Beratung

Das BVA-Netzwerk Patientenkompetenz

Nach erfolgreich abgeschlossener Erprobungsphase ist im Februar 2003 das BVA-Netzwerk zur Berater- und Patientenkompetenz mit dem Modul Krebsberatung in Betrieb gegangen. Die Ausweitung auf andere Fachbereiche erfolgt schrittweise. Ziel des Netzwerks ist die Unterstützung der Beratungsapotheke bei ihrer unternehmerischen Neuorientierung und die Förderung der Beratungskompetenz des Apothekenpersonals.

Die Entwicklung zur Beratungsapotheke mit neuen Dienstleistungen ist in vollem Gang. Dabei ist der Anbieter von Dienstleistungen zunehmend durch "Patientenkompetenz" gefordert.

Aber noch verfügen nur wenige Apotheken über die Beratungskompetenz, Ausstattung und Dienstleistungsangebote, die den steigenden Ansprüchen solch kompetenter Kunden genügen. Hier gibt es für Mitglieder im Netzwerk nun willkommene Unterstützung.

Hintergrund und Entstehung des Netzwerks

Patientenkompetenz

Waren Patienten früher eher stumme Objekte der Medizin, so brechen sie heute ihr Schweigen. Das Gesundheitswesen im 21. Jahrhundert wird wesentlich von kompetenten Patienten und gesundheitsbewussten Bürgern mitgeprägt werden.

Was sind kompetente Patienten, und wieso haben sie prägende Einflüsse auf das Gesundheitswesen? Kompetente Patienten glauben an unsere westliche, krankheitszentrierte Medizin, aber nicht nur. Sie glauben auch an das Prinzip der Salutogenese, an die eigenen Kräfte zur Gesunderhaltung, Krankheitsbewältigung und Genesung. Sie wollen beides, Medizin und Komplementärmedizin. Die eine für die Krankheit im Menschen, die andere für den Menschen in der Krankheit.

Kompetente Patienten und deren Angehörige entwickeln Konzepte zur Selbsthilfe. Nicht selten nach dem Motto: Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott. Hinter dem Selbsthilfemotiv stecken eigene, für die Betroffenen ganz typische Denkstile und Handlungsweisen. Diese haben mit dem subjektiven Krankheitserleben sowie mit psychologisch bedingten Mustern der Krisenbewältigung zu tun.

Patientendenkstile unterscheiden sich oft fundamental von den Denkstilen der Medizin. Typisch ist dies zum Beispiel bei Krebserkrankungen. Die Medizin erklärt Krebs als ein primär lokalisiertes, auf molekulargenetischer Ebene beginnendes Ereignis. Patienten hingegen vertreten eher die Auffassung, dass die Krebsentstehung mit der persönlichen Lebensweise, mit Fehlverhalten, Stress, chronischer Abwehrschwächen zu tun hat.

Solche Vorstellungen der Patienten finden in medizinischen Handlungsmustern jedoch kaum Berücksichtigung. Kompetente Patienten nehmen dies heute nicht mehr hin. So wie sie den Denkstil von Therapeuten, Arzt und Apotheker anerkennen, erwarten sie umgekehrt Respekt für die eigenen Krankheits- und Therapievorstellungen. Nur, diese Erwartung wird von der Medizin allzu oft nicht erfüllt. Viel zu häufig fühlen sich Patienten mit ihren Gedanken allein gelassen. Am ehesten glauben sie noch in ihrer Apotheke, mit der sie ein traditionell gutes, persönliches Verhältnis verbindet, verstanden zu werden.

Kompetente Patienten suchen Informationen. Sie finden diese in solcher Menge, dass sie durch Überinformation verunsichert werden. In dieser Situation hilft nur adäquate Orientierung und nicht noch mehr Information weiter. Wie bewerte ich die vorhandene Information – mit dieser Frage gehen kompetente Patienten auf die Suche nach kompetenten Beratern.

Kompetente Patienten sind in überwiegender Zahl Patienten mit ausgeprägten Prophylaxebewusstsein oder solche mit chronifizierten Zuständen, die negative Auswirkungen auf die Lebensqualität haben. Da kann man nichts oder nichts mehr machen – eine solche Aussage akzeptieren kompetente Patienten nicht. Sie suchen nach Wegen und Auswegen in ihrer Situation.

Ein Attribut kompetenter Patienten ist neuerdings auch ihr stetig ansteigendes Qualitätsbewusstsein für die zur Selbsthilfe, Gesundheitsförderung und Lebensorientierung angebotenen Dienstleistungen und Produkte. Wurde beispielsweise noch vor einigen Jahren irgendein Antioxidanzienpräparat verlangt, wird heute gefragt, welches der verfügbaren Präparate vom Apotheker empfohlen wird und warum, wie es sich von anderen unterscheidet und welche Belege es dafür gibt.

