Arzneimitteltherapie

T. WincklerPharmakogenetik – Genomanalyse zur

Es ist eine alte Beobachtung, dass verschiedene Individuen auf eine medikamentöse Therapie in sehr unterschiedlicher Weise reagieren können. Einige Patienten profitieren von der Therapie, während andere keinen Effekt verspüren oder sogar mit unerwarteten Nebenwirkungen des Arzneistoffs konfrontiert werden. Neben Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Alter und Ernährungsstatus oder Leber- und Nierenfunktionen des Patienten tragen erbliche Unterschiede in den Proteinen zum individuell unterschiedlichen Therapieerfolg bei. Die Pharmakogenetik versucht, individuelle Unterschiede in der Wirkung von Pharmaka mit genetischen Polymorphismen in Zusammenhang zu bringen. Ihre Ziele sind eine höhere Effizienz medikamentöser Therapien durch die Vermeidung von Null-Effekten (Non-Responder) sowie eine höhere Arzneimittelsicherheit durch die Vermeidung von Intoxikationen aufgrund zu geringer Metabolisierung der Wirkstoffe.

Genetische Polymorphismen

Vor wenigen Monaten wurde die zu 97% komplette Sequenzierung des menschlichen Genoms im Rahmen des mit öffentlichen Geldern finanzierten Humanen Genomprojektes bekannt gegeben [1]. Das menschliche Genom besteht aus ca. drei Mrd. Basenpaaren und codiert für schätzungsweise 80 000 Gene. Wenn von dem menschlichen Genom die Rede ist, bleibt meistens unberücksichtigt, dass Individuen zwar prinzipiell die gleichen Gene in ihrem Genom tragen, dass diese Gene sich aber aufgrund zufällig auftretender Mutationen voneinander unterscheiden können. Das Humane Genomprojekt liefert demnach lediglich eine Modellsequenz des menschlichen Genoms, weil die sequenzierte DNA von einem Individuum stammt und individuelle Abweichungen zunächst unberücksichtigt bleiben.

Gene mit geringer Abweichung in ihrer DNA-Sequenz (Allele) werden auch als polymorphe Gene bezeichnet. Als relevant für pharmakogenetische Überlegungen gilt ein polymorphes Gen dann, wenn es mit einer Frequenz von >1% in einer Population existiert und mindestens ein Polymorphismus die Aktivität des betroffenen Enzyms verändert.

Metabolisierende Enzyme

Metabolisierende Enzyme sind gleichermaßen bedeutsam

  • in der Inaktivierung und/oder Elimination von Pharmaka aus dem Organismus sowie
  • in der Aktivierung von Prodrugs.

Genetische Polymorphismen bzw. die resultierenden polymorphen Allele codieren unter Umständen für Enzyme mit unterschiedlicher Aktivität. Daraus kann eine reduzierte oder fehlende, aber auch eine verstärkte Metabolisierung von Arznei- und anderen Fremdstoffen in einem Patienten resultieren.

Ist eine metabolische Aktivierung eines Arzneistoffs notwendig für dessen Wirksamkeit, kann eine veränderte Metabolisierungsaktivität in einem Patienten aufgrund genetischer Polymorphismen den Therapieerfolg in Frage stellen. Zudem kann die verstärkte Umsetzung eines Arzneistoffs die Akkumulation toxischer Metaboliten fördern und dadurch unerwünschte Nebenwirkungen verursachen.

Für eine Reihe metabolisierender Enzyme sind mittlerweile genetische Polymorphismen entdeckt worden. Bislang wurde nur für einen Teil von ihnen eine klinische Relevanz der verschiedenen Allele für die Metabolisierungsrate gezeigt.

Allerdings wird vermutet, dass praktisch jedes Gen, das im Arzneistoff- bzw. Fremdstoffmetabolismus eine Rolle spielt, genetisch polymorph ist. So ist zu erwarten, dass in naher Zukunft durch die Forschungsaktivitäten im Rahmen des Humanen Genomprojektes die Liste klinisch relevanter Polymorphismen erheblich verlängert wird.

