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Frauenärzte überschätzen Nutzen der Hormontherapie

BERLIN (ks). Die aktuellen Empfehlungen zur Hormonersatztherapie in den Wechseljahren sind in vielen Frauenarztpraxen Deutschlands noch nicht angekommen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), die am 7. Juli in Berlin vorgestellt wurde. Danach sind 79 Prozent der Frauenärzte der Auffassung, die Risiken der Hormonbehandlung würden überbewertet. 43 Prozent meinen, dass in Deutschland gegenwärtig zu wenige Frauen Hormone erhalten.

Im Sommer 2002 wurde die amerikanische Langzeitstudie "Women's Health Initiative" (WHI) abgebrochen, weil sich zeigte, dass sich das Risiko für Brustkrebs, Herzinfarkt und Schlaganfall unter der Gabe von Hormonpräparaten erhöhte. Die britische "One Million Woman Study" bestätigte ein Jahr später das gesteigerte Brustkrebsrisiko. Daraufhin sprachen die amerikanische, europäische und deutsche Zulassungsbehörde (FDA, EMEA und BfArM) sowie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) eng umgrenzte Empfehlungen zur Hormonbehandlung in der Menopause aus: Sie soll nur dann zum Einsatz kommen, wenn schwerwiegende, akute Wechseljahrsbeschwerden beklagt werden – so etwa starke Hitzewallungen und vorwiegend trockene Schleimhautveränderungen im Urogenitalbereich. Zur Prävention von Osteoporose sind Hormonpräparate lediglich dann das Mittel der Wahl, wenn andere Therapieoptionen kontraindiziert sind. Dabei gilt stets: Die Behandlung soll so kurz und niedrig dosiert wie möglich durchgeführt werden. FDA, EMEA, BfArM und AKdÄ sind sich darüber hinaus auch einig, dass eine Hormontherapie nicht geeignet ist, dem Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen, Demenz, Depressionen und Schlafstörungen vorzubeugen. Derartige Präventiveffekte hatte man der Hormontherapie vor dem Abbruch der WHI-Studie nachgesagt.

Verordnungen rückläufig

Als Folge dieser Erkenntnisse sanken in Deutschland die Verordnungszahlen: Vergleicht man das 4. Quartal 2003 mit dem 2. Quartal 2002, so gingen die verordneten Tagesdosen für über 40-jährige Frauen durchschnittlich um 31 Prozent zurück. Dabei zeigen sich innerhalb der Bundesrepublik erhebliche Schwankungen: Während im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Niedersachsen lediglich ein Rückgang um 26 Prozent zu verzeichnen war, lag er im Bereich der KV Brandenburg bei 40 Prozent. Erstaunlich war für die Studien-Autoren auch, dass die Hormon-Verordnungen für über 60-Jährige nicht stärker zurück gingen als bei den bis 59-Jährigen. Sie erhalten nach wie vor mehr als 40 Prozent der verordneten Tagesdosen – obwohl Wechseljahrsbeschwerden in diesem Alter überstanden sein sollten. Für Professor Bernd Mühlbauer, Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie in Bremen und Co-Autor der WIdO-Studie, sind die Verordnungsrückgänge daher noch kein Beleg, dass die Studienlage auch wirklich ins Bewusstsein der Frauenärzte gedrungen ist.

Haltung der Frauenärzte oft im Widerspruch zur Studienlage

Die Studie wollte daher herausfinden, wie Gynäkologen wirklich über die Hormontherapie in der Menopause denken. Anfang 2005 wurden rund 400 niedergelassene Frauenärzte zu diesem Thema befragt. Die Ergebnisse: Jeweils gut ein Drittel vertrat die Auffassung, dass die Hormongabe Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz vorbeugen kann. 85 Prozent gingen sogar davon aus, dass sie depressive Stimmungen verbessern kann. Was die Osteoporose-Prävention betrifft, so gaben lediglich 30 Prozent an, dass Hormone zu diesem Zwecke nur dann angewendet werden sollen, wenn eine klare Kontraindikation für andere Arzneimitteltherapien besteht. Fast die Hälfte der Frauenärzte stimmten dieser Empfehlung der AKdÄ und der Zulassungsbehörden nicht zu. Übereinstimmungen mit diesen Empfehlungen fanden sich hingegen bei der Frage der Dosis und Therapiedauer: 95 Prozent erklärten, die Gaben sollten so kurz und so niedrig dosiert wie möglich erfolgen. Immerhin 70 Prozent stimmten auch der Aussage zu, dass Hormone nur bei starken Wechseljahresbeschwerden zum Einsatz kommen sollten. Daneben besteht bei den Gynäkologen aber offenbar die Tendenz, den Indikationsbereich für Hormone auszudehnen: Mehr als die Hälfte der Befragten sprach sich dafür aus, dass dem Alterungsprozess von Frauen mit Hormonen entgegengewirkt werden sollte. Diese Haltung findet sich übrigens umso häufiger, je älter die Ärzte sind – bei den über 60-Jährigen sind es 71 Prozent, die meinen, es sei wichtig, dem Altern mit Hormonen zu begegnen.

Empfehlungen spielen

untergeordnete Rolle Die Studie untersuchte auch, woher die Gynäkologen ihre Informationen beziehen. Es zeigte sich, dass vor allem die Fachzeitschrift "Frauenarzt" zu Rate gezogen wird. Aber auch die Pharmaindustrie ist für einen Großteil der Informationen verantwortlich – wenngleich diese Informationen von den Ärzten als weniger wichtig eingestuft werden. Die Informationen der AKdÄ, der KVen und des BfArM werden hingegen von sehr viel weniger Frauenärzten genutzt – und noch weniger halten sie für wichtig. Eine Auswertung der Aussagen im "Frauenarzt" sowie der Herstellerinformationen durch das WIdO zeigten ein zwiespältiges Bild auf: Zwar geben sie die Studienlage in der Regel wieder – doch es werden andere Schlussfolgerungen daraus gezogen. Insgesamt werden hier die Risiken als eher niedrig eingestuft. Auch die präventiven Auswirkungen werden positiver dargestellt, als es die Studienlage hergibt.

Für den AKdÄ-Vorsitzenden Professor Bruno Müller-Oerlinghausen sind die Ergebnisse der WIdO-Studie "beschämend für die Ärzteschaft": Alle redeten von Qualitätssicherung, doch offenbar seien die Ärzte nicht in der Lage, diese auch umzusetzen. Er forderte KVen und Fortbildungseinrichtungen für Ärzte auf, sich stärker für die AKdÄ-Empfehlungen einzusetzen. Er verwies darauf, dass die Hormon-Verordnungen in jenen KV-Bereichen am stärksten gesunken sind, die dafür bekannt sind, diese Empfehlungen an ihre Mitglieder weiterzugeben. Die KV Niedersachsen habe hingegen noch nie eine Leitlinie der AKdÄ weitergeleitet, so Müller-Oerlinghausen.

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