Die meisten kompetenten Patienten waren schon vor ihrer Erkrankung besonders gesundheitsbewusst, unabhängig im Denken und bereit, Mitverantwortung zu tragen. Eine so eingestellte, oftmals jüngere Generation beeinflusst zunehmend auch die noch eher angepasste ältere Generation.

Kurz: Kompetente Patienten mischen sich aktiv in ihre eigenen Angelegenheiten ein. Sie verstehen sich als Mitverantwortliche in der Medizin und wollen als solche behandelt werden. Sie glauben an ihren inneren, heilenden Arzt und möchten, dass dieser vom äußeren, behandelnden Arzt als Kooperationspartner angesprochen wird. Kompetente Patienten fragen ihren Arzt oder beratenden Apotheker!

Beratungskompetenz

Wenn sich kompetente Patienten heute an ihren Arzt oder Apotheker wenden und hier wirklich Orientierungshilfen bekommen, steigt ihre Compliance, und es steigt ihre Bereitschaft, einen eigenen, zusätzlichen Kostenbeitrag zur Krankheitsbewältigung zu leisten. Zugleich sinkt das Risiko, dass sie bei der Paramedizin landen. Derartig fach- und sozialkompetente Orientierungshilfen sind heute jedoch noch nicht einfach zu finden.

Bei den bisherigen Schulungsprogrammen des BVA und der Klinik für Tumorbiologie Freiburg zur Beratungskompetenz wurden den Teilnehmern, es waren vorwiegend Apotheker und Apothekenangestellte, regelmäßig die Fragen gestellt, wer schon einmal an einem Lehrgang zur Schulung der Beratungskompetenz, Gesprächsführung und Kommunikation teilgenommen hat, oder, wer die Denkstile von Patienten, die Metaphern in der Patientensprache und die Motive kennt, die Betroffene dazu führen, sich komplementärmedizinisch zu orientieren. Obwohl diese Kenntnisse Basisvoraussetzung für die Beratungskompetenz sind, wurden sie nur von wenigen erworben und anschließend eingeübt.

Dieses Manko ist Folge der Ausbildung und des medizinischen und pharmazeutischen Berufsverständnisses. Plakativ verkürzt: Der Arzt wurde dazu erzogen, Krankheiten zu therapieren, der Apotheker Arzneimittel zu verkaufen. Solch traditionelle Konzeption weicht erst langsam der moderneren, welche den angestammten beruflichen Auftrag erweitert um eine sozialkompetente Dimension, nämlich das Handeln im Einklang mit den subjektiven Behandlungsvorstellungen des Patienten.

Die Notwendigkeit, die Beratungskompetenz der Apothekerschaft zu verbessern, wurde vor wenigen Jahren von den Fachverbänden erkannt. Seitdem gibt es ein quantitativ und auch qualitativ wachsendes Trainingsangebot zur Beratungskompetenz. Medienhäuser bringen erstes Arbeitsmaterial für die Beratungspraxis heraus.

Eigentliche Beratungsallianzen sind im Entstehen. Man glaubt gelegentlich schon, die Profile der künftigen Beratungsapotheken zu erkennen. Ja, es gibt einige wenige Modellapotheken, die völlig neue, lohnende Tätigkeitsfelder im Apothekenbereich erschließen. Dennoch, vor dem großen Sprung in die Beratungsapotheke des 21. Jahrhunderts schrecken viele noch zurück, weil sie zurzeit noch mehr Probleme als Problemlösungen vor sich sehen.

Zur Situation der modernen Beratungsapotheke

Von verschiedenen Seiten wird heute eine Analyse zur Situation der Apotheken vorgenommen, in erster Linie natürlich von der Apothekerschaft und ihren Verbänden selbst. Aber auch andere Institutionen sind an dieser Analyse beteiligt. So geht das im nächsten Kapitel beschriebene "BVA-Netzwerk Patientenkompetenz" auf eine gemeinsame Initiative des Bundesverbands der Angestellten in Apotheken (BVA), der Klinik für Tumorbiologie Freiburg und des Patienten-Vereins Kirstins WEG zurück.

Diese drei Institutionen haben sich zunächst unabhängig voneinander die Förderung der Kompetenz von Patienten und ihren Beratern zum Ziel gesetzt. Sie haben sich dann jedoch unter dem Motto "kompetente Patienten brauchen kompetente Berater" zusammengetan und ihre Aufmerksamkeit speziell der modernen Beratungsapotheke gewidmet.