Daraus folgt unmittelbar, dass das Wissen um genetische Polymorphismen in den Genen des Patienten, die für die Metabolisierung von Arzneistoffen relevant sind, die Effizienz und Sicherheit verabreichter Medikamente deutlich verbessern könnte.

Debrisoquin-/Spartein-Polymorphismus

Im Jahr 1977 beobachteten Ärzte der St. Mary's Hospital Medical School in London bei einem Patienten einen unerwartet starken Abfall des Blutdrucks nach der Gabe des sympatholytischen Antihypertonikums Debrisoquin; sie führten diesen Effekt auf den fehlenden Abbau des Arzneistoffs zurück.

Gleichzeitig beobachtete eine Gruppe von Ärzten unerwartete Nebenwirkungen des Antiarrhythmikums Spartein als Folge einer reduzierten oxidativen Verstoffwechselung des Arzneistoffs [2].

Seit diesen Erkenntnissen werden Individuen auf den Debrisoquin-/Spartein-Polymorphismus experimentell getestet. Dazu wird ihnen eine Testsubstanz wie Debrisoquin verabreicht, worauf die Konzentrationen des unveränderten Arzneistoffs und eines relevanten Metaboliten im Urin bestimmt werden. Dividiert man beide Werte, erhält man den metabolischen Quotienten (MR, metabolic ratio).

Langsame und schnelle Metabolisierer

In einer Studie wurden die MR-Werte verschiedener Individuen auf die Gabe von Debrisoquin untersucht. Man fand eine erstaunliche Bandbreite Debrisoquin-metabolisierender Aktivität in diesen Personen:

  • Langsame Metabolisierer (PM, poor metabolizer) haben MR-Werte über 12, während
  • schnelle Metabolisierer (EM, extensive metabolizer) MR-Werte von 0,1 bis 10 aufweisen.
  • Einige Individuen gehören zu den ultraschnellen Metabolisierern (UEM, ultraextensive metabolizer; in Abb. 2 nicht erfasst) mit MR-Werten unter 0,1 [2, 3].

Solche Tests haben bereits früh gezeigt, dass es signifikante ethnische Unterschiede im metabolischen Quotienten für Debrisoquin gibt. So gehören 5 bis 10% der weißen Population, aber nur 1 bis 2% der asiatischen Bevölkerung zu den langsamen Metabolisierern [2]. Die klinische Relevanz des Debrisoquin-/Spartein-Polymorphismus wird dadurch deutlich, dass mehr als 40 häufig verschriebene Medikamente durch dieses System metabolisiert werden.

CYP2D6-System

Die Entwicklung der Pharmakogenetik begann in den 1980er-Jahren mit der Klonierung des polymorphen menschlichen Gens, das für die Debrisoquin-Hydroxylase codiert, die für den Debrisoquin-/ Spartein-Polymorphismus verantwortlich ist [4]. Die Debrisoquin-Hydroxylase ist ein Cytochrom P450-Enzym des Typs 2D6 (CYP2D6). Nachdem die DNA-Sequenz des codierenden Gens bekannt war, wurden schnell Zusammenhänge zwischen individuellen Unterschieden in der DNA-Sequenz und unterschiedlichen MR-Werten hergestellt (vgl. Abb. 2). Das CYP2D6-System gehört heute zu den bestuntersuchten Beispielen für die Folgen genetischer Polymorphismen in Phase-I-Enzymen auf die Metabolisierung von Arzneistoffen.

Punktmutationen (SNPs) und andere genetische Defekte

Individuelle Abweichungen in den DNA-Sequenzen der chromosomalen DNA sind in der Regel Punktmutationen. Diese "single nucleotide polymorphisms" (SNPs; sprich snips) können ein Gen derart verändern,

  • dass eine Aminosäure im betroffenen Protein gegen eine andere ausgetauscht wird oder
  • dass Stoppkodons neu entstehen, die zu einem vorzeitigen Abbruch der Translation führen, oder
  • dass eine Spleißstelle an einer Exon/Intron-Grenze verändert wird und falsch oder überhaupt nicht gespleißte mRNAs entstehen.

