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Kassenindividuelle Positivliste als Heilmittel für die GKV?

BERLIN (ks). Geht es nach dem Vorsitzenden des Gesundheits-Sachverständigenrats Prof. Eberhard Wille, so könnten in Zukunft fast alle Steuerungsinstrumente in der Arzneimittelversorgung abgeschafft werden. Statt auf eine Vielzahl vergleichsweise moderat wirkender Regularien zu setzen, sollte der Fokus auf wenigen, dafür aber zielführenden Instrumenten liegen. In einem Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium (BMG) spricht sich Wille für die Einführung kassenspezifischer Positivlisten als entscheidendes Wettbewerbsinstrument aus. Zudem soll der Preiswettbewerb auf der Vertriebsebene durch apothekenindividuelle Handelsspannen verstärkt werden.

Die Bundesregierung setzt auf den Pharmastandort Deutschland und möchte die Arbeitsplätze in der Produktion und Forschung und Entwicklung (F&E) von Arzneimitteln erhalten. Zugleich beklagt sie die hohen Arzneimittelausgaben und tüftelt beständig über Möglichkeiten, die Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen zu senken. Auf der Suche nach einem Weg aus diesem Dilemma hat das BMG im vergangenen Jahr ein Gutachten beim Institut für Gesundheitsforschung (IGES) in Auftrag gegeben. Dieses wurde unter Beteiligung des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) sowie der Professoren Wille (Universität Mannheim) und Dieter Cassel (Universität Duisburg-Essen) erarbeitet. Am 15. August stellten Gesundheits-Staatssekretär Klaus Theo Schröder (SPD) und Wille das Gutachten mit dem Titel "Steuerung der Arzneimittelausgaben und Stärkung des Forschungsstandorts für die pharmazeutische Industrie" in Berlin vor.

Standort Deutschland – besser als sein Ruf Für den ersten Teil des Gutachtens verglich das WIdO Deutschland mit sechs führenden Pharmastandorten hinsichtlich der Versorgung, der Ausgaben und dem Wettbewerb im Arzneimittelbereich. Danach steht Deutschland nicht so schlecht da, wie von der Industrie häufig behauptet. Allerdings fällt die Beurteilung des Standorts unterschiedlich aus, je nachdem bei welchem Kriterium angesetzt wird. So bewege sich Deutschland im Mittelfeld, wenn es lediglich um die pharmazeutische Produktion insgesamt geht, erläuterte Wille. Was die Produktion allein der forschenden Hersteller betrifft, musste Deutschland hingegen seinen einstigen Spitzenplatz in Europa räumen. Nunmehr reiht es sich hinter Frankreich und Großbritannien ein. Positiv vermerkt Wille jedoch, dass die Ausgaben für F&E seit Mitte der 90er Jahre wieder steigen – sogar etwas stärker als in den USA und im Schnitt der EU-Länder.

Für den zweiten Teil des Gutachtens untersuchte das IGES die Standortqualität Deutschlands für die Pharmaindustrie anhand der hiesigen Rahmenbedingungen. Dass der Standort Deutschland nicht das beste Image hat, liegt Wille zufolge auch an der Intransparenz der vielen Regulierungen im Arzneimittelmarkt. Denn grundsätzlich stellt sich Deutschland zunächst als durchaus attraktiver Markt dar: Nur hier und in den USA wird ein Arzneimittel gleich nach der Zulassung auch erstattungsfähig. In den meisten anderen Ländern gibt es weitaus rigidere Regeln zur Erstattung. Festbeträge, Zwangsrabatte, temporäre Preisstopps und Ähnliches seien dagegen vergleichsweise "soft", so Wille.

Mit Vergleichslisten zu kassenspezifischen Positivlisten Welche ordnungspolitischen Schlussfolgerungen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen sind, erläutern Wille und Cassel im dritten Teil des Gutachtens. Ihres Erachtens wäre Deutschland besser bedient, wenn es auf seine vielen Steuerungsinstrumente verzichtet und stattdessen verstärkt auf einen Vertragswettbewerb setzt, in den alle Akteure eingebunden werden. Den Erstattungsrahmen sollte dabei –eine GKV-einheitliche Negativliste bilden, die von einem gänzlich unabhängigen Bewertungsausschuss bestimmt wird – mithin weder vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen noch vom Gemeinsamen Bundesausschuss. Von den bekannten Instrumenten würden nur noch die Nutzenbewertung und die Arzneimittel-Richtlinien bestehen bleiben.