Der Bundesverband der Angestellten in Apotheken hat seit dem Jahr 2000 gemeinsam mit der Klinik für Tumorbiologie Freiburg eine Reihe von Abendveranstaltungen und Wochenendseminaren zum Thema Beratungskompetenz durchgeführt. Bis heute haben ca. 2000 Apotheker(innen) und Apothekenangestellte diese Veranstaltungen besucht. Bestandteil der Veranstaltungen waren auch Gesprächskreise zu den Herausforderungen, vor denen Apotheken heute stehen. Besonderer Wert wurde dabei auf die Beschreibung der spezifischen Situation der Beratungsapotheken gelegt.

Die Klinik für Tumorbiologie (KTB) hat seit 1998 ein Team von verschiedenen Spezialisten aufgebaut, das sich eingehend mit dem Thema "Beratungsmedizin = Zukunftsmedizin" befasst, neue Modelle der Beratungsmedizin entwirft und im Rahmen der Second Opinion praktisch erprobt. Seit dieser Zeit besteht auch eine enge Verknüpfung der KTB zur Apothekerschaft, zu Apothekerkammern und ihren Schulungsgremien, zum BVA und zu Apotheken, die sich in Beratungs- und Dienstleistungsbereichen neu aufstellen wollen.

Der gemeinnützige Verein zur Förderung der Krebsmedizin Kirstins WEG e.V. versteht sich als Organisation kompetenter Patienten für kompetente Patienten. Dem Verein gehören heute über 7000 Patienten, Freunde und Gönner an. Er unterstützt seit 1995 Forschungs- und Förderprogramme zum Thema Patientenkompetenz. Unter anderem führte er im November 1999 den 1. Koblenzer Patientenkongress zum Thema Patientenkompetenz durch. Ferner unterstützt der Verein einen Krebsinformationsdienst, der die Brücke von der Patientenkompetenz zur Beratungskompetenz schlägt und auch rege von Apotheken genutzt wird.

Die Erfahrungen der KTB aus der Second Opinion, des BVA aus den Schulungskursen und des Vereins Kirstins WEG aus der Beratungspraxis zusammengenommen führen zur folgenden Einschätzung der Situation der Beratungsapotheke:

1. Die Verbesserung der Beratungskompetenz des Apothekenpersonals reicht nicht aus, um der traditionell ausgerichteten Apotheke ein neues, unternehmerisch attraktives Profil zu geben. Kunden nehmen den guten Rat der Beratungsapotheke zwar gerne an. Ein Grund Stammkunde in dieser Apotheke zu werden, ist dies aber noch lange nicht. Hierzu müsste ein erweitertes Leistungsspektrum an die Adresse des kompetenten Patienten angeboten werden.

2. Eine einmalige Schulung des Apothekenpersonals zur Beratungskompetenz gefolgt von autodidaktischer Weiterbildung verringert die Kluft zwischen Patientenkompetenz und Beratungskompetenz nur vorübergehend. Patienten haben in wenigen Jahren einen enormen Entwicklungssprung vom unmündigen zum informierten, vom passiven zum kompetenten Patienten gemacht.

Immer öfter sammeln Patienten ein beachtliches Fachwissen in eigener Sache an. Daraus folgt, dass die Beratungsmaterie künftig anspruchsvoller wird. Um mit der steigenden Patientenkompetenz Schritt zu halten, muss sich der Berater ebenso einer kontinuierlichen Weiterbildung unterziehen, wie er es in seinem pharmazeutischen Kerngebiet, etwa der Arzneimittelkunde tut.

3. Trotz Fort- und Weiterbildung des beratenden Personals in der Apotheke wird kein optimaler Kompetenztransfer zwischen Berater und Kunde erzielt, wenn das Ambiente der Beratung nicht stimmt. Die Beratungsapotheke ist anders organisiert als die Verkaufsapotheke. Sie muss sich als Beratungsapotheke zu erkennen geben, eine vom Publikumsverkehr abgetrennte, ruhige und behagliche Beratungszone schaffen, Aufgaben des Personals ändern, komplementäre Waren und Dienstleistungen anbieten.

4. Die Weiterentwicklung der klassischen Verkaufsapotheke in die Beratungs- und Dienstleistungsapotheke erfordert auch den Schritt, weg von der isolierten Eigenständigkeit, hin zum Wirken in vernetzten Allianzen. Bei den BVA-Seminaren werden immer wieder neue Allianzen vorgestellt.