In der Folge entstehen Enzyme mit teils reduzierter, teils fehlender Aktivität oder "Unsinnproteine", die von der Zelle degradiert werden.

Genetische Polymorphismen entstehen auch durch

  • eine komplette oder teilweise Deletion eines Gens, verbunden mit der Abwesenheit des betroffenen Enzyms, oder
  • eine Genamplifikation, meistens verbunden mit einer überhöhten Enzymaktivität.

Epidemiologie der Pharmakogenetik

Im Falle der CYP2D6 wurden mittlerweile mehr als 50 Polymorphismen nachgewiesen. So tragen ca. 20% der weißen Population das Allel CYP2D6*4, das durch eine Punktmutation an einer Exon-/Intron-Grenze gekennzeichnet ist und somit aufgrund des resultierenden Spleißdefekts einen Totalausfall der CYP2D6-Aktivität zur Folge hat [2]. Das CYP2D6*4-Allel kommt in der asiatischen Population nur zu kleiner als 1% vor.

Dagegen ist in der asiatischen Bevölkerung das Allel CYP2D6*10 vorherrschend (33 - 50%), das in der weißen Bevölkerung nur zu 3% vorhanden ist. Das CYP2D6*10-Allel enthält insgesamt vier Punktmutationen, die zu Aminosäure-Austäuschen führen und die Enzymaktivität der CYP2D6 herabsetzen. Die weiße und die asiatische Population tragen das Allel CYP2D6*5, das eine komplette Deletion des CYP2D6-Gens darstellt, mit jeweils etwa 5%iger Frequenz [2].

Es ist hier darauf hinzuweisen, dass die Häufigkeit der Allele (z. B. von CYP2D6*4 und CYP2D6*5 zusammen 25% in der weißen Bevölkerung) nicht gleichbedeutend mit einer kompletten Abwesenheit des funktionellen Enzyms in einem Viertel der Population ist, denn die angesprochenen Allele kommen in aller Regel nicht homozygot in den betroffenen Individuen vor. In der Tat sind heterozygote Träger des CYP2D6*4 oder CYP2D6*5-Allels aufgrund eines vorhandenen intakten Wildtyp-Allels hinreichend mit CYP2D6-Aktivität versorgt und werden phänotypisch als schnelle Metabolisierer eingestuft [3].

Der Phänotyp des langsamen Metabolisierers kommt dadurch zustande, dass zwei die Enzymaktivität reduzierende Allele in einem Individuum aufeinandertreffen, sodass kein voll funktionsfähiges Wildtyp-Gen mehr vorhanden ist. Die große Bandbreite in den metabolischen Quotienten der schnellen Metabolisierer (Abb. 2) erklärt sich ebenfalls durch die Kombination des Wildtyp-Allels mit polymorphen Allelen.

Thiopurin-S-Methyltransferase-Polymorphismus

6-Mercaptopurin und 6-Thioguanin sind Antimetaboliten, die in der Zelle zu Thiopurin-Ribonucleotiden umgebaut werden und als kompetitive Hemmstoffe der Purinbiosynthese sowie der RNA- und DNA-Synthese wirken. Thiopurine wirken besonders stark auf schnell wachsende Krebszellen, die durch einen hohen Grundumsatz und starke DNA-Replikations- und Transkriptionsaktivitäten gekennzeichnet sind. Sie haben eine besondere Bedeutung in der Therapie von Leukämien.

Thiopurine können auf zwei alternativen Abbauwegen inaktiviert werden. Sie werden entweder durch die Xanthinoxidase zu Harnsäure oxidiert oder durch die Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT) methyliert. Im hämatopoetischen System, das das klinisch relevante Therapieziel darstellt, ist die TPMT das einzige System zur Inaktivierung von Thiopurin. Somit ist der Grad der Akkumulation von Thiopurin in den Blutzellen eines Patienten umgekehrt proportional zur TPMT-Aktivität in den Zellen.

