Arzneimittel und Therapie

Onkologie: Beurteilung von Mistelpräparaten

Mistelpräparate werden seit vielen Jahren ergänzend zur onkologischen Basisbehandlung eingesetzt und sind ein wichtiger Bestandteil der Komplementärmedizin. Von schulmedizinischer Seite aus wird ihr Nutzen teilweise in Frage gestellt. Nach welchen Kriterien ist der Einsatz von Mistelpräparaten nun zu beurteilen? Reichen die Bewertungsmaßstäbe einer Evidenz-basierten Medizin aus, um die Vielschichtigkeit komplementärmedizinischer Maßnahmen zu beurteilen?

Die wissenschaftlich begründete Krebsmedizin umfasst die konventionelle Therapie, die Supportiv- und Palliativtherapie sowie die Komplementärmedizin. Die Ziele konventioneller Therapieformen werden vorwiegend vom schulmedizinisch-ärztlichen Therapieverständnis her definiert (pathogenetischer Ansatz), die der Komplementärmedizin zusätzlich aus der Wirklichkeit des Patienten (salutogenetischer Ansatz), so Prof. Dr. Gerd Nagel, Stiftung Patientenkompetenz Männedorf, Schweiz. Ethisch begründet sich die Komplementärmedizin also aus dem Recht des Patienten, gemäß seinen persönlichen Denkstilen und Therapieerwartungen selbst etwas für sich zu tun und einen subjektiven Nutzen zu erzielen. Dieser z. B. mit Hilfe von Mistelpräparaten gewonnene subjektive Nutzen wurde in den letzten Jahren durch Wirksamkeitsnachweise gemäß den Standards der Evidenz-basierten Medizin objektiviert.

Was bedeutet Evidenz?

Die Komplementärmedizin räumt dem Patienten das Recht ein, seine persönliche Sicht in das Krankheitsmanagement mit einzubringen, das Konzept der Schulmedizin erfasst hingegen nur den Nachweis einer "Wirkung" (efficacy), das heißt, des Effekts unter idealen Bedingungen einer klinischen Studie. Dem steht Prof. Dr. Franz Porzolt, Ulm, zufolge der Nachweis der "Wirksamkeit" (effectiveness), das heißt, der Nachweis eines Effekts unter Alltagsbedingungen gegenüber. Die Maßstäbe einer Evidenz-basierten Medizin beurteilen den Therapieerfolg im klinischen Alltag, nicht aber unter Alltagsbedingungen, in denen die Wirklichkeit des Patienten mit einfließt. Klinische Studien sind geeignete Methoden, um die Wirkung eines Arzneistoffs unter idealen Bedingungen nachzuweisen, sie sind aber nicht in der Lage, den Einfluss und die Realität des Patienten zu erfassen. Die Beurteilung einer Therapieform gemäß den Kriterien einer Evidenz-basierten Medizin ist einseitig, gefordert ist eine ergänzende Ergebnisforschung, so Porzolt.

Misteltherapie

Mistelpräparate wie z. B. Iscador® werden adjuvant und palliativ eingesetzt. Wie Prof. Dr. Reinhard Saller, Zürich, aufzeigte, werden sie meist in Kombination mit konventionellen Verfahren (Operation, Bestrahlung, Chemo- oder Hormontherapie) angewandt. Primäres Therapieziel ist dabei nicht die direkte Tumorhemmung oder Tumorreduktion, sondern die Verbesserung der Lebensqualität, die Linderung tumorbedingter Beschwerden sowie eine Verringerung der durch Chemo- oder Radiotherapie bedingten Beschwerden. Die Misteltherapie zeigt eine Reihe positiver Wirkungen (z. B. Appetitsteigerung, Gewichtszunahme, Steigerung des Leistungsvermögens und der Lebensqualität), die allerdings durch herkömmliche Evidenzbasierte Studien nicht immer zweifelsfrei bewiesen werden konnten, so Saller. Notwendig sind daher neue Studienkonzepte, in denen auch der Patientenbenefit berücksichtigt und beurteilt wird.

Einsatzmöglichkeiten

Mistelpräparate können bei Tumorerkrankungen eingesetzt werden in der

  • akuten Phase (mit Einschränkungen): supportiv und additiv
  • Rekonvaleszenzphase: Verbesserung der Rehabilitationsfähigkeit
  • chronischen Phase: im Rahmen der Komplementärmedizin

Misteltherapie beim Mammakarzinom

In einer multizentrischen, komparativen, epidemiologischen Kohortenstudie in Deutschland und in der Schweiz wurde die langfristige Komplementärtherapie mit einem Mistelextrakt (Iscador®) bei Brustkrebspatientinnen untersucht. Patientinnen mit primärem, nicht metastasierendem Mammakarzinom erhielten entweder eine konventionelle Therapie oder zusätzlich zur konventionellen Behandlung eine Misteltherapie während mindestens drei Monaten. Die Nachbeobachtungszeit betrug mindestens drei Jahre bzw. bis zum Tod. Im Vergleich mit der parallelen Kontroll-Gruppe wurden in der Mistelextrakt-Gruppe signifikant weniger Nebenwirkungen der konventionellen Therapie, weniger krankheits- und therapiebedingte Symptome und eine längere Überlebenszeit beobachtet.

Bock, P.; et al.: Wirksamkeit und Sicherheit der komplementären Langzeitbehandlung mit einem standardisierten Extrakt aus Europäischer Mistel (Viscum album L.) zusätzlich zur konventionellen adjuvanten onkologischen Therapie bei primärem, nicht metastasiertem Mammakarzinom. Arzneim.-Forsch./Drug Res. 54 (8), 456-466 (2004).

Zum Weiterlesen Alternative Therapien in der Onkologie. Kontroverse Diskussion um die Mistel. DAZ 2005, Nr. 42, S. 65-71. www.deutsche-apotheker-zeitung.de

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