Kongress

Weltkongress der Gastroenterologie

Bessere Therapien bei Magen-Darm-Erkrankungen

Vom 19. Mai bis 24. Mai fand in Washington, D.C. die Digestive Disease Week (DDW) 2007 unter dem Motto "Turning Science into Medicine" statt. Mehr als 15.000 Teilnehmer aus über 50 Ländern informierten sich in 5000 Präsentationen und 400 Veranstaltungen über neue Forschungsergebnisse, Therapiekonzepte, Operationstechniken und instrumentelle Neuentwicklungen. Nachfolgend wird kurz über pharmakologisch-pharmazeutisch relevante Trends und Fakten berichtet.

Ein Höhepunkt war die Grossman-Lecture "The Metabolic Syndrome: A Vicious Cycle Fueled by Genes and Diet" von Nobelpreisträger Joseph L. Goldstein. Er fokussierte in seinem Vortrag auf die Rolle von Leptin, betonte aber, dass viele Aspekte des Metabolischen Syndroms bisher noch unbekannt sind. Zum Abschluss warnte er vor dem alarmierenden Anstieg der Zahl der Übergewichtigen, besonders bei jungen Menschen.

High-tech-Endoskopie

Es wurden neue Methoden der Endoskopie wie die endoskopische Ultrasonographie und neue Instrumente zur endoskopischen mukosalen Resektion vorgestellt. Die Gastroskopie wird immer komplexer, und für die neuen Imaging-Technologien werden hochqualifizierte Gastroenterologen mit EDV-Kenntnissen gebraucht.

Hoffnung auf neue Rezeptorliganden

Nachdem sich jahrelang kaum neue Ansätze zur Behandlung von chronisch entzündlichen Darmerkrankrankungen ergeben hatten, wurden nun zahlreiche präklinische und klinische Studien zu neuen Therapien vorgestellt und zum Teil kritisch diskutiert. Mehrere Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit den Interaktionen der gastrointestinalen Peptide Cholecystokinin (CCK), Glucagon-like Peptid 1 (GLP-1), Vasoaktives intestinales Peptid (VIP) und Adiponectin mit Entzündungsmediatoren. Selektive Rezeptorliganden oder Substanzen, die den Abbau oder die Freisetzung der genannten Peptide beeinflussen, könnten die Behandlung der entzündlichen und funktionellen Darmerkrankungen verbessern. Große Chancen wurden den VIP-Rezeptorliganden eingeräumt.

Ghrelin ist ein Hormon, das den Appetit und die Sekretion von Wachstumshormon reguliert. Bei Hunger steigt der Ghrelinspiegel im Blut, bei Sättigung sinkt er. Möglicherweise spielt Ghrelin nicht nur eine Rolle bei der Adipositas, sondern auch bei Magenmotilitätsstörungen.

Beziehung zwischen Darm und Gehirn

An der Regulation der gastrointestinalen Motilität scheinen neurotrophe Faktoren (z.B. BDNF) beteiligt zu sein. Sie werden im Gehirn freigesetzt und modulieren im Gastrointestinaltrakt Entzündungsmediatoren und Peptide. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen können zu depressive Verstimmungen führen. So überrascht es nicht, dass trizyklische Antidepressiva nicht nur antidepressiv wirken, sondern durch die Hemmung proinflammatorischer Mediatoren auch die Colitis günstig beeinflussen. Dieser Befund könnte für die Praxis große Bedeutung haben, zumal in einer retrospektiven Analyse eine klare Korrelation von Depression und entzündlichen Darmerkrankungen herausgestellt wurde.

Schmerzen beim Reizdarmsyndrom

Schmerzen sind das Kardinalsymptom beim Reizdarmsyndrom. Die neuen ROME-III-Kriterien definieren dieses Krankheitsbild hinsichtlich der Schmerzen jetzt so: "Schmerzen im Abdominalbereich seit mindestens sechs Monaten an mindestens drei Tagen während der letzten drei Monate".

Ursache der Schmerzen ist eine gesteigerte Freisetzung von Zytokinen im peripheren Nervensystem, die eine Dysfunktion in der endogenen Schmerzmodulation bedingt. Daraus entwickelt sich eine viszerale Hypersensitivität. Diese auf die Verdauungsorgane beschränkte Überempfindlichkeit kann durch Stresssituationen, eine Lactoseintoleranz oder eine infektiöse gastrointestinale Erkrankung ausgelöst oder verstärkt werden.

Komplikationen von NSAR vermeiden

Die am häufigsten zu beobachtenden Nebenwirkungen von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) bestehen in Störungen des Magen-Darm-Traktes, die sich in Oberbauchbeschwerden bis hin zu Blutungen und Geschwüren äußern können. Innerhalb dieser Arzneimittelgruppe nahm der Verbrauch von traditionellen NSAR in den USA von 2003 bis 2006 von 57% auf 75% zu, während der Anteil der selektiven COX-2-Hemmer (Coxibe) entsprechend abnahm (43% vs. 25%). Der Anteil der Patienten, die zusätzlich Gastroprotektiva einnahmen, liegt unter 20%.

Mehrere Studien zeigen, dass die Anwendung sowohl von traditionellen NSAR als auch von Coxiben das Mortalitätsrisiko durch gastrointestinale Erkrankungen, Herz- oder Hirninfarkt erhöht. Besonders gefährdet sind ältere (> 65 Jahre) komorbide Patienten, die die Medikamente über längere Zeit einnehmen. Die Mortalität kann vermindert werden durch die Einnahme möglichst geringer Dosen und durch die gleichzeitige Gabe von Gastroprotektiva.