Die TPMT-Aktivität unterliegt einem genetischen Polymorphismus im TPMT-Gen: Etwa 10% der weißen Population haben eine um ca. 75% reduzierte TPMT-Aktivität, während jedes 300. Individuum keine messbare TPMT-Aktivität aufweist.

Die Folgen sind offensichtlich: Bei Leukämie-Patienten mit einer unerkannten reduzierten oder fehlenden TPMT-Aktivität führt eine Therapie mit normaler Dosierung von Thiopurin zu erheblichen Nebenwirkungen aufgrund schlechter Inaktivierung des Arzneistoffs. Um auch bei TPMT-defizienten Patienten eine erfolgreiche Therapie mit Thiopurin durchzuführen, muss die Dosis des Arzneistoffs um ca. 90% abgesenkt werden [5].

Diagnose durch Phänotypisierung oder Genotypisierung?

Das Beipiel des genetischen Polymorphismus im TPMT-Gen zeigt in eindrücklicher Weise die Notwendigkeit, individuelle Unterschiede in den für eine medikamentöse Therapie relevanten metabolisierenden Enzymen vor Beginn der Therapie festzustellen. Traditionell kann dies durch eine Phänotypisierung erfolgen, d. h. durch die Applikation einer Testsubstanz und Bestimmung des metabolischen Quotienten. Der Vorteil dieser Methode ist sicherlich, dass die Aktivität des relevanten Enzyms in der konkreten konditionellen Situation des Patienten relativ exakt bestimmt werden kann.

Die Phänotypisierung hat allerdings auch einige problematische Aspekte. So sind zum Teil die Arbeitsprotokolle zur Bestimmung einer Enzymaktivität im Patienten zeitaufwendig und/oder teuer, oder die Testsubstanz selbst hat möglicherweise toxische Nebeneffekte bzw. beeinflusst die Therapie. Manchmal führt eine Phänotypisierung auch zu fatalen Fehlinterpretationen der erzielten Ergebnisse [5].

Die Genotypisierung nimmt im Gegensatz zur Phänotypisierung keine Rücksicht auf tatsächlich vorhandene Enzymaktivitäten, sondern macht aufgrund festgestellter genetischer Polymorphismen Vorhersagen über die zu erwartende Metabolisierung von Arzneistoffen. Somit hat eine Genotypisierung gegenüber einer Phänotypisierung den Vorteil, dass dem Patienten keine Applikation von Testsubstanzen zugemutet werden muss. Ihr Erfolg hängt in kritischem Maße davon ab, dass ein Resultat möglichst schnell und mit großer Zuverlässigkeit erzielt werden kann.

Die Genotypisierung bekannter Polymorphismen erfolgt heute in der Regel so, dass chromosomale DNA aus Blutzellen des Patienten isoliert wird und relevante Genabschnitte in vitro durch die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) amplifiziert werden. Es gibt prinzipiell drei verschiedene PCR-basierte Strategien, um bekannte SNPs zu diagnostizieren:

  • Man kann ein PCR-Produkt generieren, das den SNP einschließt, und die Präsenz des SNP durch anschließende DNA-Sequenzierung des PCR-Fragmentes verifizieren.
  • Sollte zufällig die analysierte Mutation die Erkennungsstelle für eine Restriktions-Endonuclease entweder neu generieren oder entfernen, kann der SNP durch einfachen Restriktionsverdau der erhaltenen PCR-Fragmente bestätigt werden.
  • Alternativ dazu arbeitet man mit PCR-Primern, die genau an der DNA-Sequenz binden, die auch den SNP enthält. Somit erhält man ein PCR-Produkt nur dann, wenn der SNP tatsächlich in der analysierten DNA vorhanden ist.

