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Mistelpräparate sind keine Zytostatika

Das Interesse an alternativen Heilmethoden nimmt zu – immer mehr Ärzte bieten sie an, aber es fragen auch immer mehr Patienten gezielt danach, ganz besonders bei chronischen und auch allergischen Erkrankungen. Parallel dazu flammt in regelmäßigen Abständen wieder die Frage nach dem Sinn und Unsinn dieser Therapieformen auf, nach dem Nutzen und den Gefahren sowie zunehmend auch nach den Kosten. Aktuell wurde eine Diskussion durch das Handbuch "Die Andere Medizin" ausgelöst, in dem Stiftung Warentest über 50 Therapieformen – Naturheilmittel und Naturheilverfahren – hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit untersuchte. Eingeschlossen waren relativ bekannte Therapien wie Akupunktur, Homöopathie oder Ayurveda ebenso wie umstrittene Verfahren wie Geistheilung oder Bioresonanz.

Im Oktoberheft befasste sich Warentest besonders ausführlich mit Mythen und Tatsachen rund um die Misteltherapie. Anlass für uns, in unserem "Standpunkt" Experten rund um die Misteltherapie zu Wort kommen zu lassen, damit Sie sich eine Meinung bilden können, was dran ist an den Schlagzeilen.

Die Mistel gehört zu den Pflanzen, mit denen sich Wissenschaftler und Pharmazeuten sehr intensiv beschäftigt haben. Ihre Inhaltsstoffe sind weitestgehend bekannt. Die Wirkungen der Viscotoxine und Mistellektine wurden häufig beschrieben und gelten als erwiesen: das menschliche Immunsystem wird beeinflusst, physiologische Zellinteraktionen werden gestört, bei bestimmten Tumorzellen wird eine Apoptose gefördert. So unumstritten diese Einzeleffekte der Mistelinhaltsstoffe sind, so unterschiedlich werden die Wirkungen gewichtet, so kontrovers wird die Misteltherapie bei der Behandlung von Tumoren diskutiert.

Ist der Einfluss von Mistelextrakten auf das Tumorgeschehen günstig oder ungünstig zu bewerten? Wird sogar ein Tumorwachstum stimuliert? Gibt es messbare Parameter, die verfolgt werden können und hierzu eine Aussage zulassen?

Die Befürworter der Misteltherapie halten die Wirkungen und die Wirksamkeit der klassischen Misteltherapie für belegt, die lange Erfahrung und die breite positive Resonanz sehen sie als Bestätigung.

Die Kritiker halten dagegen: ein gewisser Wirksamkeitstrend wird noch anerkannt, die vorgelegten Studien jedoch als nicht ausreichend bewertet, vor allem die Methodik und die große Variabilität der Präparate wird bekrittelt.

Dieser Kritik sollten sich die Hersteller der Mistelpräparate stellen. Modernste technisch-analytische Methoden stehen zur Verfügung, um nicht nur mögliche Wirkstoffe zu identifizieren, sondern auch zu standardisieren. Höchste Qualitätsansprüche werden an die Mistelpräparate gestellt; sie müssen gestellt werden und sie müssen erfüllt werden. Auch und gerade in der komplementären Krebstherapie sollte man sich an den strengen Herstellungsnormen orientieren, die für moderne Phytopharmaka gelten – Stichwort standardisierter Lektingehalt. Denn nur wenn sich die Komplementärmedizin an den allgemein akzeptierten wissenschaftlichen Standards orientiert, werden auch die letzten Skeptiker zu überzeugen sein.

Zum anderen darf nicht vergessen werden, dass das Ziel der Misteltherapie nicht die direkte Tumorschädigung ist, Mistelpräparate sind keine Zytostatika. Krebspatienten im Rahmen der Bewältigung ihrer Krankheit zu stärken, ihr Bemühen um Eigeninitiative und Selbsthilfe in der Krankheit zu fördern, Lebenszufriedenheit und subjektives Wohlbefinden – das steht im Mittelpunkt. Diese Therapieziele müssen ganz eigen bewertet werden und sind nicht unbedingt mit Zahlen und Fakten zu beziffern. Es sollte bedacht werden, dass auch die Evidenz-basierte Medizin nicht die ultima ratio darstellt. Sie hilft, Patienten vor wirklich unsinnigen, teilweise gefährlichen und teuren Therapien zu schützen. Aber man darf sie nicht als der Weisheit letzter Schluss hinnehmen.

Ebenso wie "die andere Medizin" sehr kritisch begleitet wird, sollte auch in der Schulmedizin öfter einmal darüber nachgedacht werden, ob und wann bei welchem Patienten vielleicht einmal von der Leitlinien-orientierten, harten Evidenz-basierten Medizin abgewichen werden kann oder sogar sollte. Bis dahin sollte akzeptiert werden, dass komplementäre Methoden wie die Misteltherapie vor allem in der palliativen Therapie bei Tumorerkrankungen ihren Platz haben.

Damit auch die Anhänger der harten Evidenz-basierten Naturwissenschaft sich nicht benachteiligt fühlen und auf ihre Kosten kommen – lesen Sie ab Seite 83 unseren Bericht von der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Mainz: Wissenschaft auf höchstem Niveau. Von der Pharmakogenomik über transgene Pflanzen bis hin zur Entwicklung komplexer Targets und modernster Techniken in der Entwicklung neuer Arzneistoffe reichte hier das Spektrum. Doch nicht nur die Wissenschaft in Labor und Klinik, nein, auch ganz handfestes Wissen für die Arbeit in der Offizin wurde in Mainz vermittelt – der "Schwerpunkt Demenzerkrankungen" gibt Ihnen Hilfestellungen bei der Beratung!

Carolina Kusnick

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