Fortbildung

Gentechnologie und Gen ethik

Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms und der ethischen Debatte um reproduktives und therapeutisches Klonen steht die Genetik mehr denn je im Spannungsfeld von Wissenschaft, Medizin, Recht, Politik und Kirche. Die Einstellung von Staat und Gesellschaft zur Genetik wirkt sich auch auf die Pharmazie aus. Deshalb hat die Apothekerkammer Schleswig-Holstein ihren diesjährigen Fortbildungskongress am 16. und 17. April in Damp dem Thema "Gen ethik und Gentechnologie" gewidmet.

Gerade in den letzten Monaten genießen rechtliche, moralische und ethische Fragen der Genetik eine besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, wie sich beispielsweise in den Diskussionen zum Verbot "heimlicher" Vaterschaftstest oder um die Verwendung des genetischen Fingerabdrucks zur Überführung von Straftätern zeigt. Die zentrale Frage dabei ist, ob neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Genetik zum Fluch oder zum Segen der Menschheit eingesetzt werden, erläuterte PD Dr. Walther Raasch, der den wissenschaftlichen Teil des Kongresses moderierte.

Der Apotheker hat aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung sowohl die Fähigkeiten als auch die Pflicht, sich in diese Diskussionen einzumischen. Auch der Vizepräsident der Kammer Schleswig-Holstein, Holger Iven, unterstrich die Bedeutung der Fortbildung für den Berufsstand. Dem Patienten muss aber auch Gelegenheit gegeben werden, "den Apotheker zu fordern", was am besten in der wohnortnahen Apotheke möglich sei.

Genetische Polymorphismen und Arzneistoffmetabolismus

Schon seit längerem ist bekannt, dass interindividuelle Unterschiede im Arzneistoffmetabolismus genetische Ursachen haben können. Dies führte bereits in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zur Prägung des Begriffs "Pharmakogenetik" und zur Begründung eines Wissenschaftszweiges, der sich mit der Erforschung genetisch bedingter Variabilitäten der Arzneimittelwirkung befasst.

Eine wichtige Rolle spielen dabei arzneistoffmetabolisierende Enzyme, die einen genetischen Polymorphismus aufweisen, wie Prof. Dr. Ingolf Cascorbi, Kiel, an zahlreichen Beispielen erläuterte. Unter genetischen Polymorphismus versteht man dabei die Existenz von Mutationen im Genlocus eines monogen vererbten Merkmals, die in der Bevölkerung zu mindestens zwei Phänotypen führen, wobei deren Häufigkeit nicht unter einem Prozent liegt.

So haben etwa 10% der Bevölkerung aufgrund einer heterozygoten Mutation eine um ca. 75% reduzierte Aktivität der Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT). Dieses Enzym ist an der Verstoffwechslung von 6-Mercaptopurin und Azathioprin (das im Organismus zu 6-Mercaptopurin umgewandelt wird) beteiligt. Die TPMT inaktiviert 6-Mercaptopurin durch Methylierung zu 6-Methylmercaptopurin.

Bei einer von 300 Personen liegt aufgrund einer homozygoten Mutation überhaupt keine TPMT-Aktivität vor, sodass alternative Abbauwege beschritten werden, die zu toxischen Metaboliten und damit zum Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen wie z. B. Panzytopenie führen. Bei Patienten, die Azathioprin oder 6-Mercaptopurin erhalten sollen, muss also vorher überprüft werden, ob ein Enzymdefekt vorliegt und gegebenenfalls die Dosis angepasst oder eine andere Medikation gewählt werden.

Die größte Rolle im Arzneistoffmetabolismus spielen die Isoenzyme des Cytochrom-P450-Systems. Von klinischer Bedeutung ist z.B. der genetische Polymorphismus der Isoenzyme CYP2D6, CYP2C9 und CYP2C19.

Zu den Substraten von CYP2D6 zählen Neuroleptika wie Haloperidol und Antidepressiva wie Nortriptylin. Bereits vor mehr als 20 Jahren hat man herausgefunden, dass etwa sieben Prozent der weißen Bevölkerung zahlreiche Mutationen im CYP2D6-Gen aufweisen, die entweder zu einem kompletten Verlust der Enzymaktivität oder zu verminderter Aktivität führen. Erstgenannte Patienten werden als "poor metabolizer" bezeichnet.