Je nach Umfeld und Leistungsprofil der Apotheke komponieren sich diese Allianzen recht variabel, in Kooperation mit einem oder mehreren Partnern aus anderen Apotheken oder der Medizin, besonderen medizinischen Richtungen, Ernährung und Stoffwechsel, Selbsthilfeorganisationen und Trainingszentren, Kassen und Versicherungen, Industrie und Gewerbe, Forschung und Lehre. Solche Allianzen fangen den Kunden mit wachsender Bedürfnisvielfalt auf. Sie ersparen allen Beteiligten die frustrierende Suche nach dem richtigen Weg im Gesundheitswesen. Das Angebot kommt zum Kunden.

5. Die harten Qualitätsstandards der pharmazeutischen Kompetenz sind vereinbar mit den weichen Standards der Komplementärmedizin. Apotheker und Apothekenpersonal haben eine Berufs- und Denkschule durchlaufen, die sie zur Orientierung innerhalb der Koordinaten wissenschaftliche Fundierung und Qualitätssicherung erzogen hat. Entscheidungsgrundlagen sind hier harte Daten zu Wirkungen, Wirksamkeit, Sicherheit, Nutzen und Wirtschaftlichkeit.

Diese Koordinaten haben dem Apotheker bisher auch das Gefühl der Sicherheit, und Kompetenz im beruflichen Alltag verliehen. Jetzt kommt die Beratungsmedizin hinzu, wo sich der Apotheker nicht mehr nur im sicheren Gebäude der fundierten Pharmazie bewegt, sondern auch im offenen Gelände der Komplementärmedizin, Wellness-Community, Salutogenese, Verhaltenspsychologie, Selbsthilfephilosophie. Hier geben ihm bisher nur wenige Wegmarken sichere Orientierungshilfe in zum Teil unübersichtlicher, trügerischer Landschaft.

Das BVA-Netzwerk umfasst Experten, die an der Etablierung einer "Evidence Based Komplementärmedizin" arbeiten. Sie vermitteln der Beratungsapotheke validierte Entscheidungshilfen.

6. Die Internet-Navigation und -Information kann der Förderung der Beratungskompetenz dienen. Die Beratungsmaterie steht in zweifacher Beziehung zu Informationen, die heute über das Internet angeboten werden. Zum einen kann über das Internet nur relativ allgemeines Wissen verbreitet werden.

Den äußerst subjektiven und immer komplexer werdenden Informationsbedarf der Verbraucher kann das Internet nicht abdecken, selbst wenn Dialogsysteme zur Anwendung kommen. Diese Thematik wurde im Rahmen des Internet-Versands von Medikamenten hinreichend diskutiert. Der unverzichtbare Stellenwert der Beratungsapotheken kam dabei klar zum Ausdruck.

Zum anderen sind viele der Internet-Informationen zu Methoden, Produkten und Dienstleistungen im Gesundheitswesen für den Laien, oft auch für den Apotheker bezüglich ihrer Seriosität kaum oder gar nicht zu bewerten. Bei der Fülle und raschen Folge der Internet-Angebote kann sich der im beruflichen Alltag stehende Apotheker auch gar nicht auf dem Laufenden halten.

Langfristig dürfte nur qualitätsgesicherte Gesundheitsinformation ins Internet gelangen. Heute müssen wir uns damit begnügen, ein Qualitätsfilter nachzuschalten. Dies soll im BVA-Netzwerk realisiert werden.

7. Die drei Modelle der Beratungsapotheke, "Kilimandscharo", "Mittelgebirge", "Alpen", bilden die Realität für die Durchschnittsapotheke nicht ab. In den Diskussionen über das Aussehen der Beratungsapotheke von morgen werden immer wieder drei Szenarien beschrieben.

Das Modell "Kilimandscharo" versinnbildlicht die auf wenigen Segmenten, zum Beispiel auf den Gebieten Reisemedizin, Onkologie, Diabetes herausragend profilierte Beratungsapotheke. Zu anderen Themen ist ihre Beratungskompetenz niedriger. Als Center of Excellence hat sie ihre Berechtigung vor allem in Ballungsgebieten.

Das Modell "Mittelgebirge" bezeichnet die Beratungsapotheke mit relativ breitem Beratungssegment. Sie kann als "Allrounder" den allgemeinen Beratungsbedarf für das Gros der Bevölkerung flexibel abdecken.

Im Modell "Alpen" stellt man sich die Beratungsapotheke als "Zehnkämpfer" vor, sowohl hochgradig spezialisiert als auch umfassend kompetent. Solche Beratungszentren mit größeren Spezialistenteams, die eingebettet sind in ein Gesundheitszentrum, also den räumlichen Zusammenschluss diverser Anbieter, sind im Entstehen, werden aber Einzelfälle bleiben.

