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"Wir sind Akteure und nicht die Opfer"

MÜNSTER (diz). Westfalen-Lippe hat eine neue Kammerspitze: Gabriele Regina Overwiening. Am 2. September wählte die Delegiertenversammlung die 47-jährige Apothekenleiterin aus Reken mit 60 zu 53 Stimmen. Sie ist Nachfolgerin von Hans-Günter Friese, der 28 Jahre lang diese Kammer als Präsident führte; Friese wurde zum Ehrenpräsidenten ernannt. Gabriele Regina Overwiening will für mehr Selbstbewusstsein der Apothekerinnen und Apotheker kämpfen. Wir fragten Sie auch nach dem zukünftigen Berufsbild des Apothekers.
Gabriele Regina Overwiening Die neue Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe möchte, dass Apothekerinnen und Apotheker ein starkes Selbstbewusstsein entwickeln.
Foto: akwl

DAZ: Frau Overwiening, herzlichen Glückwunsch zur Wahl. Sie werden in den nächsten Jahren die Berufspolitik für 7000 Apothekerinnen und Apotheker mitgestalten. Was ist Ihr berufspolitisches Credo, was ist Ihr "Regierungsprogramm"?

Overwiening: Herzlichen Dank für Ihre Glückwünsche, die ich gerne mit in meine Amtszeit nehme. Mein berufpolitisches Credo heißt, ich werde mich für mehr Selbstbewusstsein der Apothekerinnen und Apotheker in ihrem pharmazeutischen Tun, für Spitzenqualität in der Interessenvertretung und im täglichen apothekerlichen Arbeiten und für mehr Sicherheit für unsere Kollegen und Kolleginnen einsetzen. Ich möchte eine weitere Annäherung von Kammer und Verband erzielen und mehr Kooperation mit allen Interessenvertretungen im Gesundheitswesen. Wir sind unverzichtbare Heilberufler in einem funktionierenden Gesundheitswesen – und zwar gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit allen anderen Akteuren (Politik, Ärzte, Krankenkassen, Industrie). Die Sicherheit beinhaltet auch insbesondere das Sensibilisieren für die Gefahr der Bagatellisierung unserer Arzneimittel und Arzneimitteltherapie. Diese Gefährdung gilt überall aufgedeckt zu werden, damit Verbraucherschutz Vorrang behält vor merkantilen Interessen.

DAZ: Welche Aufgabe liegt Ihnen besonders am Herzen?

Overwiening: Die Steigerung des Selbstbewusstseins meiner Kolleginnen und Kollegen in ihrem apothekerlichen Tun. Wir leisten täglich tatsächlich eine hervorragende, wohnortnahe, persönliche, unmittelbare, fürsorgliche, umfassende und Verbraucher schützende heilberufliche Tätigkeit zum Wohle jedes einzelnen Patienten und Kunden. Damit sorgen wir an vielen Stellen für das Funktionieren unseres Sozial- und Gesundheitswesens. Unsere selbstbewusste apothekerliche Arbeit ist für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Wir Apothekerinnen und Apotheker sollten uns als Akteure und nicht als Opfer verstehen; dadurch bleiben wir handlungsfähig, kreativ und stark.

DAZ: Welche Haltung nehmen Sie zum Versandhandel und zu den Pick-up-Stellen ein?

Overwiening: Pick-up-Stellen sind eine unsägliche Ausfransung des Versandhandels. Ich verstehe die Gesundheitspolitik nicht in ihrer Untätigkeit: warum interveniert sie hier nicht zum Schutze der Verbraucher? Der Versandhandel treibt die Bagatellisierung des Arzneimittels als Ware ordinärer Art voran, Pick-up-Stellen sind die dramatische Steigerung dieses fehlenden Problembewusstseins für Arzneimittel. Die persönliche und direkte Versorgung durch die Präsenz-Apotheke ermöglicht als einziger Versorgungsweg den unmittelbaren Verbraucherschutz.

DAZ: Die Apothekenbetriebsordnung steht seit geraumer Zeit zur Novellierung an. Was erhoffen Sie sich von einer überarbeiteten Verordnung? Was sollte enthalten sein?

