Sonnenschutz

Wenn Sonne weh tut – neue Hoffnung für Lichtkranke

Angeborener Stoffwechseldefekt führt zur Unverträglichkeit von Sonnenlicht

Von Jasmin Barman und Elisabeth Minder

Bei einem seltenen Stoffwechseldefekt löst Sonnenschein unerträgliche Schmerzen aus – Betroffene der erythropoetischen Protoporphyrie (EPP) können sich nur wenige Minuten im Freien aufhalten. Auslöser der Symptome ist das sichtbare Licht, vor allem der blaue Anteil. "Sonnencreme" und Spezialkleidung schützen im UV-Bereich und sind daher bei erythropoetischer Protoporphyrie nutzlos. Aber es besteht Hoffnung: Das α-MSH-Analogon Afamelanotid verstärkt die Pigmentierung und baut nachweislich einen wirkungsvollen Lichtschutz in der Haut auf.
Fotos: Selbsthilfe EPP e.V.
Unverträglichkeit gegenüber Licht ist das Hauptsymptom der erythropoetischen Protoporphyrie. Schon nach kurzem Aufenthalt an der Sonne treten starke bis extreme Schmerzen auf. Nur selten bilden sich die typischen Rötungen und Schwellungen, wie an den Händen eines Mädchens nach Sonnenexposition.

Bei der erythropoetischen Protoporphyrie (EPP) ist aufgrund einer Genmutation die Herstellung des roten Blutfarbstoffs Häm gestört: Eisen kann nicht effizient genug verstoffwechselt werden. Dadurch wird zum einen zu wenig Hämoglobin gebildet, was zu einer leichten Anämie führt. Schwerwiegender aber ist die Akkumulation von Protoporphyrin, der namensgebenden Vorstufe: Als fettlösliche Substanz lagert es sich in Zellmembranen ein, ausgeschieden wird es nur über die Leber und Galle. Selten (2 bis 5% der Betroffenen) kann dies zur Schädigung der Leber bis hin zum Versagen führen.

Unfertiger Blutfarbstoff reagiert mit Licht

Hauptsymptom der erythropoetischen Protoporphyrie ist aber eine schmerzhafte Lichtunverträglichkeit der Haut. Protoporphyrin ist in der Lage, Energie aus dem sichtbaren Lichtspektrum unter Beteiligung von Sauerstoff unkontrolliert auf Bestandteile der Zelle zu übertragen. Innerhalb von Minuten nach einer Belichtung kann es so zu Schäden der kleinen Blutgefäße kommen. Symptome entwickeln sich dabei nur an den Hautarealen, die der Sonne ausgesetzt waren. Auch das Licht an wolkigen Tagen (Streuung) und aus künstlichen Quellen wie z. B. OP-Lampen ist gefährlich. Schon nach kurzer Zeit beginnen Empfindungen, die als Brennen, Jucken, oder "heiße Nadeln, die die Haut durchstoßen" beschrieben werden. Bei länger anhaltender Lichtexposition steigern sich diese zu extremen, unerträglichen Schmerzen. Selten und meist mit einem Tag Verzögerung treten sichtbare Veränderungen auf: Die bestrahlten Hautstellen weisen Rötungen bis hin zu Verbrennungen auf. Durch Absterben der Zellen der Blutgefäßwände kann Flüssigkeit ins Gewebe übertreten, wodurch Schwellungen entstehen. Jeglicher Reiz (Kälte, Druck etc.) wird in dieser Phase als unerträglich empfunden – selbst die eigene Körperwärme. Die Schmerzen und Missempfindungen machen Schlaf nächtelang unmöglich und können bis zu zwei Wochen anhalten.

Keine "Mondscheinkrankheit"


Eine erythropoetische Protoporphyrie ist nicht dasselbe wie die "Mondscheinkrankheit". Als Mondscheinkinder werden häufig die Betroffenen einer anderen Erbkrankheit, der Xeroderma pigmentosum (XP), bezeichnet. Patienten mit Xeroderma pigmentosum müssen sich konsequent vor dem UV-Anteil der Sonnenstrahlung und künstlicher Lichtquellen schützen, da sie ein sehr hohes Risiko haben, schon früh im Leben Hautkrebs zu entwickeln. Der Alltag der Betroffenen ist dadurch extrem eingeschränkt.

Betroffene mit erythropoetischer Protoporphyrie dagegen reagieren auf den sichtbaren, farbigen Teil der Strahlung. Sie entwickeln sehr starke Schmerzen durch den Kontakt mit Sonnenlicht, führen aber in den allermeisten Fällen ein – mit Einschränkungen – ziemlich normales Leben.


