Arzneimittel und Therapie

Hypertoniebehandlung

Dr. med. Rainer Düsing

Neuer Therapieansatz mit dem Renin-Hemmer Aliskiren

Seit über 40 Jahren wird intensiv an der Erforschung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems gearbeitet und mittlerweile kann ein Bluthochdruck auch erfolgreich behandelt werden. Trotzdem zählt die Hypertonie – und deren Folgen – nach wie vor zu den Haupttodesursachen. Jetzt wurde mit Aliskiren ein neues Antihypertensivum entwickelt, das in diesem komplexen System ganz zu Beginn der Angiotensin-II-Biosynthese angreift. Über die Vor- und Nachteile des neuen Renin-Inhibitors sprachen wir mit Prof. Dr. med. Rainer Düsing von der Medizinischen Poliklinik am Universitätsklinikum Bonn.

DAZ Herr Professor Düsing, besteht überhaupt ein Bedarf an einem weiteren Antihypertensivum?

Düsing: Ich glaube ja. Allein in Deutschland gibt es 20 Millionen und mehr Hypertoniker mit einer Indikation zur medikamentösen Therapie. Der Anteil der Hypertoniker mit unter Therapie normalisiertem Blutdruck liegt weltweit bei 30% und darunter. Herzinfarkt und Schlaganfall bleiben trotz großer Anstrengungen die beiden wichtigsten gesundheitlichen Bedrohungen. Das alles signalisiert, dass wir uns mit dem Erreichten nicht zufrieden geben können. Wir müssen unsere Anstrengungen vielmehr steigern und dazu gehören auch neue antihypertensive Wirkprinzipien. Obwohl die Entwicklung der Antihypertensiva bis heute bereits große Fortschritte aufweist, z. B. bei der Verträglichkeit, sehe ich Bedarf für neue Behandlungsstrategien und neue Substanzen. So ist es mit der antihypertensiven Therapie bis heute nicht ausreichend gelungen, die kardialen Komplikationen – ganz konkret, den Herzinfarkt – in gewünschtem Maße zu verhindern. Noch mehr Organschutz wäre ebenfalls wünschenswert, denn trotz optimaler Therapie landen z. B. viele Patienten mit Hypertonie und Nierenschädigung immer noch an der Dialyse. Das alles sollte bei hoher blutdrucksenkender Wirksamkeit und maximaler Verträglichkeit erreicht werden.

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Renin ist das Schlüsselenzym der Angiotensin-I-Bildung und stellt damit den ersten Schritt der Reaktionskaskade im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System dar. Worin sehen Sie die klinischen Vorteile, an dieser frühen Stelle in das System einzugreifen?

Düsing: Wenn man das Renin-Angiotensin-System mit einer der bisher verfügbaren Strategien hemmt, also mit ACE-Hemmern oder AT1 -Antagonisten, kommt es zu einer Aktivitätssteigerung von Komponenten des Systems vor dem Ort der Hemmung bzw. der Blockade. Wir wissen nicht genau, ob z. B. die gesteigerte Renin-Aktivität nach ACE-Hemmung und AT1 -Blockade biologisch bedeutsam ist. Indirekte Befunde weisen auf eine prognostisch ungünstige Wirkung einer gesteigerten Renin-Aktivität hin. Dann gibt es biochemische Umwege, so kann nach einer ACE-Hemmung die Synthese von Angiotensin II über andere Enzyme erfolgen. Das erklärt zumindest teilweise warum Angiotensin II im weiteren Verlauf einer wirksamen Therapie mit ACE-Hemmern wieder ansteigt. Angiotensin II, das nach AT1 -Rezeptorblockade in seiner Konzentration ansteigen kann, wird bei seinem Abbau in unterschiedliche Peptide zerlegt, die ebenfalls negative biologische Effekte entfalten können. Das System ganz am Anfang zu blockieren, ohne reaktive Steigerung eines seiner Komponenten, erscheint aus theoretischer Sicht als Vorteil.

