Arzneimittel und Therapie

Noch kein Aus für Rosiglitazon

Fragen zur kardiovaskulären Sicherheit des Antidiabetikums Rosiglitazon beschäftigen weiter die Überwachungsbehörden. Den Forderungen nach einer Marktrücknahme sind weder die Europäische Arzneimittelagentur EMA noch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA in ihren Mitte Juli durchgeführten Beratungen nachgekommen. Die Prüfung dauert an. In die zur Zeit laufende Postmarketingstudie TIDE dürfen jedoch keine neuen Teilnehmer mehr aufgenommen werden.

Die seit Jahren andauernde Diskussion um ein erhöhtes Herzinfarktrisiko unter Rosiglitazon hat durch zwei neue Studien Auftrieb bekommen. Vor diesem Hintergrund haben sich der wissenschaftliche Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA (CHMP) sowie die FDA erneut auf ihren Tagungen Mitte Juli mit der kardiovaskulären Sicherheit von Rosiglitazon (Avandia® , mit Metformin: Avandamet® , mit Glimepirid (Avaglim®) beschäftigt.

Nissen-Studie bestätigt

Eine dieser Studien war ein Update der Metaanalyse von Steven Nissen, die im Jahr 2007 die Diskussion um die kardiovaskuläre Sicherheit von Rosiglitazon in Gang gesetzt hatte [1, 2]. Auch unter Einbeziehung neuer Daten, insbesondere der RECORD-Studie, ist das Herzinfarktrisiko unter Rosiglitazon in der neuen Studie signifikant um 28% erhöht. Ohne die Daten der RECORD-Studie liegt die Risikoerhöhung bei 39%. Darüber hinaus sieht eine neue im JAMA veröffentlichte Analyse von Medicare-Daten aus den USA im Vergleich zu Pioglitazon ein um 27% erhöhtes Risiko, an einem Schlaganfall zu sterben und ein um 26% erhöhtes Risiko für Tod durch Herzversagen [3]. Auch die Gesamtsterblichkeit war in dieser Studie unter Rosiglitazon höher als unter Pioglitazon.

GSK: kein erhöhtes Risiko

Demgegenüber erklärt der Rosiglitazon-Hersteller GlaxoSmithKline in einer Pressemitteilung vom 9. Juli 2010 erneut, dass Rosiglitazon weder das Herzinfarkt- und das Schlaganfallrisiko noch die Sterblichkeit erhöht und führt als Beleg die RECORD-Studie (Rosiglitazone Evaluated for Cardiac Outcomes and Regulation of Glycaemia in Diabetes). Diese 2009 im Lancet veröffentlichte offen durchgeführte Multicenterstudie sollte den Verdacht eines erhöhten kardiovaskulären Risikos unter Rosiglitazon entkräften [4]. An ihr nahmen 4447 Typ-2-Diabetiker teil, die mit Metformin- oder einem Sulfonylharnstoff nur einen durchschnittlichen HbA1c -Wert von 7,9 erreichen konnten. Sie erhielten randomisiert entweder zusätzlich Rosiglitazon (n = 2220) oder eine Metformin-/Sulfonylharnstoff-Kombinationstherapie (n = 2227). Die mittlere Behandlungsdauer betrug 5,5 Jahre.

Primärer Endpunkt der Studie war eine Klinikeinweisung aufgrund kardiovaskulärer Komplikationen oder kardiovaskulärer Tod. Dieser Endpunkt wurde von 321 Patienten der Rosiglitazon- und 323 Patienten der Kontrollgruppe erreicht. Danach ist die Rosiglitazon-Behandlung mit keinem höheren kardiovaskulären Risiko verbunden als eine kombinierte Metformin-/Sulfonylharnstoff-Therapie.

Die Auswertung der sekundären Endpunkte zeigte für die Rosiglitazon-Gruppe unter anderem folgende nicht statistisch signifikante Ergebnisse:

  • niedrigere Gesamtsterblichkeit,
  • geringeres Auftreten eines kombinierten Endpunkts, der Fälle von kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall zusammenfasst,
  • mehr Herzinfarkte in der Rosiglitazon-Gruppe (Rosiglit azon-Gruppe 64 Fälle; Kontrolle 56 Fälle),
  • weniger Schlaganfälle.