Für die Mehrzahl der im neuen Gesundheitsmarkt unter Profilierungszwang geratenen Apotheken sind die drei oben genannten Modelle realistischerweise keine Optionen. Sie wollen, müssen und werden beim traditionell pharmazeutischen Kerngeschäft bleiben. Darüber hinaus müssen sie aber ohne größere Investitionen ein breiteres, kundenorientiertes Dienstleistungsgeschäft aufbauen und aus den drei Modellen ein eigenes betriebswirtschaftlich sinnvolles Konzept entwickeln. Unter Zuhilfenahme externer Fachkompetenz ist dies ohne weiteres möglich.

8. Die Beratungsapotheken reagieren nicht auf Trends, sondern prägen sie. Die Apothekerschaft hat wie kaum eine andere Gruppe die Chance, auf Entwicklungen im Gesundheitswesen Einfluss zu nehmen. Kaum jemand ist in derart engem Kontakt mit der zukünftig größten Marktkraft im Gesundheitswesen, mit den Versicherten, Patienten und Kunden, wie die Apotheken.

Keiner ist so prädestiniert wie sie, die Wünsche der Kundschaft aufzugreifen und neue Ideen weiter zu geben. Kein anderer kann sich im Gesundheitswesen so unabhängig von der Gesundheitspolitik entfalten. Apotheken sind in beachtlicher Dichte täglich vor den Augen der Fußgänger, ganz im Gegensatz zu Arztpraxen, Kassen, Versicherungen, Pharmaherstellern. Apotheken sind wahrhaftig hautnah am Kunden. Und sie genießen dessen Vertrauen im besonderen Maße, weil sie dessen Stimme im O-Ton hören und die gleiche Sprache sprechen.

Die spezielle Beratungsapotheke ist somit der natürliche Vermittler zwischen Konsument und Anbieter. Sie ist sowohl der Seismograph für Kundentrends, als auch Meinungsbildner für Ratsuchende. Sie kann vor Ort Überzeugungsarbeit leisten. Und vor allem kann die Apotheke im präventiv medizinischen Sinne frühzeitig für die Mit- und Eigenverantwortung des Kunden werben, auf die Compliance einwirken, dem kompetenten Patienten Arbeitsmaterialien für die Selbsthilfe vermitteln und ihn motivieren, kritisch mitzudenken.

9. Habe ich Pharmazie studiert, um eine Gesundheitsagentur zu leiten? So lautete der Ausspruch einer Apothekerin in einem BVA-Fortbildungskurs zur pharmazeutischen Beratungskompetenz. Wer kann diesen Seufzer nicht nachvollziehen? Die genannte Apothekerin spürte jedoch, dass die neue berufliche Aufstellung mit einer neuen inneren Einstellung beginnt, nämlich mit der Akzeptanz einer neuen Kundengeneration.

10. Die Beratungsapotheke erweitert ihren Kundenkreis. Der Begriff "Gesundheitsagentur" zielt also auch auf einen neuen Kundenkreis der Beratungsapotheke ab. Der Probelauf des BVA-Netzwerks im Jahr 2002 hat gezeigt, dass die Beratungsapotheke diesen neuen Kundenkreis anzieht. Es sind vorwiegend jüngere, gesundheitsbewusste und orientierungswillige Menschen, die gewohnt sind, für sich selbst zu entscheiden. Netzwerk-Apotheker, die zunächst skeptisch waren, sagen heute übereinstimmend, dass mit dem neuen Kundenkreis auch neue Wertschätzungen und neue Identifikationen des beratenden Apothekenpersonals mit ihrem Berufsbild stattfinden.

11. Gewinner ist, wer Spannungsfelder zwischen den Heilberufen abbaut. Wenn die Finanzierungsmodelle für die Orientierungs-, Gesundheits- und Selbsthilfemedizin greifen werden, dürfte der Kampf im Gesundheitswesen um die Ressourcen neue Munition bekommen. Zukunftsstrategen glauben jedoch, dass die Auseinandersetzung ausgehen wird wie das "Hornberger Schießen". Gewinner werden diejenigen sein, welche sich auf diesen Kampf gar nicht erst einlassen, sondern aufeinander zugehen. Im speziellen werden Allianzen von Apotheker- und Ärzteschaft die Spannungsfelder zwischen diesen beiden Berufsgruppen nivellieren.

12. Die Lotsenfunktion der Beratungsapotheke muss besser in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Wenn man sich durch die aktuelle Literatur zum Thema der kompetente Patient zwischen Wunsch und Wirklichkeit arbeitet, so stößt man zwangsläufig auf die Forderung, es müsste im Gesundheitswesen Personen geben, an die sich orientierungssuchende Patienten wenden könnten.

