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Mindestlohn bekommt neuen Rückenwind

In der CDU ist kurz vor dem Parteitag in Leipzig vom 13. bis 15. November die Forderung nach verbindlichen Lohnuntergrenzen laut geworden. Ein politischer Schwenk, der ähnlichen Sprengstoff für die Koalition birgt wie der plötzliche Atomausstieg vor einigen Monaten. Kritiker von Mindestlöhnen monieren, es sei Hausaufgabe der Tarifparteien, für die Branchen geeignete Standards festzulegen, um ein Lohndumping zu vermeiden.
Foto: Joachimsthaler
Solidarität ist gefragt.

Doch zeigen ostdeutsche Tariflöhne von unter vier Euro, dass die Tarifstrukturen in manchen Bereichen einfach nicht funktionieren. Während die Lokführer oder die Metaller gut organisiert und streikbereit sind, gelingt es den sächsischen FriseurInnen offenbar nicht, Löhne zum Leben auszuhandeln. Anderen Branchen geht es ähnlich. Und die Arbeitgeber setzen immer mehr darauf, dass der Staat bzw. Steuerzahler es schon richten wird: mit ergänzender Sozialhilfe.

Dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten, ist ein beliebtes Argument ihrer Gegner. Ausgerechnet eine Studie aus dem CDU-geführten Bundesarbeitsministerium zeigt nun, dass dies nicht stimmt. Auch weisen Arbeitsmarktexperten schon länger auf die positiven Erfahrungen mit Mindestlöhnen in anderen europäischen Ländern hin. Deutschland befindet sich hier deutlich in der Minderzahl der EU-Staaten, die dieses Instrument noch nicht eingeführt haben.

Armutsgefährdung


Wer im Jahr 2009 weniger als 940 Euro monatlich zur Verfügung hatte, war laut Statistischem Bundesamt armutsgefährdet. Das waren 12,6 Mio. Bundesbürger. Neben den Arbeitslosen sind Alleinerziehende besonders häufig betroffen.

Foto: Joachimsthaler
"Werbung" für den Mindestlohn an einer Hauswand in Berlin.

Großbritannien stand Pate bei dem Modell, das der CDU-Arbeitnehmerflügel CDA und die Kanzlerin befürworten: Eine unabhängige Kommission von Vertretern der Tarifparteien soll den oder die Grenzwerte festlegen. Das "böse Wort vom Mindestlohn" nehmen die Verfechter lieber nicht in den Mund, sondern sprechen stattdessen von Lohnuntergrenzen. Diskutiert wird auch, für Jugendliche (etwa von 16 bis 21) niedrigere Grenzwerte festzulegen, damit sie bei der Stellensuche nicht diskriminiert werden. Doch das birgt das Risiko, dass manche überhaupt erst ins Berufsleben einsteigen, wenn sich das Gehaltsniveau aus ihrer Sicht rechnet.

Koalition ist gespalten

Im Koalitionsvertrag von 2009 haben sich Union und FDP noch gegen allgemeine Mindestlöhne ausgesprochen. Ob die FDP und der Wirtschaftsflügel der Union den Schwenk der Kanzlerin mittragen werden, ist zweifelhaft. Fehlt doch (bisher) ein ähnlich starkes "Erweckungserlebnis" wie der Atom-GAU in Fukushima. Es ist wohl mehr der Machtinstinkt der Kanzlerin, die schon an die nächsten Wahlen denkt – und weiß, dass eine ganz deutliche Mehrheit der Bevölkerung sich für Mindestlöhne ausspricht. Eine emnid-Umfrage ergab kürzlich, dass 86 Prozent der Bürger sie befürworten.

Den Status quo wird die Arbeitgeberschaft jedenfalls nicht mehr lange gegen besseres Wissen verteidigen können. Letztlich sollten sich jetzt gerade diejenigen an die eigene Nase fassen, die durch Tarifflucht und verantwortungslose Abschlüsse die Mindestlöhne gesellschaftsfähig gemacht haben.


Dr. Sigrid Joachimsthaler



Kommentar: Den Bogen überspannt


Wenn es um das Thema Mindestlohn geht, stammen die Negativbeispiele meist aus Sachsen. Das sollte zu denken geben, auch im Apothekenbereich. Wer sich wie die sächsischen Apothekenleiter jahre-, ja jahrzehntelang weigert, seine verfassungsmäßige Aufgabe als Tarifpartei wahrzunehmen, der ruft in letzter Instanz die Politik aufs Spiel – und liefert damit die eigenen Betriebe dem Risiko einer staatlichen Fremdbestimmung aus.

Aber auch die Arbeitnehmer im ganzen Bundesgebiet müssen sich fragen lassen, warum sie sich nicht zahlreicher organisieren und mutiger für ihre Interessen eintreten. Gewerkschaftsmitgliedschaft ist legal, im Grundgesetz verankert und somit höchstes Gut – unser soziales Arbeitsmarktmodell basiert auf dem Zusammenspiel von Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen. Allen Apothekenangestellten empfehle ich unbedingt eine Mitgliedschaft in ihrer Apothekengewerkschaft ADEXA.

Solidarität ist dabei das zentrale Stichwort: Solidarität der Arbeitnehmer untereinander, indem man nicht als Trittbrettfahrer von den Anstrengungen anderer profitiert. Und Verantwortung der Arbeitgeber ihren Mitarbeitern gegenüber, damit diese von ihrer guten Arbeitsleistung ohne staatliche Zuschüsse ordentlich leben können.


Barbara Neusetzer



DAZ 2011, Nr. 45, S. 127

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