Europa

Apothekensysteme der EU-Mitgliedstaaten im Vergleich

Die Apothekensysteme in der EU sind in unterschiedlicher Weise geregelt. Ihre mögliche Deregulierung ist Gegenstand der gesundheits- und europapolitischen Debatte. Doch welche Bedeutung hat die Regulierung für den Erfolg der Apotheken? – Die Beziehung zwischen dem Regulierungsgrad und den Leistungen von Apothekensystemen in der EU wurde in einer kürzlich veröffentlichten Studie im Auftrag der EU-Kommission untersucht. Demnach spricht eine geringere Regulierung für bessere Ergebnisse. Dieses Fazit könnte als Argument dienen, die Geeignetheit regulatorischer Eingriffe in das Apothekenwesen zur Sicherung und Verbesserung pharmazeutischer Ergebnisse in Abrede zu stellen. Daher erscheint es notwendig, die Studie kritisch zu analysieren und ihre vielfältigen Schwachstellen und Widersprüche aufzuzeigen.

Die Studie wurde von der Ecorys Nederland B.V. in Kooperation mit Dr. Niels Philipsen, Universität Maastricht, im Auftrag der Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission von November 2005 bis Juni 2007 durchgeführt. Das Ziel war, die regulatorischen Rahmenbedingungen für Apotheken in den vormals 25 EU-Staaten (ohne die beiden jüngsten Mitglieder Bulgarien und Rumänien) darzustellen und diese in eine Beziehung zu den erbrachten Leistungen der Apotheken ("performance") zu setzen. Dabei wurde von der Erwartung ausgegangen, dass strenge Regeln die Leistungen schmälern würden. Dies wird auch als Fazit festgestellt. Die Vorgehensweise erscheint jedoch in vielfältiger Weise problematisch. So sind die Kriterien zur Darstellung der regulatorischen Dichte und erst recht die Ergebniskriterien vielfach offenbar ungeeignet. Überdies werden sie teilweise nicht einmal angemessen erfasst.

Apothekenwesen aus ökonomischer Sicht

In der Studie wird zunächst die Funktionsweise des Arzneimittelmarktes und des Apothekenwesens aus ökonomischer Perspektive beschrieben. Dabei werden die Abweichungen der Arzneimittelversorgung vom idealtypischen Markt dargestellt, insbesondere die Informationsasymmetrie. Die geringe oder fehlende Substituierbarkeit von Arzneimitteln wird zumindest für die Patientenperspektive als Problem anerkannt.

Im Zusammenhang mit diesen Abweichungen vom marktwirtschaftlichen Ideal wird auf die OECD-Veröffentlichung "Competition and regulation issues in the pharmaceutical industry" vom Februar 2001 verwiesen, in der geregelte Preisspannen für Apotheken gefordert werden, weil die Verbraucher als Versicherte selbst nicht direkt für die Kosten der Arzneimittel aufkommen und damit normale Marktmechanismen nicht greifen. Es wird auch auf die Argumentation verwiesen, dass Apotheker in einem solchen Markt unabhängige Ratgeber sein sollten und dass daher ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu sichern sei. Dem wird entgegengehalten, dass auch in Apothekenketten geeignete Regelungen getroffen werden könnten, die unabhängige Entscheidungen der im Unternehmen angestellten Apotheker garantieren würden.

Horizontale und vertikale Konzentration betrachten die Autoren der Studie primär als Instrumente der betriebswirtschaftlichen Rationalisierung, die letztlich mehr Spielraum für Preissenkungen im Wettbewerb schaffen würden und damit den Verbrauchern zu Gute kämen. Möglicherweise seien Regelungen notwendig, um bei der Zulassung von Apothekenketten die Versorgung in dünn besiedelten Regionen sicherzustellen. Doch werde dieses Problem durch den Versandhandel ohnehin relativiert.

Die Regulierung des Apothekenwesens wird von den Autoren primär als Barriere für den Markteintritt und die Handlungsfreiheit der Akteure interpretiert. Dies betrifft insbesondere Regelungen zur Eröffnung von Apotheken, zu den Eigentumsverhältnissen und zur Apothekenpflicht von OTC-Arzneimitteln. Letztere sei gemäß der OECD-Veröffentlichung unnötig.

