Vitaminporträt

Folat für schwangere und stillende Frauen

In der Diskussion um die präventiven Effekte von Vitaminen hat in den letzten Jahren Folsäure bzw. Folat stark an Aufmerksamkeit gewonnen. Eine adäquate Bedarfsdeckung ist für Schwangere und Stillende besonders wichtig. In der Praxis werden die Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften zur perikonzeptionellen Folsäuresubstitution nur unzureichend umgesetzt. Ganz unberücksichtigt bleiben der weitere Schwangerschaftsverlauf und die Stillzeit. Besonders effizient ist die Supplementierung, wenn die natürliche und biologisch aktive Vitaminform 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) verwendet wird. Denn ungefähr 50 Prozent der Frauen können synthetische Folsäure nicht vollständig in 5-MTHF umwandeln.

Folsäure (Pteroylglutaminsäure) ist eine synthetische Verbindung, die in der Natur nicht vorkommt. Sie wird in Form von angereicherten Lebensmitteln, Supplementen und Medikamenten angewendet. Folsäure selbst besitzt keine Vitaminfunktion. Sie wird erst bei der Resorption in der Mucosa und anschließend in der Leber in die vitaminwirksamen Folatverbindungen überführt, von denen 5-MTHF mit ca. 98 Prozent den quantitativ wichtigsten Metaboliten beim Menschen darstellt (Abb. 1).

Die Bezeichnung Folat leitet sich vom lateinischen Wort folium (= Blatt) ab. Besonders folatreich sind Blattgemüse wie Spinat und Kopfsalat, Spargel, Tomaten und Gurken, aber auch Getreide und Leber. Folate sind wasserlöslich, hitzelabil und lichtempfindlich. Durch die Lagerung und Zubereitung von Lebensmitteln können sie zu 30 bis 90 Prozent verloren gehen.

Erhöhter Folatbedarf in Schwangerschaft und Stillzeit

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen, täglich 400 µg Nahrungsfolat zuzuführen. Eine entsprechende Folatzufuhr wird durch die heute in Deutschland übliche Kost jedoch kaum erreicht. So liegt die mittlere tägliche Folataufnahme von Frauen im gebärfähigen Alter nur bei 225 µg.

Eine besonders kritische Phase der Folatversorgung stellt die Schwangerschaft dar, denn der Folatbedarf steigt infolge der Vergrößerung des Uterus, der Anlage der Plazenta, der Zunahme der mütterlichen Erythrozytenzahl sowie des embryonalen Wachstums – gemessen an den geltenden Zufuhrempfehlungen – um 50 Prozent an. Die DGE empfiehlt Schwangeren ebenso wie stillenden Frauen eine erhöhte Nahrungsfolataufnahme von 600 µg täglich.

Um die bestehende Bedarfslücke von ca. 400 µg Folatäquivalenten zu schließen, ist es in diesen Lebensphasen erforderlich, folatreiche Lebensmittel zu bevorzugen oder auf entsprechende Supplemente mit mindestens 200 µg Folsäure bzw. 200 µg 5-MTHF (entspricht 400 µg Nahrungsfolat) zurückzugreifen.

Supplementierung bereits ab Kinderwunsch erforderlich

Die Diskussion über die Folatversorgung Schwangerer und auch von Frauen im gebärfähigen Alter allgemein ist in den letzten Jahren angefacht worden, nachdem in verschiedenen Studien Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von Neuralrohrdefekten (NRD) und der Folatversorgung festgestellt wurden. Vermutlich zwischen 470 und 800 Lebendgeborene kommen in Deutschland pro Jahr mit einem Neuralrohrdefekt auf die Welt. Bei schätzungsweise weiteren 500 Fällen erfolgt nach der Diagnose ein Schwangerschaftsabbruch.

Bei der Suche nach den eigentlichen Ursachen stieß man auf das Homocystein und vermutete, dass von dieser neurotoxischen Substanz möglicherweise die fruchtschädigenden Wirkungen in der Frühschwangerschaft ausgehen. Durch die empfohlene Folatzufuhr wird der Homocysteinspiegel bestmöglich gesenkt. Zur optimalen NRD-Risikoreduktion sind nach einschlägigen Untersuchungen Erythrozytenfolatspiegel von über 906 nmol/L erforderlich. In Deutschland weisen 87 Prozent der Bevölkerung einen geringeren Wert und damit ein zwei- bis achtfach erhöhtes Risiko für NRD auf.

