Interpharm 2008

Fremd- und Mehrbesitzverbot: Noch ist nichts entschieden

Die besseren Gründe sprechen für das apothekenrechtliche Fremd- und Mehrbesitzverbot in Deutschland. Es ist ein legitimes und geeignetes Mittel des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes. Deshalb besteht die realistische Chance, dass der Europäische Gerichtshof das in Deutschland und vielen anderen EU-Mitgliedstaaten bestehende System der Arzneimittelversorgung für gemeinschaftsrechtskonform erklären wird. Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling und die Saarbrücker Apothekerin Helga Neumann-Seiwert informierten über den Stand und den weiteren Fortgang des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof.

Den Hintergrund des Verfahrens bilden die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Fremdbesitz bei Optikergeschäften in Griechenland und die Erteilung der Betriebserlaubnis für eine DocMorris-Fremdbesitzapotheke durch das saarländische Justiz- und Gesundheitsministerium. Gegen die Erteilung hatten die saarländische Apothekerkammer und die Apothekerin Neumann-Seiwert geklagt. Helga Neumann-Seiwert ist Leiterin der Stadt-Apotheke in Saarbrücken, die in unmittelbarer Nähe der DocMorris-Fremdbesitzapotheke liegt. Sie wird von Rechtsanwalt Dettling anwaltlich vertreten. Der Rechtsstreit mündete in ein Verfahren vor dem EuGH, der klären soll, ob die europäischen Vorschriften für die Niederlassungsfreiheit von Kapitalgesellschaften so auszulegen sind, dass sie dem deutschen Fremdbesitzverbot für Apotheken entgegenstehen. Der nächste Schritt des Verfahrens ist die mündliche Verhandlung, für die jedoch bislang noch kein Termin feststeht. Ein Urteil wird Anfang/Mitte 2009 erwartet. Daneben hat die EU-Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien, Österreich, Spanien und Frankreich wegen ähnlicher Beschränkungen eingeleitet.

Zum EuGH-Verfahren liegen inzwischen 13 Stellungnahmen vor, von denen acht die Gemeinschaftsrechtskonformität des Fremdbesitzverbots bestätigen (darunter die Stellungnahmen der Regierungen von Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Finnland und Griechenland). Die Gegenposition vertreten – als einziger EU-Mitgliedstaat – Polen, außerdem die EU-Kommission, das Saarland und DocMorris. Die Stellungnahme aus Irland wird als Enthaltung betrachtet.

Pro Fremdbesitz: Pille = Brille

Gemäß der EU-Kommission können Unternehmen in einen "internen" Bereich der Geschäftsführung und einen "externen" Bereich der Eigentümerschaft aufgespalten werden; deshalb sei das Fremdbesitzverbot als Maßnahme des Gesundheitsschutzes zweifelhaft und auch nicht erforderlich. Nach dem Prinzip "Pille = Brille" setzt die Kommission die Gesundheitsgefahr bei Optikern und in Apotheken gleich. Die Zuständigkeit der EU werde nicht durch das Subsidiaritätsprinzip beschränkt, weil die Grundfreiheiten uneingeschränkt gelten würden, argumentiert die EU-Kommission. Das Saarland führt zudem an, die Zulassung von Filialapotheken und der Fremdbesitz von Krankenhausapotheken durch den Krankenhausträger seien inkohärent mit dem Fremdbesitzverbot. Eine Gefahr der Beeinflussung bestehe kaum, da die meisten Arzneimittel aufgrund von Verschreibungen abgegeben würden. Das Saarland sieht keine erhöhte Kommerzialisierungs- oder Konzentrationsgefahr durch Kapitalgesellschaften: Qualität und eine flächendeckende Versorgung seien auch bei anderen Apothekensystemen und den in Fremdbesitz befindlichen Krankenhäusern gewährleistet. Im Übrigen könnten Kapitalgesellschaften überwacht und Preise reguliert werden. DocMorris schließlich sieht im Fremdbesitzverbot eine verdeckte Diskriminierung von Ausländern und führt an, dass die Celesio AG "langfristige Ziele" verfolge, Kapitalgesellschaften mehr in Sicherheit und Qualität investieren würden und der Kündigungsschutz in Großunternehmen besser sei.

