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Kettenapotheken: Wird die traditionelle deutsche Apotheke daran verelenden?

In seinem Meinungsbeitrag warnt Prof. Dr. H. P. T. Ammon, em. Pharmakologe aus Tübingen und Altpräsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, vor dem Untergang der traditionsreichen deutschen Apotheke, sollte es in Deutschland so weit kommen, dass das Fremdbesitzverbot fällt und Kettenapotheken zugelassen werden. Ammon war vor einigen Jahren selbst Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Firma Gehe.

"Die Vorgeschichte darf ich als bekannt voraussetzen. Es geht darum, dass shareholder von Investoren, die ihrerseits mit der Pharmazie nichts zu tun haben, ihre Profite auf Kosten der traditionellen deutschen Apotheke machen wollen und damit deren Existenz mit dem scheinheiligen und bei Politikern nicht unattraktiven Argument der Kostendämpfung infrage stellen.

Die deutsche Apotheke ist nicht irgend ein Residium aus der Vergangenheit, das man den modernen sogenannten ökonomischen Zwängen opfern kann. Die deutsche Apotheke hat eine faszinierende Historie, sie ist ein spezifisches, deutsches, traditionelles Kulturgut.

Blickt man zurück, so hat die deutsche Apotheke bedeutende Impulse für die Entwicklung von der Chemie- und Pharmaindustrie gegeben.

Der Beruf des Chemikers hat sich letztlich aus dem Apothekenlabor heraus entwickelt, in dem bereits im 18. Jahrhundert chemische Stoffe wie Säuren, Soda, Färbemittel, Textilhilfsstoffe hergestellt wurden. Nicht zuletzt die Erfolge, die die Forschung auf solchen Gebieten erringen konnten, führten dazu, dass sich die Chemie von einer Hilfswissenschaft der Medizin zu einer eigenen Wissenschaft profilierte.

Bedeutende deutsche Pharmaunternehmen haben ihren Ursprung in der Apotheke. Zu den frühesten aus dem Apothekerberuf hervorgegangenen Fabrikanten chemischer Produkte zählt der Apotheker Wolfgang Caspar Fikentscher (1770-1837). Er begann mit der Herstellung von Quecksilberverbindungen, Glaubersalz, Schwefel und Salzsäure, Zinnober, Soda und Chlorkalk. Zu weiteren engagierten Unternehmern zählen die Apotheker Johann Gottfried Dingler, Johann Bartholomäus Trommsdorf, Karl Samuel Leberecht Hermann. Letzterer gründete 1797 die "Königlich Preußische Chemische Fabrik" bei Magdeburg. Eine Reihe weiterer chemischer pharmazeutischer Fabriken sind von Apothekern gegründet worden. 1870 eröffnete Julius Hauff in Feuerbach eine Fabrik, die sich u. a. mit der Herstellung von Salicylsäure beschäftigte. Auch das Unternehmen Dr. Oetker stammt aus dem Apothekerberuf. Der Apothekergehilfe Heinrich Nestlé gründete ein Unternehmen, das sich mit der Herstellung von Kindernahrungsmitteln befasste.

Heute in Deutschland bedeutende Pharmaunternehmen gingen letztlich aus Apotheken hervor. Man denkt an Heinrich Emanuel Merck, Darmstadt, Johann Daniel Riedel, Berlin (Riedel de Haen, später von Hoechst übernommen), Ernst Schering, Berlin, um nur einige der wichtigsten zu nennen. Diese Apotheker begründeten nicht zuletzt den Ruhm "Deutschland, die Apotheke der Welt".

Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, so gibt es auch heute viele kreative Apotheker, die Präparate herstellen, die Gesundheitsinformationszentren etablieren, und nicht zu vergessen sind die in der Pharmaindustrie wissenschaftlich tätigen Apotheker, die seit der Einführung neuer Ausbildungsstrukturen dort in vielen Bereichen (Chemie, Technologie, Pharmakologie, klinische Pharmakologie und Naturstoffe) tätig sind.

