DAZ Spezial

Druck auf die Apotheken bleibt bestehen

KIEL (tmb). Am Abend nach der Verkündung des EuGH-Urteils zum Apothekenfremdbesitz veranstaltete der Apothekerverband Schleswig-Holstein ein "Werkstattgespräch" zur Analyse der Entscheidung. Dabei diskutierte der Kieler Rechtsanwalt Dr. Ulrich Gabriel mit Vertretern des Apothekerverbandes. Gabriel ist auf das Gesundheitswesen spezialisiert und berät unterschiedlichste Interessenten auf dem Gesundheitsmarkt, auch auf Seiten der Kettenbefürworter. Am Rande der Veranstaltung stellte sich Gabriel den Fragen der DAZ.
Rechtsanwalt Dr. Ulrich Gabriel

Foto: tmb

DAZ Der EuGH hat entschieden, dass das deutsche Apothekensystem mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Hat sich damit die weitere Diskussion über das Apothekensystem erübrigt oder erwarten Sie weitere Angriffe auf das System?

 

Gabriel: Die langfristig entscheidende Frage ist, wie die Begrenzung der Marktmacht gerechtfertigt wird. Dafür gibt es zwei Ansätze. Einerseits gibt es die gute alte Welt, in der alle kleine Freiberufler sind, die ihre Arbeit selbst machen. Dann müssen sich die Apotheker klare Regeln für den eigenen Berufsstand geben. Drei Filialen sind dann wirklich die Obergrenze. Doch ich denke, damit haben etliche Apotheker ein Problem. Solche Regeln wenden sich gerade gegen die besonders erfolgreichen Apotheker. Das Konzept des Freiberuflers verliert sich zunehmend. Große Versandapotheken sind keine typisch freiberufliche Struktur mehr, unabhängig davon, ob ein Apotheker oder ein Konzern sie betreibt. Alle großen Versandapotheken haben industrielle Abläufe. Darum sollten die Apotheker aufpassen, denn durch solche Tätigkeiten von Apothekern kommt eine ganz andere Diskussion auf. Denn es gibt noch eine andere Möglichkeit, die Marktmacht zu begrenzen. Das wäre eine kartellrechtliche Lösung, die mehr Freiheit bietet. Die würde ich vorziehen, weil eine solche Argumentation systemimmanent wäre. Dann käme es nur darauf an, dass keiner zu groß wird. Das würde für alle gleichermaßen gelten, für Apotheker und für Kapitalgesellschaften. Die Beurteilung, was kartellrechtlich zulässig ist, ergäbe sich dann aus den Wettbewerbsbedingungen vor Ort.

DAZ Mit einem solchen Kriterium könnte dann aber auch eine Kette mit 5000 Apotheken zugelassen werden, wenn sie gut verteilt sind.

 

Gabriel: Ja, allerdings.

DAZ Die politischen Absichtserklärungen und das EuGH-Urteil weisen aber in eine andere Richtung. Wie stabil sehen Sie die Zustimmung der Politik zum bestehenden Apothekensystem?

 

Gabriel: Der Politik geht es letztlich um ein bezahlbares Gesundheitswesen. Die Gesundheitsministerin fordert Ausschreibungen, Rabattverträge und andere Effizienzgewinne durch Skalenvorteile. Das wird weiterhin für Druck auf die Apotheken sorgen, Kostenvorteile durch Zusammenarbeit zu erzielen.

DAZ Hat die Freiberuflichkeit insgesamt als Gestaltungselement für das Gesundheitswesen durch das EuGH-Urteil neuen Auftrieb bekommen?

 

Gabriel: Selbstverständlich kann ein Aufgreifen dieser Argumentation durch die Politik, um so mehr inmitten der Wirtschafts- und "Management-Verantwortungskrise", die Wertschätzung für Inhaber verstärken, die in ihrem Berufsleben eben in aller Regel wirklich dauerhaft für die Qualität ihrer Arbeit einstehen. Ich habe allerdings so meine Zweifel, ob dies wirklich so eintreten wird, nach den Wahlen.

DAZ Welche Bedeutung messen Sie den Pick-up-Stellen für die weitere Entwicklung zu? Wird die Apothekenlandschaft damit durch die Hintertür so verändert, dass es doch zu kettenähnlichen Strukturen kommt?

 

Gabriel: Das sehe ich nicht so. Nach dem Urteil erwarte ich eine strengere Linie der Politik gegenüber den Pick-up-Stellen. Nach Auffassung des EuGH sollen Apotheker die Arzneimittel abgeben. Das wird künftig wohl eher restriktiv ausgelegt.

DAZ Sehen Sie eine juristisch aussichtsreiche Möglichkeit, die Pick-up-Stellen zu verbieten? Welche könnte das sein?