Genotypisierung im Genom-Zeitalter: Pharmakogenomik

Eine Erweiterung des pharmakogenetischen Ansatzes zur Vorhersage von individuell unterschiedlichen Arzneimittelwirkungen wäre die Annahme, dass Pharmaka mit vielen verschiedenen Genprodukten in einem Organismus interagieren (nicht nur mit metabolisierenden Enzymen, sondern auch mit Rezeptoren, Transportproteinen etc.). Weiterhin kann man davon ausgehen, dass in jedem Individuum eine einmalige Kombination genetischer Polymorphismen in den für Arzneistoffwirkungen relevanten Genen vorhanden ist. Demnach wäre es eine logische Konsequenz, eine genomweite Suche nach Genen durchzuführen, die für die Wechselwirkung von Arznei- und/oder Fremdstoffen mit dem menschlichen Organismus infrage kommen und genetische Polymorphismen aufweisen. Die neue Disziplin Pharmakogenomik hat sich dieser Aufgabe verschrieben.

Pharmakogenomik ist demnach eine Synthese aus funktioneller Genomik und molekularer Pharmakologie. Sie beschäftigt sich nicht mit der Suche nach Genen oder Genmutationen, die für das Auftreten einer bestimmten Krankheit (mit-)verantwortlich sind, sondern versucht, potenzielle Ziele (Proteine) für Arzneistoffe zu identifizieren und nach individuellen Variabilitäten der codierenden Gene zu forschen. Dadurch sollen Populationen identifiziert werden, die in besonderem Maße von einer bestimmten Medikation profitieren.

Für pharmakogenomische Überlegungen liefert das Humane Genomprojekt mehrere wichtige Informationen. So werden Datenbanken erstellt, die

  • die Gesamtheit der im menschlichen Genom codierten Gene (das Proteom) sowie
  • die Subfraktionen aus der Gesamtheit aller Gene, die in definierten Zelltypen oder Geweben exprimiert werden (Transkriptome) auflisten.

Das bedeutet, man erhält eine Liste von DNA-Sequenzen derjenigen Gene, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Zelltyp exprimiert werden [6]. Diese Informationen sind wichtig, um vor Beginn einer medikamentösen Therapie beurteilen zu können, welche therapierelevanten polymorphen Gene in den Geweben des jeweiligen Patienten vorhanden sind und welche Veränderungen der "normalen" Aktivitäten relevanter Enzyme zu erwarten sind.

Suche nach SNPs

Die Suche nach individuellen Punktmutationen (SNPs) ist ein dem Humanen Genomprojekt (HGP) nachgeschaltetes Projekt. Sie kann einerseits unter pharmakogenetischen Gesichtspunkten problembezogen betrieben werden, d. h., es werden gezielt SNPs in bereits bekannten therapierelevanten Genen aufgespürt. Andererseits kann man ohne rationalen Hintergrund alle SNPs im humanen Genom auflisten, um nach erfolgter Genfunktionsanalyse innerhalb des HGP für jedes Gen, das zukünftig als bedeutsam für individuelle Variationen von Therapieerfolgen erkannt wird, die entsprechenden SNP-Daten zu kennen. Welche dieser beiden Vorgehensweisen ist die bessere? Für pharmakogenomische Überlegungen sind die SNPs in codierenden Bereichen des Genoms (cSNPs) von Bedeutung. Allerdings treten cSNPs aufgrund der evolutionären Selektion mit wesentlich geringerer Frequenz (etwa 1/1000) auf als SNPs in nichtcodierenden DNA-Regionen. Man muss sich also fragen, wieviele SNPs man mit einem ungerichteten, genomweiten Ansatz identifizieren muss, um jedes Gen unseres Genoms hinreichend abzudecken. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde diese Frage beleuchtet:

Nickerson und Kollegen [7] untersuchten Sequenzvariationen in einem 9,7 kb (Kilobasenpaare) großen DNA-Abschnitt, in dem sich das Gen für die Lipoprotein-Lipase (LPL) befindet, welches möglicherweise an der Ausbildung von kardiovaskulären Erkrankungen beteiligt ist. Die Autoren fanden in 71 untersuchten Individuen 79 SNPs, von denen jedoch nur sieben in der codierenden Region des DNA-Abschnitts lagen. Nur vier der sieben identifizierten cSNPs verändern die Sequenz der LPL.