Kriterien für den Regulierungsgrad

Den zentralen Teil der Studie bildet die Erhebung der regulatorischen Intensität des Apothekenwesens. Dazu dienen diverse Kriterien, die in die Hauptkriterien Struktur und Betrieb mit insgesamt sieben Unterkriterien gegliedert sind. Die Kriterien hinsichtlich der Struktur des Apothekenwesens sind:

Regulierung der Ausbildung, beispielsweise: Begrenzung der Studienplätze, Dauer des Studiums und des Pflichtpraktikums, Umfang einer möglichen Pflichtfortbildung;

Registrierung, Lizenzierung und verpflichtende Mitgliedschaft in Berufsorganisationen, beispielsweise: Studienabschluss, Praktikum, spezielle Prüfung, Führungszeugnis, Sprachtest und Wohnsitz;

Monopolstellung der Apotheker, beispielsweise: Abgabemöglichkeiten für Arzneimittel durch Krankenhausapotheken oder dispensierende Ärzte, Apothekenpflicht für OTC-Arzneimittel;

Regulierung der Eigentumsverhältnisse und Betriebsbedingungen, beispielsweise: Fremd- und Mehrbesitz, Beschränkungen der Rechtsform, Niederlassungsfreiheit, Internetangebot, Einschränkungen für Betreiber aus anderen EU-Staaten, Möglichkeiten zum Apothekenbetrieb ohne Verträge mit Krankenversicherungen;

Möglichkeit horizontaler und vertikaler Kooperation, beispielsweise Kooperationsmöglichkeiten zwischen Apotheken, mit Großhändlern, Arzneimittelherstellern, Versicherungen und Ärzten.

Die Kriterien hinsichtlich des Apothekenbetriebs sind:

Regelungen für die praktische Berufsausübung, beispielsweise: Mindestfläche, Bevorratungsregeln, Anwesenheitspflicht für Apotheker, Öffnungszeiten, Werbebeschränkungen innerhalb und außerhalb der Apotheke, Angebotsmöglichkeiten für Nicht-Arzneimittel und Dienstleistungen;

Preisregelungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel und für OTC-Arzneimittel, Regelungen der Handelsspanne.

Erhebung und Aufbereitung der Daten

Diese Daten wurden insbesondere durch Befragung relevanter Organisationen in den 25 EU-Staaten erhoben. Außerdem wurden Gesetzestexte und andere öffentlich zugängliche Quellen herangezogen. Da nicht alle befragten Organisationen vollständige Antworten gaben, ist die Datensammlung lückenhaft. Die befragten Stellen in Griechenland und Spanien verweigerten die Teilnahme. Nach Einschätzung der Autoren konnten für alle Länder außer Dänemark, Griechenland, Italien, Litauen und die Slowakische Republik mindestens 95 Prozent der gewünschten Daten erfasst werden. Für Griechenland und die Slowakische Republik waren es weniger als 75 Prozent der Daten.

Aufgrund der Kriterien bilden die Antworten teilweise dichotome Daten (Ja-nein-Antworten) und teilweise ordinal skalierbare Abstufungen. Nur wenige Daten sind quantitativ. Außerdem wird willkürlich festgelegt, welches der zahlreichen Einzelkriterien in welchem Ausmaß zu einem höheren Kriterium oder zur gesamten Regulierungsintensität beiträgt. Die Autoren gehen kurz auf dieses Problem ein und begegnen ihm zunächst mit der getrennten Betrachtung der sieben genannten Unterkriterien. Innerhalb dieser Unterkriterien kommen diese Probleme jedoch voll zum Tragen.

Um die Daten aggregieren zu können, werden für qualitative Daten weitgehend willkürliche quantitative Bewertungen eingeführt. Hinsichtlich der Rechtsform wird beispielsweise die Verpflichtung des Inhabers zum Betrieb als Einzelunternehmer der Apotheke ohne Partner mit der höchsten Regelungsintensität als 1 bewertet. Die Möglichkeit zur Zusammenarbeit wie in einer offenen Handelsgesellschaft ergibt die Bewertung 0,66, die Möglichkeit für weitere Personengesellschaften 0,33 und die freie Rechtsformwahl mit Möglichkeit der Haftungsbeschränkung 0. Demnach würde sich die diesbezügliche Regulierungsintensität in Deutschland bei Zulassung von Kommanditgesellschaften halbieren, bei Abschaffung von Apotheken als offene Handelsgesellschaften hingegen verdoppeln. Beim Kriterium der Preisregulierung werden Festpreise als höchste Form der Regulierung betrachtet, Höchstpreise werden als halb so starke Regulierung gewertet.