[Quelle: Selbsthilfe EPP e.V.]

Unsichtbare Symptome – späte Diagnose

Sehr zum Nachteil der Patienten ist meistens keinerlei Veränderung der Haut zu erkennen. Diese "Unsichtbarkeit" macht die Diagnose besonders schwer, denn vielen Betroffenen wird ihr Leiden nicht geglaubt. Die erythropoetische Protoporphyrie kommt in Europa mit einer Häufigkeit von 1: 100.000 vor. Dies klingt nach wenig, bedeutet allerdings, dass in jeder größeren Stadt einige Betroffene leben! Ein komplizierter Vererbungsgang macht es jedoch schwer, die Erkrankung als Erbdefekt zu erkennen. Ist in der Familie eine erythropoetische Protoporphyrie vorhanden, überspringt sie häufig mehrere Generationen. Meist wird nur unspezifisch eine "Sonnenallergie" festgestellt – durchschnittlich braucht es 15 Jahre und eine Odyssee verschiedener medizinischer Anlaufstellen, bis die richtige Diagnose gestellt ist. Diese Zeitspanne ist zu lang: Kinder dürfen noch nicht selbstständig über ihren Tagesablauf entscheiden und sind von einer unerkannten erythropoetischen Protoporphyrie besonders betroffen [1].

Sonnencreme wirkungslos

Der intuitive Griff zu einer "Sonnencreme" bringt leider bei einer erythropoetischen Protoporphyrie nicht den erhofften Nutzen. Die üblichen Sonnenschutzmittel schützen durch Absorption des UV-Anteils vor Sonnenbrand und Hautalterung. Protoporphyrin, Ursache der EPP-Symptome, reagiert aber mit unterschiedlichen Wellenlängen des sichtbaren Lichtspektrums. Erfahrungsgemäß profitieren Betroffene auch kaum von Sonnenschutzmitteln mit Mikropigmenten wie Titandioxid. 

Hände einer jungen Frau mit erythropoetischer Protoporphyrie. Durch die Belastung altern die Hände schneller, es bilden sich Furchen und Verdickungen über den Gelenken.

Metastudie zu Beta-Caroten & Co.

Seit den 1970er Jahren versucht man, die Lichttoleranz bei erythropoetischer Protoporphyrie über die Gabe von Beta-Caroten (Provitamin A) zu verbessern. Noch immer werden zur Behandlung der EEP in vielen Leitfäden hohe Dosen empfohlen. Der ausbleibende Erfolg gab Anlass zu einer Metaanalyse [2]. Doch bei seltenen Erkrankungen ist es häufig schwierig, Untersuchungen mit guter Datengrundlage zu finden, neben geringen Teilnehmerzahlen sind viele Studien nicht placebokontrolliert oder anekdotisch-retrospektiv angelegt. In den zuverlässigeren Studien konnte kein Nutzen von Beta-Caroten festgestellt werden: Das Absorptionsspektrum des gelben Carotenoids deckt sich nicht mit dem des Protoporphyrins.

In derselben Metaanalyse wurden auch andere Therapieansätze überprüft: Versuche mit wenigen Teilnehmern für die Antioxidanzien N-Acetylcystein, Cystein, Vitamin C und mit dem Carotenoid Canthaxanthin, mit Selbstbräunern (unter anderem Dihydroxyaceton) und die Behandlung mit UV-B-Strahlen. Einzig die Verstärkung der Hautbräunung mittels UV-B-Bestrahlung zeigte Wirkung. Als Langzeittherapie, gerade bei jungen Patienten, ist eine UV-B-Bestrahlung allerdings wegen der bekannten Nebenwirkungen (Schädigung der DNA etc.) ungeeignet.

Neue Hoffnung aus Australien

Vermutlich ist es kein Zufall, dass das erste Erfolg versprechende Medikament für die erythropoetische Protoporphyrie in Australien entwickelt wurde – einem Land, das durch hohe Hautkrebsraten schon länger die Schattenseite der Sonne kennt. Alpha-Melanozyten stimulierendes Hormon (α-MSH) wird vom Körper als natürliche Reaktion auf UV-Strahlung gebildet. Es bindet an Rezeptoren der Pigmentzellen (Melanozyten) und regt diese zur Produktion von Eumelanin an. Als kurzes Peptid kann man α-MSH auch synthetisch herstellen, wenn es appliziert wird, wird es aber sehr schnell abgebaut. Daher wird schon länger nach stabileren Derivaten gesucht. Afamelanotid (Scenesse®) von der australischen Firma Clinuvel ist eine stabilere synthetische Variante des Hormons und wirkt über denselben Mechanismus – es wird als Hormonstäbchen implantiert, das das Hormon über zwei Monate hinweg kontinuierlich abgibt und löst die Bräunung der Haut aus, ohne dass ein Kontakt mit Sonnenlicht stattgefunden hat.