Wird einem poor metabolizer beispielsweise Haloperidol verabreicht, so treten Nebenwirkungen wie extrapyramidale Störungen in verstärktem Umfang auf. Daher wäre es sinnvoll, vor der Therapie Kenntnis von dem Enzymdefekt zu haben, um die Dosis des Arzneistoffs entsprechend verringern zu können. Bei etwa ein bis zwei Prozent der deutschen Bevölkerung liegt eine CYP2D6-Genduplikation vor, was zu einer erhöhten Synthese des Enzyms führt. Diese Patienten werden als "ultra rapid metabolizer" bezeichnet, sie müssen mit höheren Dosen des entsprechenden Wirkstoffes behandelt werden, wenn die Therapie erfolgreich sein soll.

Das Isoenzym CYP2C9 ist in den Metabolismus von NSAR wie Diclofenac, Indometacin und Ibuprofen sowie des zur Thromboseprophylaxe eingesetzten Cumarinderivats Warfarin involviert. Punktmutationen im CYP2C9-Gen führen zur Expression eines Enzyms mit verminderter Aktivität. Dies führt bei den betroffenen Patienten zu einer verminderten Clearance des Warfarins, sodass höhere Plasmakonzentrationen auftreten. Die Folge ist, dass bei diesen Patienten häufiger eine unerwünschte Blutungsneigung auftritt.

Genetische Varianten treten jedoch nicht nur bei arzneistoffmetabolisierenden Enzymen, sondern auch bei Transportproteinen der Zellmembran auf, beispielsweise beim P-Glykoprotein. P-Glykoprotein transportiert Arzneistoffe wie Digoxin, Paclitaxel, Simvastatin oder Cyclosporin A aus der Zelle ("Effluxpumpe") und wird vom MDR-1-Gen codiert. Mutationen im MDR-1-Gen haben einen Einfluss auf die Synthese von P-Glykoprotein, z.B. im Duodenum. Man vermutet, dass dadurch die Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen wie z.B. Digoxin beeinflusst wird. Die klinische Relevanz dieses Effekts wird jedoch noch kontrovers diskutiert.

Pharmakogenomik für individualisierte Arzneitherapien

Im Gegensatz zum Begriff Pharmakogenetik wurde der Begriff Pharmakogenomik erst in jüngster Zeit geprägt. Er bezieht sich auf das Zusammenwirken der Gene und ihrer Variationen im gesamten Genom. Die Erwartungen an die Pharmakogenomik sind hoch; mit den Erkenntnissen aus der Genomforschung soll die Arzneistoffentwicklung erleichtert und die Arzneitherapie stärker individualisiert werden. Man hofft weiterhin, damit die Ursachen verschiedener (z. B. kardiovaskulärer) Erkrankungen besser aufklären zu können.

Gentechnik versus Biotechnik

Auf methodische Aspekte der Gentechnik und der Biotechnik ging Dr. Ilse Zündorf, Frankfurt, in ihrem Vortrag ein. Beide Begriffe werden fälschlicherweise oft synonym gebraucht. Unter Biotechnik versteht man die technische Nutzbarmachung biologischer Vorgänge (z. B. bei der Hefegärung). Lebende Organismen wie Bakterien, Pilze oder Algen oder isolierte Enzyme werden genutzt, um bestimmte Produkte in großem Umfang darzustellen, die DNA wird dabei jedoch nicht manipuliert.

Auch mithilfe der Gentechnik können Produkte durch lebende Organismen herstellt werden, allerdings geht diesem Prozess eine Isolation und gezielte Veränderung der DNA voraus. Die veränderte DNA wird dann wieder in einen Organismus integriert, der damit völlig neue Eigenschaften erlangt, wie dies z. B. bei der Expression des humanen Insulin-Gens in E. coli der Fall ist.

In Zusammenhang mit der Anwendung der Gentechnik stehende Fragen und Definitionen sind in Deutschland durch das Gentechnik-Gesetz geregelt. So versteht dieses Gesetz beispielsweise unter einem gentechnisch veränderten Organismus (GVO) ein Lebewesen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert wurde, wie es unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht möglich ist. Typische GVOs sind transgene Escherichia coli, Saccharomyces cerevisiae und Ovarialzellen des Chinesischen Hamsters (CHO-Zellen).

