Feuilleton

Eule und Mensch

"Eule und Mensch" heißt eine Sonderausstellung, die bis zum 12. September im Naturkundemuseum Leipzig zu sehen ist. Gezeigt werden vor allem Dioramen mit Tierpräparaten.
Steinkauzpaar (Athene noctua) mit Beute.

"Wenn sein Herz und sein rechter Fuß geleget wird auf einen Schlaffenden, der saget dir alles, was er gethan hat und was du von ihm fragest. So auch jemand ihn unter seine Achslen leget, so bellet kein Hund über ihn, sondern er verstummet. Solches mitsamt seinen Flügeln gehängt an einen Baum, so versammlen sich die Vögel zu diesem Baum", berichtete Albertus Magnus (um 1200 – 1280) über das "Stein-Käutzlein". Woher auch immer der Kirchenlehrer und Verfasser des Buches "Von den Kräfften und allerley Tugenden etlicher Thiere" sein Wissen bezogen haben mag – heute ist von magischen Kräften der Eulen nichts bekannt.

Gehasst und verehrt

Deren Anziehungskraft auf Singvögel ist indessen eine Tatsache. Wenn ein Singvogel tagsüber eine ruhig sitzende Eule entdeckt, beginnt er laut zu zetern, sodass weitere Vögel herbeikommen und gemeinsam die Eule angreifen oder "hassen" (ornithologisches Fachwort). Dieses Phänomen hat sich der Mensch schon frühzeitig zunutze gemacht: Er kettete Eulen – insbesondere Uhus – an Pfähle, um scharenweise Vögel anzulocken. Wenn diese in der Nähe des "verhassten" Lockvogels waren, tötete er sie für den Verzehr oder fing sie lebend, um sie als Sänger zu halten.

Eulen werden indessen nicht nur in der Vogelwelt "gehasst". Auch die Menschen empfanden für sie bis in die jüngste Vergangenheit eher Antipathie denn Sympathie.

Die alten Griechen hatten zu ihnen ein ambivalentes Verhältnis. Wurde der Ruf einer Eule als schlechtes Omen gedeutet, so galten die Tiere andererseits auch als Sinnbilder der Weisheit. In dieser Eigenschaft war ein Steinkauz (Athene noctua) der ständige Begleiter der Göttin Athene. Asklepios, dem Gott der Heilkunst, war neben dem Hahn, der Schlange und der Zypresse auch die Eule heilig.

Im alten Rom war "strix" eine Ohreule, von der man glaubte, dass sie ähnlich wie ein Vampir schlafenden Säuglingen das Blut aussaugt (das Wort ist mit lat. "striga" = Hexe verwandt). Zwei Jahrtausende später kündigte in manchen Gegenden Deutschlands der Ruf einer Eule eine glückliche Geburt an. Doch in breiten Bevölkerungskreisen waren auch hier die Tiere als Unglücksbringer gefürchtet. So glaubte man, dass Hexen und Teufel in Gestalt einer Eule erscheinen können. Steinkäuze und Uhus galten als Todesboten. Mancherorts sollten mit gespreizten Flügeln über dem Tor angenagelte Eulen Unheil vom Hof fernhalten.

Trinkgefäße mit Eulendekors aus dem 16. Jahrhundert belegen, dass sich in der Renaissance das Verhältnis der Menschen zu den Eulen allmählich veränderte. Nun wurden sie weniger gefürchtet, sondern eher als amüsante, "kauzige" Naturwesen wahrgenommen. Künstler stellten Eulen als Symbole der Verführung dar. Folglich wurden sie auch zu einem Attribut der Dirnen.


Zwergohreule (Otus scops), Elternpaar mit Jungen. Das Weibchen legt nicht mehr als ein Ei pro Tag, sodass es innerhalb einer Brutgene­ration verschiedene Entwicklungsstadien gibt.

Standorttreue Jäger

Ausgenommen die Antarktis, sind die Eulen (Ordnung Strigiformes) mit fast 200 Arten auf allen Kontinenten verbreitet. Einige Spezies gehören zur Familie der Schleiereulen (Tytonidae), die überwiegende Anzahl aber zu den Eigentlichen Eulen (Strigidae), die wiederum in zwei Unterfamilien untergliedert werden: die Ohreulen – allen voran die Uhus – und die Käuze, die nicht mit ohrförmigen Federn ausgestattet sind.

Eulen sind Standvögel und mit wenigen Ausnahmen dämmerungs- oder nachtaktive Jäger. Die Sumpfohreule zählt zu den Spezies, die lieber tagsüber auf Nahrungssuche gehen, und die Schneeeule kennt keinen strengen Tag-und-Nacht-Rhythmus, sondern passt ihren Tagesablauf eher an die Witterung und das Beutevorkommen an; mit ihrem weißen Gefieder ist sie ein charakteristischer Vogel der arktischen Tundren.

Die meisten Eulenarten ernähren sich überwiegend von Kleinsäugern wie Mäusen, doch jagen sie auch Singvögel (deshalb das "Hassen"), Fische (Fischuhu), Reptilien, Lurche, Insekten und Schnecken. Unverdauliche Körperteile wie Knochen, Haare, Federn und Chitin werden als Gewölle ausgewürgt.