Contra Fremdbesitz: Schutz vor Abhängigkeiten

Im Gegensatz zur EU-Kommission betrachtet die Bundesregierung die Mitgliedstaaten als zuständige Instanz für die Festlegung der gesundheitsrechtlichen Rahmenbedingungen und des Niveaus des Gesundheitsschutzes. Das Fremdbesitzverbot sichere die professionelle Unabhängigkeit der Apotheker, während Anteilseigner oder Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften die in der Gesellschaft tätigen Apotheker beeinflussen könnten. Die professionelle Unabhängigkeit trage den besonderen Gefahren von Arzneimitteln Rechnung und sei auch in früheren EuGH-Urteilen als legitimes Ziel anerkannt worden. Das Beispiel einer norwegischen Apothekenkette mit einem außergewöhnlich hohen Anteil von Arzneimitteln eines Herstellers aus dem gleichen Konzern zeige die konkrete Gefahr der fachfremden Einflussnahme. Zudem könne die Gewinnerzielungsabsicht bei Kapitalgesellschaften in den Vordergrund treten und die Arzneimittelversorgung beeinträchtigen. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass in Kapitalgesellschaften kein Einfluss auf die abhängig Beschäftigten genommen werde. Schließlich bezeichnet die Bundesregierung die in Anlehnung an die Optiker-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorgenommene Aufteilung in einen "internen" und "externen" Bereich der Apotheke als "artifiziell". Das Fremdbesitzverbot sei deshalb geeignet und erforderlich, um die gesundheitspolitischen Ziele umzusetzen.

Die Apothekerkammer Saarland verweist auf die Gefahren des Arzneimittelmehrgebrauchs, die öffentlich-rechtliche Bindung der freien Berufe und auf den im europäischen Vergleich liberalen Zugang zum deutschen Apothekenmarkt mit Niederlassungsfreiheit und ohne Bedarfsprüfung. Das Fremdbesitzverbot verhindere Interessenskonflikte und Fehlanreize, die sonst durch Kontrollen korrigiert werden müssten. Zudem setze nach dem EG-Vertrag die schrittweise Aufhebung der Beschränkungen für Gesundheitsberufe die Koordinierung der Bedingungen für die Berufsausübung voraus. Bisher sei aber nur die Ausbildung, nicht jedoch die Berufsausübung koordiniert worden.

"Kein Grund zum Pessimismus"

Ausführlich erläuterte Dettling auch mögliche Folgen eines Falls des Fremd- und Mehrbesitzverbotes bei Apotheken: Die Regelung, wonach ärztliche Gesellschaften nur Ärzten offen stehen, sei dann mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls obsolet. Dann könne ein Konzern auf Ärzte und Apotheken einwirken. Spätestens dann entfalle das Argument, dass ein großer Teil der in Apotheken abgegebenen Arzneimittel von den Apothekern nicht beeinflusst werden könne. Damit drohe eine "Gelddruckmaschine" zu Lasten der Sozialsysteme. In der von Dettling für Neumann-Seiwert erarbeiteten Stellungnahme werden die Gefahren von Arzneimittelfehlanwendungen herausgearbeitet. Die Aufgabe von Apothekern sei nicht der "Verkauf" von Arzneimitteln, sondern das Erkennen, Lösen und Verhindern arzneimittelbezogener Probleme, die oftmals "im Verborgenen" entstehen. Dettling wies darauf hin, dass nach einer Studie der Bundesapothekerkammer aus dem Jahre 2005 in deutschen Apotheken täglich etwa 28.000 arzneimittelbezogene Probleme gelöst und fast 1000 fehlerhafte ärztliche Verordnungen identifiziert werden. Auch sei mit Apothekenketten das "Anheizen" des Arzneimittelkonsums durch Kaufanreize in der Werbung sehr viel eher möglich als im Rahmen kleinteiliger und inhabergeführter Apotheken. Schließlich drohten bei Ketten Personalabbau zur Kostenminimierung und besonders ehrgeizige Gewinnziele. Von partiellen Fremdbesitzverboten hält Dettling nichts. Sie seien ungeeignet, weil sie durch zwischengeschaltete Holdings leicht umgangen werden könnten. Der Fremdbesitz bei Krankenhausapotheken sei irrelevant, weil Krankenhausapotheker kein Interesse am Mehrverbrauch von Arzneimitteln hätten – im Gegenteil. Dagegen führe das Fremdbesitzverbot bei öffentlichen Apotheken zu einem höheren Gesundheitsschutzniveau und zu einem besseren Schutz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als die behördliche Überwachung von Konzernketten. Das präventiv wirksame Fremdbesitzverbot könne auch nicht durch eine Haftpflicht ersetzt werden, die erst nach einem Schaden greife, aber kaum präventiv wirke. Das Fremdbesitzverbot entspreche zudem einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Insgesamt zeigte sich Dettling überzeugt, dass der EuGH die Individualität der europäischen Gesundheitssysteme, das Recht der Mitgliedstaaten zur autonomen Gestaltung ihrer Gesundheitssysteme und damit auch das Fremdbesitzverbot anerkennen werde: "Es besteht kein Grund zum Pessimismus."


tmb

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.