 

Gabriel: Das kann ich mir nur über eine Gefährdungslage vorstellen und die gibt es tatsächlich. Denn für die Betreiber sind Pick-up-Stellen nur sinnvoll, wenn sie in eine Health-Abteilung in einem Drogerie- oder Supermarkt eingebunden werden. Wenn da jemand im weißen Kittel steht, werden die Kunden dort ihre gesundheitlichen Probleme ansprechen, auch wenn die Betreiber das gar nicht wollen. Dann gibt es aber Probleme mit der Beratungskompetenz und der Schweigepflicht. Und dass sich Gefährdungslagen noch nicht realisiert haben müssen, um gesundheitspolitische Restriktionen zu rechtfertigen, hat der EuGH in dieser Entscheidung eben auch gerade ausgeführt.

DAZ Wie beurteilen Sie die Zukunft der inhabergeführten Apotheken in der Gesamtbetrachtung?

 

Gabriel: Das entscheidende Problem bleiben die Effizienzreserven. Die Politik wird weiterhin wirtschaftlichen Druck aufbauen. Wo faktisch Existenzdruck entsteht, gibt es auch Veränderungen. Da wird wohl insbesondere für pfiffige Kooperationsmodelle, die die "Freiberuflervorteile" positiv aufgreifen, für ihre "Beschränkungen" beispielsweise bei der Einkaufsmacht und beim Markenaufbau aber kreative Abhilfe versprechen, demnächst gewiss noch mehr Raum entstehen.

DAZ Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Gabriel.

 

Kommentar

Entscheidung gegen DocMorris

Sicherlich haben nicht wenige von den Richtern des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg eine andere Entscheidung erwartet. Denn bisher war der freie Kapitalverkehr auf dem gemeinsamen Binnenmarkt das Credo und Grundprinzip vieler Luxemburger Entscheidungen schlechthin, bei denen es um mögliche oder tatsächliche Behinderungen auf dem gemeinsamen Markt ging. Und aus der Luxemburger Perspektive ist das in vielen Fällen auch der richtige Ansatz gewesen. Wenn sich die EU zu einem gemeinsamen Binnenmarkt verpflichtet, auf dem alle die gleichen Chancen und Rechte haben sollen, unabhängig davon, wo sie ihre Waren oder Dienstleistungen anbieten, dann gibt es auch einen triftigen Grund, diese Freiheiten zu verteidigen und mögliche Hürden aus dem Weg zu räumen.

Dass die Richter bei der heutigen Entscheidung darauf verzichtet haben, ist einem weiteren europäischen Grundprinzip geschuldet: der Subsidiarität. Die Gesundheitspolitik einschließlich der Versorgung der Patienten mit Medikamenten ist in der EU eine primär nationale Angelegenheit. Hier gibt es bislang so gut wie keine europäischen Spielregeln und deshalb kommen die Richter des EuGH auch nicht umhin, solche nationalen Regeln in Betracht zu ziehen und als solche zu respektieren.

Das deutsche Apothekengesetz, das neben der kaufmännischen Praxis auch eine fachspezifische pharmazeutische Ausbildung der Apotheker verlangt, ist so eine Voraussetzung, die die Luxemburger Richter gleichgewichtig in Betracht ziehen mussten.

Nach den bisherigen Vertragsgrundlagen der EU obliegt den Mitgliedsländern die Kompetenz für das Gesundheitswesen. Sollte der Reformvertrag von Lissabon in Kraft treten, dann ist darin sogar von der vollen Verantwortlichkeit die Rede. Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten würde also noch gestärkt werden. Auch das galt es bei der Entscheidung zu berücksichtigen.

Wer also das Mehr- und Fremdbesitzverbot in Deutschland knacken will, um die Monopolstrukturen der deutschen Apothekenlandschaft aufzubrechen, der muss seine Hebel in Berlin ansetzen. Der gern genutzte Weg über Luxemburg hilft in dieser Frage nicht weiter. Das muss heute auch dem Letzten klar geworden sein. Die Liberalisierung des Arzneimittelhandels wird sich nur über entsprechend politische Mehrheiten in Deutschland zustande bringen lassen. Doch außer den Liberalen und Grünen sind da zurzeit keine wirklich gewichtigen Fürsprecher zu finden. Unter anderem deshalb haben auch die Krankenkassen auf ein anderes Luxemburger Urteil gehofft. Denn schließlich – und das war der Anlass für die ganze Auseinandersetzung – sollte der liberalisierte Arzneimittelhandel günstigere Preise für Patienten und Verbraucher bringen.

Volker Finthammer,

 

Korrespondent von Deutschlandradio in Brüssel 

 

Druckererlaubnis mit freundlicher Genehmigung von Deutschlandradio

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