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Wie schätzen Sie die Wirksamkeit von Aliskiren im Vergleich zu den ACE-Hemmern und AT1 -Antagonisten, die ja auch im RAAS angreifen, und im Vergleich zu den Diuretika ein? Wie bewerten Sie das Nebenwirkungsprofil von Aliskiren?

Düsing: Die blutdrucksenkende Wirkung von Aliskiren liegt in der Größenordnung, wie wir sie von anderen Antihypertensiva kennen. In einem direkten Vergleich von 300 mg Aliskiren und 10 mg Ramipril pro Tag war unter Aliskiren der systolische Blutdruck signifikant besser abgesenkt (14,7 vs. 12,0 mmHg) und die Responderrate höher (73,1 vs. 65,8%) als unter Ramipril. Dies geht möglicherweise auf die mit etwa 40 Stunden lange Halbwertszeit von Aliskiren und die daraus folgende lange anhaltende Wirkung zurück. In einer Dosis bis 300 mg Aliskiren pro Tag entspricht das Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil auf der Basis der bis heute vorliegenden Daten dem von Placebo. Wir haben es also mit einem Antihypertensivum zu tun, dass den Blutdruck mindestens so gut absenkt wie bereits verfügbare Antihypertensiva, das lange wirkt und in der angebotenen Dosierung von Seiten der Verträglichkeit unproblematisch ist.

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Bei einer hohen Plasma-Renin-Aktivität können auch das Herz und die Nieren geschädigt werden. ACE-Hemmer bzw. Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten regulieren nicht nur den Bluthochdruck, sondern scheinen zudem unabhängige renoprotektive Effekte aufzuweisen. Ist mit solchen Organ-schützenden Effekte beim Renin-Hemmer Aliskiren zu rechnen?

Düsing: Das Renin-Angiotensin-System entfaltet in vielen experimentellen Modellen eine Reihe von Effekten, die als atherogen bzw. organschädigend gewertet werden können. Insofern hat man initial angenommen, dass ein Eingriff in dieses System günstige prognostische Effekte entfaltet. Bei Herzinsuffizienz oder bei Patienten nach Myokardinfarkt konnte man dies mit ACE-Hemmern und AT1 -Antagonisten in mehreren Studien auch gut belegen. Bei der Hypertonie ist dies nicht mit gleicher Überzeugungskraft gelungen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass man – neben den bereits genannten möglichen Einschränkungen – mit ACE-Hemmern und auch mit AT1 -Antagonisten in üblicher Dosierung dieses System nur partiell inhibiert und nicht wirklich ausschaltet. Die Renin-Hemmung lässt hier alte Hoffnungen wach werden, ob es bei der Indikation Hypertonie nicht auch gelingen kann, den Wert einer Blockade des RAAS überzeugender aufzuzeigen.

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Die antihypertensive Therapie erfolgt heute sehr individuell und wird nach einem Stufenplan durchgeführt, der nach einer Monotherapie auch eine Zweier- oder Dreierkombination vorsieht, um eine befriedigende Einstellung des Blutdrucks zu erreichen. Wie schätzen Sie das Potenzial von Aliskiren als Kombinationspartner ein? Sind auch synergistische Effekte zu erwarten?

Düsing: Grundsätzlich kann Aliskiren ähnlich wie ein ACE-Hemmer oder AT1 -Antagonist praktisch mit allen anderen Antihypertensiva kombiniert werden. Ein spezieller Ansatz liegt vielleicht in der Kombination von Aliskiren mit anderen in das Renin-Angiotensin-System eingreifenden Substanzen. Das System wird so kompletter gehemmt als früher möglich. Gleichzeitig wird z. B. der durch ACE-Hemmer ausgelöste Husten durch Aliskiren fast vollständig unterdrückt, die Verträglichkeit des ACE-Hemmers wird also erheblich gebessert.

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Herr Professor Düsing, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dr. Carolina Kusnick

Prof. Dr. med. Rainer Düsing

Medizinische Poliklinik am Universitätsklinikum Bonn

Wilhelmstr. 35 – 37, 53105 Bonn

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