Feuilleton

Chrom(III) und Chrom-Sex (VI)

Zur Einleitung eine wahre Begebenheit:

Ein Student der Chemie und eine Studentin der Philologie unterhielten sich in der Straßenbahn über Umweltgifte. Ich wurde unfreiwillig Zuhörer des Gesprächs. Sie erwähnte, gelesen zu haben, dass Chrom besonders giftig sei. Er wandte ein, das sei zu pauschal beurteilt, man müsse doch prinzipiell zwischen Chrom(III) und Chrom(VI) unterscheiden. Darauf meinte sie: "Von Chrom-Sex habe ich aber noch nichts gehört, ist der gefährlich? Kannst du mich ein bisschen aufklären?"

Ich fühlte mich gleich angesprochen, habe mich aber nicht in das Gespräch eingemischt und gebe die Antwort an dieser Stelle: Chrom(III)-Verbindungen sind solche, in denen das Chrom dreifach positiv geladen ist; in den Chrom(VI)-Verbindungen hat es die Wertigkeit plus sechs. Mit Sex hat das nichts zu tun, wie auch das "Pariser Gelb" (= Chromgelb) in keinem Zusammenhang mit der Farbe eines Verhütungsmittels steht. Aber es gibt doch einen Berührungspunkt zwischen Chrom und Sex: Das aufreizend glatte Leder, das bestimmte Liebesdienerinnen tragen, weil es von manchem Fetischisten heiß begehrt wird, ist mithilfe von Chrom(III)-Salzen gegerbt. Gefährlicher Sex entsteht dabei allerdings nicht, denn Verbindungen mit dreiwertigem Chrom gelten als völlig untoxisch.

Woher kommt der Name?

Chrom wurde 1797 von dem französischen Chemiker Louis Nicolas Vauquelin (1764–1829) und unabhängig davon im selben Jahr von dem deutschen Apotheker und Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743–1817) in unreiner Form isoliert und 1854 von Robert Wilhelm Bunsen (1811–1899) durch Elektrolyse erstmals rein dargestellt. Wegen der Vielfarbigkeit seiner Salze und Oxide (Tab. 1) wurde das Metall Chromium genannt, abgeleitet vom griechischen Wort χρομος (chromos) = Farbe. Das Symbol Cr für das Element mit der Ordnungszahl 24 (Chrom) führte 1814 Jöns Jacob Berzelius (1779–1848) ein. Hinsichtlich der Häufigkeit der Elemente in der Erdhülle steht Chrom an 20. Stelle.

Tab. 1: Chrom(III)-Salze und Chromoxide* als Farbstoffe
NameSummenformelFarbe
Chrom(III)acetatCr(H2 O)6 (OCOCH3)3blauviolett
Chrom(III)chloridCrCl3rotviolett
Chrom(III)hydroxidwechselnde 
Zusammensetzung
hell graublau
Chrom(III)nitratCr(NO3)3schwach grün
Chrom(III)oxidCr2 O3grün oder metallglänzend
Chrom(III)phosphatCrPO4blaugrün
Chrom(III)sulfatCr2 (SO4)3violett
Chrom(III)alaunKCr(SO4)2dunkelviolette Kristalle
oder hellviolettes Pulver
Chrom(IV)oxidCrO2braun bis schwarz
Chrom(VI)oxidCrO3dunkelrot
* Chrom(III)oxid siehe Tab.

Wo präsentiert sich Chrom, wo versteckt es sich?

Wir erkennen es an dem metallischen Glanz von Badezimmer-Armaturen, Seifenspendern, Küchengeräten, Leuchten, Designer-Radios, Trainingshanteln, Werkzeugen wie Schraubenschlüssel oder Radkreuzschlüssel, Autofelgen (sofern sie geputzt sind), Lichtmaschinen und anderen Motorradteilen wie Auspuffrohren oder Tanks, womit diese Liste noch lange nicht erschöpft ist.

In verborgener Form ist Chrom enthalten in grünem Glas, in verschiedenen Malerfarben, in Musik-Kassetten, in Schuh- und Kleidungsleder und – wer denkt schon daran? – im menschlichen Körper.

Farbiges Glas

Farbige Gläser waren schon in der Antike bekannt. Sie mithilfe von Metalloxiden herzustellen, war damals eine Kunst, die in Mesopotamien, Phönizien und im alten Ägypten gepflegt wurde. Die Zutat von Chrom(III)-oxid liefert grüne bis grüngelbe, unter bestimmten Voraussetzungen auch rotgelbe Färbungen.