Das Neuralrohr des Embryos schließt sich bereits zwischen dem 22. und 28. Schwangerschaftstag, etwa sechs Wochen nach dem ersten Tag der letzten Menstruation. Zu diesem frühen Zeitpunkt wissen die meisten Frauen allerdings noch nicht, dass sie schwanger sind. Deshalb sollten Frauen im gebärfähigen Alter, die schwanger werden möchten oder könnten, Folsäure oder Folat substituieren.

Risikofaktor Enzympolymorphismus

Die Umwandlung von Folsäure in das biologisch aktive 5-MTHF erfolgt über Dihydro- und Tetrahydrofolat sowie 5,10-Methylentetrahydrofolat. Das Schlüsselenzym dabei ist die 5,10-Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR; Abb. 2). Eine Punktmutation an diesem Enzym bzw. an dem codierenden Gen ist bei homozygot Betroffenen mit einer um etwa 75 Prozent verminderten Enzymaktivität verbunden. Eine unzureichende 5-MTHF-Bildung führt zu einem Anstieg von Homocystein, da die Methylgruppe von 5-MTHF für die Methylierung von Homocystein zu Methionin nicht mehr in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht. Der erhöhte Homocysteinspiegel erklärt wiederum das erhöhte Risiko für NRD.

Folatmangel und angeborene Fehlbildungen

Verschiedene Studien haben inzwischen gezeigt, dass Mütter von Kindern mit Neuralrohrdefekt signifikant häufiger eine homozygote Punktmutation am MTHFR-Gen aufweisen und dass damit ein zweifach höheres NRD-Risiko verbunden ist. Liegt diese Enzymvariante sowohl bei der Mutter als auch beim Neugeborenen vor, dann nimmt das Risiko für Neuralrohrdefekte sogar um das Sechs- bis Siebenfache zu. Neuere Daten zeigen, dass selbst heterozygot Betroffene (ca. 40% der Bevölkerung) ein schwach erhöhtes Risiko für NRD aufweisen und dass die absolute Zahl der NRD-Fälle bei ihnen etwa gleich groß sein dürfte wie bei den selteneren homozygot Betroffenen (ca. 10 bis 12% der Bevölkerung). Um die durch den Polymorphismus ausgelöste Störung des Folat- und Homocysteinstoffwechsels auszugleichen, benötigen diese Personen höhere Mengen an Folsäure bzw. profitieren optimal von der natürlichen Vitaminform 5-MTHF (als stabile Calcium-Verbindung von 5-MTHF, Metafolin®).

Neben der Bedeutung für die Entwicklung des Neuralrohrs spielt ein Folatmangel möglicherweise auch für angeborene Herzfehler eine Rolle. Herzfehler kommen bei ein Prozent der Lebendgeborenen vor. In einer ungarischen Studie konnte gezeigt werden, dass die perikonzeptionelle Gabe eines Multivitaminpräparates mit 800 μg Folsäure zu einer signifikanten Reduktion der Herzfehler um 74 Prozent führte. Gleichzeitig ist auch eine deutliche Reduktion angeborener Fehlbildungen der ableitenden Harnwege (Häufigkeit 1,5%) möglich. Eine aktuelle norwegische Fall-Kontroll-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mit steigender Folat- bzw. Folsäurezufuhr sowohl über die Ernährung als auch durch Supplemente eine Risikoreduktion für Lippen-Kiefer-Spalten (Häufigkeit 0,4%) zu beobachten ist.

Die besten Ergebnisse wurden in der Gruppe beobachtet, die eine folatreiche Ernährung praktizierte und gleichzeitig Folsäure supplementierte (400 μg und mehr).

Schwangerschaftskomplikationen vorbeugen

Wie die kritische Sichtung der Literatur zeigt, wird nicht nur der Folatstatus als Ursache für Schwangerschaftskomplikationen (Abb. 3) untersucht, sondern auch der Enzympolymorphismus und der Homocysteinspiegel. So konnte zum Beispiel in der norwegischen Hordaland-Homocystein-Studie gezeigt werden, dass mit zunehmendem Anstieg des Homocysteinspiegels das Risiko für ein niedriges Geburtsgewicht sowie für Frühgeburten zunimmt.