Zudem werden die Daten eines Unterkriteriums meist gleich gewichtet, was eine subjektive Wertung darstellt. Die Bedeutung einzelner Kriterien richtet sich damit auch nach der Zahl der weiteren Details, die in diesem Zusammenhang abgefragt werden. Obwohl die Autoren die Aggregationsprobleme ansprechen, werden die Unterkriterien bei der weiteren Auswertung zu Hauptkriterien für die Struktur und den Betrieb von Apotheken und für die Gesamtregulierung zusammengefasst. Dies stellt eine weitgehend willkürliche Gewichtung der Aspekte der Regulierung dar.

Schwachstellen der Erfassungsmethode

Entsprechend der Reihenfolge des Vorgehens in der Studie soll zunächst die Erfassung der Einzeldaten und Unterkriterien diskutiert werden. Dabei können nur Beispiele betrachtet werden, die aber ausreichen dürften, um die grundsätzlichen Probleme der Vorgehensweise zu veranschaulichen.

So werden gerade für Dänemark, das prototypische Land einer Niederlassungsfreiheit mit sehr strenger Bedarfsprüfung und sehr geringer Apothekendichte, keine Angaben zur Niederlassungsfreiheit gemacht, obwohl das außergewöhnliche Beispiel Dänemark weithin bekannt sein dürfte. Für Österreich wird festgestellt, dass bei der Neuzulassung ein Test auf ökonomischen Bedarf stattfindet. Dieser Test beruht logischerweise auf der Einwohnerzahl und den geographischen Gegebenheiten. Dennoch werden die Fragen nach diesen beiden Aspekten nicht bejaht. Für andere Länder werden dagegen ausdrücklich Mindestzahlen für Patienten, Höchstzahlen für Apotheken und geographische Kriterien genannt. Damit werden diese Systeme im Vergleich zu Österreich als strenger reguliert eingestuft, weil mehr Kriterien mit "ja" beantwortet werden. Für Großbritannien wird keinerlei Niederlassungsbeschränkung dargestellt. Stattdessen müssen dort Verträge mit Krankenkassen abgeschlossen werden, um eine Apotheke ökonomisch sinnvoll betreiben zu können, was wiederum mit einem weniger stark gewichteten "ja" an anderer Stelle erfasst wird und so weniger streng erscheint.

Auch das Beispiel der Öffnungszeiten zeigt, dass die Abfrage starrer Kriterien nicht ausreicht, um die komplexe Wirklichkeit zu erfassen. So wurden auf dem Stand von 2004 für Deutschland feste Öffnungszeiten konstatiert, obwohl das Ladenschlussgesetz zu dieser Zeit bereits einen breiten Spielraum eröffnete. Die Öffnungszeiten werden beim Unterkriterium der Regelungen für die praktische Berufsausübung erfasst (Tab. 2). Dort erreicht Deutschland eine Bewertung von 0,60, sodass nur vier Länder (Griechenland, Litauen, Österreich und Zypern) noch stärkere Regelungen aufweisen. Würde dagegen die Öffnungszeit als flexibel gewertet, läge Deutschland bei diesem Unterkriterium mit einer Bewertung von 0,43 sogar unter dem Durchschnittswert von 0,47.

Die Frage nach den Öffnungszeiten geht ebenso stark in die Bewertung ein wie die Frage, ob auch Nichtarzneimittel oder Dienstleistungen angeboten werden können. Die Verknüpfung unterschiedlichster Aspekte in einem Unterkriterium führt letztlich dazu, dass sich Regelungen zu verschiedenen Inhalten gegenseitig in der Bewertung kompensieren können. Diese Problematik wird durch die willkürliche Gewichtung verstärkt.

Das Staatsmonopol der schwedischen Apoteket AB sprengt den Kriterienkatalog in vielfacher Weise und führt zu einer unangemessenen Einstufung. Die Fragen zur Niederlassungsfreiheit, zur Rechtsformwahl und zu Kooperationsmöglichkeiten werden hier als nicht relevant eingestuft und nicht gewertet. So erscheint das am stärksten regulierte System in vielen Kriterien als relativ unreguliert. Dazu trägt auch das Internetangebot der Staatsmonopolapotheke bei. Dies wird genauso bewertet wie der umfangreiche Wettbewerb zwischen deutschen Internetapotheken. Denn es wird an dieser Stelle nur abgefragt, ob Internethandel zulässig ist, aber nicht, ob dieser mit Wettbewerb verbunden ist. Auch bei den Öffnungszeiten erhält Schweden eine Bewertung als unreguliert, weil es dort kein Ladenschlussgesetz gibt. Dabei bliebt unbeachtet, dass Apoteket AB die Öffnungszeiten zentral festlegen kann, weil es das einzige Apothekenunternehmen ist.

