Apothekenpraxis

Seniorengerechte Angebots- und Sortimentsgestaltung

Frau Wagner, eine 60-jährige Dame, reicht zwei Rezepte über den HV-Tisch. Neben ihren üblichen Parkinson-Medikamenten hat der Arzt ihr heute auch antibiotische Augentropfen verordnet – gegen eine akute bakterielle Konjunktivitis, wie ein Blick auf Frau Wagners linkes Auge zeigt. Während die Apothekerin die Packungen scannt, fragt sie kurz nach: "Kommen Sie eigentlich mit Augentropfen gut zurecht, Frau Wagner?" Frau Wagner zögert. "Eigentlich habe ich immer Schwierigkeiten, dass die Tropfen auch tatsächlich im Auge landen. Sie wissen ja, mit meinem Parkinson … "


Inhaltsverzeichnis: "Schritt für Schritt zur seniorengerechten Apotheke"


Nicht alle Tablettenteiler genügen den Ansprüchen von Senioren mit ein­geschränkter manueller Fertigkeit. Die seniorengerechte Apotheke hält geeignete ­Modelle auf Lager.
Foto: ABDA

Die seniorengerechte Apotheke bietet nicht nur eine Beratung zu Arzneimitteln, sondern zusätzlich auch Hilfen und Hilfsmittel zur Unterstützung bei nachlassenden körperlichen Funktionen und zur Verbesserung der Lebensqualität. Dieser Anspruch spiegelt sich sowohl im Sortiment als auch im Dienstleistungsangebot wider. Um die Zielgruppe Senioren erfolgreich anzusprechen, sollte die Apotheke aber auch psychologische Faktoren beachten.

Psychologische Faktoren beim Umgang mit Senioren

Nicht alle älteren Kunden akzeptieren den eigenen Alterungsprozess: Verständlich, wenn man bedenkt, dass Jugendlichkeit der angestrebte Trend in der Gesellschaft ist. Altern bedeutet einen unumkehrbaren Prozess, der die eigene Endlichkeit klar erkennen lässt. Senioren verdrängen häufig die eigenen schwindenden Fähigkeiten. Dazu kommen befürchtete oder tatsächliche Isolation und Einsamkeit, die durch den Verlust des Partners und anderer enger Bezugspersonen sehr häufig noch verstärkt wird.

Ältere Patienten sorgen sich, dass sie ihre Selbstständigkeit verlieren und auf fremde Hilfe angewiesen sind, unter Umständen sogar ihre Wohnung verlieren und ins Pflegeheim müssen. Die Verdrängungsprozesse und Sorgen fördern Überlastungszustände. Neben körperlichen Erkrankungen belasten auch kognitive Einbußen und chronische Schmerzen das Leben. Nicht selten führt das auch zu "grantigem" Auftreten.

In der alltäglichen Apothekenpraxis begegnet das pharmazeutische Personal einer großen Spannbreite an älteren Menschen: Die rüstige Seniorin mit leichten Funktionseinschränkungen möchte nicht als Greisin angesprochen werden und keine "Omaartikel" kaufen. So protestierte eine Seniorin energisch, die kurz vor der Vollendung ihres neunzigsten Lebensjahres stand: "Den Krückstock nehme ich nicht mit. Dann sieht ja jeder, dass ich alt bin!" Allerdings akzeptierte sie bereitwillig einen modischen Stockschirm als Gehhilfe.

