatten ausreichend Honig zur Verfügung
1975
Australien, Mexiko, USA
In Australien und Mexiko "disappearing syndrome"; hohe Verluste vermutlich durch hohe Feuchtigkeit, Nahrungsmangel und Stress; virale Infektion wurde diskutiert; in den USA in 27 Staaten hohe Verluste; Ausschluss von vergiftetem Pollen oder Nektar, Pestiziden, Mikroorganismen und Viren als Ursache
1976
Florida, Texas
Hohe Verluste im Winter und im Frühjahr; Pathogene, mangelhafte Ernährung, Wetter und genetische Situation wurden als Ursache diskutiert; ebenso nicht angepasste Pollensubstitute; in Texas Ausschluss von Nosema und Septicemia
1995/96
Nordosten der USA
Die Wirkstoffe Apistan, Terramycin und Fumidil-B konnten die Sterblichkeit eindämmen, Menthol und Pflanzenöle dagegen nicht; deshalb wurde gefolgert, dass gute Ernährung und Krankheitskontrolle die Bienen gesund erhielt; die Tracheenmilbe schien keine Rolle zu spielen
1998/99, 1999/2000
Frankreich
Hohe Verluste; in drei Viertel der Fälle konnten die üblichen Bienenkrankheiten nachgewiesen werden, einzeln oder in Kombination; keine einzelne Krankheit stach hervor; deshalb wurden fehlerhafte Haltung, mangelhafte Ernährung und Umweltchemikalien als Ursache vermutet; letztlich war aber keine Erklärung einleuchtend
2000/01
USA
Als Ursache wird die Varroamilbe diskutiert; Verlustquote bis zu 40%
2002/03
Oberrheinebene,
Südbayern
Kastastrophenjahr, teilweise mehr als 40% Völkerverluste; seitdem liegen die Verluste bei am nationalen Monitoring beteiligten Imkern zwischen 8% und 16%; signifikante Korrelation mit Varroa- und Virenbefall
2006– 2009
USA
Großes Bienensterben (CCD); bis zu 40% der Völker sterben aus unbekannten Gründen
2008
Oberrheinebene
Fehlerhafter Einsatz des Beizmittels Chlothianidin (Neonicotinoid) gegen Maiswurzelbohrer

Den ersten echten Schlag versetzte die Varroamilbe (Varroa destructor) der Imkerei. Diese "zerstörerische" Milbe war 1977 aus Asien nach Europa eingeschleppt worden und zehn Jahre später auch in die USA gelangt. Die Drohnen haben sie auf ihren Langstreckenflügen auf der Suche nach Königinnen rasend schnell verbreitet. Während die Östliche oder Asiatische Honigbiene Apis cerana recht gut mit der Milbe zurechtkommt, erkennt Apis mellifera die Milbe zu spät. Der bis zwei Millimeter lange Parasit setzt sich an den Arbeiterinnen fest, schlüpft vor der Verdeckelung der Wabe zur Brut, sticht die Larven an und saugt an ihnen. Er schwächt das Immunsystem der Biene und öffnet so die Tore für zahlreiche Viren und Bakterien. Bis die Biene den Eindringling erkennt und aus dem Nest wirft, hat er sich bereits vermehrt.

Varroa ist die Geißel der Bienenzucht und auch der Wildbienen weltweit. Seitdem sie in den Vereinigten Staaten auftauchte, vernichtete sie dort jährlich zwischen 17 und 40 Prozent der Völker. Vor allem die Winter 1995/96 und 2000/01 waren furchtbar. Doch es sollte noch schlimmer kommen: Im November 2006 stellte der Imker David Hackenberg fest, dass 370 seiner 400 Bienenvölker in Florida schlicht verschwunden waren. Er fand weder Wachsmotten (z. B. Galleria mellonella), die die Waben zerfressen, noch brutfressende Kleine Beutenkäfer (Aethina tumida), noch sonstige Honigräuber, die ein Volk ruinieren können. Die Bienen waren einfach weg.


"Wir müssen erkennen, dass es viel komplizierter ist, als wir vor ein paar Jahren noch glaubten. Es wird kein schneller Gang."

Maryann Frazier, Bienenforscherin an der Pennsylvania State University, 2009


Das rätselhafte Verschwinden traf sehr viele weitere Imker: Im Frühjahr 2007 waren 800.000 Bienenkästen leer. Ein Jahr später verschwanden eine Million oder ein Drittel aller Völker. Das sind bei mindestens 30.000 Bienen je Volk mehr als 50 Milliarden Bienen in zwei Jahren. Einige Berufsimker hatten Verluste von 90 Prozent. Die US-Amerikaner sprechen deshalb von Völkerkollaps (Colony Collapse Disorder, CCD, s. u.).