Overwiening: Strengere Auflagen für Rezeptsammelstellen, ein Verbot des Einwerbens von Verordnungen außerhalb der Apothekenbetriebsräume, mehr Anpassung in der Ausstattung der Apotheken an unsere heilberuflichen Aufgaben, weiterhin keine Ausdünnung von Aufgaben, die von allen Apotheken erfüllt werden sollen, die Förderung von Qualitätssystemen zur Sicherung der heilberuflichen Arbeit. Der Apotheker sollte deutlich verpflichtet werden, zur Arzneimittelsicherheit beizutragen beispielsweise über die Beratung.

DAZ: Wie sehen Sie die merkantilen Entwicklungen im Apothekenbereich, beispielsweise die Discount-Apotheken?

Overwiening: Auch hier sehe ich die Problematik der Bagatellisierung der Arzneimittel. Die einzige Qualität, die Arzneimittel dadurch erhalten, ist deren Preis. Wenn aber nur der Preis das Merkmal darstellt, warum Verbraucher das Arzneimittel kaufen, dann ist das sehr gefährlich. Hamsterkäufe oder Käufe ungeeigneter Präparate sind hier vermehrt zu erwarten. Gerne möchte ich hier auch das Selbstbewusstsein in den Köpfen meiner Kollegen und Kolleginnen vergrößern für unsere heilberuflichen Qualitäten, die nur unsere tatsächliche Aufgabe wiedergeben können.

DAZ: Wie sehen Sie das zukünftige Berufsbild des Apothekers? Wovon sollte es geprägt sein? Wo liegen in Zukunft die Hauptaufgaben des Apothekers?

Overwiening: In einem mehr und mehr entmenschlichten Gesundheitswesen sollte der Apotheker bzw. die Apothekerin für eine fürsorgliche und persönliche Versorgung stehen. Unsere heilberuflichen Qualitäten müssen weiter ausgebaut werden, unser Selbstwertgefühl im pharmazeutischen Handeln gesteigert werden, so dass der Apotheker von allen Beteiligten im Gesundheitswesen als derjenige wahrgenommen wird, der für Arzneimittelsicherheit bei jeder Abgabe von Arzneimitteln sorgt.

Diese Verantwortung für die Arzneimittelsicherheit muss deutlich erlebbarer werden.

DAZ: Sind Sie stolz darauf, Apothekerin zu sein und würden Sie heute wieder Pharmazie studieren?

Overwiening: Ja, absolut. Mein Sohn studiert bereits Pharmazie und meine dritte Tochter wird vermutlich ein Pharmaziestudium aufnehmen. Was ich allerdings den Studierenden wünsche, ist eine Ausbildung an den Universitäten, bei der ihnen für die spätere verantwortungsbewusste Aufgabe mehr Rüstzeug und vor allem sehr viel mehr Achtung entgegengebracht wird. Genau hier beginnt die Entwicklung (oder Nicht-Entwicklung) unseres Selbstbewusstseins. Daher suche ich den Austausch zu unseren Nachwuchs-Pharmazeuten und zur Universität.

DAZ: Frau Overwiening, vielen Dank für das Gespräch. Für Ihre neue Aufgabe wünschen wir Ihnen viel Erfolg!

Zu den Wahlergebnissen in Westfalen-Lippe siehe unter "Kammern und Verbände" .

Kurzvita Gabriele R. Overwiening

Frau Overwiening (geb. 1962 in Reken, Westfalen) studierte zunächst Chemie in Münster (1983) und dann 1987 Pharmazie in Hamburg. Ab 1987 nahm sie eine Lehrtätigkeit auf an der WWU Münster (Begleitung des propädeutischen Praktikums), unterrichtete an der PTA-Schule in Münster, arbeitete am Lehrbuch "Fertigarzneimittelkunde" für PTA mit und war Mitarbeiterin in der öffentlichen Apotheke. Sie machte ihre Weiterbildung zur Apothekerin für Allgemeinpharmazie.
2000 kaufte sie die Apotheke am Bahnhof in Reken, 2004 gründete sie die Filialapotheke Apotheke am Benediktushof in Maria-Veen.
Sie übte verschiedene Referententätigkeiten aus für die Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL), für die ABDA und für die LAK Bayern. Mitglied der Kammerversammlung der AKWL ist Frau Overwiening seit 1997, seit 2001 Mitglied im Vorstand und von 2005 bis 2009 Vizepräsidentin der AKWL.
Frau Overwiening ist verheiratet mit dem Apotheker Ralf Overwiening. Sie hat vier Kinder.

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