Kritiker wollen diese Studie jedoch nicht als Beleg für die kardiovaskuläre Sicherheit akzeptieren. In einem zeitgleich mit der RECORD-Studie im Lancet publizierten Kommentar wurden Zweifel an der Aussagekraft der RECORD-Studie geäußert [5]. Kritisiert wurde das Open-label-Studiendesign, bei dem im Gegensatz zu Doppelblindstudien Prüfer und Studienteilnehmer über die Studienmedikation informiert sind. Darüber hinaus soll die kardiovaskuläre Ereignisrate in der RECORD-Studie deutlich hinter der erwarteten zurückgeblieben sei. Bezüglich des Parameters Herzinfarkt seien die Ergebnisse nicht schlüssig. Denn in dem sekundären Endpunkt Herzinfarkt hatte die Rosiglitazon-Gruppe schlechter abgeschnitten als die Kontrollgruppe. Dass der Unterschied nicht statistisch signifikant war, kann nach Ansicht der Kommentatoren an der Begleitmedikation mit Statinen gelegen haben.

Wie Glitazone wirken sollen

Bislang ist man davon ausgegangen, dass Glitazone wie Rosiglitazon und Pioglitazon über eine Aktivierung des im Zellkern lokalisierten Rezeptors PPAR-gamma die Insulinsensitivität von Zellen erhöht. PPAR steht für peroxisome proliferator activated receptor und beschreibt eine Gruppe von nukleären Rezeptoren, die die Expression von Genen steuern. PPAR-Agonisten können eine Vielzahl von Genen entweder aktivieren oder in ihrer Aktivität hemmen. Das Muster der Genaktivierung und Gensuppression variiert stark unter den verschiedenen PPAR-Agonisten. Darüber hinaus weiß man meist nicht, welche biologischen Effekte die Zielproteine der Gene haben, die über die PPAR-Agonisten beeinflusst werden. Entsprechend häufig wurden daher auch im Rahmen von Untersuchungen mit verschiedenen PPAR-Agonisten unerwartete, zum Teil toxische Wirkungen gesehen. Einige provozierten Krebserkrankungen, andere erwiesen sich als nephrotoxisch oder führten zu einer Rhabdomyolyse. Troglitazon musste wegen seiner Lebertoxizität vom Markt genommen werden.

Neueren Erkenntnissen zufolge hemmt Rosiglitazon auch eine bei Fettsucht gesteigerte Phosphorylierung des PPAR-gamma in Fettzellen [6]. Durch die Phosphorylierung soll die Bildung von Adiponektin reduziert und damit die Insulinsensitivität herabgesetzt werden. Diese Phosphorylierung könnte damit eine wichtige Rolle für die Entwicklung einer Insulinresistenz spielen. Möglicherweise ist die Hemmung der Phosphorylierung durch Rosiglitazon entscheidender für die antidiabetische Wirkung als die direkte Aktivierung des PPAR-gamma.

Manipulierte Daten?

Kritiker werfen dem Unternehmen seit Längerem vor, gezielt Daten unterschlagen oder manipuliert zu haben, um den Verdacht des erhöhten kardiovaskulären Risikos zu entkräften. Schon vor der Zulassung soll es Hinweise auf ein erhöhtes Herzinfarktrisiko gegeben haben. Im Zusammenhang mit der RECORD-Studie soll GlaxoSmithKline gezielt Einfluss auf die nicht verblindete Studie genommen haben. Nachforschungen eines FDA-Gutachters zufolge sollen nicht alle Myokardinfarkt-Verdachtsfälle gemeldet worden sein. Sie fehlen in der Studienauswertung.

FDA und EMA prüfen weiter

Weder die FDA noch der CHMP der EMA sind bis jetzt den immer lauter werdenden Forderungen nach einer Marktrücknahme gefolgt. Der CHMP erwartet in Kürze vollständige Unterlagen zu den neuen Daten, anhand derer er im September eine neue Bewertung abgeben will. Bis dahin sollten Ärzte bei der Behandlung von Typ-2-Diabetikern Folgendes berücksichtigen:

  • Rosiglitazon ist kontraindiziert bei Patienten mit Herzinsuffizienz oder Herzinsuffizienz in der Anamnese sowie bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom.
  • Rosiglitazon sollte zusammen mit Insulin nur in Ausnahmefällen und dann auch nur unter engmaschiger Kontrolle verordnet werden, da in Studien eine erhöhte Herzinsuffizienz-Inzidenz unter der Kombination aufgefallen ist.
  • Von einer Behandlung mit Rosiglitazon wird bei Vorliegen einer ischämischen Herzerkrankung und/oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit abgeraten.