Der Schock war so groß, dass der Kongress der USA sich mit diesem Problem befasste und 100 Mio. US-Dollar zur Erforschung des CCD bereitstellte. Denn seit den 1940er Jahren soll der Bestand von 5,9 auf aktuell 2,3 Millionen Völker gesunken sein. Das ist für die USA nicht nur ein ökologisches, sondern in erster Linie ein agrarökonomisches Problem. Deshalb ist es erklärtes Ziel der Forschung, nicht nur das Überleben der Bienen, sondern ganz besonders auch die Verfügbarkeit der Bestäuber zu sichern.

Milliarden Bienen für die Mandelblüte

Die Bienenhaltung in den USA ist mit der in Deutschland und allgemein in Europa nicht zu vergleichen. Dort werden mehr als eine Million Bienenvölker jedes Jahr über Tausende von Kilometern quer durchs Land gefahren. 60 Millionen Mandelbäume müssen jedes Frühjahr im Central Valley in Kalifornien bestäubt werden. Danach geht es zu den Zitrusplantagen in Florida, dann zur Apfel- und Kirschblüte im Norden und schließlich zur Blaubeerbefruchtung in Maine ganz oben an der Ostküste. Insgesamt bestäuben die Bienen Feldfrüchte auf 1,4 Mio. ha Fläche. 40 Milliarden Bienen fliegen für die größte Massenbestäubung der Geschichte. Zur Unterstützung werden Bienen aus den varroafreien Ländern Australien und Neuseeland eingeflogen. Dafür wurde das strenge Importverbot seit 2004 gelockert.


Lieblingsspeise


Die Deutschen verzehren (angeblich) weltweit am meisten Honig: durchschnittlich 1,1 kg pro Kopf und Jahr. Die heimische Produktion reicht nicht aus, um die große Nachfrage zu decken. So wurden im Jahr 2009 in Deutschland ca. 16.400 Tonnen Honig geerntet, während etwa die vierfache Menge importiert wurde, vor allem aus Lateinamerika: Argentinien 23.100 t, Mexiko 12.400 t, Chile 7.400 t, Uruguay 5.300 t, Brasilien 4.100 t. Weitere Importe kamen aus: Rumänien 4.300 t, Spanien 3.200 t, Bulgarien 2.800 t, Indien 2.500 t; sonstige Länder zusammen 17.600 t.

Quelle: www.honig-verband.de

Kalifornische Mandeln sind ein Milliardenmarkt. 80 Prozent der Mandeln dieser Welt kommen aus dem Sonnenstaat. Die Ertragssteigerung durch die Bestäubung der Bienen wird in den USA auf einen Wert von mindestens 15 Mrd. US-Dollar geschätzt. Die Berufsimker verdienen gut an der Landwirtschaft. Alleine die Mandelbauern zahlen ihnen mittlerweile bis zu 150 US-Dollar für jeden Bienenstock. Da spielen Honig und Wachs keine Rolle mehr.

Die üblichen Verdächtigen: Terroristen, Pestizide, …

Auch deshalb wurde das Thema zunächst sehr emotional diskutiert. Die Verdächtigungen reichten von Al-Qaida-Anschlägen auf die Landwirtschaft über Belastungen mit Mobilfunkstrahlen bis zur modernen Landwirtschaft mit Pflanzenschutzmitteln, Mineraldüngung, Monokulturen, zu kleinem Genpool der Nutzpflanzen oder auch gentechnisch veränderten Nutzpflanzen.

Manche Imker vermuteten aber schlicht, dass die herbstlichen Dürren den Nahrungsvorrat der Bienen im Frühjahr gesenkt haben. Unterernährte Bienen seien anfälliger für Infektionen mit Viren, Bakterien und Pilzen.

Andere Experten machten die industrielle Haltung der Bienen und vor allem die langen Transporte übers Jahr verantwortlich, die die Immen einem hohen Stress aussetzen. Die Haltung der Honigbiene sei mit der modernen Schweinezucht vergleichbar, denn die Imker versorgen sie mit Mineralien, Antibiotika und Zusatznahrung, um sie leistungsfähig zu halten. Ob aber ein staatenbildendes Insekt, dessen Leben und Überleben völlig anderen Gesetzmäßigkeiten folgt, ähnlich manipulierbar ist wie ein Säugetier, stehe auf einem anderen Blatt.


Handarbeit


In der chinesischen Provinz Sichuan sollen die Bauern seit 30 Jahren ihre Birnbäume mit dem Pinsel bestäuben. Unmäßiger Pestizideinsatz soll die Bienen ausgerottet haben.

Ein Virus im Fokus

Bienen sind eigentlich recht belastbare Tiere, sagte die Leiterin der CCD-Arbeitsgruppe, Diana Cox-Foster von der Pennsylvania State University. Analysen zeigten bei den Bienen eigentlich jede Krankheit, die in den letzten hundert Jahren identifiziert worden ist. Und davon gibt es viele. Da sei es normal, dass das Immunsystem geschwächt ist. Die CCD-Arbeitsgruppe war vor ein paar Jahren noch optimistisch, eine singuläre oder zumindest eine dominante Ursache des Völkersterbens zu identifizieren. Der Fokus richtete sich auf ein aggressives Virus.