In den Verordnungen zum Gentechnik-Gesetz ist geregelt, dass gentechnische Arbeiten nur unter Anwendung bestimmter Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen. Die entsprechenden Laboratorien und Produktionsstätten werden mit Sicherheitsstufen versehen, die von Stufe 1 (kein Risiko für Gesundheit und Umwelt zu erwarten) bis Stufe 4 (hohes Risiko oder begründeter Verdacht eines solchen für Gesundheit und Umwelt) reichen.

Welche wachsende Rolle die Gentechnik heute bei der Arzneimittelentwicklung spielt, lässt sich auch daran erkennen, dass 15 bis 25 Prozent aller jährlich neu eingeführten Arzneimittel gentechnisch hergestellt werden. Zurzeit sind in Deutschland 81 rekombinante Wirkstoffe in 112 Arzneimitteln zugelassen.

Die Gentechnik wird auch zur Gewinnung von Informationen über die Funktion von Genen eingesetzt. Bei transgenen Tieren (meist Mäusen) ist es nicht nur möglich, ein Gen auszuschalten ("Knock-out-Maus"), sondern auch ein Gen in das Tier einzubringen ("Knock-in-Maus") oder die Expression eines murinen Gens herunterzuregulieren ("Knock-down-Maus").

Wissenschaftler begnügen sich jedoch nicht damit, die Funktion von Genen zu kennen, sondern versuchen auch zu ergründen, wann und wie bestimmte Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Mit diesen Fragestellungen befasst sich die Epigenetik, ein noch recht junger Wissenschaftszweig. Ein prominenter Vertreter ist Prof. Rudolf Jaenisch, der diesjährige Rolf-Sammet-Stiftungsgastprofessor der Aventis Foundation in Frankfurt. Seiner Ansicht nach sind die Ursachen für die vielen Misserfolge bei Klonexperimenten mit Tieren auch in fehlenden Kenntnissen über die epigenetische Programmierung zu suchen. Jaenisch hat auch behauptet, dass reproduktives Klonen von Menschen unmöglich ist.

Organe aus Stammzellen züchten?

Prof. Dr. Wolfgang Franz, München, ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob das Züchten von Organen aus embryonalen Stammzellen möglich ist. Wünschenswert wäre dies vor allem für Organe wie das Herz, dessen Erkrankungen (der akute Myokardinfarkt und die chronische Herzinsuffizienz) in der Todesursachenstatistik an erster Stelle stehen. Jährlich werden in Deutschland etwa zwischen 470 und 560 Herztransplantationen durchgeführt, und die Wartezeit auf ein Spenderherz beträgt neun bis 12 Monate. Es ist daher der Wunschtraum der Wissenschaftler, mittels tissue engineering Herzmuskelzellen zu züchten und damit beispielsweise das bei einem Herzinfarkt abgestorbene Herzmuskelgewebe zu ersetzen.

Im Tierversuch sind auf diesem Gebiet bereits erste Erfolge erzielt worden. So ist es heute möglich, aus einzelnen Herzmuskelzellen des Huhns oder aus fetalem Gewebe der Maus Herzmuskelgewebe herzustellen. Zurzeit bemühen sich Franz und seine Mitarbeiter, dieses Ziel auch mit menschlichen Zellen zu erreichen, wobei noch zahlreiche Probleme zu überwinden sind.

Ausgangsbasis sind humane pluripotente embryonale Stammzellen, die aus Israel importiert und dort – entsprechend dem deutschen Stammzellgesetz – vor dem 1. 1. 2002 hergestellt wurden. Nach sechs Tagen Kultivierung im Zellverband (so genannten embryoid bodies) erfolgt eine spontane Differenzierung zu verschiedenen Zelltypen, z. B. zu Herzmuskelzellen (Kardiomyozyten), Immunzellen oder Knorpelzellen. Der Anteil der Kardiomyozyten liegt allerdings normalerweise nur bei etwa acht Prozent. Mithilfe eines speziellen Aufreinigungsverfahrens ist es Franz und seinen Mitarbeitern inzwischen gelungen, diesen Anteil auf 98,5 Prozent zu erhöhen. Eine weitere große Herausforderung besteht darin, Abstoßungsreaktionen des Organismus auf die Zellen weitgehend zu verhindern.