Monoklonale Antikörper bei M. Crohn erfolgreich

Den größten Fortschritt des letzten Jahrzehnts in der Behandlung entzündlicher Darmerkrankungen hat sicher die Einführung von monoklonalen Antikörpern gegen den Tumornekrosefaktor alpha gebracht. In einer Metaanalyse (18 randomisierte Placebo-kontrollierte Studien) wurde die Wirksamkeit von TNF-Antagonisten bei Morbus Crohn überprüft. Nur die monoklonalen TNF-Antikörper Infliximab, Adalimumab und Certolizumab, nicht aber die löslichen TNF-Fusionsproteine Etanercept und Onercept waren hinsichtlich Schweregrad und Remission effektiv.

Die Ergebnisse der Studien ACCENT I & II und ACT I & II belegen darüber hinaus, dass eine begleitende Therapie mit Immunmodulatoren (z.B. Methotrexat) zwar die Hospitalisationsrate bei Morbus Crohn vermindert, die Effektivität der Infliximab-Therapie aber nicht beeinflusst. Es wird deshalb empfohlen, eine begleitende Therapie erst nach strenger Nutzen-Risiko-Abwägung optional einsetzen. Es wurde darauf hingewiesen, dass es keinen Unterschied in der Effektivität der genannten Antikörper gibt und dass sie auch in der Schwangerschaft eingesetzt werden können.

Molekularbiologie der Magen-Darm-Entzündungen

Die Grundlagenforschung versucht, die molekularen Abläufe einer intestinalen Entzündung und ihre Modulation zu erkennen. Derzeit wird auf drei große Ansätze fokussiert:

  • Adhäsionsmoleküle und Integrine,
  • Aktivierung von T-Zellen und
  • Regulation der Apoptose.

Neben der Aufklärung von Signalwegen endogener Entzündungsmediatoren steht die Blockade der zellulären, entzündungspromovierenden Kaskaden im Vordergrund. Dazu nutzt man neue monoklonale Antikörper, Antisense-DNA und spezifische Antagonisten.

Eine Arbeitsgruppe entdeckte den mukosalen Faktor Dickkopf (Dkk) und konnte dadurch den direkten Zusammenhang zwischen Barrierestörungen und Entzündungsinduktion bei der Colitis ulcerosa erklären.

Neuronale Beeinflussung von Entzündungsprozessen

Mit Hilfe elektrophysiologischer Funktionsparameter wurde nachgewiesen, dass neuronale Schäden im entzündeten Gewebe über sehr lange Zeiträume auch in Remissionsphasen nachweisbar sind. Dieser Umstand wird als mögliche Ursache eines neuen Krankheitsschubes diskutiert.

Auch das Zentralnervensystem ist an der Modulation intestinaler Entzündungsprozesse beteiligt. Eine Aktivierung des zehnten Hirnnerven (Nervus vagus) kann inflammatorische Prozesse hemmen. Diese Erkenntnis und die Identifizierung einer bestimmten Untereinheit am Nicotinrezeptor könnten neue Wege für die Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen eröffnen.

Phytopharmakon auch in den USA anerkannt

Auch die Wirksamkeit von Phytopharmaka bei Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes war ein Thema. Von dem gut untersuchten Präparat Iberogast® existieren vier Placebo-kontrollierte Studien mit insgesamt 637 Patienten, die eindeutig eine Verbesserung der dyspeptischen Beschwerden belegen. Zudem wird Iberogast® auch experimentell-pharmakologisch intensiv erforscht. So erwies es sich in einem In-vitro-Modell der akuten gastrointestinalen Entzündung als entzündungshemmend.

Die Digestive Disease Week 2007 war eine perfekt vorbereitete und durchgeführte Veranstaltung. Sie zeigte die Interdisziplinarität und Kooperation der modernen Gastroenterologie, Hepatologie und Viszeralchirurgie. Die nächste DDW findet vom 17. bis 22. Mai 2008 in San Diego, Kalifornien statt.

Prof. Dr. Karen Nieber, Sebastian Michael, Leipzig
Digestive Disease Week
Die DDW ist das größte, jährlich stattfindende internationale Treffen von Fachleuten der Gebiete Gastroenterologie, Hepatologie, Endoskopie und gastrointestinale Chirurgie. Die Vorträge werden ergänzt durch Posterpräsentationen, Demonstrationen neuer Techniken und Geräte, Postgradualkurse, interaktive Computerpräsentationen in Learning Centers und eine Firmenausstellung.
Veranstalter der DDW sind:
American Gastroenterological Association (AGA), American Society for Gastrointestinal Endoscopy (ASGE), Association for the Study of Liver Diseases (AASLD) und Society for Surgery of the Alimentary Tract (SSAT).
Adiponectin und IL-10
Die Funktion des intestinalen Fettgewebes muss nach vorliegenden Befunden neu interpretiert werden. Es hat eine endokrine Funktion und sezerniert das Peptid Adiponectin. Adiponectin und seine pflanzlichen Analoga wirken entzündungshemmend. Der Effekt wird vermutlich über eine Stimulation des antiinflammatorischen Interleukins 10 vermittelt.

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