Mögliche Retaxgefahr

Müssen Apotheken bei Cannabis die Genehmigung der Kasse prüfen?

Berlin - 16.04.2024, 07:00 Uhr

Drohen den Apotheken Retaxationen, wenn sie bei Cannabisverordnungen die Genehmigung der Krankenkasse nicht überprüfen? (Foto: IMAGO / epd)

Drohen den Apotheken Retaxationen, wenn sie bei Cannabisverordnungen die Genehmigung der Krankenkasse nicht überprüfen? (Foto: IMAGO / epd)


Medizinalcannabis ist seit knapp zwei Wochen kein Betäubungsmittel mehr. Der Genehmigungsvorbehalt bleibt jedoch bestehen – sind Apotheken verpflichtet, vor der Abgabe die Genehmigung der Krankenkasse zu überprüfen? Die DAZ fragte nach.

Möchten Ärztinnen und Ärzte ihre Patienten und Patientinnen zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit medizinischem Cannabis behandeln, ist vorab eine Genehmigung der jeweiligen Kasse nötig. Das gilt weiterhin – auch wenn Medizinalcannabis inzwischen kein Betäubungsmittel mehr ist. 

An der sozialrechtlichen Regelung, dass keine neue Genehmigung nötig ist, wenn nur die Dosis angepasst oder zu anderen getrockneten Blüten oder zu anderen Extrakten in standardisierter Qualität gewechselt wurde, hat sich ebenfalls nichts geändert. 

Aber was heißt das für die Apotheken? Müssen sie sich die Genehmigung vor der Abgabe zeigen lassen? Und droht ihnen möglicherweise eine Retaxation, wenn sie es nicht tun und keine Genehmigung vorliegt?

Die DAZ bat dazu die ABDA um eine Einschätzung. „Die Apotheke ist nicht verpflichtet zu prüfen, ob eine Genehmigung der Krankenkasse vorliegt“, antwortet die Bundesvereinigung. So ganz möchte sie sich aber wohl doch nicht darauf verlassen, dass die Apotheken damit aus dem Schneider sind – denn eine Retaxsicherheit existiere nicht, wie eine Sprecherin schreibt. „Daher würden wir empfehlen, bei einem neuen Patienten vor der ersten Belieferung eines Cannabisrezeptes sich die Genehmigung vorzeigen zu lassen.“

Zudem hat die DAZ bei Rechtsanwältin und Apothekerin Isabel Kuhlen nachgefragt. Sie erklärt, wo die Unsicherheiten liegen und verweist auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg von Ende 2018. Demnach erwirbt die Apotheke keinen Vergütungsanspruch für die Abgabe von Cannabisblüten, wenn sie sich nicht bei jeder Abgabe die notwendige Genehmigung der Erstverordnung vorlegen lässt. Dieses Urteil sei leider noch immer Welt, klarstellende beziehungsweise eine höchstrichterliche Rechtsprechung gebe es noch nicht, so Kuhlen. 

Bundessozialgericht verweist auf Lieferverträge

Dagegen habe das Bundessozialgericht zur grundsätzlichen Prüfpflicht regelmäßig auf die bestehenden Arzneilieferverträge verwiesen. Das heißt: Der Umfang der Prüfpflicht ist nach wie vor durch die Arzneilieferverträge beziehungsweise im Bereich der Ersatzkassen durch den vdek-Arzneiversorgungsvertrag geregelt. Und so sei etwa im vdek-Vertrag vorgesehen, dass nur die ausdrücklich im Vertrag vorgesehenen Prüfpflichten bestehen. Klarstellend heißt es ausdrücklich: „Im Übrigen sind die Apotheken nicht zur Überprüfung der Verordnungsfähigkeit des verordneten Mittels verpflichtet.“ Da der Vertrag keine ausdrückliche Prüfpflicht hinsichtlich der Genehmigung einer Medizinalcannabis vorsehe, greife aktuell also die Auffangregel, nach der keine Prüfpflicht für den Apotheker bestehe, sagt Kuhlen.

Für Krankenkassen, die nicht dem vdek-Arzneiversorgungsvertrag unterliegen, müssten separate Arzneilieferverträge abgeschlossen werden, so die Anwältin weiter. Soweit in diesen eine Prüfpflicht vorgesehen wäre, müssten die Apotheken das Vorliegen einer Genehmigung im Einzelfall prüfen. „Mir ist jedoch bisher kein Vertrag bekannt, der eine solche Prüfpflicht ausdrücklich vorsehen würde“, sagt Kuhlen.

Neue Anforderungen durch das ALBVVG

Der Genehmigungsvorbehalt ist ohnehin nach wie vor umstritten. Mit dem Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) hatte der Gesetzgeber die Fristen für den Regelfall schon einmal verkürzt: Die Krankenkasse hat nun binnen zwei statt drei Wochen nach Antragstellung zu entscheiden. Sofern eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, ist über den Genehmigungsantrag innerhalb von vier statt zuvor fünf Wochen zu entscheiden. Überdies wurde der Gemeinsame Bundesausschuss beauftragt, einzelne Facharztgruppen und ärztliche Qualifikationen festzulegen, bei denen der Genehmigungsvorbehalt ganz entfällt. Seinen Beschlussvorschlag für eine entsprechende Änderung der Arzneimittel-Richtlinie hat er im vergangenen November vorgelegt – noch ist die Änderung aber nicht umgesetzt.


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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