Auch mit dem Einsatz adulter Stammzellen erscheint es möglich, Schäden am Herzen zu reparieren, so beispielsweise durch die direkte Applikation dieser Zellen in den Herzmuskel oder durch Mobilisation mithilfe des Wachstumsfaktors G-CSF. Ob diese Methoden erfolgreich sein können, sollen plazebokontrollierte Studien zeigen, von denen einige bereits durchgeführt werden.

Familienanamnese zur Prophylaxe

Prof. Dr. Heribert Schunkert, Lübeck, plädierte in seinem Referat dafür, bei der Betrachtung von Herzerkrankungen der Vererbbarkeit eine größere Beachtung zu schenken. Allerdings ist es nicht immer leicht, die verantwortlichen Gene zu identifizieren. Bei einigen Herzfehlern, wie z.B. der relativ selten auftretenden Ebstein-Anomalie, ist inzwischen bekannt, dass sie autosomal dominant vererbt wird. Bei koronaren Herzerkrankungen hat man zwar in vielen Fällen eine familiäre Häufung beobachtet, der zugehörige Erbgang konnte jedoch noch nicht identifiziert werden.

Eine isländische Studie mit etwa 10.000 Frauen hat ergeben, dass eine positive Herzinfakt-Familienanamnese neben Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Rauchen und Diabetes einen zusätzlichen Risikofaktor für Herzinfarkt darstellt. Das bedeutet, dass es auf diesem Gebiet noch viele ungenutzte Präventionsmöglichkeiten gibt, betonte Schunkert. Obwohl es in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird, die Herzinfarkt-Gene in der Normalbevölkerung zu kennen, wäre es seiner Ansicht nach sinnvoll, asymptomatische Familienangehörige von Herzinfarkt-Patienten – vor allem Geschwister – auf das erhöhte Erkrankungsrisiko hinzuweisen.

Mit Genen heilen

Dr. Oliver Müller, Heidelberg, erläuterte in seinem Vortrag, dass zwar große Hoffnungen in die Gentherapie gesetzt wurden und werden, dass aber die Erfolge derzeit noch sehr bescheiden sind. Die somatische Gentherapie verfolgt zwei Ansätze:

  • Sie ersetzt bei monogenetisch bedingten Erkrankung (z. B. Mukoviszidose) das fehlende oder mutierte Gen und ermöglicht es damit der Zelle, die entsprechenden Proteine zu synthetisieren.
  • Oder sie bringt DNA-Sequenzen in die Zelle, die verschiedene therapeutisch erwünschte Proteine codieren, z. B. Wachstumsfaktoren (s. u.) oder Antikörper gegen bestimmte Krankheitserreger ("DNA-Impfstoff").

Voraussetzung für das Gelingen einer Gentherapie ist die "Verpackung" des zu übertragenden Gens in einen Vektor ("Genfähre"). Man unterscheidet virale und nicht-virale Vektoren. An beide werden hohe Anforderungen gestellt: Sie dürfen weder toxisch noch vermehrungsfähig sein, müssen eine geringe Immunogenität besitzen und in großen Mengen herstellbar sein.

Beim nicht-viralen Gentransfer kann die DNA – als Plasmid-DNA oder verpackt in Liposomen – direkt in das entsprechende Gewebe injiziert werden. Die Effektivität derartiger Methoden ist jedoch relativ gering, da das von dem jeweiligen Gen codierte Protein nur vorübergehend (einige Tage lang) synthetisiert wird. Die Gentherapie mit viralen Vektoren (gelegentlich auch als "biologische Nanopartikel" bezeichnet) ist effektiver, da der Transfer des Gens effizienter ist und seine Expression länger andauert. Zurzeit kommen Retroviren, Adenoviren oder adenoassoziierte Viren zum Einsatz.

Viele bisherige klinische Studien zur Gentherapie haben leider noch nicht die erhofften Ergebnisse erbracht, so beispielsweise die von der Firma Schering durchgeführte AGENT-2-Studie. In dieser plazebokontrollierten Studie wurde Patienten mit stabiler Angina pectoris das FGF-4-Gen mithilfe eines Adenovirus als Vektor intrakoronar verabreicht. FGF-4 ist ein Angiogenese-Wachstumsfaktor; mit der Therapie sollte also das Wachstum neuer Gefäße im Bereich eines Koronararterienverschlusses angeregt werden. Die Studie, an der ursprünglich 450 Patienten teilnehmen sollten, wurde vorzeitig abgebrochen, da kein signifikanter Unterschied zwischen Verum und Plazebo beobachtet wurde. Offenbar war der Gentransfer ineffizient oder die Genexpression nur vorübergehend.