Anders als Rosiglitazon scheint Pioglitazon nicht zu einem erhöhten Herzinfarktrisiko zu führen (s. auch nachfolgendes Interview mit Prof. Dr. Erland Erdmann). Ob dies tatsächlich so ist, sollte die von GlaxoSmithKline im Mai 2009 begonnene Vergleichsstudie TIDE-Studie (Thiazolidinedione Intervention With Vitamin D Evaluation) zeigen. Dazu erhalten Typ-2-Diabetiker unter anderem placebokontrolliert Rosiglitazon oder Pioglitazon. Mit ersten Ergebnissen wird 2015 gerechnet. Jetzt hat die FDA auf ihrer Gutachtertagung beschlossen, dass vorerst keine weiteren Patienten mehr in diese Studie aufgenommen werden dürfen.

Diejenigen, die schon seit Längerem vor dem erhöhten Herzinfarktrisiko unter Rosiglitazon warnen, hatten von Anfang an gefordert, auf eine solche, ihrer Ansicht nach nicht zu verantwortende Studie zu verzichten.

G-BA: Glitazone nicht mehr auf Rezept

Laut Beschluss des G-BA vom 17. Juni 2010 sollen sowohl Rosi- als auch Pioglitazon von der Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV ausgeschlossen werden. Begründet wird dies mit einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche und Herzinsuffizienz unter der Glitazon-Behandlung.Der Beschluss liegt dem BMG zur Genehmigung vor. Sollte das Ministerium ihn nicht beanstanden, dann tritt er zum 1. des übernächsten Quartals nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Somit können die Glitazone noch mindestens bis zum 1. Januar 2011 zulasten der GKV verordnet werden.

Quelle [1] Nissen SE, Wolski: N Engl J Med 2007; 356: 2457 – 2471. [2] Nissen SE, Wolski K. Arch Intern Med. 28. Juni 2010 doi. 10.1001/archinternmed 2010.207. [3] Graham DJ et al: JAMA 2010; 304 (4) doi: 10.001/jam.2010.920. [4] Home PD et al.: Lancet 2009; Early online publication vom 5. Juni 2009. [5] Retnakaran R, Zinman B: Lancet 2009; Early online publication vom 5. Juni 2009. [6] Choi JH et al: Nature 2010; 466: 451 – 456.

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Prof. Dr. Erland Erdmann

DAZ-Interview

"Es ist unverantwortlich, Rosiglitazon zu verordnen!"

Die Rufe nach einer Marktrücknahme des Antidiabetikums Rosiglitazon werden immer lauter. Doch die Gutachtergremien von FDA und EMA haben eine solche Empfehlung trotz der jahrelangen Diskussion immer noch nicht ausgesprochen. Wir haben mit Prof. Dr. Erland Erdmann, dem Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin am Herzzentrum der Universität Köln gesprochen. Wir wollten wissen, wie er die Datenlage zu Rosiglitazon einschätzt und ob der G-BA-Beschluss, sowohl Rosi- als auch Pioglitazon aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zu streichen, gerechtfertigt ist.


DAZ: Wie bewerten Sie die neueren Daten zur kardiovaskulären Sicherheit von Rosiglitazon (Nissen-Update, Medicare-Analyse, RECORD)? Erhärten sie den Verdacht, dass Rosiglitazon das Herzinfarktrisiko erhöht?

Erdmann: Die Langzeitfolgen des Diabetes sind Myokardinfarkt, Schlaganfall und Tod sowie mikrovaskuläre Probleme (Retino-, Nephro- und Neuropathie). Die Diabetestherapie soll nicht nur den erhöhten Blutzucker senken, sondern vor allem auch die Spätfolgen verhindern. Für Rosiglitazon ist bisher, wie übrigens für viele Antidiabetika, kein Vorteil hinsichtlich der Spätfolgen gezeigt worden. Es besteht sogar der schlimme Verdacht, dass Rosiglitazon zu mehr Herzinfarkten führen kann. Dementsprechend müssen andere Medikamente vorgezogen werden, die ungefährlicher sind. Wenn prospektive Untersuchungen mit Rosiglitazon keinen Vorteil und retrospektive Analysen sogar einen Nachteil hinsichtlich des Herzinfarktrisikos nachgewiesen haben, darf das nicht klein geredet werden.