Die Maskeneule (Phodilus bodius) ist in den Regenwäldern Südost­asiens heimisch.

Sensible Sinnesorgane

Im Vergleich zu anderen Vögeln sind die Köpfe der Eulen relativ groß und mit einem typischen "Beutegreifergesicht" versehen, das – mit etwas Fantasie – eine gewisse Ähnlichkeit mit dem menschlichen Antlitz aufweist. Der stark gekrümmte Schnabel erinnert an eine Nase. Die starren, nach vorn gerichteten Augen sind mit einer verkürzten Retina und einer konvexen Linse ausgestattet und von einem Skleralring – einem langen Tubus aus Skleralknöchelchen – umgeben. Durch ein oberes und ein unteres Lid sowie eine Nickhaut werden die Augen der Eulen geschützt – ideale Voraussetzungen, um Beutetiere räumlich zu sehen und Geschwindigkeiten und Abstände abschätzen zu können. Eulen können ihren Kopf um 270 Grad drehen und kompensieren damit die Unbeweglichkeit der Pupillen.

Auch das Hörvermögen der Eulen ist einzigartig für die Avifauna. Sind die Ohröffnungen der meisten Vögel rund und relativ klein, so verfügen die Strigiformes über schlitzartige Gehörgänge, die fast so lang wie die Kopfhöhe sind. Überdies ist die rechte Ohröffnung etwas höher als die linke angeordnet. Der "Gesichtsschleier" – besonders ausgeprägt bei den Tytonidae – wirkt wie ein Parabolspiegel und leitet die Schallwellen zum Gehör. Die Geräuschortung wird unterstützt durch bewegliche Federläppchen vor und hinter den Ohröffnungen und den vergleichsweise breiten Kopf.

Lautloser Flug

Auch das Gefieder ist vorteilhaft für die Jagd bei Dunkelheit: Die Ränder der Federn sind mit kammförmigen Fortsätzen ausgestattet, welche die Luft so verwirbeln, dass beim Fliegen keine Geräusche entstehen. Dieser Effekt wird durch eine große Flügelfläche und -spannweite noch unterstützt.

Alle Eulen besitzen vier Zehen, die bei den Schleiereulen – ähnlich wie bei Spechten – jeweils paarweise nach vorn und hinten ausgerichtet sind. Die Füße der Eigentlichen Eulen sind hingegen mit einer Wendezehe ausgestattet, die sowohl nach vorn als auch nach hinten bewegt werden kann.


Die Schneeeule (Bobo scandiacus) ist an ihre weiße Umwelt angepasst.
Fotos: Wylegalla

Seit 30 Jahren geschützt

Nach jahrhundertelanger Verfolgung wurden 1980 in Deutschland alle Eulenarten per Bundesartenschutzverordnung unter besonderen Schutz gestellt. Da die Tiere einen wichtigen Stellenwert bei der Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts einnehmen, engagieren sich Naturschutzverbände, Institutionen, private Initiativen und Jagdverbände für den Erhalt noch vorhandener Populationen sowie die Wiedereinbürgerung einheimischer Arten an deren ehemaligen Standorten.

Im Harz, in der Eifel, in Schleswig-Holstein und anderen Regionen ist es gelungen, Uhus in Gefangenschaft zu vermehren und die flügge gewordenen Jungtiere auszuwildern.

Uhus bevorzugen als Kinderstube Nischen in steilen Felsen. Andere Spezies ziehen ihren Nachwuchs in Baumhöhlen oder verlassenen Nestern groß. Deshalb ist das Anbringen von Nisthöhlen an geeigneten Plätzen für die Stabilisierung mancher bedrohter Arten hilfreich. In der Lüneburger Heide zum Beispiel konnte durch das Anbieten von Nisthilfen innerhalb von 20 Jahren der Bestand an Rauhfußkäuzen von fünf auf 40 Brutpaare erhöht werden.

Nicht minder wichtig sind die Erhaltung und die Regeneration geeigneter Lebensräume. Naturschutzorganisationen empfehlen daher, in Wirtschaftswäldern nur einzelne Bäume anstelle ganzer Flächen zu schlagen. Um die Nahrungskette in ihrer ganzen Vielfalt zu erhalten, sollte das Totholz im Wald belassen werden. Vorindustriell bewirtschaftete Wiesen – dazu gehören auch die Streuobstwiesen – bieten einer Vielzahl von Kleinlebewesen und Wildpflanzen sowie für manche Eulenarten ideale Lebensbedingungen. Der Verzicht auf Insektizide und Pestizide fördert die ökologische Vielfalt enorm. Einige Eulenarten wie zum Beispiel die Schleiereule sind Kulturfolger und ziehen ihren Nachwuchs in alten Stallungen, Türmen oder Ruinen groß. Daher sollte ihnen nicht der Zugang durch Vermauern oder Netze verwehrt werden.


Reinhard Wylegalla

Ausstellung


Naturkundemuseum Leipzig

Lortzingstraße 3, 04105 Leipzig

Tel. (03 41) 98 22 10, Fax 9 82 21 22

www.leipzig.de/naturkundemuseum

Geöffnet: Dienstag bis Donnerstag 9 bis 18 Uhr, Freitag 9 bis 13 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 16.30 Uhr

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