Heute verwendet man außer Cr2 O3 und anderen Metalloxiden (Tab. 2), auch Sulfide wie Zinksulfid und Kadmiumsulfid, die zu gelben Färbungen führen, oder Selenide, beispielsweise Kadmiumselenid, mit dem man zu roten bis dunkelroten Farbtönen gelangt. Schließlich hat man gelernt, durch kolloidale Verteilung von Metallen in der Glasschmelze rote (Gold, Kupfer) oder gelbe bis gelbbraune Färbungen (Silber) zu erzielen.

Tab. 2: Metalloxide als Farbstoffe in Glas
MetalloxidFormelFarbtöne
CeroxidCeO2gelb bis braun
Chrom (III)oxidCr2 O3

grün, grüngelb,

rotgelb

Eisen(III)oxidFe2 O3gelbbraun*
Eisen(III)oxid + Eisen(II)oxid

Fe2 O3 +

FeO

grün**
Kupfer(II)oxidCuOblau
Kupfer(I)oxidCu2 Orot
KobaltoxidCoOblau, rosa
ManganoxidMn2 O3violett
UranoxidUOgelb
* z. B. Rheinweinflasche ** z. B. Moselweinflasche

Farbstoffe

Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen

  • Farbstoffen, die in gelöster Form – auch als kolloidale Lösungen – angewandt werden, und
  • unlöslichen Farbpigmenten.

In beiden Bereichen findet man verschiedene Chromverbindungen (Tab. 1 bis 3).

Historische Bedeutung als Farbpigment erlangte das Chromgelb durch die berühmten Sonnenblumenbilder des holländischen Malers Vincent van Gogh, der es wegen seiner Leuchtkraft bevorzugte – oder weil er sich das teurere Cadmiumgelb nicht leisten konnte. Erst mit 27 Jahren entschloss er sich, Maler zu werden, und bereits mit 37 ist er gestorben. Heute ist die Verwendung von Chromgelb und anderen Chrom(VI)-Verbindungen verboten. Es ist aber kaum anzunehmen, dass ein Genie, das dazu fähig war, sich in geistiger Verwirrtheit nach einem Streit mit Paul Gauguin ein Ohr abzuschneiden, dieses Verbot beachtet hätte.

Tab. 3: Chromat-Pigmente, toxische Chrom(VI)-Verbindungen
BezeichnungSynonymeUngefähre 
Zusammensetzung
Barytgelbgelber UltramarinBaCrO4
ChromgelbPariser Gelb, Königsgelb, 
Narzissengelb, Postgelb
PbCrO4 + PbSO4
Chromrot, 
Chromorange
Chromzinnober, Derbyrot, Persisch Rot, Wiener RotPbO • PbCrO4
Steinbühls GelbPigmentgelb 33, Stein der WeisenCaCrO4
StrontiumgelbZitronengelbSrCrO4 + BaCrO4

Musikkonserven

Bevorzugtes Trägermaterial für Tonbänder waren Chromoxid und Ferrochrom (Chrom-Eisen-Legierung). Durch den Siegeszug der CDs als Musikkonserven haben die Tonbänder ihre Bedeutung verloren, so wie es eines Tages auch mit den Compact Disks geschehen wird.

Schicke Ledersachen

Unter Chromleder versteht man mit Chrom(III)-Salzen gegerbtes Leder, das zur Herstellung von Schuhen, verschiedenen Bekleidungsstücken, Gürteln und Taschen sowie als Überzug von Autositzen in Luxuslimousinen verwendet wird. Es unterscheidet sich von "pflanzlich gegerbtem" Leder durch seine Beständigkeit bei gleichzeitiger Einwirkung von Wärme und Feuchtigkeit. Man denke dabei weniger an das eingangs geschilderte kleine Missverständnis, sondern an die langen Staus auf deutschen Autobahnen bei sommerlicher Hitze.

Keine Angst, so schnell und leicht erfolgt keine Oxidation von Cr(III) zum Cr(VI), das eine gefährliche Kontamination der stärksten Muskelpartie des menschlichen Körpers verursachen könnte. Andererseits sollen Chromlederabfälle bis zu 0,01% Chrom(VI)-Verbindungen enthalten können.

Spurenelement

Zu den essenziellen Spurenelementen, die zur Funktion des humanen Stoffwechsels vonnöten sind, zählt auch das Chrom. Es ist Bestandteil des Glucosetoleranzfaktors (GTF) und Kofaktor einiger intrazellulärer Enzyme. Chrom unterstützt die Insulinwirkung am Rezeptor, katalysiert den Glucose- und Fett-Stoffwechsel und fördert den Muskelaufbau. Die Konzentrationen im menschlichen Gewebe reichen von 0,01 bis 0,1 ppm Cr, was bei einem Erwachsenen insgesamt etwa 6 mg ergibt. Die Erhaltungsdosis liegt bei etwa ein Prozent. So empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Jugendlichen und Erwachsenen die Aufnahme von 30 bis 100 μg Chrom pro Tag.

