Schwerpunkt Hormonersatztherapie

Wechselnde Erkenntnisse über die Wechseljahre

Nicht nur Lipobay® und Vioxx® auch die nicht enden wollende Diskussion über Nutzen und Schaden der Hormon-Ersatz-Therapie (HET) lässt bei großen Teilen der Bevölkerung Unbehagen und wachsendes Misstrauen gegenüber den Industrien und den Kontrollbehörden, aber auch gegenüber den Experten und ihren Studien erkennen.

Erinnern wir uns: Die Studie Women’s Health Initiative (WHI) wurde im Sommer 2002 abgebrochen, weil man zu erkennen glaubte, dass die Risiken der Hormongabe an gesunde Frauen ab der Menopause höher sind als der medizinische Nutzen: Die untersuchten Hormonpräparate erhöhten das Risiko für Brust- krebs, Herzinfarkt und Schlaganfall, die britische One Million Studie bestätigte ein Jahr später das Brustkrebsrisiko. Nationale und in- ternationale Behörden für Arzneimittelsicherheit gaben darauf die Empfehlung heraus, eine Hormontherapie nur noch bei schweren Wechseljahresbeschwerden und bedingt bei postmenopausaler Osteoporose durchzuführen.

Wie weit diese Empfehlungen von den Ärzten befolgt werden, wollte nun das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) wissen. Seine im Juli 2005 vorgestellte Studie –eine Telefonbefragung von Ärzten– kommt zu dem Ergebnis, „dass die Empfehlungen zur Hormontherapie bislang noch nicht in den Arztpraxen angekommen sind. Zwischen evidenzbasierter Studienlage und der therapeutischen Praxis zeigen sich große Unterschiede.“

WIdO hat die Ärzte auch nach den am häufigsten genutzten Informationsquellen gefragt: Ärzte-Fachzeitschriften und Fachgesellschaften sind die wichtigsten, auch die Pharmaberater der pharmazeutischen Industrie haben einen hohen Stellenwert. Offizielle Organe hin-

gegen, wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) oder die Kassenärztliche Vereinigung (KV) spielen kaum eine Rolle. Prof. Dr. Norbert Schmacke, Mitautor der Studie, folgert daraus, dass viele Gynäkologen wohl weit- aus mehr den Informationen der Pharmaindustrie als den „hochwertigen Behandlungsempfehlungen“ der offiziellen Organe folgen. (Also, wenn ich daran denke, dass von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Verdeutlichung des HET-Risikopotenzials die Contergan-Tragödie herangezogen wurde, kann ich gewisse Zweifel der Ärzte an den „hochwertigen Empfehlungen“ dieser Gremien gut verstehen.)

Nun haben zwei aktuelle Veröffentlichungen unsere Erkenntnisse abermals verändert: Die Arbeit von Ross L. Prentice et. al. im American Journal of Epidemiology versucht, die unterschiedlichen Ergebnisse der WHI- und der One Million- Studie in Bezug auf Herz-Kreis- lauf-Probleme zu erklären und bewerten, die Arbeit von M. Dietel et. al. aus dem Pathologischen Institut der Charité Berlin relativiert das Brustkrebsrisiko bei HET. Zwei seriöse Arbeiten, die aber auch nicht einen Schlussstrich unter die Dis- kussion über Nutzen und Risiko von HET setzen werden. Und damit ist nichts anderes gesagt, als dass es so etwas wie eine abgeschlossene Studienlage als Basis einer ein für alle Mal gültigen Behandlungsrichtlinie eben nicht gibt. Bei keiner Therapie.

Was 2002/2003 Wissensstand war, und worauf die Empfehlungen der Sicherheitsexperten beruhen, ist im Sommer 2005 schon nicht mehr letzter Stand der Erkenntnis- se. Und im nächsten Jahr kann wieder alles etwas anders sein.

Leider (aber nicht zu ändern) gibt es in einer solchen Situation viel zu viele divergierende Interessen, die die Diskussion beeinflussen und die Wahrheitsfindung erschweren (oder sogar unmöglich machen): Da gibt es Forscher mit Forschungsmitteln, öffentliche und private Gelder, karrieresüchtige Akademiker, am Profit interessierte Pharmafirmen sowie deren Konkurrenten, die Funktionäre der wissenschaftlichen Gesellschaften und die Kontrollbehörden, deren Experten bei Entscheidungen für oder gegen eine Entwicklung in erster Linie an ihre eigene Sicherheit denken. Da gibt es Journalisten, die enthüllen wollen, und Medien, die die Enthüllungen verkaufen. Da gibt es Frauenärzte, die besser mit Hormonen und Internisten, die besser mit Statinen gegen Herzinfarkt umgehen können, und Orthopäden, die wieder auf andere Weise Frauen vor Osteoporose schützen wollen.

Und, fast hätte ich es vergessen: Da gibt es auch noch das Wissen- schaftliche Institut der AOK, das seinerseits ein Interesse daran hat- te, die WidO-Studie durchzuführen und unter die Leute zu bringen.

Der Arzt darf sich neuen Erkenntnissen aus modernen Studien nicht verschließen und muss versuchen, sie umzusetzen. Er braucht deshalb aber nicht die Erkenntnisse, die er aus der eigenen ärztlichen Erfahrung gewonnen hat, über Bord zu werfen.

Es ist deswegen auch nicht, wie Müller-Oerlinghausen meint, für die Ärzteschaft beschämend, wenn sie nicht immer und nicht immer so- fort den (ständig wechselnden) Empfehlungen der institutionellen Experten folgt, vielmehr spricht es für ärztliche Vernunft, auch der eigenen Erfahrung zu vertrauen.

Klaus Heilmann

 

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisemanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik „Außenansicht“ befasst sich Heilmann mit Themen der Pharma- zie und Medizin aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen

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