In einer genomweiten Suche müssten demnach vier SNPs pro 10 kb sicher identifiziert werden, um einigermaßen verlässliche Aussagen über das eventuelle Vorhandensein relevanter Polymorphismen machen zu können. Im derzeit gültigen Fünfjahresplan des National Human Genome Research Institute, das den mit öffentlichen Geldern geförderten Teil des HGP koordiniert, gibt es Bestrebungen, eine "hochauflösende" SNP-Karte mit ca. 100 000 SNPs zu erstellen [8]. (Es existiert bereits eine SNP-Datenbank am National Center for Biotechnology Information, NCBI, in Bethesda, die derzeit ca. 26 500 SNPs enthält [9].) Mit dieser SNP-Karte wäre bei der Genomgröße von ca. 3 Mrd. Basenpaaren (3 Mio. kb) die Identifizierung von nur einem SNP pro 30 kb wahrscheinlich.

Auf das LPL-Gen bezogen bedeutet dies, nur mit einer Chance von 1:3 einen Treffer zu landen, während man schon vorher vier möglicherweise für die Ausbildung kardiovaskulärer Erkrankungen bedeutsame SNPs erkannt hatte. Folglich ist der derzeitige praktische Nutzen dieser Strategie zweifelhaft [7, 10].

Die Anstrengungen zur Identifizierung weiterer SNPs gehen jedoch weiter [11]. Ziel einiger internationaler akademischer und industrieller Konsortien ist derzeit die Erstellung einer SNP-Map mit einer Dichte von ca. 1 : 3 kb, was ungefähr einer Million SNPs im gesamten Genom gleichkommt.

Pharmakogenetische Überlegungen in Therapie und Arzneistoffentwicklung

Im Gegensatz zur bisherigen "One-medicine-fits-all"-Strategie kann man mit Hilfe der Pharmakogenetik spezifischere Pharmaka entwickeln, die auf einem tieferen Verständnis des Zusammenhangs von genetischer Variabilität mit unterschiedlichen Medikationserfolgen basieren. Ziel ist eine Individualisierung medikamentöser Therapien mit besonders effizienten und sicheren Arzneimitteln, die auf die genetische Konstitution eines bestimmten Patienten abgestimmt sind [12].

Um dem Patienten eine individuell angepasste, optimale Therapie zu ermöglichen, ist eine effiziente genotypische Diagnose des Patienten erforderlich. Nur so findet man den bestmöglichen Wirkstoff in einer optimalen Dosierung für den jeweiligen Patienten heraus.

Natürlich erfordert die Individualisierung medikamentöser Therapien die Bereitstellung optimierter Arzneimittel durch die Industrie. Für die pharmazeutische Industrie erschließt ein Arzneimittel, das von einem möglichst großen Teil der Bevölkerung angewendet wird, einen Markt mit maximalem Gewinn, sodass die Entwicklung von Pharmaka für einen geringen Konsumentenkreis kommerziell nicht von Interesse zu sein scheint. Dies könnte sich jedoch in Zukunft ändern, weil die Berücksichtigung pharmakogenomischer Daten zu einer Reduktion der Entwicklungskosten für Arzneimittel führen könnte.

Die pharmazeutische Industrie investiert von der Identifizierung bis zur Markteinführung ca. 500 Mio. US-Dollar für jeden neuen Wirkstoff, wobei die notwendigen klinischen Studien den Großteil der Mittel erfordern [13]. Dabei schaffen ca. 80% aller potenziellen Wirkstoffe nicht die Zulassung, weil sie sich entweder als wirkungslos am Menschen erweisen oder aber unerwartete toxische Wirkungen zeigen.

Eine genetische Vorselektion von Probanden für klinische Studien in Responder und Non-Responder ist in besonderer Weise geeignet, die hohen Kosten klinischer Studien durch eine optimierte Akkumulation von Daten zu kompensieren. Denn durch die Elimination potenzieller Non-Responder sind geringere Probandenzahlen für eine statistisch signifikante Aussage über Arzneimittelwirkungen notwendig.