Darüber hinaus erscheinen etliche Kriterien oberflächlich und wenig aussagekräftig. So werden Sprachtests als regulatorisches Hindernis betrachtet. Die praktische Bedeutung der Sprache für die Berufsausübung wird dagegen nicht beachtet. Im Unterkriterium der Registrierung und Lizenzierung erhält Deutschland die Bewertung als strengstes Land. Wäre dagegen in Deutschland kein polizeiliches Führungszeugnis für die Erteilung einer Approbation oder einer Betriebserlaubnis erforderlich und gäbe es keine Anforderung zum Wohnsitz eines Apothekenleiters und keinen Sprachtest, würde sich Deutschland bei diesem Unterkriterium im europäischen Mittelfeld bewegen.

Objektive Daten

Immerhin kann die Studie eine grobe Übersicht über einige einfach erfassbare Kriterien vermitteln. Demnach können staatliche Gebietskörperschaften Apotheken in Italien, Litauen und der Slowakischen Republik besitzen, hinzu kommt das schwedische Apothekenmonopol. In weiteren zwölf EU-Staaten können nur Apotheker Apotheken besitzen oder sie müssen am Eigentum beteiligt sein. In neun EU-Staaten existieren keine solchen Eigentumsbeschränkungen. Der Apothekenmehrbesitz ist in 20 EU-Staaten in irgendeiner Form erlaubt, wobei Schweden nicht mitgezählt wird. In zehn Staaten existiert Niederlassungsfreiheit, wobei aber faktische Niederlassungsbeschränkungen durch Verträge mit Krankenkassen nicht berücksichtigt werden.

In sieben EU-Staaten ist die vertikale Integration zwischen Apotheken und Großhändlern zulässig, in sechs EU-Staaten zwischen Apotheken und Arzneimittelherstellern. In allen EU-Staaten außer Malta sind die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel reguliert, in Malta werden die Preise durch Großhändler festgesetzt. In der Hälfte der Staaten werden die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel festgeschrieben, in der anderen Hälfte existieren Höchstpreise. Die Preise für OTC-Arzneimittel sind in zehn EU-Staaten reguliert.

Problematisches Ranking

Trotz der großen Probleme bei der Aggregation der heterogenen Kriterien wird ein Maß für die gesamte Regelungsdichte ermittelt. So ergibt sich die Rangliste der Regelungsdichte gemäß Tabelle 1.

Tab. 1: Ausmaß der Regulierung des Apothekenwesens (gemäß der Studie) in 25 EU-Mitgliedstaaten. Hohe Punktzahlen stehen für eine intensive Regulierung. Die Aggregation der Werte in der zweiten und dritten Spalte ergibt die Werte für die Regulierung des Apothekenwesens insgesamt (rechte Spalte) und die Rangfolge der Länder.
StaatStruktur des 
Apothekenwesens
ApothekenbetriebApothekenwesen 
insgesamt
Italien18,218,736,9
Griechenland15,321,336,6
Slowenien17,515,132,6
Finnland13,718,231,9
Deutschland13,315,829,1
Slowakische Rep.14,912,527,4
Ungarn12,814,427,2
Litauen12,214,626,8
Portugal13,613,026,6
Zypern9,916,126,1
Spanien12,712,825,6
Schweden11,214,125,3
Dänemark12,311,924,1
Luxemburg14,59,223,7
Lettland9,413,923,3
Tschechische Rep.10,712,523,2
Belgien6,715,822,5
Frankreich13,38,922,2
Österreich9,012,321,3
Polen7,113,820,9
Estland8,810,919,7
Irland8,411,119,5
Großbritannien6,812,519,3
Niederlande4,89,214,0
Malta7,23,610,9
Durchschnitt11,313,324,6

Die Rangordnung erscheint in vielfältiger Weise verwunderlich, doch ergibt sie sich aus den vielfältigen Unzulänglichkeiten des Bewertungsverfahrens und der Aggregation:

Italien wird als Land mit der größten Regelungsdichte ermittelt. Die dort zulässigen kommunalen Apothekenketten, die aus deutscher Sicht als Abweichung vom Ideal des unabhängigen Apothekers in seiner Apotheke und als spezielle Form des Fremdbesitzes erscheinen, werden dabei als starke Regulierung gewertet.

Deutschland steht mit seiner Regelungsdichte an fünfter Stelle und damit vor Dänemark und Schweden. Dies erscheint absurd angesichts des schwedischen Staatsmonopols und der extremen Form der Niederlassungsbeschränkung in Dänemark.