Die Spanne zwischen essenzieller und toxischer Chromkonzentration im Körper von Säugetieren ist besonders groß. Säugetiere können bis zum 200-Fachen des normalen Chromgehaltes ihres Körpers tolerieren.

Toxizität

Von den verschiedenen Oxidationsstufen des Chroms ist nur das sechswertige Chrom von toxikologischem Interesse: Seine Verbindungen, das Chromtrioxid (CrO3 = "Chromsäure", Anhydrid von H2 CrO4) und die Chromsalze wie Kaliumchromat (K2 CrO4), Kaliumdichromat (K2 Cr2 O7) und das im Chromgelb enthaltene Blei(II)chromat (PbCrO4) wirken als starke Oxidationsmittel ätzend auf Haut und Schleimhäute. Was bei toter Haut erwünscht ist (Ledergerbung), ruft am lebenden Organismus schlecht heilende Geschwüre hervor. Selbst kleinste Verletzungen, wie Rhagaden auf der Hautoberfläche, entarten geschwürartig, wenn auch nur geringe Mengen Chromat hineingelangen. Es kommt zu einer Sensibilisierung gegenüber Chrom(VI)-Verbindungen und einer Kontaktdermatitis, die besonders häufig bei Zementarbeitern zu beobachten ist. Die Chromat-Allergie ist eine der am häufigsten auftretenden Allergien.

Zu den primären Karzinogenen zählen neben verschiedenen organischen Verbindungen auch Metalle wie Cadmium, Chrom und Mangan. Chrom wird auch als Kanzerogen im Tabakrauch diskutiert.

Die Verwendung von Chrom(VI)- Verbindungen ist seit 2006 in der Elektroindustrie (EU-Richtlinien über Elektrogeräte) und seit 2007 in der Autoindustrie (EU-Altauto-Richtlinien) verboten.

Homophone

Lassen wir die ernsten Gedanken und die traurigen Geschichten, die sich um das Chrom ranken, und kommen wir – damit sich der Kreis schließt – zum Schluss noch einmal auf das Missverständnis der beiden Studenten in der Straßenbahn zurück.

Sechs und Sex sind Homophone, also Wörter, die in der lautlichen, aber nicht in der geschriebenen und inhaltlichen Form übereinstimmen.

Wie wär’s mit einem Cuvée von zwölf anderen Beispielen:

Der Balte ballte die Faust.

Ein Schuss – das war das Ende der Ente .

Bei Föhn benutze ich keinen Fön .

Ein Held hält die Stellung.

Der Kelte kennt keine Kälte .

Die Lerche sitzt auf der Lärche .

Künstler malen , Müller mahlen .

Ruth ruht sich aus.

Ihr sollt euren Sold nicht verjubeln.

Besser auf dem Lande leben, statt in die Stadt zu ziehen.

Talk und Talg sind ziemlich unterschiedlich.

Der Wal geht nicht zur Wahl .

Zur Verkürzung der Wartezeiten bei den Ärzten und auf den Ämtern sowie zum Zeitvertreib im Nachtdienst wird die Suche nach weiteren Homophonen empfohlen.

Fazit: Ohne Chrom, ohne Chemie und ohne Sex läuft heute nichts mehr.

Metallisches Chrom und Chrom(III)-Verbindungen sind relativ harmlos.

Vor Chrom(VI)-Verbindungen wird gewarnt.


 

Verfasser
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth
Friedrich-Naumann-Str. 33 
76187 Karlsruhe
www.h-roth-kunst.com
info@h-roth-kunst.com


 

150 Jahre Chromgerbung


Dem gelernten Apotheker und Chemischen Technologen Friedrich Ludwig Knapp (1814–1904), Schüler und Schwager Justus Liebigs, gebührt der Ruhm, die hervorragende Eignung dreiwertiger Chromsalze als Gerbstoffe entdeckt zu haben. Er publizierte seine Entdeckung 1858 in dem Werk "Über die Natur und das Wesen der Gerberei und des Leders". Doch erst der nach Amerika ausgewanderte deutsche Chemiker Augustus Schultz, der seit 1880 in der Gerberei Booth in Gloversville, N.Y. arbeitete, entwickelte das Verfahren zur praktischen Anwendung weiter (US-Patent, 1884). Um die Jahrhundertwende begann die Chromgerbung dann auch in Europa ihren Siegeszug und bescherte den Lederfabrikanten ein Vermögen. Wie Knapps Enkelin Elly Heuss-Knapp berichtete, hat die Entdeckung ihrem Großvater zwar keinen Gewinn, aber "wenigstens eine Marmorbüste eingetragen, die auf der Treppe der Technischen Hochschule in Braunschweig steht".


Quellen:
Elly Heuss.Knapp: Ausblick vom Münsterturm – Erinnerungen. Tübingen 1952, S. 76.
cae

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