Szenario: eingeschränkte Zulassung

Außerdem wird die statistische Signifikanz durch höhere Zahlen von Individuen mit "normaler" Reaktion auf den Wirkstoff verbessert. Insbesondere könnte ein Wirkstoff, der im Test an wahllos ausgesuchten Probanden keinen signifikanten Effekt hätte und daraufhin nicht weiter erforscht werden würde, in einer genetisch definierten Subpopulation signifikante Effekte aufweisen und eine für diese Subpopulation eingeschränkte Zulassung erhalten (und somit Profit erzielen).

Es gibt daher kaum einen Zweifel, dass pharmakogenetische Ansätze zukünftig immer stärker in den Zulassungsverfahren eine Rolle spielen werden. Zwar gibt es zur Zeit noch keine Richtlinie vom Gesetzgeber, die die Erhebung und Einbeziehung pharmakogenetischer Daten im Zulassungsverfahren vorschreibt. Dennoch kann es sehr wohl von Vorteil sein, seitens der pharmazeutischen Industrie solche Daten zu erheben und in den Zulassungsanträgen mit einzubringen. Dies gilt insbesondere, wenn der Wirkstoff ein enges therapeutisches Fenster besitzt und der Einfluss metabolisierender Enzyme oder anderer polymorpher Proteine in der Pharmakologie eine Rolle spielt.

Tabellen und Abbildungen s. Printausgabe der DAZ.

Literatur: [1] www.nhgri.nih.gov/HGP [2] Meyer, U.A., and U.M. Zanger: Molecular mechanisms of genetic polymorphisms of drug metabolism. Annu. Rev. Pharmacol. Toxicol. 37, 269 - 296 (1997). [3] Linder, M.W., R.A. Prough and R. Valdes jr.: Pharmacogenetics: a laboratory tool for optimizing therapeutic efficiency. Clin. Chem. 43, 254 - 266 (1997). [4] Gonzales, F.J.: Nature 331, 442 (1988). [5] Krynetski, E.Y., and W.E. Evans: Pharmacogenetics of cancer therapy: getting personal. Am. J. Hum. Genet. 63, 11 - 16 (1998). [6] www.ncbi.nlm.nih.gov/dbEST. [7] Nickerson, D.A.: Nat. Genet. 19, 233 - 240 (1998). [8] Collins, F.S., et al.: New Goals for the U.S. Human Genome Project: 1998 - 2003. Science 282, 682 - 689 (1998). [9] www.ncbi.nlm.nih.gov/SNP. [10] Chakravarti, A.: It's raining SNPs, hallelujah? Nat. Genet. 19, 216 - 217 (1998). [11] Roberts, L.: SNP mappers confront reality and find it daunting. Science 287, 1898 - 1899 (2000). [12] Marshall, A.: Getting the right drug into the right patient. Nat. Biotechnol. 15, 1249 - 1252 (1997). [13] Housman, D., and F.D. Ledley: Why pharmacogenomics? Why now? Nat. Biotechnol. 16, 492 - 493 (1998). [14] Evans, W.E., and M.V. Relling: Pharmacogenomics: Translating functional genomics into rational therapeutics. Science 286, 487 - 491 (1999).

Dass Patienten auf eine standardisierte Medikation sehr unterschiedlich reagieren können, liegt auch an ihrer individuellen Ausstattung mit Enzymen. So gibt es für bestimmte Abbauwege jeweils schnelle und langsame Metabolisierer. Die Enzymausstattung ist genetisch prädisponiert. In diesem Umstand liegen nicht nur Gefahren für die Sicherheit und den Erfolg einer Arzneitherapie, sondern auch Chancen für die Arzneistoffentwicklung: In Zukunft könnten innovative Präparate gezielt für ausgewählte Bevölkerungsgruppen entwickelt und zugelassen werden. 

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