Der erste Hauptverdächtige wurde mit dem Israelischen Akuten Paralysevirus (IAPV) schnell gefunden. Es ließ sich in fast allen von CCD betroffenen Stöcken nachweisen. Angeblich stammten genau diese Völker alle aus Australien. Damit wäre die Lösung einfach gewesen: Importverbot für australische Bienen, Desinfektion der leeren Beuten mit Gammastrahlen und Besetzen mit frischen Königinnen. Doch die australischen Entomologen schlugen zurück. Sie nannten den behaupteten Zusammenhang von IAPV und CCD tendenziös und wiesen darauf hin, dass IAPV bereis 2002 in den USA aufgetaucht sei, also vor der Importgenehmigung für ozeanische Bienen. Zudem sei nicht bewiesen, dass das Virus letal für die Bienen ist. Mittlerweile wird IAPV nur noch als Marker für CCD angesehen, nicht mehr als Ursache.


Symptome des Völkerkollaps CCD


Die Symptome des Colony Collapse Disorder (CCD) grenzen sich von normalem Parasitenbefall und anderen bekannten Ursachen ab:

1. Schneller Verlust durch "Kahlfliegen": Die große Masse der adulten Arbeiterinnen fliegt weg; die gesunde Brut, die Königin und die wenigen zurückgebliebenen jungen Arbeiterinnen verhungern im Stock.

2. So gut wie keine toten Arbeiterinnen innerhalb und außerhalb der Beute; sie sind verschwunden.

3. Wochenlang weder Invasion von Stockparasiten noch Kleptoparasitismus durch benachbarte gesunde Völker.

4. Völliges Fehlen von Symptomen. Wohl deshalb entstand die etwas nebulöse Bezeichnung CCD. Dass die Arbeiterinnen massenhaft den Stock auf Nimmerwiedersehen verlassen, ist eine fundamentale Pflichtverletzung im Bienenstaat. Ein solch extremes Verhalten wurde früher nicht beobachtet.

Viele Faktoren

Nach dieser Ernüchterung ging die Arbeitsgruppe ihre Aufgabe realistischer an und suchte nach einer multifaktoriellen Ursache, an der toxische Chemikalien, Pathogene und schlechtes Wetter beteiligt sind. Im Wabenwachs betroffener Völker konnten hohe Konzentrationen an Fluvalinat und Coumaphos sowie Reste von 70 weiteren Pestiziden nachgewiesen werden. Mit Fluvinat getränkte Streifen werden prophylaktisch gegen die Varroamilbe in die Beuten gehängt. Es ist ein Pyrethroid und wirkt als Kontaktgift bei Milben und Insekten neurotoxisch. Der Thiophosphatester Coumaphos ist ein spezielles Akarizid. Doch ein kausaler Zusammenhang zum Völkersterben konnte nicht bewiesen werden. Einige Forscher meinen nun Hinweise gefunden zu haben, dass Pestizide sogar unterhalb der Nachweisgrenze das Immunsystem der Honigbiene nachhaltig schwächen. In der Folge erkranken sie an viralen Infektionen. Und davon gibt es mindestens 18 verschiedene. Doch ein Beweis für CCD ist auch das nicht.


Bienensterben und Bienenwachstum Entwicklung des Bestands an ­Bienenvölkern in einigen Ländern Europas und Nordamerikas von 1961 bis 2006. Quelle: FAO, 2009.

Globale Krise oder lokale Aufregung?

Das große Völkersterben ist keine universale Katastrophe. Sicherlich sinken die Bestände an manchen solitären und staatenbildenden Bienen. Der Bestand an bewirtschafteten Honigbienen hat dem gegenüber nach Daten der Welternährungsorganisation FAO in den letzten 50 Jahren um 45 Prozent auf 72 Millionen Völker zugenommen. Und gerade die statistische Erhebung des Bienenbestandes der USA erscheint dilettantisch. Die zählende Instanz hat mehrmals gewechselt und damit auch die Art der Datenerhebung. Beispielsweise wurden Imker mit weniger als 1000 US-Dollar Gewinn mal mitgezählt und mal nicht. Da die Imker Verluste im Frühjahr sehr schnell durch das Teilen gesunder Völker wieder wettmachen können, ist der Zeitpunkt der Datenerhebung sehr wichtig. So meldete der landwirtschaftliche statistische Dienst der USA für die Winter 2006 / 07 und 2007 / 08 Verluste von 32 bzw. 36 Prozent. Der Honigreport des Landwirtschaftlichen Zensus gab dagegen einen Zuwachs von 5 Prozent für den ersten Winter und eine Abnahme von 14 Prozent im Folgejahr an.