In eigenen Fall-Kontroll-Studien konnten wir belegen, dass das Auftreten von Aborten mit dem Folatstatus korreliert. In der Kontrollgruppe (ohne Abort) wurden lediglich 6,3 Prozent der Frauen als unterversorgt eingestuft, wohingegen die Häufigkeit einer Unterversorgung in der Fallgruppe (mit Abort) bei 18,9 Prozent lag und bei Frauen mit habituellen (wiederholten) Aborten auf 30,4 Prozent stieg.

Da die Plazenta einen selektiv hohen Folatbedarf hat, ist es verständlich, dass bei schlechtem Folatstatus Plazentablutungen oder sogar Plazentaablösungen auftreten können. Verschiedene Studien konnten Zusammenhänge zwischen Folatstatus, Enzympolymorphismus und Abruptio placentae nachweisen.

Adäquate Folatversorgung während der Stillzeit

Eine adäquate Folatversorgung ist auch während der Stillzeit wichtig, da der Folatgehalt der Muttermilch etwa fünf- bis zehnmal höher ist als die entsprechende Konzentration im Serum. Hier wird ein aktiver Konzentrierungsmechanismus vermutet, der eine ausreichend hohe Vitaminzufuhr für den Säugling bei weiterer Verarmung der mütterlichen Reserven garantiert. Dadurch wird in Phasen verstärkten Wachstums genügend Folat für eine optimale Zellvermehrung bereitgehalten.

Generell gilt, dass die Folatkonzentrationen in der Muttermilch direkt nach der Geburt höher sind als gegen Ende der Laktation. Wird hingegen supplementiert, kann die Abnahme der Folatgehalte in der Muttermilch vermieden werden.

Konsequenzen für die Praxis

Aus wissenschaftlichen Arbeiten kann abgeleitet werden, dass die gegenwärtigen Empfehlungen, die zur täglichen Einnahme von 400 µg Folsäure spätestens vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft raten, zum Erreichen optimaler Erythrozytenfolatspiegel nicht ausreichend sind. Dazu ist eine längerfristige – über einen Zeitraum von mindestens acht bis zwölf Wochen durchgeführte – perikonzeptionelle Folsäurezufuhr erforderlich. Werden aber die gegenwärtigen Empfehlungen, vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft mit der Supplementierung zu beginnen, beibehalten, wäre eine höhere Dosierung (800 µg) anzustreben, um in diesem Zeitraum präventive Erythrozytenfolatspiegel zu erzielen.

Der teilweise Austausch von Folsäure gegen 5-MTHF (Metafolin®) eröffnet die Möglichkeit, das biologische Potenzial von Folat voll auszuschöpfen und eine breitenwirksame Prävention auch für den Bevölkerungsanteil (ca. 50%) zu erzielen, der von dem Enzympolymorphismus in homozygoter oder heterozygoter Form betroffen ist. Auch Schwangeren im zweiten und dritten Trimenon sowie Stillenden sollte generell empfohlen werden, Folat oder Folsäure zu substituieren, sofern nicht durch massive Veränderungen im Ernährungsverhalten das Folatdefizit ausgeglichen wird. In der Praxis ist dies so gut wie nie der Fall. Hier ist die Supplementierung mit 200 µg Folsäure bzw. 200 µg 5-MTHF die Methode der Wahl und sollte auch von den beratenden Fachkreisen als geeignete Alternative dargestellt werden.


Quellen

Pietrzik, Klaus: Die Bedeutung der Folate für Schwangerschaft und Laktation. Gutachten, 7. Februar 2007.

Pietrzik, Klaus: Folsäure versus 5-Methyl-Tetrahydrofolat (5-MTHF) zur Prävention kongenitaler Fehlbildungen – Rückblick und Ausblick. Gutachten, 11. Mai 2006.

Pietrzik, Klaus; Golly, Ines; Loew, Dieter: Handbuch Vitamine. Für Prophylaxe, Therapie und Beratung. Urban & Fischer, München 2008.


Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. vet. Klaus Pietrzik,

Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften,

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Endenicher Allee 11–13, 53115 Bonn

k.pietrzik@uni-bonn.de
Frauen , die schwanger werden möchten, sollen schon vor der Empfängnis Folat substituieren.

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