Hier ist von Gesundheitskommunikatoren, die zwischen Arzt und Patienten geschaltet werden, die Rede, von Laienauskunftsstellen, Patientenbeistand, Patientenlotsen. Für solche Gesundheitsführer wird sogar ein eigener Studiengang, eine neue Berufskategorie gefordert.

Aber auch Ärzte, Sozialstationen, verschiedene Call-Centers der Verbraucherverbände, professionalisierte Selbsthilfegruppen werden als für diesen Zweck Berufene genannt. Man fragt sich, warum die Apotheken in diesem Zusammenhang kaum erwähnt werden. Und man fragt sich, ob die Apothekerschaft den Finger hoch genug hebt, wenn nach den berufenen Lotsen im Gesundheitssystem gefragt wird.

Zusammengefasst darf man sagen, dass es trotz des Verlustes der Lukrativität des klassischen Geschäftsfeldes der Apotheken auch Chancen gibt, neue Unternehmensbereiche zu erschließen. Die dabei zunächst unüberwindbar erscheinenden Schwierigkeiten entpuppen sich beim näheren Hinsehen als lösbare Herausforderungen.

Das Beratungswesen gekoppelt an Produkte und Materialien gehört jedoch nicht nur zum Marketingkonzept der modernen Apotheke, sondern es entspricht auch einem essenziellen Bedürfnis der Bevölkerung. Notwendigerweise wird der Kunde in unserer Informationsgesellschaft künftig vorzugsweise die Apotheke in Anspruch nehmen, die ihm Orientierungshilfen gibt.

Kompetente Patienten stellen heute wahrscheinlich erst eine relativ kleine Fraktion der Patienten insgesamt dar. Patientenkompetenz ist jedoch ein Zeitthema. Diese zu fördern, ist eine Pflicht für jeden, der Verantwortung im Gesundheitswesen trägt, demnach auch für die Apothekerschaft. Die Förderung der Patientenkompetenz über die Verbesserung der Beratungskompetenz in Apotheken ist letztlich auch die übergeordnete Zielsetzung des BVA-Netzwerks, das im nächsten Abschnitt beschrieben wird.

Wer sich länger und tiefer mit dem Thema der Patientenorientierung im System des Gesundheitswesens auseinandersetzt, muss zur Oberzeugung kommen, dass die Beratungsapotheke in diesem System eine Schlüsselposition einnehmen wird.

Das BVA-Netzwerk für Patientenberater

Definition

Das BVA-Netzwerk Patientenkompetenz ist ein Zusammenschluss von Personen, die mit der direkten Beratung von Kunden, Patienten oder deren Angehörigen zu tun haben. Zunächst spricht das Netzwerk die Apotheken und das Apothekenpersonal an, später weitere Berufsgruppen.

Ziel des Netzwerks ist die Förderung der Kompetenz von Patientenberatern. Dazu stellt das Netzwerk seinen Mitgliedern eine Reihe von Dienstleistungen, Arbeitsmaterialien und Programmen zur Verfügung.

Langfristig umfasst das Netzwerk alle Fachbereiche und Fragenkomplexe, die in der Apotheke zur Sprache kommen. In der Startphase konzentriert sich das BVA-Netzwerk zunächst auf das Fachgebiet Onkologie. Seit Februar 2003 bietet das BVA-Netzwerk folgende Leistungen an:

1. Eine Plattform zum Erfahrungsaustausch.

Die Netzwerk-Mitglieder erhalten ein Kenn- und Passwort. Damit haben sie Zugang zum Adressen-Pool der Beratungsapotheken und können auf diesem Wege untereinander in Kontakt treten.

2. Hotline.

Jeder Krebsberater müsste entweder über eine eigene große Datenbank verfügen oder über Dutzende von Adressen und Kontaktstellen, über die er sich selbst die gewünschten Informationen besorgen kann. Stattdessen betreibt das BVA-Netzwerk für seine Mitglieder exklusiv nur eine Hotline, über die jeweils gewünschte Auskünfte oder Kontaktpersonen, Fachleute oder Auskunftsinstanzen vermittelt werden. Auskunft über die Orientierungsstelle des Netzwerks, siehe am Schluss des Artikels unter besondere Hinweise.

3. Call-Center.

Das Call-Center des Netzwerks umfasst unabhängige Spezialisten aus den Bereichen pharmazeutische Beratung; Krebsprävention, klinische Krebsdiagnostik, Krebstherapie, Krebsnachsorge und Rehabilitation; neue Therapieformen in klinischer Prüfung; Komplementärmedizin; unkonventionelle Therapieverfahren; Ernährungsmedizin; Psychoonkologie; Schmerztherapie; medizinische Hilfsmittel; Selbsthilfegruppen; spezialisierte Zentren der Tumormedizin; Kassen- und Versicherungswesen; Krebsorganisationen; Info und Medien. Die Mitglieder des Netzwerks erreichen das Call-Center über die Hotline.