Zum Kundenkreis der öffentlichen Apotheke gehören aber auch gebrechliche geriatrische Patienten, die froh über jede persönliche Zuwendung sind und immer ein wenig Zeit zum Plaudern wollen. Die seniorengerechte Apotheke erkennt diese Bedürfnisse und erfüllt sie auf kreative Weise: Wie wäre es mit der Gründung einer Seniorengruppe, bei deren monatlichen Treffen zu Beginn ein kurzes Impulsreferat zu einem seniorenrelevanten Thema steht (etwa "Die richtige Pflege für den Insulinpen", "Augentropfen anwenden leicht gemacht" oder "Ernährung für starke Knochen"), gefolgt von einem gemütlichen Beisammensein, das die Teilnehmer in Eigenregie gestalten? Eine solche Initiative erhöht die Kundenbindung und positioniert die Apotheke als Beratungs- und Dienstleistungszentrum. Wenn das Sortiment entsprechend gestaltet wird, schlagen sich solche Maßnahmen durchaus auch im Umsatz nieder. Wichtig ist, die Initiative zu ergreifen, zum Beispiel in Form von Handzetteln in den Apothekenzeitungen oder durch eine persönliche Einladung.

Nachlassende Funktionen unterstützen

Mit zunehmendem Alter treten verschiedene funktionelle Defizite auf. Diese zeigen sich im Wesentlichen bei allen Sinnesfunktionen. Besonders betroffen sind beispielsweise

  • Kognition (durch Hirnleistungsstörungen, im Extremfall Demenz)
  • Visus (z. B. bedingt durch altersbedingte Makuladegeneration, Glaukom, Katarakt, diabetische Retinopathie)
  • manuelle Geschicklichkeit und Mobilität (auch aufgrund von Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis oder M. Parkinson)
  • Hörvermögen
  • Riechen und Schmecken

Altersbedingte Defizite stellen Senioren und ihre Betreuungspersonen im Alltag vor große Herausforderungen. Durch den niederschwelligen Zugang ist die Apotheke ein geeigneter Ansprechpartner etwa für die Pharmakotherapie, aber auch für ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung. Wer als Apotheker hier Unterstützung bietet, hebt sich von den Mitbewerbern deutlich ab. Wenn bereits eine Pflegebedürftigkeit vorliegt, können die pflegenden Angehörigen durch das Angebot von Pflegehilfsmitteln, Beratung zu seniorenspezifischen Besonderheiten sowie aufmerksames Nachfragen und Anteilnehmen unterstützt werden. Für diese Bereiche werden im Folgenden Ideen und klassische Lösungsansätze vorgestellt.


Mithilfe des Age Explorers kann man die Schwierigkeiten von Senioren beim Öffnen von kindergesicherten Verschlüssen nachvollziehen.

Foto: www.age-explorer.de

Altersimulator


Wie sich Senioren mit altersbedingten Funktionseinschränkungen fühlen, lässt sich mit dem "Age Explorer" (www.age-explorer.de) nachvollziehen. Mit dem Alterssimulator werden die Sinne, die in jungen Jahren meist recht zuverlässig funktionieren, künstlich außer Kraft gesetzt. Ein großer Helm simuliert nachlassendes Seh- und Hörvermögen sowie eine veränderte Farbwahrnehmung. Der Anzug mit den Handschuhen bremst die Beweglichkeit von Händen, Knien und Ellenbogen aus und reduziert auf diese Weise die Mobilität. Außerdem sind zur Nachahmung der nachlassenden Muskelkraft Gewichte eingebaut, sodass die Fortbewegung erschwert ist. Der Age Explorer wurde entwickelt, damit sich beispielsweise Mitarbeiter von sozialen oder medizinischen Einrichtungen besser in ihre älteren Klienten hineinversetzen können.



Hilfen für die Pharmakotherapie

Die ersten Schwierigkeiten mit den verordneten Arzneimitteln stellen sich häufig schon beim Öffnen der Verpackung. Kindergesicherte Verschlüsse sind besonders für Senioren mit kognitiven Defiziten oder manuellen Einschränkungen schwierig zu öffnen. Bei der ersten Abgabe entsprechender Arzneimittel ist es daher oft angebracht, das Öffnen zu üben.