Weitaus geringere Regelungsdichten als in Deutschland werden für die Apothekensysteme in Frankreich und Österreich ermittelt, obwohl diese in ihrer Gesamtheit recht gut mit der Situation in Deutschland zu vergleichen sind.

  • Die weitaus geringsten Regelungsdichten werden für die Niederlande und Malta ermittelt.

Die Ursachen für diese Einstufungen dürften in fehlenden Daten über Dänemark, den Unzulänglichkeiten bei der angemessenen Erfassung des Staatsmonopols und ganz besonders in der willkürlichen Aggregation liegen, die nur Einzelwerte addiert, aber nicht das Zusammenwirken der Regelungen bewertet. Offenbar sind so komplexe Regelungen nicht durch die Summe ihrer Einzelkomponenten abzubilden.

Angesichts der Probleme bei der Aggregation sollten die Unterkriterien getrennt betrachtet werden. In der Tabelle 2 wird die Bewertung für Deutschland mit den jeweils erreichten Extrem- und Durchschnittswerten anderer Länder verglichen. Demnach ist die Registrierung und Lizenzierung in Deutschland so streng wie sonst nirgendwo geregelt, dagegen ist die Regulierung der Eigentumsverhältnisse und Betriebsbedingungen, zu der die Regelungen zum Fremd- und Mehrbesitz und zur Niederlassung gehören, lockerer als im Durchschnitt.

Tab. 2: Unterkriterien der Struktur des Apothekenwesens (1. bis 5.) und des Apothekenbetriebs (6. und 7.). Der Wert für den Regulierungsgrad Deutschlands wird jeweils mit dem niedrigsten Wert eines EU-Mitgliedstaates, dem Mittelwert von 25 EU-Mitgliedstaaten und dem höchsten Wert eines EU-Mitgliedstaates verglichen. 1 = stärkste Regulierung, 0 = geringste Regulierung.
UnterkriteriumDeutschlandNiedrigster WertMittelwertHöchster Wert
1. Ausbildung0,320,000,260,64
2. Registrierung und Lizenzierung0,760,140,330,76
3. Monopolstellung0,460,200,660,79
4. Eigentumsverhältnisse und Betriebsbedingungen0,280,100,380,65
5. Kooperation0,830,080,591,00
6. Praktische Berufsausübung0,600,210,470,71
7. Preisregulierung0,670,000,601,00

Kriterien für die "performance"

Im nächsten Schritt der Studie werden die Ergebnisse ("performance") des Apothekenwesens anhand von drei Zielgrößen betrachtet:

  • Produktivität,
  • allokative Effizienz,
  • Qualität und Produktvielfalt.

Bereits die Auswahl macht deutlich, dass die Apotheke hier als Distributionsstelle für Waren betrachtet wird, deren Allokationsfunktion optimiert werden soll. Die Aufgabe der Apotheken gemäß deutschem Apothekengesetz ist aber die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung. Diese umfasst weit mehr als nur die Verteilung der (besonderen!) Ware Arzneimittel, sondern auch die Sicherung ihres angemessenen Einsatzes. Die Aufgaben reichen von der Kontrolle der Verordnungen über die Beratung bei der Abgabe bis zur Pharmakovigilanz. Derartige Kriterien werden auch nicht im Zusammenhang mit der "Qualität" betrachtet. Erst die nähere Betrachtung der Zielgrößen der Studie macht deutlich, wie ungeeignet diese Kriterien sind.

Produktivität

In der Studie wird die Produktivität als ein Verhältnis aus der Zahl der abgegebenen Arzneimittel einerseits und einer zusammengesetzten Größe aus der Zahl der Apotheken und der Zahl der Beschäftigten pro Apotheke andererseits definiert. Hier wird die Fokussierung auf den rein technischen Distributionsvorgang besonders deutlich. Naturgemäß könnte ohne Beratung oder auf dem Versandweg ein besonders günstiger Wert erzielt werden. Dagegen würde sich eine Ausdehnung der Beratungsleistung ungünstig auswirken. Damit wird eine zentrale und gesellschaftlich besonders bedeutende Aufgabe der Apotheken ausgeblendet.

Die erforderlichen Daten für die Berechnung dieser Produktivität konnten nur für zehn Länder erfasst werden. Aufgrund der Berechnungsmethode ist die Produktivität auf einen Maximalwert von 1 gedeckelt. Diesen erreichen Dänemark, Deutschland, Schweden und die Slowakische Republik. Ungünstigere Werte erreichen die Tschechische Republik, Finnland, Portugal, Griechenland, Belgien und besonders Luxemburg.