4. System der Qualitätssicherung.

Da die Zuverlässigkeit der Quellen, aus denen Patienten und Kunden aber auch Patientenberater selbst Informationen beziehen, oft unklar ist, wurde im BVA-Netzwerk ein erstes System der Qualitätssicherung etabliert. Es garantiert qualitätsgeprüfte, unabhängige, neutrale Informationen. Mittel- bis längerfristig wird die Qualitätssicherung des Netzwerks ausgebaut.

5. Schulungen zur Beratungskompetenz.

Das BVA-Netzwerk führt regelmäßig Schulungskurse zur Verbesserung der Beratungskompetenz durch. Das BVA-Netzwerk gewährt seinen Mitgliedern Sonderkonditionen zur Teilnahme an diesen Seminaren. Hinweise zu den nächsten Schulungskursen siehe am Schluss des Artikels unter "Besondere Hinweise".

Im Jahr 2003 zu implementierende Leistungen des BVA-Netzwerks:

6. Praxis-Beratung.

Die Beratungsapotheke unterscheidet sich in vielem von der Verkaufsapotheke. Die Apotheken, die noch kein eigenes Konzept zur Ausrichtung, Organisation und zum Auftritt als Beratungsapotheke haben, können sich diesbezüglich von Spezialisten des Netzwerks beraten lassen. Kontakte vermittelt die Hotline.

7. Newsletter.

Das Netzwerk wird regelmäßig einen Newsletter für seine Mitglieder publizieren. Darin wird über aktuelle Entwicklungen im Beratungswesen und neue Angebote im Netzwerk berichtet. Die Netzwerkmitglieder können den Newsletter auch für eigene Beiträge nutzen.

8. Arbeitsmaterialien für die Beratungspraxis.

Spezialisierte Arbeitsgruppen sind dabei, aktuelle Info- und Arbeitsmaterialien für das Apothekenpersonal in der Beratungspraxis zu erstellen. Ein umfassendes Kompendium für Patientenberater wird Mitte 2003 ausgeliefert.

9. Arbeitsmaterialien für Patienten und Kunden.

Das Beratungsgespräch ist die Basis einer festen Bindung zwischen der Apotheke und ihren Kunden. Das Beratungsgespräch sollte ergänzt werden durch die Abgabe von Info- und Arbeitsmaterialien für den Patienten. Das Netzwerk wird solche Materialien mit der speziellen Zielsetzung der Förderung der Patientenkompetenz und Selbsthilfe vermitteln.

10. Neue Dienstleistungen.

Die Beratungsapotheke ist auch ein Gesundheitszentrum mit Lotsenfunktion und einem neuen Dienstleistungs-Portfolio. Prävention, Früherkennung, Selbstkontrolle, komplementäre Selbstmedikation, Teilnahme an Ringversuchen, Einschätzung und Überwachung von Parametern des Stoffwechsels usw. bekommen für kompetente Patienten und Kunden einen immer höheren Stellenwert. Dazu wird das Netzwerk den Beratungsapotheken Ideen, Materialien und Technologien vermitteln.

11. Wissenschaftliche Programme, Anwendungsbeobachtungen.

Kompetente, Rat suchende Patienten und Kunden werden kritischer. Sie fragen nicht nur nach evidence based medicine, sondern auch nach einer gleichartig begründeten Komplementärmedizin. Viele möchten an Erhebungen und wissenschaftlichen Programmen zur Verbesserung der Datenlage zu den von ihnen verwendeten Mitteln und Produkten teilnehmen. Das Netzwerk wird seinen Mitgliedern entsprechende Programme anbieten.

12. Anonyme Beschwerdestelle.

Im Sinne einer internen Qualitätssicherung des Netzwerks wird eine anonyme Beschwerdestelle für die Netzwerkmitglieder geschaffen. An dieser Stelle können Anregungen, aber auch Kritik zum Netzwerk, zu einzelnen Leistungen, Arbeitsabläufen oder auch einzelnen Personen/Institutionen des Call-Centers vorgetragen werden.

Erwerb und Kosten der Mitgliedschaft

Es werden Netzwerk-Mitglieder mit Status A und Status B unterschieden:

  • Status A-Mitglieder sind Einzelpersonen, die eines der zweitägigen Seminare des Netzwerks zur Beratungskompetenz besucht haben. Die Mitgliedschaft im Netzwerk ist und bleibt für die Status A-Mitglieder solange kostenlos, wie sie am Programm zur kontinuierlichen Verbesserung ihrer Beratungskompetenz teilnehmen.
  • Status B-Mitglieder sind Personen, die sich im Netzwerk registrieren wollen, aber noch keinen der Netzwerk-Schulungskurse zur Beratungskompetenz besucht haben. Der B-Status ist ein provisorischer. Er kann für maximal zwei Jahre aufrechterhalten werden.