Als entscheidenden Wettbewerbsparameter sehen die Gutachter kassenspezifische Positivlisten, die auf der Grundlage so genannter Arzneimittel-Vergleichslisten erstellt werden. In diesen Vergleichslisten werden alle Arzneimittel mit einem gleichen oder ähnlichen Wirkstoff bzw. ähnlicher Wirkweise aufgeführt – gleich ob es sich um ein Generikum, ein patentgeschütztes Präparat oder auch ein Analogarzneimittel handelt. Kommt ein Arzneimittel neu auf den Markt, das eine solitäre Stellung hat, so bleibt es vorerst von der Liste freigestellt bis ein Generikum oder Analogpräparat eingeführt wird. Gibt es hingegen nur einen geringen oder fehlenden Zusatznutzen gegenüber bereits im Markt befindlichen Medikamenten, so gelangt es sofort in die Liste. In Zweifelsfällen einer noch nicht hinreichenden Nutzenbewertung, soll das neue Arzneimittel vorerst keiner Vergleichsliste zugeordnet werden – spätestens nach fünf Jahren soll aber auch hier die Entscheidung getroffen werden. Stehen die Listen, sollen die Kassen nach Willes Vorstellung, mit den pharmazeutischen Herstellern für zwei bis drei Präparate einer jeweiligen Liste Rabatte aushandeln und diese sodann auf ihre hauseigene Positivliste setzen. Die Hersteller sollten dabei bemüht sein, ihre Präparate in möglichst vielen Listen unterzubringen.

Apothekenfestspanne statt Fixzuschlag Auf der Vertriebsebene soll nach Vorstellung der Gutachter zu deutlichen Veränderungen für Apotheker kommen: Sie sollen keine festen Zuschläge mehr erhalten, sondern eine einheitliche, erstattungsfähige prozentuale Distributionspauschale vorgegeben bekommen.

Diese wäre so bemessen, dass daraus die durchschnittlichen Vertriebskosten und eine angemessener Unternehmerlohn für den gesamten Vertrieb (inkl. Großhandel) gedeckt werden können. Sie könnte beispielsweise bei 40 Prozent auf den Herstellerabgabepreis liegen. Den Apotheken steht es allerdings frei, auf einen Teil dieser Pauschale zu verzichten und damit die – ebenfalls neu zu regelnden - Zuzahlungen für die Patienten zu reduzieren.

BMG: Viele Anregungen Staatssekretär Schröder erklärte, das Gutachten enthalte "viele Anregungen" und sei von "besonderem Nutzen" für sein Ministerium. Wenn man die Kassen verstärkt in den Vertragswettbewerb entlassen wolle, müssten diese auch in die Lage versetzt werden, die nötigen Instrumente anzuwenden. Mit der anstehenden Reform wolle man aktiv handelnde Krankenkassen fördern und neue Rahmenbedingungen für sie schaffen. Die Reform-Eckpunkte hätten damit die gleiche Stoßrichtung wie das Gutachten. Kassenindividuelle Positivlisten sind hier zwar nicht konkret vorgesehen, doch würden mit der kommenden Reform viele neue Möglichkeiten für die Kassen eröffnet. Nun, so Schröder, komme es darauf an, ob die Kassen diese auch nutzen. Wille selbst ist schon zufrieden, wenn seine Ideen Anreize für weitere Überlegungen geben. Angesichts der raschen Folge von Gesundheitsreformen in Deutschland und anderen Ländern, sei es durchaus möglich, dass sein Vorschlag in absehbarer Zeit aufgegriffen werde.

Das Gutachten kann auf der Website des BMG herunter geladen werden: www.bmg.bund.de, Rubrik Themenschwerpunkte – Gesundheit – Arzneimittel.

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