Allokative Effizienz

Die allokative Effizienz wird anhand der Gewinnmargen der Apotheken ermittelt. Je geringer die Gewinnmarge ist, umso größer ist die allokative Effizienz. Im Idealfall soll kein Gewinn entstehen, sondern die Aufgabe soll zu den geringstmöglichen Kosten für die Gesellschaft erbracht werden. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass das eingesetzte Kapital eine Rendite erzielen muss und eine Motivation für das Engagement nötig ist. Besonders problematisch ist der unkritische Vergleich zwischen Apotheken verschiedener Systeme. Der Gewinn von Apothekenketten im Eigentum von Kapitalgesellschaften wird erst nach Honorierung der Filialleiter und Geschäftsführer ermittelt. Dagegen enthält der Gewinn unabhängiger Apotheker auch das Entgelt für die eigene Arbeitsleistung. Dieser Fehler wiegt deshalb besonders schwer, weil es das Ziel der Studie ist, Apotheken in Systemen mit unterschiedlicher Regelungsdichte zu vergleichen, während sich die Apotheken gerade in dieser Hinsicht wesentlich unterscheiden. Die Studie scheitert hier offensichtlich an der selbst gestellten Aufgabe.

Für Deutschland wird eine Gewinnmarge von 10,3 Prozent für 2004 angenommen, die beispielsweise mit 9,3 Prozent für die überwiegend im Fremdbesitz befindlichen Apotheken in Großbritannien verglichen werden. Nach Angaben der ABDA betrug das steuerliche Betriebsergebnis für deutsche Apotheken jedoch nur 6,8 Prozent, nach Abzug der kalkulatorischen Kosten wurden demnach 0,8 Prozent erwirtschaftet. Höhere Margen als in Deutschland werden in der Studie für Italien, Spanien, Griechenland, Luxemburg, Malta, Portugal, die Niederlande und Österreich angeführt.

Qualität und Produktvielfalt

Im Zusammenhang mit der Qualität der Leistung werden verschiedene relevante Kriterien wie Arzneimittelsicherheit, Umfang der Dienstleistungen, Betreuungsangebote und Apothekendichte diskutiert. Dabei werden zentrale Aspekte einer Entwicklung der Pharmazie in Richtung auf die pharmazeutische Betreuung allerdings nur als Beispiele erwähnt. Es wird diskutiert, die Anzahl der korrigierten Verschreibungen oder der vermiedenen Arzneimittelzwischenfälle heranzuziehen. Doch wird dies verworfen, weil dazu keine Daten vorliegen. Dann wäre konsequenterweise eine solche Betrachtung zu unterlassen. Stattdessen wird die Zielgröße "Qualität und Produktvielfalt" auf vier Kriterien reduziert. Es wird festgestellt,

  • ob Arzneimittel online bestellt werden können,
  • ob ein Lieferservice zum Patienten angeboten wird,
  • ob "consultations" angeboten werden und
  • ob "specialised medication packages" angeboten werden.

Zur Erhebung der Daten wurden insbesondere Angebote von Apotheken über das Internet abgefragt. Es bleibt offen, was mit "consultations" gemeint ist. Denn jede Apotheke bietet Beratung an, sodass das Kriterium banal wäre. Wenn aber eine bestimmte Form der Beratung gemeint ist, sollte dies definiert und begründet werden. Der Begriff "specialised medication packages" ist ebenfalls nicht definiert. Bei einer Google-Abfrage wird nur auf die vorliegende Studie verwiesen. Die Suche nach der feststehenden Wortfolge "specialized medication packages" in korrekter englischer Schreibweise ergibt keinen Treffer. Der Begriff ist offenbar eine Wortschöpfung der Autoren. Es können beispielsweise Rezepturen oder Verblisterungen nach dem Unit-dose- oder Multi-dose-Verfahren gemeint sein. Ob solche Angebote zulässig oder gewünscht sind, richtet sich eher nach den regulatorischen Rahmenbedingungen und ist weniger ein Kriterium für freiwillige Leistungen der Apotheken. Als Ergebniskriterium ist dies unbestimmt und ungeeignet.

Auf der Grundlage dieser Kriterien erhält Schweden den optimalen Wert von 1 für die Zielgröße Qualität und Produktvielfalt. Der Monopolanbieter Apoteket AB präsentiert alle seine Leistungen, auch wenn diese Selbstverständlichkeiten darstellen, auf seiner Internetseite, und sie gelten naturgemäß für alle Apotheken im Land gleichermaßen. Dies bestätigt den Verdacht, dass hier nicht die Leistungen, sondern die unterschiedliche Auffindbarkeit von Internetseiten und die Erwähnung von Schlüsselbegriffen, also letztlich die Qualität und Professionalität des Internetauftritts abgefragt werden.