Bei starken funktionellen Einschränkungen kann auch erwogen werden, Tabletten aus Blisterpackungen in leicht zu öffnende Kruken umzufüllen bzw. gleich in ein altersgemäßes Dosiersystem einzusortieren. Das ist natürlich nur möglich, wenn die Arzneiform bzw. der Wirkstoff weder licht- noch besonders feuchtigkeitsempfindlich ist. Wenn kleine Kinder – etwa die Enkel – auch nur gelegentlich in den Seniorenhaushalt kommen, muss unbedingt eine für Kinder unzugängliche Aufbewahrung sichergestellt sein.

Auch erklärungsbedürftige Arzneiformen können Probleme verursachen. Daher ist die Apotheke verpflichtet, besonders bei der Erstabgabe die Anwendung ausführlich zu erläutern und zu demonstrieren. Ein umfangreiches Sortiment spezieller Applikationshilfen, die die Anwendung erleichtern, ist unverzichtbarer Bestandteil des Warensortiments einer seniorengerechten Apotheke. Beispielsweise kann es älteren Menschen mit rheumatischen Erkrankungen oder fehlender Griffkraft schwer fallen, Tuben zu entleeren. Die in der Rezeptur verwendeten Tubenentleerer leisten hier sinnvolle Dienste. Die Tubenentleerer können übrigens auch für den erleichterten Gebrauch von Zahncreme- oder Senftuben verkauft werden.

Wenn Tabletten geteilt werden müssen, sind für viele Senioren entsprechende Tablettenteiler unumgänglich. Hier empfiehlt es sich allerdings, die Modelle auf ihre Seniorentauglichkeit zu testen, bevor sie in einer größeren Stückzahl ins Apothekensortiment eingestellt werden. Geeignete Dosierlöffel oder -becher für flüssige Arzneiformen berücksichtigen die eingeschränkte Sehkraft und Geschicklichkeit geriatrischer Patienten.

Bei Applikationssystemen für parenterale Arzneimittel, beispielsweise bei Insulinpens, gibt es teilweise beträchtliche Unterschiede in der Eignung für funktionell eingeschränkte Menschen. Ein guter Apothekenservice hält daher verschiedene Demonstrationsmodelle bereit und bietet den Patienten Möglichkeiten an, ein für sie geeignetes Modell auszuprobieren. Der benötigte Kraftaufwand für die Injektion variiert sehr stark. Fertigpens erfordern meist eine geringere Fingerfertigkeit als wiederverwendbare Pens und sind daher oft besser für Patienten mit motorischer Einschränkung geeignet [1].

Kognitive Einschränkungen können auch dazu führen, dass die Adhärenz (Therapietreue) von geriatrischen Patienten abnimmt. Neben einem einfühlsamen Beratungsgespräch, das die Notwendigkeit der Therapie erläutert und so Bedenken zerstreuen kann, erinnern praktische Hilfen aus der Apotheke an die regelmäßige Medikamenteneinnahme. Solche Hilfen können etwa übersichtliche Einnahmepläne oder Dosiersysteme mit Alarmfunktion sein. In diesem Zusammenhang entwickelt sich der seniorengerechte PDA oder auch ein geeignetes Seniorenhandy zu einen begehrenswerten Statussymbol, das seinen Benutzer zuverlässig an die Tabletteneinnahme erinnert. Eine entsprechende Programmierung bietet eine seniorengerechte Apotheke in ihrem Dienstleistungsspektrum gegen Gebühr an.

Hilfsmittel aus der Apotheke

Beispiele für Hilfsmittel aus der Apotheke, die nachlassende Funktionen unterstützen bzw. ersetzen können

Sehen

 

  • Lupen und andere Lesehilfen
  • Gesundheitsliteratur in großer Schrift

Hören

  • Zubehör für Hörgeräte (Batterien und Reinigungsmittel)
  • Hörverstärker bzw. sprechende Technik

Manuelle Geschicklichkeit

 

  • Griffverlängerungen
  • Hilfsmittel für die Applikation von Arzneimitteln
  • spezielle Körperpflegeartikel
  • Anziehhilfen