Schwere EPP-Symptome nach einem Ausflug. Schwellungen im Gesicht sind besonders schmerzhaft.

Mehr Lebensqualität für EPP-Patienten

Ab 2006 konnte in mehreren europäischen Studien die hohe Schutzwirkung von Afamelanotid gezeigt werden: Die moderat gesteigerte Pigmentierung der Haut ermöglicht es EPP-Patienten, sich bei weniger Schmerzen länger an der Sonne aufzuhalten [3]. Eine europaweite klinische Phase-III-Studie mit über 100 Patienten wurde 2011 abgeschlossen: unerwünschte Wirkungen und Abbruchraten waren gering, für eine Zulassung sind aber noch Hürden bei den Prüfkommissionen (EMA, Swissmedic, FDA) zu nehmen [4]. In Italien wird Afamelanotid (Scenesse®) seit 2010 allen EPP-Patienten von der Gesundheitsbehörde erstattet – eine jährlich zu erneuernde Sonderregelung für orphan drugs macht es dort möglich. In der Schweiz und Deutschland dürfen sich zumindest die an den bisherigen Studien beteiligten Patienten über eine Therapiefortführung im Rahmen einer Compassionate-use-Regelung freuen. Eine Studie für Kinder mit erythropoetischer Protoporphyrie ist das große Anliegen aller Beteiligten, kann aber erst nach Zulassung von Afamelanotid für Erwachsene gestartet werden. Studien für andere Erkrankungen wie der polymorphen Lichtdermatose und für Krebspatienten unter photodynamischer Therapie sind dagegen geplant oder bereits im Gange.

Afamelanotid keine "barbie-drug"

Produkte, die Melanotan I oder Melanotan II enthalten, werden im Internet oft für kosmetische Zwecke vor allem zur einfachen Bräunung der Haut ohne Sonnenbad angeboten. Melanotan II regt die Hautbräunung an, kann aber auch durch die Blut-Hirn-Schranke gelangen und löst dort unter anderem Erektionen aus. Afamelanotid dagegen durchquert die Blut-Hirn-Schranke weniger gut als Melanotan II und hat daher keine Potenz steigernde Wirkung. Anders als das früher entwickelte zyklische α-MSH-Analogon Melanotan II muss Afamelanotid zudem von medizinisch geschultem Personal über ein Implantat verabreicht werden. Somit ist nicht mit einem Missbrauch ähnlich der als "barbie-drug" bezeichneten Vorläufersubstanz zu rechnen.

Information und Hilfe


Für Betroffene der erythropoetischen Protoporphyrie (EPP) und deren Angehörige bietet der Verein Selbsthilfe EPP e.V. auf seinen Seiten im Internet viele Informationen. Aktivitäten des Vereins sind u. a. die Förderung des Erfahrungsaustauschs unter Betroffenen, die Bereitstellung von allgemeinverständlichen Informationen zur EPP und die Vermittlung von Kontakten zu Spezialisten, um Möglichkeiten von Behandlung und Forschung zu verbessern.

www.epp-deutschland.de/


Quelle

[1] Minder EI.: Porphyrien im Kindesalter. Paediatrica 2010 (21): 60 – 62.

[2] Minder EI; Schneider-Yin X; Steurer J; Bachmann LM: A systematic review of treatment options for dermal photosensitivity in erythropoietic protoporphyria. Cell Mol Biol (Noisy-le-grand) 2009 (55): 84 – 97.

[3] Harms J; Lautenschlager S; Minder CE; Minder EI: An alpha-melanocyte-stimulating hormone analogue in erythropoietic protoporphyria. N Engl J Med. 2009 (3): 306 – 307.

[4] Clinuvel (20. April 2011) www.clinuvel.com/resources/cmsfiles/pdf/20110420EMAPresub.pdf


Anschrift der Verfasserinnen

Dipl. Biol. Jasmin Barman, Prof. Dr. med. Elisabeth Minder, Zentrallabor, Stadtspital Triemli, Birmensdorferstraße 497, 8063 Zürich, Schweiz



DAZ 2011, Nr. 22, S. 42

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