In der Bewertung folgen die Niederlande mit 0,6917 und Deutschland mit 0,6500. Das dem deutschen System relativ nahestehende Frankreich, in dem aber kein Internethandel zugelassen ist, erreicht nur einen sehr schlechten Wert von 0,1167. An letzter Stelle steht Malta mit 0,0000. Vermutlich werden die Angebote der Apotheken in diesem kleinen Markt nicht im Internet offensiv verbreitet, sodass sie bei der Studie nicht gefunden wurden.

Korrelation von Regulierung zu "performance"?

Im letzten Schritt der Studie wird versucht, eine Beziehung zwischen dem Regulierungsgrad und den Ergebnisgrößen ("performance") herzustellen. Da die Verteilung der Daten nicht die notwendigen Voraussetzungen für eine Regressionsanalyse erfüllt, wird eine Varianzanalyse (ANOVA) durchgeführt. Dabei werden die Daten zum Regulierungsgrad in zwei Klassen mit hohen beziehungsweise niedrigen Werten eingeteilt und es wird geprüft, wie sich die Klassen hinsichtlich der Ergebnisgrößen unterscheiden. Die Werte der sieben Unterkriterien des Regulierungsgrades (Tab. 2), der beiden Hauptkriterien und des Apothekenwesens insgesamt (Tab. 1) werden jeweils zu den Werten für die Produktivität, allokative Effizienz und Qualität in Beziehung gesetzt. Bei zehn erklärenden Variablen und drei Ergebnisgrößen finden 30 Tests statt. Davon ergeben 21 Tests keine Beziehung!

Bei fünf Tests ergeben sich schwach positive Hinweise auf eine Beziehung, bei denen aber der p-Wert über 0,2 liegt (d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass die Werte nur zufällig für eine Beziehung sprechen, ist ≥ 20%). Vier dieser schwach positiven Beziehungen betreffen die Ergebnisgröße Qualität, was die Kritik an den befremdlichen Qualitätskriterien bestärkt.

Nur bei vier Tests ergeben sich relativ deutliche Hinweise auf eine Beziehung, wobei die p-Werte zwischen 0,07 und 0,1 liegen. Trotz der vergleichsweise lockeren Forderungen der Varianzanalyse sind diese Zusammenhänge nicht signifikant im Sinne der Anforderungen, wie sie an klinische Studien gestellt werden, bei denen p-Werte von 0,05 zu unterschreiten sind. Dennoch stützen die Autoren ihre Konsequenzen letztlich auf diese vier Tests. Dabei geht es um die Beziehungen zwischen

dem 4. Unterkriterium Eigentumsverhältnisse und Betriebsbedingungen und dem Hauptkriterium Struktur des Apothekenwesens einerseits und

  • den Ergebnisgrößen Produktivität und allokative Effizienz andererseits.

Die gefundenen Zusammenhänge beim Hauptkriterium Struktur des Apothekenwesens lassen sich praktisch ausschließlich durch den Beitrag des Unterkriteriums Eigentumsverhältnisse und Betriebsbedingungen erklären, weil die anderen Unterkriterien keinen Hinweis auf eine positive Beziehung liefern.

Regulierungsgrad beim 4. Unterkriterium

So verdient das Unterkriterium der Eigentumsverhältnisse und Betriebsbedingungen genauere Betrachtung, weil nur dieses zumindest ansatzweise eine Beziehung zu den ermittelten Ergebnisgrößen aufweist. Wenn die Studie irgendeine Aussagekraft haben sollte, kann sie nur an dieser Stelle zu finden sein. Die Werte für das betrachtete Unterkriterium setzen sich zu gleichen Teilen aus den Daten zu folgenden Fragenkomplexen zusammen:

  • Regelungen zum Fremdbesitz,
  • Regelungen zum Mehrbesitz,
  • Rechtsformbeschränkungen,
  • Freiheit der Übertragbarkeit von Apotheken,
  • Möglichkeit zum Internethandel,
  • Niederlassungsbeschränkungen,
  • Markteintrittsbarrieren für Apothekenbetreiber aus anderen EU-Staaten und
  • Möglichkeiten zum Apothekenbetrieb ohne Verträge mit Krankenversicherungen.