Vor diesem geschichtlichen und wissenschaftlichen Hintergrund soll sich der Apotheker in Kettenapotheken, die sich in Fremdbesitz befinden, nur noch als Angestellter verdingen? Unvorstellbar!

Setzt sich die Etablierung der Kettenapotheken bei uns durch, dann wird es selbstständige Apotheker nur noch in wenigen Fällen geben. Es ist schon grotesk, dass Apotheker in der Vergangenheit um ihre Selbstständigkeit gekämpft haben, und das Bundesverfassungsgericht diesem Umstand letztlich dadurch Rechnung getragen hat, dass es die Niederlassungsfreiheit durch Abschaffung der Real- und Konzessionsrechte einführte. Endlich konnte sich jeder Apotheker, der oft jahrelang darunter gelitten hat, dass er über den Angestelltenstatus nie hinauskam, verselbstständigen. Kettenapotheken sind hier für einen Akademiker ein Rückschritt in die Angestelltenposition. Seine Position ist also in Zukunft wieder die Abhängigkeit – diesmal nicht von einem selbstständigen Apothekerchef, sondern von profitorientierten, pharmaziefremden Investoren.

Bereits jetzt ist sichtbar, dass der Apothekerberuf – betrachte ich den Anteil von Studentinnen am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen mit ca. 80% – in erster Linie von Frauen betrieben wird, was den Kettenapotheken in Bezug auf Teilzeitflexibilität sehr entgegenkommt. Dies betrachte ich mit Sorge.

Ich war selbst einmal Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Firma Gehe. Auf meine dezidierte Frage im Rahmen einer Beiratssitzung, ob beabsichtigt sei, auch in Deutschland Apothekenketten einzuführen, wie dies bei Gehe in anderen Ländern bereits der Fall ist, antworteten maßgebliche Vertreter dieser Firma mit einem klaren Nein. Heute weiß ich, dass dies gelogen war. Meine Mitgliedschaft habe ich vor vielen Jahren beendet.

Die hier infrage kommende Firma unterhält bereits in einigen europäischen Ländern Kettenapotheken. Es handelt sich daher auch um ein Fakt, das man auch unter die Rubrik Globalisierung einordnen könnte. Globalisierung nimmt keine Rücksicht auf regionale Besonderheiten. Was viele Menschen davon denken: Rostock lässt grüßen.

Welche Motivation sollte ein Hochschullehrer noch haben kettenangestellte Apotheker auszubilden? In anderen Worten, ich befürchte auch Auswirkungen auf das universitäre Studium und dies nur wegen des Profits fachfremder Investoren.

Die traditionelle deutsche Apotheke im Rahmen der EU auf das niedrigere und möglicherweise traditionsarme Niveau anderer EU Länder durch die Akzeptanz von Mehr- und Fremdbesitz herabzustufen, ist für deutsche Verhältnisse nicht akzeptabel.

Unsere Apothekerkolleginnen und -kollegen sollten sich wirklich überlegen, ob sie diese Verelendung der traditionellen deutschen Apotheke mitmachen wollen.

Ein weiteres Problem sehe ich in der Verfügbarkeit jeglicher Arzneimittel über das Internet. Die deutsche Apotheke war und ist der Garant für eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneistoffen, insbesondere was deren Qualität und flächendeckende Verfügbarkeit anlangt. Mir graut, wie dies unterlaufen wird, wenn ich nur ins Internet schaue. Von Arzneimittelsicherheit kann hier nicht mehr die Rede sein. Wozu brauchen wir eigentlich noch Arzneimittelgesetze, die die Hersteller verpflichten unter gigantischem, finanziellem Aufwand Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachzuweisen, wenn andererseits zum Teil dubiose Arzneimittel über das Internet an einen nichts Böses ahnenden Verbraucher gelangen können. Quo vadis, deutsche Apotheke?"

Prof. Dr. H.P.T. Ammon,Tübingen Altpräsident Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft

Quelle: R. Schmitz, Ch. Friedrich, W. D. Müller: Geschichte der Pharmazie, Govi Verlag, Eschborn 1998 und 2005.

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