Personen, die in dieser Zeit keinen Schulungskurs zur Beratungskompetenz besucht haben, scheiden aus dem Netzwerk wieder aus. Den B-Status können unter bestimmten Bedingungen ebenfalls Institutionen, wie zum Beispiel Apotheken oder Arztpraxen, erwerben. Für alle Status-B-Mitglieder ist die Mitgliedschaft im Netzwerk an einen Jahresbeitrag von zur Zeit 250 Euro gekoppelt.

Unabhängigkeit, Träger und Finanzierung des Netzwerks

Die Unabhängigkeit, Eigenständigkeit, Neutralität und Qualitätssicherung des BVA-Netzwerks lässt keine direkte finanzielle Zuwendung oder anderweitige Einflussnahme von Interessenvertretern im Gesundheitswesen zu. Im Sinne dieser Unabhängigkeit ist eine Anbindung des Netzwerks an eine gemeinnützige Einrichtung unerlässlich. Entsprechende Verhandlungen mit gemeinnützigen Patienten-orientierten Organisationen sind im Gange.

Anmeldung

Wer noch nicht Mitglied im Netzwerk ist, es aber werden möchte, sollte sich mit der Koordinierungsstelle des Netzwerks in Verbindung setzen. Er erhält umgehend die Informationen und Passwort, um das Netzwerk auch auf der Homepage des BVA-Netzwerks nutzen zu können.

Besondere Hinweise und Adressen

Koordinierungsstelle: Die Koordinierungsstelle des BVA-Netzwerks hat folgende Aufgaben: 1. Mithilfe beim Aufbau des BVA-Onkologie-Netzwerks 2. Dokumentation der Leistungen des Netzwerks 3. Zentrale Ansprechstation des Call-Centers 4. Organisation der Schulungskurse zur onkologischen Beratungskompetenz 5. Versand von Info- und Arbeitsmaterialien

Barbara Neusetzer, Sakrower Landstraße 112 a, 14089 Berlin, Tel. (030) 36 28 48 04, Fax (0 30) 36 10 06 6, E-Mail netzwerk@bva-online.de

Netzwerk Beratung:

Prof. Dr. G. Nagel, Klinik für Tumorbiologie, Breisacher Str. 117, 79106 Freiburg, Tel. (07 61) 2 06 12 01, Fax (07 61) 2 06 12 05, E-Mail clemenceau@tumorbio.uni-freiburg.de

Schulungskurse zur Beratungskompetenz:

siehe www.tumorbio.de

10./11. Mai 2003 Klinik für Tumorbiologie Freiburg Evidence based Komplementärmedizin in der Onkologie Ziel des Kurses ist die Vermittlung der Fähigkeit, bei der Beratung von Krebspatienten oder deren Angehörigen mit dem häufig angesprochenen Thema Komplementärmedizin umgehen zu können. Informationen : Steffen Theobald, Tel. : 07 61 - 2 06 18 94, theobald@tumorbio.uni-freiburg.de

25./26. Oktober 2003 in Freiburg Einführungsseminar in das Thema Patientenberatung in der Apotheke. Denkstile von Patienten. Krebs und Abwehr. Krebs und Psyche. Krebs und Schmerz. Krebs und Ernährung. Allgemeine Gesprächstechnik und Gesprächsführung. Informationen : Steffen Theobald, Tel. : 07 61 - 2 06 18 94, theobald@tumorbio.uni-freiburg.de

Nach erfolgreich abgeschlossener Erprobungsphase ist im Februar 2003 das BVA-Netzwerk zur Berater- und Patientenkompetenz mit dem Modul Krebsberatung in Betrieb gegangen. Die Ausweitung auf andere Fachbereiche erfolgt schrittweise. Ziel des Netzwerks ist die Unterstützung der Beratungsapotheke bei ihrer unternehmerischen Neuorientierung und die Förderung der Beratungskompetenz des Apothekenpersonals. Die Entwicklung zur Beratungsapotheke mit neuen Dienstleistungen ist in vollem Gang. Dabei ist der Anbieter von Dienstleistungen zunehmend durch "Patientenkompetenz" gefordert. Aber noch verfügen nur wenige Apotheken über die Beratungskompetenz, Ausstattung und Dienstleistungsangebote, die den steigenden Ansprüchen solch kompetenter Kunden genügen. Hier gibt es für Mitglieder im Netzwerk nun willkommene Unterstützung.

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