Dabei erreicht Deutschland einen Wert von 0,28, liegt also deutlich unter dem Mittelwert von 0,38 (Tab. 2). Damit gilt Deutschland hinsichtlich des einzigen Regulierungskriteriums, das in dieser Studie nennenswerte Beziehungen zu den Ergebnisgrößen aufweist, als Land mit geringer Regulierung. Angesichts der sehr liberalen Niederlassungsregelung, der Zulassung des Internethandels, der freien Übertragbarkeit von Apotheken und der Filialisierungsmöglichkeit liegt dies nahe.

Hohe Regulierungsgrade ergeben sich dagegen für Länder, bei denen zum Fremdbesitzverbot weitere Regulierungen hinzukommen, beispielsweise bei der Übertragung von Apotheken, bei der Niederlassung oder bei vertraglichen Regelungen mit Krankenkassen. Die höchsten Werte erreichen Slowenien (0,65), Italien und Luxemburg (jeweils 0,62), gefolgt von Spanien (0,59) und Ungarn (0,58).

Angesichts der Heterogenität des Unterkriteriums können starke Regulierungen bei einzelnen Aspekten durch lockere Regeln bei anderen Aspekten ausgeglichen werden. So sind keine Zusammenhänge zwischen den politisch besonders stark diskutierten Themen wie Fremd- und Mehrbesitzverbot und den Ergebnisgrößen ableitbar.

Fazit der Autoren

Trotz der vielfältigen Schwachpunkte der Studie gehen die Autoren von einer klaren Beziehung zwischen Regulierungsgrad und Ergebnissen des Apothekenwesens aus. Sie empfehlen daher Deregulierungsmaßnahmen und führen sogar eine Hochrechnung des zu erwartenden Produktivitätsvorteils durch, wobei sie allerdings auf die Unzulänglichkeiten einer solchen Berechnung hinweisen. Aufgrund der statistischen Analyse stützen die Autoren ihre Aussagen auf das Unterkriterium der Eigentumsverhältnisse und Betriebsbedingungen und seine Komponenten, sie enthalten sich aber einer weiteren Differenzierung innerhalb des Unterkriteriums.

Fazit der kritischen Analyse

Die Studie liefert allenfalls einen Hinweis auf negative Effekte einer Kombination vielfältiger Regulierungsmaßnahmen. Sie ist keinesfalls als Votum gegen einzelne Maßnahmen wie das Fremdbesitzverbot, das Mehrbesitzverbot oder Niederlassungsbeschränkungen zu gebrauchen, weil die Konsequenzen dieser einzelnen Regelungen nicht differenziert betrachtet wurden. Daher können die Studienergebnisse sogar als Unterstützung für die Position der Bundesregierung und der ABDA gewertet werden, wonach jedes Land seine historisch gewachsene Form der Regulierung des Apothekenwesens haben kann und soll, die jeweils im Systemzusammenhang zu bewerten ist. Keine regulatorische Maßnahme wäre demnach an sich ungeeignet; nur ein Übermaß vielfältiger Regulierungsinstrumente wie beispielsweise eine Kombination des Fremd- und Mehrbesitzverbots mit einer strengen Niederlassungsbeschränkung könnte als ökonomisch ungünstig betrachtet werden. Diesen entscheidenden Unterschied zwischen den Auswirkungen einer übertriebenen Regulierung mit vielfältigen Mitteln und der differenzierten Bewertung einzelner Regelungsinstrumente machen die Autoren in ihrem Fazit allerdings nicht deutlich.

Nach den hier angeführten Betrachtungen müssen alle Folgerungen aus der Studie kritisch bewertet werden. Denn die Untersuchung geht mit lückenhaften Daten von fragwürdigen Regulierungskriterien aus, verwendet Erfolgsgrößen, die nicht mit den gesellschaftlichen Anforderungen an ein leistungsfähiges Apothekenwesen vereinbar sind, und verknüpft diese Daten, wobei statistisch wenig aussagekräftige Ergebnisse gewonnen werden. Dementsprechend fragwürdig sind alle Konsequenzen, und dementsprechend problematisch wäre es, diese Studie als Argument bei gerichtlichen Auseinandersetzungen oder in der politischen Willensbildung zu verwenden.


Quelle 

Zugrunde liegende Studie und Quelle für alle Daten:

 Ecorys Nederland B.V., in Zusammenarbeit mit Dr. Niels Philipsen: Study of regulatory restrictions in the field of pharmacies. Rotterdam, 22. Juni 2007. 

 


Anschrift des Verfassers: 

Dr. Thomas Müller-Bohn, Seeweg 5a, 23701 Süsel,

 mueller-bohn@t-online.de

 

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.