Im Rahmen der randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Phase-II-Studie "Euroinject One" wurde 80 Patienten mit Angina pectoris ein VEGF-A165-Plasmid mithilfe eines Katheters intramyokardial injiziert. Auch hier sollte der Wachstumsfaktor die Gefäßneubildung anregen. Es wurde jedoch keine signifikante Verbesserung der Durchblutung in den entsprechenden Regionen gefunden. Kürzlich begonnen wurde die NOVA-Studie, bei der ebenfalls Patienten mit stabiler Angina pectoris das Gen für den Wachstumsfaktor VEGF-A165 intramyokardial injiziert wird.

Müller betonte, dass die Gentherapie grundsätzlich nur dann eine Behandlungsoption darstellen sollte, wenn die Möglichkeiten der Pharmakotherapie ausgeschöpft sind und – was die kardiovaskulären Erkrankungen betrifft – auch keine Herztransplantation möglich ist.

Die Pharmakologie "auf den Kopf gestellt"

Dr. Olaf Jöhren, Lübeck, beschrieb in seinem Vortrag den neuen Ansatz der reversen Pharmakologie. Während die klassische Pharmakologie auf der Isolation von Wirkstoffen aus Pflanzen basiert, geht die reverse Pharmakologie den Weg "vom Gen zum Arzneimittel".

Jöhren erläuterte diesen am Beispiel der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR), die eine wichtige Rolle bei der Öffnung und Blockade von Ionenkanälen und der Enzymaktivierung bzw. -hemmung spielen. Unter den 25.000 Genen, die im menschlichen Genom im Rahmen des Human-Genom-Projekts identifiziert wurden, befinden sich etwa 720 Gene für GPCR; bisher ist nur bei etwa der Hälfte dieser Gene die Funktion bekannt. Bei vielen Rezeptoren sind die endogenen Liganden noch nicht bekannt ("orphan receptors").

Man versucht diese Liganden ("hits") zu finden, um sie dann als Leitstrukturen für die Arzneimittelentwicklung zu verwenden. So gelang in den letzten zehn Jahren z.B. die Entdeckung von Ghrelin, Metastin und Relaxin, deren (patho-) physiologische Funktionen jedoch erst teilweise aufgeklärt sind. 1998 wurden mit Orexin A und B zwei Neurohormone identifiziert, die hauptsächlich in Neuronen des lateralen Hypothalamus synthetisiert werden und in der Regulation des Sättigungsgefühls, des Blutdrucks und der Herzfrequenz sowie des Schlaf-Wach-Rhythmus (ein Mangel an Orexin ist Ursache der Narkolepsie) eine Rolle spielen.

Der Arbeitsgruppe um Jöhren ist es gelungen, in Ratten auch ein peripheres Orexin-System zu identifizieren: in den Nebennieren. Hier wird die Synthese der Orexinrezeptoren durch Östrogene und Testosteron reguliert. Der nächste Schritt auf dem Weg vom Gen zum Arzneimittel wäre nun, selektive Orexinrezeptoragonisten bzw. -antagonisten zu finden. Ein potenzielles Anwendungsgebiet dieser Wirkstoffe wäre z. B. die Narkolepsie.

Zurzeit, so Jöhren, befindet sich noch kein mithilfe der reversen Pharmakologie entwickelter Wirkstoff in der klinischen Prüfung.

Die Gen ethik in der Diskussion

Der Rechtsphilosoph Prof. Dr. Reinhard Merkel, Hamburg, und der Theologe Prof. Dr. Dietmar Mieth, Tübingen, beleuchteten in ihren Vorträgen ethische, moralische und rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Embryonenforschung und der Gentechnologie und vertraten dabei durchaus gegensätzliche Positionen.

Merkel verwies in seinem Vortrag mit dem Titel "Streitfall Embryo: Was sagt das Gesetz?" zunächst darauf, dass die Paragrafen 1 und 2 des Grundgesetzes sich nur auf bereits geborene Menschen beziehen und bezüglich der Embryonen "stumm" sind. Laut Verfassung ist der Embryo also kein Grundrechtsträger. Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Abtreibung aus dem Jahre 1993 festgestellt, dass ein Embryo ein Träger der Menschenwürde ist und daher ein Grundrecht auf Leben hat.