Die erschreckenden Zahlen aus den USA sind also mit Vorsicht zu genießen. Genaues weiß man eben nicht. In Europa sieht es ähnlich aus. Hier hat die FAO von 1970 bis 2007 einen Rückgang um etwa 25% von 21 Millionen auf 15,5 Millionen Völker gemeldet. Doch Europa ist noch uneinheitlicher als die USA (siehe Grafik). Die Bestände in zahlreichen Staaten, die überhaupt nicht zählen, werden geschätzt. Ebenso differiert die Statistik in den einzelnen Ländern.

In den anderen Weltteilen haben die Bienenvölker laut FAO überwiegend zugenommen: Australien legte um 40% zu, Kanada und Südamerika um je 80%, Afrika um 130% und Asien um sage und schreibe 430%.


Imbiss unterwegs


Die Nester wilder Bienen waren die ersten Schnellrestaurants der Menschheit.

Deutsche Verhältnisse

In Deutschland liegt eine andere Situation vor. Nach Ausfällen von mehr als 30% über den Winter 1997/98 ging der Bestand fünf Jahre später wieder um fast 30% zurück. Mehrere Verdächtige waren identifiziert worden. Dazu zählten zunächst das schlechte Wetter mit anschließender Unterversorgung der Bienen, aber auch die Varroamilbe und das Pestizid Imidacloprid aus der Gruppe der neurotoxischen Neonicotinoide, das zur Saatgutbeizung eingesetzt wird.

Dass die Varroamilbe die Bienenbestände dezimiert, gilt als sicher. Deshalb werden viele Anstrengungen unternommen, diese durch züchterische und halterische Verfahren einzudämmen. Zwar ist Imidacloprid bienengiftig, seine Gefährlichkeit für die Biene hängt aber mit der Art der Ausbringung zusammen.

Mit ziemlicher Sicherheit geht das Bienensterben vom April und Mai 2008 im Rheintal auf das Neonicotinoid Chlothianidin zurück, das vor allem im Maisbau gegen den wichtigen Schädling Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera) zur Beizung eingesetzt wird. Die Beizung erfolgt vor der Aussaat. Damit sollte sichergestellt sein, dass die Biene mit dem Wirkstoff nicht in Berührung kommt. Doch die mit Saugluft arbeitenden pneumatischen Sämaschinen geben den im Saatgut vorhandenen Abriebstaub an die Umwelt ab, und mit ihm gelangt Chlothianidin auf blühende Pflanzen neben den Maisäckern, die wiederum von Bienen besucht werden. Um die Verbreitung von Chlothianidin in der Umwelt zu verhindern, muss also die Luftführung der Sämaschinen geändert werden.


Bienensterben im Netz


Colony Collaps Disorder

www.oardc.ohio-state.edu/agnic/bee/ccd.htm

Länderinstitut für Bienenkunde

www2.hu-berlin.de/bienenkunde

Züchtung ist schwierig

Die Honigbiene gilt nach dem Tierseuchengesetz in Deutschland als Haustier. Dennoch ist das Wissen über dieses kleine Wesen immer noch gering. Sein Genom wurde 2006 entschlüsselt. Dies ist aber allein keine Grundlage für die Züchtung krankheitsresistenter Rassen. Die Züchtung ist schwierig, da die Königin sich stets mit mehreren Drohnen paart und damit die höchste bekannte Rekombinationsrate aller Tiere hat. Diese genetische Heterogenität wirkt sich positiv auf die Gesundheit eines Volkes aus.

Sicher gibt es viel zu tun, um die Bienen zu schützen. Aber selbst bei Untätigkeit bestünde keine Gefahr, dass wir sie verlieren.


Literatur

Alison Benjamin, Brian McCallum. Welt ohne Bienen. Fackelträger, Köln 2009.

Robyn Underwood, Dennis vanEngelsdorp. Colony Collapse Disorder: Have We Seen This Before? Bee Cult 2007; 35:13 – 18.

Gerhard Schmidt (Hrsg). Sozialpolymorphismus bei Insekten. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1974.

Yves le Conte, et al. Varroa mites and honey bee health: can Varroa explain part of the colony losses? Apidologie 2010;41:353 – 363.

Dennis vanEngelsdorp, et al. Colony Collapse Disorder: A Descriptive Study. PLoS ONE 4(8):e6481; doi:10.1371/journal.pone.0006481.

Elke Genersch, et al. Honey bee disease overview. J Invertebrate Pathol 2010; 103:2 – 4.


Autor
Dr. Uwe Schulte, Osterholzallee 82, 71636 Ludwigsburg
E-Mail: schulte.uwe@t-online.de



DAZ 2011, Nr. 9, S. 92

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