DAZ Feuilleton

Fahnen, Tüten, Schachteln

"Von Fahnen und Kapseln – pharmazeutische Papierwaren" heißt eine Sonderausstellung, die bis zum 10. Juli im Sächsischen Apothekenmuseum Leipzig zu sehen ist. Gezeigt werden Verpackungen und Etiketten aus der Zeit zwischen 1870 und 1930 aus der Privatsammlung von Heinz Schmidt-Bachem, Düren.

Welcher Berufskollege könnte sich heute noch vorstellen, nach Feierabend oder vielleicht während des Bereitschaftsdienstes Tüten zu kleben? Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein war es für Apotheker und ihr Personal durchaus üblich, Verpackungen für Pillen, Pulver und andere Arzneien selbst herzustellen. Erst der technischen Entwicklung im papierverarbeitenden Gewerbe war es zu verdanken, dass diese wohl eher lästige Aufgabe professionellen Betrieben übertragen wurde und die Apotheker sich mehr ihren eigentlichen Aufgaben zuwenden konnten.

Ungeliebtes Tütenkleben

Die 1820 in Dresden gegründete Firma H. C. Steinmüller war einer der ersten Betriebe in Deutschland, die Tüten und Verpackungen kommerziell herstellten. 1832 eröffnete Friedrich Melsbach in Sobernheim einen papierverarbeitenden Betrieb. In den 40er-Jahren beauftragte ihn ein befreundeter Apotheker, Verpackungen für Arzneien herzustellen. Offenbar sprach es sich unter den Kollegen rasch herum, dass Melsbach deren spezifische Erwartungen erfüllen konnte. Heute noch beliefert der Familienbetrieb – mittlerweile in fünfter Generation – vornehmlich die Pharmaindustrie und Apotheker mit Verpackungen, Drucksachen und Werbemitteln.

Mit der Verbesserung der Lebensbedingungen verdoppelte sich in Deutschland zwischen 1800 und 1890 die Bevölkerung. Wegen der gleichzeitig erfolgenden Medikalisierung nahm der Bedarf an Medikamenten überproportional zu. Kein Wunder, dass auch der Buchbindermeister Gumpert Bodenheim zahlreiche Apotheker als Kunden gewann. Dieser hatte 1853 in Allendorf an der Werra eine Tütenfabrik gegründet und damit geworben, seine Kunden nun endlich von der "lästigen Aufgabe des Dütenklebens" befreien zu können.

Auch dieser Betrieb expandierte aufgrund der regen Nachfrage nach "pharmaceutischen Papierwaaren". In den 1870er-Jahren beschäftigte Bodenheim 250 Mitarbeiter, die pro Woche vier Millionen Papierprodukte für Kunden im Inland sowie für den Export in alle Welt herstellten. Ab den 80er-Jahren, als mit "Odol", "Knorr", "Liebig's Fleischextrakt" und anderen industriellen Produkten die ersten Markenartikel auf den Markt kamen, stellte er auch im Sinne der Corporate Identity gestaltete Verpackungen her. Im Dritten Reich wurde das Traditionsunternehmen geschlossen.

Werbung mit Geschmack

Die ausgestellten pharmazeutische Papierwaren, die in den drei Unternehmen Steinmüller, Melsbach und Bodenheim zwischen 1870 und 1930 hergestellt wurden, erleichterten nicht nur das Verpacken und die Abgabe von Arzneien, sondern warben auch für die jeweiligen Apotheken. Mit zunehmender technischer Perfektion in der Papierverarbeitungsindustrie wurden sie zuweilen sogar zu Kleinkunstträgern. So zum Beispiel Flaschenetiketten für "Edel-Liköre" der 1793 privilegierten Alten Kurfürsten-Apotheke in Brühl am Markt, auf dem ein mehrfarbiges Porträt des damaligen Landesherrn und Kölner Erzbischofs zu sehen ist.

Ein Beleg dafür, dass Apotheker als "Pharmazeuten mit kaufmännischer Kompetenz" nicht erst heute neben der Abgabe von Arzneien auch für rezeptfreie Gesundheitsprodukte aus eigener Herstellung warben, ist das Etikett für "Dr. Rink's Tonischen Kraftwein", ein Lecithin-haltiges, angeblich blutbildendes, nervenstärkendes, in hohem Maße appetitanregendes Mittel, das exklusiv in der Saarbrücker Hütten-Apotheke verkauft wurde.

Die Engel-Apotheke in Bremen empfahl in den 20er-Jahren den Kunden "Deutsches Sport-Liminat", für die Duisburger "Löwen-Apotheke" wurden mehrfarbige Flaschenetiketten für "Scharfenberg's Carbol-Tinte" gedruckt. Nicht minder aufwändig gestaltet sind die Etiketten für ein "Antiseptisches Heil- und Wundwasser" aus der Apotheke Velden sowie die "Magenstärkung Neunerlei", die in der Adler-Apotheke Aldenhoven hergestellt wurde.

Auch auf den Couverts warben die Apotheker für ihre Offizin, wenngleich meistens nur mit einfarbigem Aufdruck. Ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert ermöglichten Falzmaschinen die industrielle Herstellung von Arzneischachteln. Bemerkenswert ist zum Beispiel eine sechseckige Pappdose für "Apotheker Neumann's Asthma-Kräuterpulver" mit aufgedruckter Gebrauchsanweisung. Mit der individuellen Gestaltung einer Schachtel für "Rheocarin-Pillen" setzte der Besitzer der Victoria-Apotheke Stettin auf den Wiedererkennungseffekt.

Neben Einzelakzidenzien für Apotheken nahmen die spezialisierten Papierverarbeitungsbetriebe auch Druckaufträge von Apothekervereinen an. So informiert zum Beispiel ein Handzettel über Eusanose, ein angeblich zweckmäßig zusammengesetztes, hochprozentiges Nähr- und Kräftigungsmittel, hergestellt und im gesamten Großherzogtum Hessen zum einheitlichen Preis vertrieben durch das Nährmittelwerk H.A.V. des dort ansässigen Apotheker-Vereins. Auch Papiertragetaschen aus der Firma Melsbach sowie mit Logos versehene Seidenpapiere warben schon Anfang des 20. Jahrhunderts für die Kompetenz der Apotheker in Themen rund um die Gesundheit.

Reinhard Wylegalla

Museum

Sächsisches Apothekenmuseum Leipzig GmbH, Thomaskirchhof 12, 04109 Leipzig, Tel. (03 41) 33 65 20, Fax (03 41) 3 36 52 10. Geöffnet: dienstags, mittwochs, freitags, sonnabends und feiertags 11.00 bis 17.00 Uhr, donnerstags 14.00 bis 20.00 Uhr.

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