Auch das Embryonenschutzgesetz sagt aus, dass Embryonen in Deutschland weder zu Forschungszwecken erzeugt noch zu diesem Zweck getötet werden dürfen. Gleichzeitig wird mit dem Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs die massenhafte Tötung von Embryonen toleriert, da sie zwar rechtswidrig ist, aber straffrei bleibt.

Nach Merkels Ansicht lässt sich aus dieser Rechtspraxis einzig und allein die Schlussfolgerung ableiten, dass ein Embryo in Deutschland keine Person mit Grundrechten ist (auch wenn er im Gesetzestext als "Träger der Menschenwürde" bezeichnet wird), da Privatpersonen letztlich über seinen Tod entscheiden können. Merkel verwies weiterhin darauf, dass ein Embryo dennoch nicht wie eine "Sache" behandelt werden darf, sondern selbstverständlich durch Gesetze geschützt werden muss, auch wenn er keine Grundrechte besitzt.

Seiner Ansicht nach muss ein Embryo und der sich entwickelnde Fötus umso intensiver durch Rechtsvorschriften geschützt werden, je stärker seine subjektive Empfindungsfähigkeit ausgeprägt ist. Wann allerdings der Zeitpunkt gekommen ist, an dem der Embryo oder Fötus empfindungsfähig und damit verletzbar wird, ließ Merkel offen.

Der Theologe Mieth vertrat die Ansicht, dass der Schutz menschlichen Lebens mit dem Zeitpunkt des Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnen muss und dass der Mensch auch in dem frühesten Entwicklungsstadium eine Würde besitzt "einfach weil er Mensch ist". Demgegenüber existiert eine andere Auffassung von Menschenwürde, die diese mit einer bestimmten Qualität des menschlichen Lebens verknüpft, wie es ganz aktuell in den Diskussionen um den Umgang mit Wachkoma-Patienten der Fall ist.

Mieth sprach sich weiterhin dafür aus, bei der Auswahl von Bezeichnungen sehr sensibel mit der Sprache umzugehen. So bezeichnete er die Begriffe "therapeutisches Klonen" und "Gentherapie" als sprachliche Absurditäten, da sie die Hoffnung auf Therapie implizieren, die derzeit noch gar nicht gegeben ist.

 

Dr. Claudia Bruhn, Berlin

Zweimal Gentherapie

In Deutschland ist nur die somatische Gentherapie erlaubt. Dabei erfolgt der Gentransfer in Körperzellen; eine Weitergabe dieser Erbinformationen an die Nachkommen ist nicht möglich.

Bei der Keimbahntherapie, die in Deutschland verboten ist, wird ein Gen in eine Ei- oder Samenzelle oder Zygote eingeschleust. Die veränderte Erbinformation wird an die Nachkommen weitergegeben.

 

Das Wichtigste in Kürze

 

  • Interindividuelle Unterschiede im Arzneistoffmetabolismus können genetisch bedingt sein, z.B. durch genetische Polymorphismen von Cytochrom-P450-Isoenzymen wie CYP2D6 und CYP2C19.
  • Bereits 15 bis 25 Prozent der neu eingeführten Arzneimittel werden mit gentechnischen Methoden hergestellt.
  • Nicht nur die Kenntnis der Funktion einzelner Gene ist von Bedeutung, sondern auch die Frage, wann oder unter welchen Bedingungen die Gene an- und abgeschaltet werden (epigenetische Programmierung).
  • Bei Versuchen, aus embryonalen Stammzellen menschliche Gewebe wie z. B. Herzmuskelgewebe zu gewinnen, sind erste beachtliche Erfolge zu verzeichnen.
  • Eine Heilung von Krankheiten durch Gentherapie ist derzeit noch nicht möglich. Bisherige klinische Studien erbrachten noch nicht die gewünschten Erfolge und wurden meist vorzeitig abgebrochen.
  • Die reverse Pharmakologie geht – basierend auf der Entschlüsselung des menschlichen Genoms – den Weg vom Gen zum Arzneimittel.
  • Um rechtliche, ethische und moralische Fragen im Zusammenhang mit der Gentechnik und der Embryonenforschung gibt es nach wie vor heftige Debatten.

 

 

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