Kognition

  • Dosiersysteme für Arzneimittel
  • Angebote zum "Gehirnjogging"
  • Senioren-Handy mit Notruf-Funktion

Hilfen für ein selbstbestimmtes Leben

Bei zunehmenden körperlichen Funktionsstörungen fällt älteren Menschen die eigene Versorgung zunehmend schwer. Anziehen, Körperpflege und Versorgung des Haushaltes können zu einer Last oder je nach Einschränkung fast unmöglich werden. Dabei gibt es Hilfsmittel, die gezielt Defizite ausgleichen können, sodass den Senioren lange eine gute Lebensqualität erhalten bleibt und sie in ihrer eigenen Wohnung alt werden können. Neben einfachen Hilfen wie Griffverlängerungen oder ‑verdickungen, die etwa Rheumatikern mit starken Funktionsverlusten der Gelenke das Leben erleichtern, gibt es beispielsweise auch Körperpflegemittel, die speziell für Senioren und Menschen mit funktionellen Einschränkungen entwickelt wurden. Dazu gehören Fußpflegehilfen mit verlängerten Griffen, spezielle Nagelscheren, Toilettensitzerhöhungen oder Duschstühle. Eine gute Übersicht über mögliche Hilfsmittel bietet das Buch "Hilfsmittel und Medizinprodukte für die Kitteltasche" [2]. Diese Produkte werden in vielen Fällen von den Seniorinnen und Senioren selbst bezahlt. Eine Ausweitung des Sortiments auf altersgerechte Hilfsmittel kann sich also auch betriebswirtschaftlich lohnen. Allerdings sind derzeit nicht alle seniorengerechten Produkte über den pharmazeutischen Großhandel erhältlich. Unter Umständen lohnt es sich für die seniorengerechte Apotheke, über neue Kooperationen nachzudenken.

Seniorengerechtes Dienstleistungsprofil

Das Angebot der seniorengerechten Apotheke wird durch abgestimmte Dienstleistungen ergänzt. Ein leistungsfähiger Bestell- und Zustelldienst bildet eine Grundvoraussetzung. Eine gute Anbindung an Selbsthilfegruppen stärkt die Eigenverantwortung des Patienten und verbessert die Vernetzung der Apotheke mit ihren Kunden und dem sozialen Umfeld.

Ältere Patienten profitieren aufgrund des niederschwelligen Zugangs sehr von einer Ernährungsberatung zu Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Osteoporose oder Rheuma durch die wohnortnahe Präsenzapotheke. Die Messung von Normwerten wie Blutzucker, Blutlipide und Blutdruck dienen der Therapiekontrolle und fördern die Adhärenz der Patienten. Mit den benachbarten Ärzten gut abgesprochen, entlasten sie auch die immer enger werdenden Budgets der Mediziner.

Eine regelmäßige Überprüfung der Medikation sowie das Erstellen von Medikationsprofilen sind in mehreren OECD-Staaten wichtige Aufgaben der Apotheker. Auf diese Weise erhöhen sie nachweislich die Arzneimittelsicherheit und verringern deutlich das Auftreten von Neben- oder Wechselwirkungen und deren kostspielige Folgen: Krankenhauseinweisungen, die vermeidbar wären.

Durch kleine Schritte kann die seniorengerechte Apotheke das Problem der demografischen Entwicklung als Zukunftschance nutzen – spielen Sie also die Vorteile der Präsenzapotheke gegenüber Arzneimittelversendern und Pick-up-Stellen aus!

Literatur [1] Kircher W. Arzneiformen richtig anwenden. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2007. [2] Schäfer C, Doneth I, Kamps N. Hilfsmittel und Medizinprodukte für die Kitteltasche. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2006. 

 


Autorinnen 

Elisabeth Thesing-Bleck,
Hander Weg 25 B, 
52072 Aachen, 
post@conceptionApo.de

Dr. Iris Hinneburg, 
Wegscheiderstr. 12, 
06110 Halle, 
medizinjournalistin@gmx.net

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