DAZ: Wie sollte Ihrer Meinung nach mit Rosiglitazon verfahren werden? Ist eine Marktrücknahme angesagt oder reichen strengere Verordnungsauflagen?

Erdmann: Aus meiner Sicht ist es nach Publikation der oben genannten Untersuchungen unverantwortlich, Rosiglitazon zu verordnen. Nun weiß ich zwar, dass viele Ärzte ihre Fortbildung vernachlässigen, das entschuldigt aber keine Gefährdung von Kranken. Man sollte nicht warten, bis die Behörden handeln. Noch können wir Ärzte unserer Verantwortung entsprechend agieren und bessere Medikamente verschreiben.

DAZ: Als besseres Medikament wird interessanterweise immer wieder ein anderes Glitazon angeführt, das Pioglitazon. Wie ist das kardiovaskuläre Risiko unter dieser Substanz einzuschätzen?

Erdmann: Für Pioglitazon sind die Daten recht klar: es vermindert – zusätzlich zur optimalen Diabetesmedikation gegeben – bereits innerhalb von drei Jahren und auch bei Patienten mit sehr hohem kardiovaskulären Risiko die Zahl der Herzinfarkte, Schlaganfälle und das Sterberisiko. Leider treten mehr Ödeme (Herzinsuffizienz?) auf, die aber nicht mit mehr Todesfällen einhergehen, sondern gut behandelbar sind. Ich meine deshalb, dass Pioglitazon (zusätzlich zu Metformin) gerade bei Patienten mit Herzerkrankungen (nicht aber mit Herzinsuffizienz NYHA III und IV) verordnet werden sollte. Patienten, die schon mal einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten oder die niereninsuffizient sind, profitieren eindeutig von Pioglitazon.

DAZ: Der G-BA möchte aber sowohl Rosiglitazon als auch Pioglitazon von der Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV ausschließen. Die Begründung, kein Zusatznutzen im Vergleich zu anderen Therapiemöglichkeiten und ein erhöhtes Fraktur- und Herzinsuffizienzrisiko. Unterschiede zwischen beiden Glitazonen hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos haben wohl keine Rolle gespielt. Können Sie das nachvollziehen? Wie bewerten Sie den G-BA-Beschluss?

Erdmann: Dieser Beschluss ist nicht auf wissenschaftlicher Grundlage gefasst worden; er ist eine Fehlentscheidung. Einerseits hätte ein Unterschied zwischen Pioglitazon und Rosiglitazon gemacht werden müssen, andererseits sind Herzinsuffizienz- und Frakturrisiko aus meiner Sicht geringer zu bewerten als Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall. Weiterhin fragt man natürlich, welche anderen oralen Antidiabetika zusätzlich zu Metformin denn verordnet werden sollen. Ich kenne für keine Alternative eine kontrollierte prospektive Outcome-Studie. Wenn als Alternative Sulfonylharnstoffe gemeint sind, so erhöhten diese schon in der UKPD-Studie das Mortalitätsrisiko um 60%. Man sollte damit also sehr vorsichtig umgehen! Für die neueren Gliptine gibt es noch gar keine entsprechenden Outcome-Daten. Insulin erhöht bekanntermaßen das kardiovaskuläre Risiko.

DAZ: Welchen Stellenwert sollte denn Pioglitazon in der Diabetestherapie haben? Welche Patienten könnten davon profitieren?

Erdmann: Um es noch einmal zu betonen: Rosiglitazon sollte nicht mehr verordnet werden! Pioglitazon ist aus meiner Sicht zusätzlich zu Metformin indiziert, wenn dieses alleine nicht ausreicht und speziell, wenn der Typ-2-Diabetiker ein besonders hohes kardiovaskuläres Risiko hat. Sollten die Gliptine in zukünftigen kontrollierten Studien besser abschneiden als Pioglitazon, würde sich mein Therapievorschlag natürlich ändern. Vielleicht kannte der G-BA Daten, die mir nicht zugänglich sind.

DAZ: Herr Professor Erdmann, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Prof. Dr. med. Erland Erdmann

Herzzentrum der Universität zu Köln

Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin

Kerpener Str. 62, 50937 Köln


Interview: Dr. Doris Uhl, Stuttgart

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